So viel Weißbier kannst gar ned trinken (eBook)

Wie ich als Schwarzer in Bayern groß geworden bin

(Autor)

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2017 | 1. Auflage
224 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44471-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

So viel Weißbier kannst gar ned trinken -  Simon Pearce
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Simon Pearce ist Schauspieler und Comedian. Und er ist schwarz. In seinem Buch erzählt er über sein Leben in Bayern - mit Ironie und viel Witz. Simon Pearce ist ein Urbayer, auch wenn seine Hautfarbe dafür etwas zu dunkel ist. Als Sohn einer temperamentvollen Volksschauspielerin und eines Nigerianers wächst der Comedian in der bayerischen Provinz auf - in der Gemeinde beäugt und beobachtet. Die Metzgerin ist begeistert, dass der Vater 'so gut Deutsch spricht' und die Nachbarn zählen ihre Porzellansammlung nach, wenn Simon zum Spielen da war. Aber Simon entdeckt die Macht der Worte und begegnet Rassismus und Intoleranz mit Humor. In seiner Autobiographie erzählt er mit viel Witz und Ironie von seinen skurrilen und schrägen Erlebnissen und dankt den Bayern jeden Tag dafür, dass sie dem Kabarettisten so viel Stoff für sein Comedy-Programm liefern. Seit 2014 tourt er mit seinem Programm 'Allein unter Schwarzen' durch ganz Deutschland, ab 2017 mit seinem zweiten abendfüllenden Soloprogramm 'Pearce on Earth' die deutschen Hallen füllen. 'Einer der gar nicht erst versucht, es jedem Recht zu machen, entwaffnet potenzielle Rassisten mit seinem Humor.' Welt am Sonntag

Simon Pearce, 1981 geboren, ist in Bayern als Sohn einer bayerischen Volksschauspielerin und eines Nigerianers aufgewachsen. Er absolvierte eine Schauspielausbildung und hatte unter anderem Auftritte im Tatort und in Rosenheim Cops. Seit 2014 tourt er mit seinem Soloprogramm Allein unter Schwarzen durch ganz Deutschland. Mit einem offenen Brief 'An alle Münchner, die glauben, in einer toleranten Stadt zu leben' löste er sowohl in den Medien als auch in den sozialen Netzwerken eine Debatte über Rassismus aus.

Simon Pearce, 1981 geboren, ist in Bayern als Sohn einer bayerischen Volksschauspielerin und eines Nigerianers aufgewachsen. Er absolvierte eine Schauspielausbildung und hatte unter anderem Auftritte im Tatort und in Rosenheim Cops. Seit 2014 tourt er mit seinem Soloprogramm Allein unter Schwarzen durch ganz Deutschland. Mit einem offenen Brief "An alle Münchner, die glauben, in einer toleranten Stadt zu leben" löste er sowohl in den Medien als auch in den sozialen Netzwerken eine Debatte über Rassismus aus.

3. Kapitel


Mama, der ewige Volksschauspiel-Hippie

Ja, meine Mama. Eigentlich die Person, die das Potenzial gehabt hätte, uns davor zu retten, Aussätzige zu sein. Eigentlich. Meine Mama oder »die Weiße«, wie wir sie nannten, die bayerische Volksschauspielerin Christiane Blumhoff, war der berühmte Star in unserer Straße, die Menschen kannten sie aus dem Fernsehen. Sie hatte in zahlreichen Folgen von »Derrick«, »Weißblaue Geschichten«, »Königlich Bayerrisches Amtsgericht«, »Komödienstadl« und »Polizeiinspektion 1« mitgespielt und stand seit früher Jugend auf den Bühnen dieser Welt. Zudem ist sie eine Paradebayerin. Blond, blauäugig, im Besitz mehrerer Dirndlkleider. Wie aus dem Bilderbuch der Bayernpartei entsprungen. Eine, von der man sagen konnte: »Die kenn ich, des is mei Nachbarin, ganz eine nette Frau.«

Wir hatten Nachbarn, die sich, wenn sie auf meinen Papa und mich trafen, leise vor sich hin grummelnd abwendeten, wenn wir sie grüßten. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht »Ja grüß Sie, lieber Herr Pearce, und auch der liebreizende Sohn, ich bin so froh, Sie, meine heiß geliebten Nachbarn, hier auf der Straße zu treffen« in ihren Bart murmelten. Aber waren wir zusammen mit meiner Mama unterwegs, konnten sie sich kaum halten vor Nächstenliebe. Da wurde mir in die Backe gekniffen (und sich danach bestimmt die Hand desinfiziert) und laut gelacht. »Grüß Sie, Frau Blumhoff! Und der liebe Gatte ist auch dabei und der liebreizende Sohn. Mei das freut mich jetzt, dass ich Sie hier heute treff. Einen schönen Tag Ihnen allen.«

 

Aber so ganz volkstümlich und der gewünschten Norm entsprechend war sie privat dann doch nicht. Meine Mama trug nämlich leider ein ordentliches Stück zu unserer Andersartigkeit bei. Zum Glück, aus heutiger Sicht! Aber als Kind will man einfach nur dazugehören und nicht um jeden Preis auffallen, deshalb auch leider. Privat war sie nämlich Puchheims einziger, sagen wir mal, Halbhippie. Sie trug den Geist der 68er-Jahre in sich: Sie war und ist Feministin, jederzeit bereit, eine Demonstration anzuzetteln oder an einer teilzunehmen, umweltbewusst, nahm nie ein Blatt vor den Mund und war modisch, wie soll ich sagen, durchaus experimentierfreudig. Sie war der perfekte Gegenentwurf zu Papa.

Sie ist schon sehr leger, unsere Mutter. Und sie war von Anfang an die einzig wahre »Wilde« in unserer Familie. In ihrer Handtasche sah es aus wie im Utensilienschrank einer Voodoo-Priesterin: Hasenpfoten, Wildschweinzähne, Hühnerknochen und Q-Tips.

»Das bringt Glück«, sagte sie, wenn man sie darauf ansprach. Klar, weil jeder Taschendieb die Tasche zurückbringen würde, nachdem er reingeschaut hat, und sagen würde: »Sie sollten sich schämen! Auch wir haben ein Recht auf saubere Arbeitsbedingungen!«

Diese Hühnerknochen auch immer! Die sahen aus, als gehörten sie in die Auslage eines Kunsthändlers. Alle waren sie blitzeblank gelutscht. Ja, Knochen werden grundsätzlich so lange abgenagt und abgelutscht, bis man sie direkt wieder als Elfenbein verkaufen kann. Ich meine, ich mag auch gerne Chicken Wings und eigentlich jegliche Art von Knochen mit Fleisch drumherum zum Abknabbern. Ich bin kein Fan von Klischees, aber eine Sache kann ich wirklich bestätigen: Menschen mit Wurzeln in Afrika stehen auf den Verzehr von Hühnchen. Da mag der Bruder noch so satt sein, wenn es irgendwo »Chicken« gibt, ist er dabei! Da entsprechen wir tatsächlich der Phrase: »Der Neger ist ein Nager.«

Aber wir essen sie ganz normal, wie jeder andere Mensch auch. Das Fleisch wird vom Knochen genagt, der Knorpel runtergebissen und zerkaut, dann der Knochen auseinandergebrochen und das Knochenmark getrunken. Wie ein ganz gewöhnlicher Mensch das eben so tut. Meine Mama hat die Dinger vergewaltigt. Das waren Blowjobs. Blitzeblankgelutscht.

 

Mein Vater benahm sich in der Öffentlichkeit ruhig, zurückhaltend, höflich und »möglichst deutsch«. Ganz im Sinne seines Politikstudiums war er höchst diplomatisch. Er war quasi der Kofi Annan von Puchheim. Und wenn Papa der Kofi Annan von Puchheim war, war Mama eine Art weiblicher Peter Lustig, die als Pressesprecherin der Roten Armee Fraktion jobbte. Sie war das genaue Gegenteil von Papa. Ungeniert, lustig, übermütig, laut und frech. Sie hielt ihre Meinung nie zurück und ließ andere nie ausreden, wie ein Crossfader. Das heißt, dass sie gerne im Satz des Gegenübers anfing zu antworten und dann war es eine Frage der Lautstärke, welchen Gesprächspartner man zu Ende hören konnte. An sich schätze ich ihr Verhalten sehr, aber ich arbeitete damals hart daran, Coolness-Punkte zu sammeln, oder auch nur ein wenig Akzeptanz, und Mama korrumpierte diese Versuche gerne mal durch ihr Auftreten.

Warum, frage ich mich heute, warum bei den sieben Toren der Hölle musste diese Phase ihres Lebens sich vom Tag meiner Geburt bis weit über meine Pubertät hinaus ziehen? Warum in nigerianischen Gewändern zum Einkaufen gehen? Warum in Birkenstock-Sandalen? Warum muss sie ausgerechnet am Tag meines Elternsprechabends in der Schule ihren »BH-losen Tag« haben? Die Eltern redeten mit ihren Kindern und Kinder redeten untereinander. Und die Finger zeigten auf mich.

Im Rückblick denke ich, dass Mama alles richtig gemacht hat und sich so verhielt, dass heute jeder Hipster vor Ehrfurcht eins ihrer »Vintage-Shirts« nachgestrickt hätte. Wenn damals nur schon alles cool gewesen wäre. Statt Süßigkeiten bekamen wir Körnchen, getrocknete Rosinen, Superfood und Lebensmittel aus ökologischem Anbau. Milch direkt vom Bauern, die man erst essen musste, bevor man sie trinken konnte, weil sie grundsätzlich von einer vier Zentimeter dicken Rahmschicht bedeckt war. Dörrobst statt Gummibärchen, Äpfel vom Baum, gerne mit Wurm im Anschnitt. Allein schon diese Äpfel. Diese grauenhaften Apfelschnitze vom Biobauern, die ich jedes Mal aufs Neue enttäuscht in der großen Pause aus meiner Tupperbox zog.

 

Die große Pause ist das größte gesellschaftliche Ereignis im Mikrokosmos des Grundschulpausenhofs. Ein Sehen und Gesehenwerden. Wer trägt welche Klamotten, wer ist der beste Fußstoppspieler und vor allem, wer hat die heißeste Ware am Start? In unserer Schule ging es zu wie auf einem Drogenumschlagplatz. Direkt auf dem Pausenhof, dem Marktplatz des Verbrechens. Es war der sogenannte »Süßigkeiten-Schwarzmarkt«! Da florierte der Tauschhandel wie zu Zeiten der Weimarer Republik: »Ich hab hier ein Raider, wer tauscht?« »Ja, gern, Raider gegen Snickers.« »Snickers gegen Gummibärchen, irgendwer?« »Jemand ein Bounty?« »Ein Bounty gegen zwei Gummibärchenpackungen!« Bounty war seltsamerweise das beliebteste Tauschobjekt, vielleicht weil Kokos damals noch als exklusive Ware aus fernen Ländern galt. Ich konnte mich leider nicht am Handel beteiligen. Beziehungsweise: Keiner hatte Interesse, mit mir in Wirtschaftsbeziehungen zu treten. Das lag mitnichten daran, dass ich quasi auch exklusiv und aus einem fremden Land stammte, also nicht an meiner Hautfarbe, sondern schlicht an den Waren, die ich feilzubieten hatte.

Meine Öko-Mama hatte eben eine ganz eigene Meinung zu Süßigkeiten. Bei mir zu Hause galt leider der Satz: »Wenn du was Süßes möchtest, iss halt einen Apfel!« Iss halt einen Apfel. Als wäre das die naheliegende Option, damit den Hunger auf Süßkram zu befriedigen. Selbst heute bekomme ich bei diesem Satz noch Zahnbelag. Diesen Ekelbelag, der die Zähne so knirschen lässt, wenn man sie übereinanderreibt. So dankbar ich Mama heute dafür bin, als Kind will man keinen Apfel als Alternative zum Schokoriegel angeboten bekommen. Man will auch wie die anderen Kinder ein cooles Getränk wie Sprite oder Fanta. Aber nein. Ich bekam selbst zusammengemischte naturtrübe Apfelschorle! Und zwar von der Art, bei der man nie sicher war, ob die Kohlensäure vom Mineralwasser stammte oder bei der Schorle bereits der Gärprozess eingesetzt hatte und man mit dem ersten Schluck seine ersten Schritte in die Alkoholsucht tätigte.

Wenn die Mama mal so richtig gut drauf war, bekam ich eine Limo. Limo hieß aber »a Leitungswasser und eine Multivitamintablette«. Und im Gewinde der Deckel der Weichplastiktupperflasche hatten sich noch die Reste vom Kakao aus der Vorwoche gesammelt. Pfui Deifi! Ich hab mich mehr übergeben, als ich trinken konnte.

Und man will bunt verpackte Süßigkeiten, die die Zähne herrlich durchlöchen. Meine Zähne hatten keine Löcher. Meine Zähne bogen sich ehrfürchtig auseinander beim Versuch, in diese braun anoxidierten, säureübersättigten Apfelschnipselchen vom Biobauern, die in meiner Tupperbox schon ein Eigenleben entwickelten, zu beißen. Sie wollten keinesfalls in Kontakt mit ihnen kommen. Karius und Baktus verließen fluchtartig ihre Produktionsstätten in meiner Mundhöhle und mein Zahnfleisch zog sich zurück wie eine Schnecke, wenn man ihre Fühler berührt. Ich verdanke meine ausgeprägten Zahnlücken einzig und allein diesen Äpfeln.

Als meine Finger noch etwas schmaler waren, konnte ich tatsächlich meinen Zeigefinger in meine Zahnlücke stecken. Übrigens auch keine Fähigkeit, mit der man bei anderen Kindern Eindruck schindet. Wenn ich heute, in Eile, zu heftig an einer Zigarette zieh, kann es schon mal vorkommen, dass sie mir durch die Zahnlücke durchsaust und erst vom Gaumenzäpfchen gebremst wird. Aber meine Zahnzwischenräume reinigen sich von selbst. Und ich bin bis heute lochfrei. Wie gesagt, aus heutiger Sicht alles richtig gemacht.

Auf Tauschgeschäfte mit mir wollte sich aber kein anderes Kind einlassen. Dabei hätte ich für eine Kindermilchschnitte oder einen Fruchtzwerg freiwillig hochwertige Buchweizensticks oder getrocknete Feigen geboten. Na ja, egal. Meine liebe Mutter hat sich...

Erscheint lt. Verlag 27.9.2017
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga Humor / Satire
Schlagworte Afrika • Afrikaner • Allein unter Schwarzen • Aufwachsen • Ausländer • Bayern • Biografie Comedian • Bücher Kabarett • Bücher von Promis • Comedian • Comedian Bücher • Comedy • Deutschland • Erfahrungen und wahre Geschichten • Flüchtlinge • Fremdenfeindlichkeit • Geschenk für Freund • Geschenk für Mann • Gesellschaft • Gesellschaftskritische Bücher • Harry G. • Humor • Humor Bücher • humorvolle Bücher • Kabarett • Kabarett Buch • Lebensgeschichten • lustig • Neger • Nigerianer • Nightwash • Offener Brief • Opfer von Rassismus • Pearce on Earth • Pegida • Politik Humor • Politische Satire • Polizei • Polizeikontrolle • Quatsch Comedy Club • Rassismus • Rassismus Buch • rassismus deutschland • Rassismus und Fremdenfeindlichkeit • satire humor • Schwarzer • Simon Pearce • Sky • SPD • Toleranz • tz • wahre geschichten bücher • witzig • Ziemlich beste Freunde • zum lachen
ISBN-10 3-426-44471-2 / 3426444712
ISBN-13 978-3-426-44471-9 / 9783426444719
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