Die schönsten französischen Märchen (eBook)

Jack Zipes (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
407 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-75291-2 (ISBN)

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Die schönsten französischen Märchen -
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Die schönsten französischen Märchen des 17. und 18. Jahrhunderts sind in diesem Band versammelt. Den Auftakt bilden Charles Perraults berühmte Märchen des Gänsemütterchens, die später auch von den Brüdern Grimm adaptiert wurden. Es folgen Ritter- und Abenteuermärchen, in denen gute und böse Feen das Geschick der Menschen bestimmen. Diese - meist von Damen der aristokratischen Salons verfasst - unterhielten und entzückten das höfische Publikum. Und natürlich darf auch das bekannteste Märchen hier nicht fehlen: Jeanne-Marie Le Prince de Beaumonts Die Schöne und das Tier, das seit mehr als drei Jahrhunderten die Herzen rührt und mehrfach verfilmt und vertont wurde.

Einleitung


Der Aufstieg des französischen Märchens und der Niedergang Frankreichs


Ihre Untertanen ‌… die Sie wie Ihre Kinder lieben sollten und die Ihnen bislang leidenschaftlich ergeben gewesen sind, sterben Hungers. Der Ackerbau ist nahezu aufgegeben worden; Stadt und Land entvölkern sich; das Handwerk liegt darnieder und ernährt die Handwerker nicht mehr. Der Handel ist ruiniert ‌… Ganz Frankreich ist nichts als ein riesiges Spital, verheert und mittellos. 

Fénelon,

›Brief an König Ludwig XIV.‹ (1694)

 

Bis in die neunziger Jahre des siebzehnten Jahrhunderts hielt man in Frankreich die mündlich überlieferten Volksmärchen nicht für wert, festgehalten und in Literatur verwandelt, also aufgeschrieben und unter Gebildeten in Umlauf gebracht zu werden. Abgesehen von einigen bedeutenden Märchensammlungen in Italien, den ›Ergötzlichen Nächten‹ (1550 bis 1553) des Gianfrancesco Straparola und dem ›Pentamerone‹ (1634-1636) des Giambattista Basile, betrachtete in der Tat der größte Teil der europäischen Aristokratie und Intelligenz das Volksmärchen als einen Teil der Überlieferungen des gemeinen Volkes, der unter der Würde kultivierter Menschen stehe und mit heidnischem Glauben und Aberglauben verbunden sei, die im christlichen Europa nicht mehr von Belang seien. Wenn die Gebildeten der oberen Stände dem Volksmärchen überhaupt eine Existenzberechtigung zuerkannten, dann war es die eines rohen Vergnügens, einer Anekdote oder einer Moralpredigt, die in mündlicher Form durch Vermittler wie Ammen, Gouvernanten, Diener, Bauern, Händler und Dorfpriester weitergetragen wurde. 

Vom Mittelalter bis zur Renaissance erzählten des Lesens und Schreibens unkundige Bauern einander Märchen am Herd, in Spinnstuben oder auf dem Feld. Priester flochten sie in der Volkssprache in ihre Predigten, um bei den Bauern Gehör zu finden. Händler und Reisende trugen diese Geschichten in Schenken und Tavernen zu Menschen aller Stände. Den Kindern der oberen Stände wurden sie von Ammen und Gouvernanten erzählt. So wurden sie von allen Mitgliedern der Gesellschaft in verschiedenen Formen und Versionen im Gedächtnis behalten und weitergegeben und immer der Situation entsprechend erzählt — als ›Plauderei‹. Diese Plaudereien wurden freilich nach und nach immer kultivierter, wurden akzeptabel und fanden in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts Eingang in die französischen Salons. Erst 1690 befand man sie in der Tat für wert, veröffentlicht zu werden, und 1696 hatten gedruckte Märchen eine veritable Popularität erlangt: das Kunstmärchen war in seine Rechte eingetreten, und vor allem französische aristokratische Schriftsteller etablierten die Konventionen und Motive eines Genres, das in der westlichen Welt vielleicht das beliebteste ist — und nicht nur bei Kindern. 

Wie kam das? Wieso änderte sich die Einstellung gegenüber dem bescheidenen mündlich überlieferten Volksmärchen? Welcher Art waren die Kunstmärchen, die geschaffen wurden? 

Obwohl es unmöglich ist, einen genauen Zeitpunkt für das Auftreten des Kunstmärchens in Frankreich anzugeben, können seine Ursprünge in der Konversation vermutet werden, die hochgebildete adlige Damen in den Salons entwickelten, die sie um 1630 in Paris begründeten und die bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts beliebt waren. Ausgeschlossen von Schulen und Universitäten, begannen die genannten Damen, Zusammenkünfte in ihren Häusern zu organisieren, zu denen sie andere Frauen und nach und nach auch Männer einluden, um über Gegenstände zu diskutieren, die ihnen wichtig waren, wie: Kunst, Literatur, Liebe, Ehe und Freiheit. Vor allem wollten die Frauen sich als Individuen auszeichnen, die über der übrigen Gesellschaft standen und besondere Aufmerksamkeit verdienten. Im allgemeinen nannte man diese Frauen ›die Preziösen‹, und sie versuchten, einen preziösen Stil des Denkens, Sprechens und Schreibens zu entwickeln, um ihre eingeborenen Talente zu offenbaren und zu zelebrieren, die sie von den ›gewöhnlichen Teilen‹ der Gesellschaft unterschieden. Das Wichtigste dabei war die Bedeutung, die sie einer geistreichen und einfallsreichen Konversation beimaßen. Die ›Preziösen‹ (und viele Männer gehörten zu dieser Bewegung) waren fähig, das banalste Klischee in ein brillantes und einmaliges Bonmot zu verwandeln. Obwohl diese Frauen zum Blutlosen und Elitären neigten, waren sie keinesfalls Dilettantinnen. Im Gegenteil. Einige der begabtesten Schriftstellerinnen jener Zeit, wie Mademoiselle de Scudéry, Mademoiselle de Montpensier, Madame de Sévigné und Madame de Lafayette entstammten dieser Bewegung, und es war ihr Ziel, größere Unabhängigkeit für Frauen ihres Standes zu erreichen und als Intellektuelle ernster genommen zu werden. In der Tat war eine der wichtigsten Wirkungen der ›préciosité‹ ihr Einfluß auf die Frauen des niederen Adels und des Bürgertums, die sie anregte, nach mehr Rechten zu streben und gegen die willkürlichen Beschränkungen zu kämpfen, die in einer patriarchalischen Gesellschaft ihrem Leben auferlegt wurden. 

Die Frauen, die die Salons frequentierten, suchten beständig nach neuen Wegen, ihre Bedürfnisse auszudrücken und Form und Stil ihres Sprechens und Kommunizierens auszuschmücken. Stellt man in Rechnung, daß sie als Kinder alle mit Volksmärchen in Berührung gekommen waren und daß sie einander mit Konversationsspielen unterhielten, die die Modelle für das Gelegenheitsgedicht und den Fortsetzungsroman abgaben, so ist es kein Zufall, daß sie sich dem Märchen des Volkes als einer Quelle des Vergnügens zuwandten. Um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts begannen diese Damen, sich auf Märchenhandlungen basierende Gesellschaftsspiele auszudenken, um einander zum freundschaftlichen Wettstreit herauszufordern, wer wohl die spannendere Geschichte erzählen könnte. Solche Herausforderungen führten insbesondere dazu, daß die Frauen die Qualität ihrer Dialoge, Bemerkungen und Vorstellungen über Moral, gute Manieren und Bildung verbesserten und gelegentlich männliche Normen in Frage stellten, die ihr Leben beherrschten. Themen solcher Konversationen waren Literatur, Sitte, Geschmack, Liebe und Etikette, wobei die Sprecherinnen alle bestrebt waren, mit wirkungsvollster Rhetorik ideale Situationen zu schildern, die nach und nach in literarische Formen gebracht wurden und die Normen des conte de fée oder, wie wir heute sagen, des Kunstmärchens setzten. 

Um 1670 finden wir in Briefen viele Hinweise darauf, daß in den Salons das Märchen als akzeptables ›jeu d'esprit‹ galt. In derartigen Spielen griffen diese Frauen Volksmärchen auf und benutzten im Gespräch spontan gewisse Motive. Schließlich begannen sie, Märchen zu erzählen, als literarisches Divertimento, als Intermezzo, als eine Art Dessert — etwas, das man erfand, um die Zuhörer zu ergötzen. Zur sozialen Funktion des Amusements kam noch die Selbstdarstellung und die Darstellung angemessenen aristokratischen Betragens hinzu. Das Märchenerzählen ermöglichte es den Damen, sich selbst sowie gesellschaftliche Umgangsformen und Beziehungen auf eine Weise darzustellen, die ihre Interessen und die des Adels wiedergab. So legten sie großen Wert auf gewisse Regeln des freien Sprechens wie Natürlichkeit und Spontaneität und auf Themen wie freie Gattenwahl, Treue und Gerechtigkeit. Die Erzählerin mußte das Märchen so erzählen, als erfinde sie es gerade und als folge es nicht vorgegebenen Regeln. Ausschmückung, Improvisation und das Experimentieren mit bekannten Motiven aus der volkstümlichen Überlieferung oder aus der Literatur standen im Vordergrund. Das Erzählen eines Märchens als Unterhaltungsstück ging folgendermaßen vor sich: Die Erzählerin wurde gebeten, sich zu einem bestimmten Motiv eine Geschichte auszudenken. Die Gewandtheit der Erzählerin wurde daran gemessen, wie erfindungsreich und wie natürlich sie erzählte. Die Zuhörer spendeten höflich ihre Komplimente, dann wurde eine weitere Anwesende gebeten, eine Geschichte zu erzählen, nicht in direktem Wettstreit mit ihrer Vorrednerin, sondern um das Spiel weiterzutreiben und die Möglichkeiten der Erfindung und des...

Erscheint lt. Verlag 11.9.2017
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Märchen / Sagen
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte ab 6 Jahre • Anthologie • buch-geschenk • Charles Perrault • Die Schöne und das Biest • Erstlesebücher • Frankreich • Geschenke für Jungs • Geschenke für Kinder • Geschenke für Mädchen • insel taschenbuch 4599 • IT 4599 • IT4599 • Kinderbuch • Legenden • Märchen • MärchenBand • Märchensammlung • Mythen • Sagen • Sammlung • Urmärchen • Westeuropa
ISBN-10 3-458-75291-9 / 3458752919
ISBN-13 978-3-458-75291-2 / 9783458752912
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