Zapfenstreich (eBook)

Band 4 der Tetralogie 'Das Ende der Paraden'
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2018 | 1. Auflage
272 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31762-6 (ISBN)
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Der letzte Band der großen Tetralogie Das Ende der Paraden. Bewegungslos und unfähig, ein Wort zu sagen, liegt Mark Tietjens auf einer überdachten Krankenliege vor Groby Hall, dem Gutshaus der altehrwürdigen englischen Familie. Der Schlag hat ihn getroffen, als er am Tag des Waffenstillstands erfuhr, dass die Alliierten darauf verzichteten, nach Deutschland einzumarschieren, um den Feind endgültig zu besiegen. Aber Frieden und Ruhe findet Mark auch auf dem Krankenbett nicht - die Frau seines Bruders Christopher will den Familiensitz an eine reiche und vulgäre Amerikanerin vermieten; und zwar nur, um ihn zu ärgern und die Familie zu demütigen. Seit Jahren schon führt sie einen erbitterten Ehekrieg gegen ihren Mann, der inzwischen verarmt ist und sich in die Arme einer Geliebten geflüchtet hat. Den letzten und abschließenden Band seiner großen Tetralogie Das Ende der Paraden erzählt Ford aus der Perspektive des gelähmten Bruders, um den herum die Schlachten und Intrigen toben. Einmal mehr gelang Ford mit seinem unverwechselbaren Stil ein atemberaubender Roman über einen Ehekrieg, der literarische Maßstäbe setzte. So wie die gesamte Tetralogie Maßstäbe setzte: neben Prousts Suche nach der verlorenen Zeit und Joyces Ulysses gilt sie als Markstein der europäischen Literaturgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, als wegweisende literarische Auseinandersetzung mit den Zerstörungen des Ersten Weltkriegs - bis in persönliche Verhältnisse hinein.

Ford Madox Ford (1873-1939) wurde als Sohn eines Deutschen und einer Engländerin unter dem Namen Ford Hermann Hueffer geboren. Nach dem Ersten Weltkrieg, an dem er auf englischer Seite teilnahm, legte er seinen deutschen Namen ab und lebte in Frankreich und Amerika. Er war mit vielen Künstlern und Schriftstellern wie Joseph Conrad, D. H. Lawrence, Wyndham Lewis, Ezra Pound und Ernest Hemingway befreundet.

Ford Madox Ford (1873-1939) wurde als Sohn eines Deutschen und einer Engländerin unter dem Namen Ford Hermann Hueffer geboren. Nach dem Ersten Weltkrieg, an dem er auf englischer Seite teilnahm, legte er seinen deutschen Namen ab und lebte in Frankreich und Amerika. Er war mit vielen Künstlern und Schriftstellern wie Joseph Conrad, D. H. Lawrence, Wyndham Lewis, Ezra Pound und Ernest Hemingway befreundet. Joachim Utz übersetzte u.a. Yeats, Owen, Spender und Tomlinson und wurde in der Presse für seine "hoch sensible, nuancenreiche und vokabelvirtuose" Übertragung der Werke von Ford Madox Ford gelobt.

II


Sie blieb an seiner Seite stehen und redete lebhaft auf ihn ein, bis sie die in den Rahmen gespannte Zeitung herumdrehte und er die andere Seite des Blattes lesen konnte. Als Erstes las er die Kommentare verschiedener Journalisten zum Pferderennsport. Das nahm er sehr schnell auf, gleichsam als hors d’œuvre. Sie wusste, dass er für die Meinungen sämtlicher Journalisten über Pferderennsport nur Verachtung übrig hatte, weniger aber für die beiden, die auf dieser besonderen Seite schrieben. Die wirklich ernsthafte Lektüre begann erst, wenn sie die Seite umdrehte. Dort standen in langen, ausgezackten Spalten die Namen von Rennpferden, Jockeys und Teilnehmern verschiedenster Rennen, mit Alter, Stammbäumen und bisherigen Leistungen. Diese Seite pflegte er genau und aufmerksam zu studieren. In der Regel brauchte er eine knappe Stunde dafür. Wenn er diese Seite las, blieb sie gerne bei ihm, denn die intensive Beschäftigung mit allem, was mit Rennpferden zu tun hatte, war das einzige Thema gewesen, über das sie sich austauschten. Fast sentimental waren oft jene Stunden gewesen, die sie, auf die Rückenlehne seines Sessels gestützt, bei der Lektüre der Nachrichten aus der Rennsportwelt mit ihm verbracht hatte, und die häufigen, wenn auch einzigen Komplimente, die er ihr machte, weil sie die Form der Pferde so sicher einzuschätzen wusste, hatten sie mit der warmen Freude und Verlegenheit erfüllt, die sie auch empfunden haben mochte, hätte er solche Komplimente ihrer Person gezollt. Aber sie bedurfte keiner ihrer Person geltenden Komplimente; ihr reichte, dass er zufrieden mit ihr war – aber diese langen, ruhigen Stunden vertraulichen Zusammenseins waren ihr immer eine Freude gewesen, und die vermisste sie jetzt. Gleichwohl wies sie darauf hin, dass Scuttle, wie vor mehreren Tagen von ihr vorausgesagt, ihr Rennen gewonnen habe, in dem keine anderen Teilnehmer auch nur entfernt an die Klasse der jungen Stute herangereicht hätten. Jetzt aber löste sie damit nicht mehr jenen halb geringschätzigen Grunzlaut der Zustimmung aus, der ihr früher dafür sicher gewesen wäre.

Das Brummen eines Flugzeugs war zu hören gewesen, und sie war nach draußen getreten, um hinauf zu dem blitzenden, von der Sonne beschienenen Spielzeug zu schauen, das langsam seine Bahn durch den klaren Himmel zog. Als sie zu ihm zurückkehrte, weil er zwei Mal die Augenlider geschlossen hatte, um anzuzeigen, dass sie seine Zeitungsseite wenden dürfe, löste sie einen Draht vom Pfosten zu seiner Rechten, ging um das Bett herum, befestigte den Draht am Pfosten zu seiner Linken und machte andersherum genau das Gleiche mit dem Draht, der jetzt auf die linke Seite gekommen war. Auf diese Weise wurde der Bilderrahmen komplett umgedreht und zeigte die andere Seite der Zeitung.

Diese Vorrichtung rief jeden Tag erneut ihren Ärger hervor, den sie auch, wie gewöhnlich, zum Ausdruck brachte. Dies sei ein weiteres Beispiel der Verrücktheit von Denen – nämlich der ihres Schwagers und seiner Gefährtin. Warum hatten sie nicht einen jener schlauen Apparate angeschafft, der auf einem Arm aus blitzendem Messing ein Lesebrett aus angenehm poliertem Mahagoni hielt und den man an ein Bettgestell klemmen und nach Bedarf neigen konnte? Warum nur hatten sie nicht eine jener Hütten für Tuberkulosepatienten besorgt, die sie in einem Katalog gesehen hatte? Diese Hütten konnte man mit hübschen grünen und roten Streifen bemalen, sodass sie etwas Fröhliches ausstrahlten, und man konnte sie auf einer Achse so drehen, dass die Sonne hineinschien oder die Zugluft abgehalten wurde, wenn es windig war. Welche Erklärung gab es für dieses verrückte und plumpe Gebilde? Ein von Pfosten getragenes Strohdach ohne Wände! Wollten sie ihn etwa aus seinem Bett geblasen sehen? Wollten sie sie bloß damit ärgern? Oder waren ihre Mittel so beschränkt, dass sie sich die Annehmlichkeiten der modernen Zivilisation nicht leisten konnten?

Dies mochte sehr wohl der Fall sein. Doch wie war das möglich angesichts des seltsamen Benehmens von Monsieur beau-frère in der Sache mit der Statue von Casimir-Bar, dem großen Bildhauer? Sie hatte angeboten, bei der Begrenzung der Haushaltsausgaben ihren Beitrag zu leisten und dafür zu opfern, was ihr am teuersten war. Doch wie seltsam hatte sich Monsieur Christopher verhalten. Während sie der großen öffentlichen Versteigerung in Wingham Priory beiwohnten, hatte sie dem liebenswerten, wenngleich ungeschlachten Gunning und dem halb idiotischen Tischler befohlen, jene bewundernswürdige Niobe und die anerkanntermaßen unvergleichliche Thetis, Neptun die Nachricht vom Tod seines Schwiegersohns überbringend, aus ihrem Zimmer hinunter in den Salon zu schaffen, von ihrem frisch vergoldeten Second-Empire-Sessel ganz zu schweigen. Und wie hatten nicht das Weiß und der goldene Lüster dieser Kunstwerke in jener bedrückenden Wildnis geglänzt! Welche Leidenschaft in der Haltung der Niobe, welche Lebensfülle und zugleich welch ein Jammer in der Gebärde der Thetis. Auch hatte sie die Gelegenheit genutzt, mit einem aus der Hauptstadt der Kunst importierten besonderen Präparat den einzigen Sessel im Salon zu polieren, dessen Zustand für eine Politur, obwohl aus Paris, nicht zu schlecht war. Zugegebenermaßen ein unelegantes Stück – aus der Zeit Ludwigs des Dreizehnten von Frankreich, wobei nur der Himmel wusste, welcher Epoche das hier entsprach. Bestimmt der Cromwells, des Königsmörders.

Und dann fiel Monsieur nichts Besseres ein, als in dem Augenblick, in dem er die dergestalt belebte Szene betrat, die einzige Gefühlsregung zu zeigen, die sie je bei ihm erlebt hatte. Ansonsten nämlich gab sich Monsieur mindestens so selbstbeherrscht, wenn auch nicht so absolut schweigsam, wie Mark selbst. Sie fragte Mark: War jetzt der richtige Augenblick für eine, genau genommen, Demonstration der Zuneigung für seine junge Geliebte? Was sonst war es denn? Il – Monsieur, ihr Verwandter, galt als Mann grenzenlosen Wissens. Was man wissen konnte, er wusste es. Es war unmöglich, dass er sich der überragenden Bedeutung des Werkes Casimir-Bars nicht bewusst war, der, hätte es nicht die Machenschaften seines Rivalen Monsieur Rodin und seiner Kollegen gegeben, die höchsten Auszeichnungen Frankreichs erhalten hätte. Aber Monsieur hatte nicht nur Gunning und dem Tischler mit allen Anzeichen von Zorn befohlen, die Skulpturen und den Sessel unverzüglich aus dem Salon zu entfernen, wo sie sie aufgestellt hatte – Gott weiß wie zögerlich und in der Hoffnung, sie könnten die Aufmerksamkeit eines unerwarteten Kunden auf sich ziehen –, weil nämlich Laufkundschaft immer während Ihrer Abwesenheit kam … Nicht nur das, sondern um den vielleicht nicht unnatürlichen Neid von Elle zu dämpfen, hatte Monsieur ganz ungehörige Zweifel am künstlerischen und finanziellen Wert der Werke Casimir-Bars geäußert. Jedermann wisse doch, dass in diesen Tagen die Amerikaner das unglückselige Land der Franzosen seiner kostbarsten Schätze beraubten; jedermann kenne die enormen Preise, die sie zahlten; die Gier, die sie zeigten. Und trotzdem habe dieser Mann ihr weiszumachen versucht, dass die Statuen nicht mehr als ein paar Shilling das Stück wert seien. Es war unfassbar. Er sei so knapp bei Kasse, dass er ihr Haus in einen bloßen Lagerraum für schäbige Gegenstände aus grobem Holz und zerbeultem Messing verwandelt habe. Er schaffe es, für diese elenden Dinge einzigartige Preise bei verrückten Yankees zu erzielen, die große Entfernungen dafür zurücklegten, um diesen Müll von ihm zu erstehen. Biete man ihm aber Stücke von außergewöhnlicher Schönheit in allerbestem Zustand, weise er diese schlicht und geradezu höhnisch zurück.

Was sie selbst betraf, so hatte sie Respekt vor Leidenschaft – obwohl sie sich ein geeigneteres Objekt der Leidenschaft hätte vorstellen können als Elle, die sie der Einfachheit halber als belle-sœur zu bezeichnen pflegte. Aber sie war großzügig und verstand die Wendungen des menschlichen Herzens. Es war ehrenwert, wenn ein Mann sich für den Gegenstand seiner Zuneigung ruinierte. Sein Verhalten jedoch empfand sie mindestens als übertrieben.

Und was bedeutete überhaupt diese Entschlossenheit, die Entwicklungen des modernen Geistes zu ignorieren? Warum wollten sie für Mark partout keinen Lesetisch mit einem Messingarm anschaffen, der den Nachbarn und Dienern einen Fingerzeig gegeben hätte, dass es sich bei ihm um eine hochstehende Person handelte? Warum keine drehbare Hütte? Dieses Zeitalter zeigte Symptome, die beunruhigend waren. Sie wäre die Erste, dies zu bestätigen. Man schlage nur die Zeitungen auf, die voll seien von den Untaten von Meuchelmördern und Straßenräubern, Umstürzlern und Ungebildeten, die überall die Zügel der Macht ergriffen. Aber was wolle man nur gegen etwas so Harmloses wie den Lesetisch, die drehbare Hütte und das Flugzeug einwenden? Ach ja, von wegen Flugzeug!

Warum ignorierten sie die Existenz des Flugzeugs? Das Jahr sei zu weit fortgeschritten, nannten sie als Grund, ihr keinen Samen für navets de Paris mitgebracht zu haben und den Samen dieses wunderbaren und leckeren Gemüses auszubringen, das, in den frühen Morgenstunden im bleichen Licht der elektrischen Laternen angeliefert und in symmetrischen Stapeln bis unter die Fenster der Hotels aufgeschichtet oder in Bergen auf den Marktkarren, eines der heitersten Schauspiele im Nachtleben der Ville Lumière bot. Mindestens einen Monat würde es dauern, hatte man ihr gesagt, um den Samen aus Paris zu beschaffen. Aber angenommen, sie hätten...

Erscheint lt. Verlag 15.2.2018
Übersetzer Joachim Utz
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Das Ende der Paraden • der aufrecht blieb • Der Mann • Der Mann, der aufrecht blieb • Ehekrise • Erster Weltkrieg • Ford Madox Ford • Keine Paraden mehr • Manche tun es nicht
ISBN-10 3-462-31762-8 / 3462317628
ISBN-13 978-3-462-31762-6 / 9783462317626
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