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Desaster (eBook)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
288 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490191-6 (ISBN)
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Die erschütternde Geschichte einer Familie über Sucht, Selbstzerstörung und den verzweifelten Wunsch zu helfen. Die Verlegerin und Tetra-Pak-Erbin Sigrid Rausing erzählt in ihrem autobiographischen Buch »Desaster« die tragische Geschichte der Drogensucht ihres Bruders, die ihre ganze Familie in die Katastrophe stürzte. Der Drogenskandal um das Milliardärsehepaar Hans Kristian und Eva Rausing und dessen tragischer Ausgang gingen weltweit durch die Medien. Unter mehreren Lagen Decken und Planen wurde Evas Leiche in der Londoner Stadtvilla des Ehepaars gefunden. Sie war bereits seit zwei Monaten tot. Hans Kristian hat sie, unfähig, ihren Tod zu akzeptieren, einfach versteckt. Sigrid Rausing erzählt nun erstmals von der bitteren Selbstzerstörung ihres Bruders und ihrem verzweifelten Wunsch zu helfen. In ihrem intimen, kathartischen Buch unternimmt sie den mutigen Versuch, das Unsagbare mit der Welt zu teilen. Hans Kristian Rausing und seine Frau Eva haben sich bei einem Entzug kennengelernt. Seitdem sind sie clean. Und sie sind verliebt. Als es zwölf Uhr schlägt, und die beiden ein Glas Champagner an die Lippen führen, sind sie seit zehn Jahren verheiratet. Sie haben vier gemeinsame Kinder. Der Rückfall der beiden wird der ganzen Familie Rausing den Boden unter den Füßen wegziehen: Kokain, Alkohol, Crack, Heroin. Sigrid, Hans' Schwester und Evas Schwägerin, beginnt einen kräftezehrenden Kampf gegen die Sucht ihres Bruders und muss sich irgendwann eingestehen, dass sie gescheitert ist. »Desaster« ist die intime Aufarbeitung einer menschlichen Tragödie - poetisch, klug und berührend.

Sigrid Rausing ist die Verlegerin von Granta Books und Portobello Books, Herausgeberin des Granta Magazine und Tochter des Tetra-Pak-Gründers Hans Rausing Sr. Sie ist promovierte Anthropologin und setzt sich mit ihrer eigenen Stiftung für Menschenrechte ein. Mit »Desaster« unternimmt sie den mutigen Versuch, das erschütternde Chaos, in das die Sucht ihres Bruders die ganze Familie gestürzt hat, literarisch aufzuarbeiten. Sigrid Rausing lebt in London.

Sigrid Rausing ist die Verlegerin von Granta Books und Portobello Books, Herausgeberin des Granta Magazine und Tochter des Tetra-Pak-Gründers Hans Rausing Sr. Sie ist promovierte Anthropologin und setzt sich mit ihrer eigenen Stiftung für Menschenrechte ein. Mit »Desaster« unternimmt sie den mutigen Versuch, das erschütternde Chaos, in das die Sucht ihres Bruders die ganze Familie gestürzt hat, literarisch aufzuarbeiten. Sigrid Rausing lebt in London. Adelheid Zöfel lebt und übersetzt in Freiburg im Breisgau. Zu den von ihr übersetzten Autoren gehören u.a. Marisha Pessl, Chuck Klosterman, Bill Clegg, David Gilmour, Janice Deaner und Louise Erdrich.

[…] Rausings Buch ist ein Glücksfall für jeden, der anderen verdeutlichen möchte, was Drogen anrichten können […]

Sigrid Rausing steigt tief in das Thema Sucht ein, aufrichtig erzählt sie, was es für Angehörige bedeutet, über Jahre verstrickt zu sein […]

1


Nun, da alles vorbei ist, merke ich, wie ich immer wieder über die Familiengeschichte und über Familienerinnerungen nachdenke, über die Erzählungen, die eine Familie zusammenhalten, und die Handlungen, die sie zerreißen können.

Ich habe lange geglaubt, dass nichts, was man tut, irreversibel ist, dass man, alles in allem, Entscheidungen und Fehler korrigieren kann. Inzwischen weiß ich es: Bestimmte Handlungen können nicht rückgängig gemacht werden, und man wird durch sie in Welten geführt, von denen man nie geträumt hätte.

*

In Ein Traumspiel, August Strindbergs Stück von 1902, kommt eine Zeile immer wieder vor: »Det är synd om människorna.«[2] Gesprochen wird der Satz von der Tochter des Gottes Indra, die auf die Erde hinabsteigt, weil sie die Menschen und ihr selbstverschuldetes Elend besser verstehen will. Der Satz ist nicht leicht zu übersetzen. »Die Menschen, sie sind zu bedauern«, heißt es in der Übersetzung von Christel Hildebrandt. Det är synd om människorna. Und von all den Schmerzen, die wir Menschen uns selbst zufügen, ist die Sucht, so scheint es mir, einer der tragischsten. Wer kann den Süchtigen helfen, die verzehrt werden von einem unerträglichen, beschämenden Hunger, von einem Verlangen, das nicht zu kontrollieren ist? Es gibt keine Medizin: Die Drogen sind die Medizin.

Und wer steht den Familien bei, die so unentrinnbar in die Selbstzerstörung der Süchtigen verwickelt sind? Wer kann helfen, wenn »Hilfe« zu einem Synonym für Machtausübung wird und in der Wahrnehmung der Süchtigen ein familiärer Polizeistaat entsteht, der das Ende ihrer Freiheit bedeutet?

 

Dieses Buch handelt davon, was es heißt, Zeuge einer Sucht zu werden. In gewisser Hinsicht ist es eine ganz normale Geschichte: Zwei Menschen, Hans und Eva, mein Bruder und seine Frau, lernen sich in einer Entzugsklinik kennen, sie verlieben sich ineinander, heiraten und bekommen Kinder, dann haben sie einen Rückfall. Er überlebt, sie nicht. Suchtgeschichten sind alle gleich, überall auf der Welt – die Individualität der Süchtigen verschwindet hinter dem vorhersagbaren Verlauf von Krankheit und Genesung.

Was unsere Geschichte anders macht, ist die Tatsache, dass sie sich so stark in der Öffentlichkeit abgespielt hat. Den scheinbar freiwilligen körperlichen und geistigen Verfall eines geliebten Menschen mitzuerleben tut unsäglich weh, und in dem Zusammenhang spielt es keine Rolle, ob die Geschichte öffentlich ist oder nicht: Trauer und Angst sind dermaßen überwältigend, dass Schlagzeilen irrelevant werden. Aber du willst trotzdem nicht, dass die Medien deine Lebensgeschichte an sich reißen.

Allein das kann schon ein guter Grund sein, ein Buch zu schreiben. Aber ich habe außerdem immer gedacht, dass es bei dramatischen Ereignissen ein Narrativ mit einer Schlussfolgerung gibt, eine Erzählung, die man dann im Familienarchiv abheftet. Sie wird erzählt, vermutlich von Anwälten; Tatsachen werden aufgedeckt, und kommende Familiengenerationen erfahren, was sich abgespielt hat.

Aber wie sich herausstellt, hat niemand die Tatsachen zusammengetragen. Es gab keine Timeline, kein kohärentes Familiennarrativ. Und das, obwohl Hans’ und Evas Krankheit das Schlimmste war, was uns je widerfahren ist. Die Krankheit zerrte uns, in Zeitlupe, hinab in die Unterwelt stummer Schmerzen, ins Reich plötzlicher Zusammenbrüche und gespenstischer Wahnvorstellungen. Es gab unzählige Runden mit grässlichen Diskussionen, es gab zeitraubende, komplizierte E-Mail-Korrespondenzen, endlose Gutachten und Gespräche, Termine mit Psychiatern, Therapeuten und Suchtexperten jeder Art. Ich fing an, beständig über das Wesen der Familie nachzudenken, über die Grenzen unserer Verantwortung füreinander. Und darüber, wer wir waren und wer wir geworden sind.

 

Hans und Eva haben 1992 geheiratet. Es war der Höhepunkt ihres Gesundungsprozesses, der schon viele Jahre anhielt. Sie hatten Zwölf-Schritte-Programme mitgemacht, sie hatten »Sponsoren«, also Betreuer; wahrscheinlich fungierten sie sogar selbst als Betreuer für andere, und mit ihrem Geld unterstützten sie Stiftungen für Drogenabhängige. 1999 hatten sie schon drei Kinder. Dann kam, acht Jahre nach ihrer Hochzeit, ein katastrophaler Rückfall.

Dieser Rückfall dauerte zwölf Jahre an. Ich war achtunddreißig, als er begann, und fünfzig, als er zu Ende ging.

 

Ich möchte verstehen, wie alles angefangen hat – lange vor dem Rückfall. Doch wer kennt das Wie und Warum? Wer kann sagen, welche emotionale Vorgeschichte oder genetische Prädestination Menschen in die Sucht treibt?

Ein paar Dinge weiß ich. Anfang der achtziger Jahre fuhr Hans mit dem Zug durch die Sowjetunion, durch China und Indien. Gemeinsam mit Freunden. Er war damals achtzehn oder neunzehn. In Goa lernten sie ein paar junge Italienerinnen kennen, die am Strand schliefen. Das war seine erste Begegnung mit Heroin.

Eva war Amerikanerin, lebte aber in England. Geboren in Hongkong, aufgewachsen in England. Sie war sogar noch jünger als Hans, als sie drogenabhängig wurde.

Im Lauf der Jahre gab es Aufenthalte in zahlreichen Suchtkliniken. Ende der Achtziger waren die beiden zufällig in derselben Einrichtung. Sie kannten sich noch nicht. Eva war schon einen Schritt weiter in ihrem Genesungsprozess und eigentlich bereits entlassen, doch dann wurde sie von der Klinikleitung gefragt, ob sie Hans überreden könnte, länger zu bleiben – er schien kurz davor, die Behandlung abzubrechen und zu den Drogen zurückzukehren. Eva hatte offenbar die Gabe, anderen Süchtigen zu helfen, und sie brachte Hans tatsächlich dazu, die Therapie weiterzumachen. Die beiden wurden Freunde.

Einige Zeit später – sie waren inzwischen mehr als Freunde – brachte Hans seine Freundin mit ins Landhaus meiner Eltern, damit sie die Familie kennenlernte. Ich erinnere mich genau an diese Begegnung. Eva saß zurückgelehnt auf dem Sofa in der Bibliothek und trug ein pinkfarbenes Chanelkostüm. Blond, schmal und eher reserviert. Sie wirkte gleichzeitig jung und alt, konventionell und wild, gepflegt und ungezügelt. Sie war zwar in London groß geworden, kam mir aber eher amerikanisch als englisch vor. Ihre Mutter stammte aus North Carolina; ihr Vater war schon sehr jung aus Europa nach Amerika gekommen.

Meine Mutter kannte die Eltern; sie waren in Chelsea in derselben Families Anonymous-Gruppe gewesen.

*

Ich war einmal bei einer Lesung des Schriftstellers David Grossman. Er sprach über die Trauer nach dem Tod seines Sohnes. Der Sohn war in einem der zahlreichen Konflikte Israels sehr tragisch ums Leben gekommen. Grossman sagte, die Tatsache, dass wir Emotionen in Worte fassen können, macht uns zu Menschen. Ich würde hinzufügen, oder vielleicht sagte er das auch: Wenn wir es nicht schaffen, dem Leid einen Sinn zu verleihen, dann kann es uns in etwas verwandeln, was wir nicht sind oder was wir nie waren. Schreiben ist eine Form der Sinnstiftung.

Ich glaube an das Schreiben. Ich bin Lektorin und Verlegerin, Texte sind mein Beruf. Durch Lesen und Schreiben können wir über unsere Gefühle nachdenken – wen wir lieben und wie und warum. Ich weiß, dass ich meinen Bruder liebe. Nicht, weil er es verdient (wer tut das?), sondern weil ich schon als Mädchen immer lachen musste, wenn wir uns anschauten. Das fing an, als wir noch ganz klein waren. Er ist so echt, und seine Gegenwart (seine Größe, seine Statur, sein Wesen) ist so tröstlich, jetzt wieder, nach der langen Lücke, nach der Zeit in der Wüste, nach der Zombie-Phase.

 

Mein Bruder hat mir, vor einem Jahr oder so, erzählt, dass er Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit liest. Zum zweiten Mal schon schaffte ich es nicht, ihm von diesem Buch zu erzählen, von meinem eigenen Erinnerungsprojekt. Das erste Mal war ein paar Monate vorher gewesen, als er mich fragte, ob ich gerade etwas schreibe. Mein letztes Buch, ein Memoire über das Jahr, das ich auf einer sowjetischen Kolchose verbracht hatte, war gerade in die Shortlist für einen kleineren Preis aufgenommen worden, und er freute sich für mich, glaube ich. Es war der Geburtstag unserer Mutter. Ich spielte auf Zeit, blieb vage, wich aus. Irgendwann während des Essens begann ich zu singen. Mahlzeiten bei meinen Eltern bedeuten immer: Es wird gesungen. Das ist sehr schwedisch. Die Kinder sehen sich an und kichern, so wie sie das immer tun, seit Jahr und Tag.

Genauso haben mein Bruder und ich uns angeschaut, als wir klein waren und auch noch als Jugendliche.

Meine Mutter lächelt und summt, ohne richtige Melodie. Mein Vater summt und singt, ebenfalls ohne Melodie. Mein Bruder singt auch mit. Dann lächelt er plötzlich, ein überraschend liebes Lächeln. Kurz winkt er der kleinen Tochter meiner Freundin Johanna zu, die auf dem Sofa liegt, eine DVD und gleichzeitig uns anschaut, und auf einmal kommen mir die Tränen – ich denke daran, dass mein Bruder mit seinen Kindern so viel Zeit verpasst hat, ich weine und singe und schmecke im Mund die salzigen Tränen.

Wie gut ich diesen salzigen Geschmack kenne.

Er war herzergreifend, dieser lange blaue Maiabend, die schwedischen Lieder in der ländlichen Idylle von Sussex. Wir sangen immer weiter, bis mein Vater nicht mehr konnte, weil es ihm die Kehle zuschnürte und er vom Tisch aufstehen musste. Schwer stützte er sich auf mich, während wir langsam in die Bibliothek und zu seinem Sessel zurückgingen.

Gequält wandte mein...

Erscheint lt. Verlag 25.4.2018
Übersetzer Adelheid Zöfel
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Aufarbeitung • Crackabhängigkeit • Depression • Drogensucht • Entzug • Eva Rausing • Familientragödie • Hans Rausing • High Society • Hilfe • London • Milliardär • Mord • Skandal • Tetra-Pak • Tetra-Pak-Erben • Therapie • Trost
ISBN-10 3-10-490191-0 / 3104901910
ISBN-13 978-3-10-490191-6 / 9783104901916
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