Dem Kroisleitner sein Vater (eBook)

Kriminalroman
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2017 | 1. Auflage
256 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-1610-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Dem Kroisleitner sein Vater -  Martin Schult
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»Eine Oper im Dreivierteltakt - Heimatfilm, Bergdrama und Krimi - Martin Schult bringt mit Frassek und Sprotz den Berliner Wedding in die Steiermark, lässt Menschen sterben und wieder auferstehen und höchst unterhaltsam zwei Welten aufeinanderprallen.« Christoph Schröder, freier Literaturkritiker und Mitglied der Jury des Deutschen Buchpreises 2016   Dem Kroisleitner Karl sein Vater ist tot. 104 war der alte Kroisleitner, aber noch topfit, das lag an der guten Luft oder am Marillenschnaps. Schon bald ermittelt die Kriminalpolizei aus der nahen Bezirkshauptstadt, was der wortkarge Wanderer mit der schlechten Ausrüstung damit zu tun hat. Ebenjener mit dem Namen Frassek, seines Zeichens Polizeiobermeister aus Berlin, hatte sich doch nur in der Steiermark von seinem letzten, gelinde gesagt unglücklich verlaufenen, Fall erholen wollen - und von seiner pubertierenden Tochter. Inmitten von Lügen, Intrigen und Dorfklatsch wird Frassek unversehens vom Tatverdächtigen zum Ermittler.

Martin Schult, Jahrgang 1967, studierte Afrikanistik und Ethnologie in Frankfurt und Berlin. Nach mehreren Aufenthalten in West- und Ostafrika und Lehrtätigkeiten in Berlin und Zürich, arbeitet er seit 2004 beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Er ist der stellvertretende Leiter des Berliner Büros und betreut den Friedenspreis. Martin Schult lebt mit seiner Frau in Berlin.

Martin Schult, Jahrgang 1967, studierte Afrikanistik und Ethnologie in Frankfurt und Berlin. Der stellvertretende Leiter des Berliner Büros vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels betreut den Friedenspreis. Martin Schult lebt mit seiner Familie in Berlin, verbringt die Sommer aber schreibend in Österreich. Sein Debütroman Flokati oder mein Sommer mit Schmidt ist 2016 bei Ullstein erschienen.

1
Der Berg


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In St. Margarethen werden die Menschen alt. Das liegt am Wasser, sagen manche, das nah beim Dorf kurz unter dem Gipfel des Hausbergs entspringt. Es fließt durch den moosigen Waldgrund, rauscht am Toten Mann vorbei und irgendwo beim alten Wasserwerk umspült es den Schatz, den ein Mönch vom nahen Stiftskloster zum Schutz vor Deutschen und Russen hier vergraben haben soll und der nie wieder aufgetaucht ist. Da sei auch die kleine Klosterglocke aus purem Gold darunter, sagt die Legende. Einst habe sie zart die Mönche zum Gebet gerufen. Nun veredele sie das Wasser.

Es ist die Luft, sagen andere. Nirgendwo sei sie so rein. Warum auch sonst sollten die Wiener Pensionisten sich jeden Sommer mit dem Gästeabholdienst vom Automechaniker Bruno Hinterberger für vierzig Euro pro Nase an der eigenen Haustür abholen und hier herunterfahren lassen – seit Jahrzehnten bald und gerne mit Südbalkon. Als hätten sie immer schon gewusst, dass hier in St. Margarethen die Sonne warm und die Luft mit der Würze unzähliger Heilkräuter angereichert sei.

Dem Wirt vom Gasthof Zum Valentiner ist es das hiesige Kernöl, in der Café-Konditorei Schönblick vertraut man auf die heilenden Kräfte der schonend in Marmelade verwandelten Marillen, und wenn auch noch die Johanna vom Kerschbauerhof frühmorgens einen Eid auf ihre destillierten Früchte ablegt, hat ein jeder für sich die Formel für ein langes und gesundes Leben entdeckt, mit dem der Touristikverein die Urlauber zu locken versucht.

Und doch weiß es von allen der Kroisleitner Karl am besten. In knapp tausend Metern Seehöhe durch die sanften, nicht zu steil ansteigenden Hügel und »ja, manche nennen wir auch Berge, gell« zu wandern, was könnte gesünder sein, noch dazu, wenn man das richtige Schuhwerk trage.

Das sagte er auch zu dem fremden Wandersmann, der in seinem Schuhgeschäft Bergstiefel anprobierte. In Turnschuhen war der Wanderer hierhergekommen, man stelle sich das vor, und an der Ladentür, die vom Schuhmacher mit einem verlegenen Lächeln, da etwas verspätet, aufgeschlossen wurde, hatte er bereits gewartet.

»Wer hier lebt, lebt länger«, erzählte er dem Wandersmann, »so wie mein Vater«, der vor ein paar Tagen seinen 104. Geburtstag begangen habe, und reichte ihm ein neues Paar. »Mit denen rennen S’ die Berge schneller hinauf als herunter«, so leicht, so elastisch, so federnd, wie die Sohle gefertigt sei, »und eh’ man sich’s versieht«, würde aus einem Kürbis »ganz schnell wieder eine Bohnenstange, gell?«

Der fremde Wandersmann blieb aber wortkarg, und das war dem Kroisleitner Karl nicht ganz geheuer. Fernab der alpinen Bergrouten kamen nur wenige in die Gegend um sein Dorf, und die meisten von ihnen pilgerten weiter nach Mariazell. Beseelt von dem Gedanken, dort im Wallfahrtsort religiöse Läuterung zu erfahren, sprudelten die Erlebnisse ihrer Wanderung nur so aus ihnen heraus. Und wenn der Kroisleitner Karl ihnen das spröde gewordene Leder aufpolierte, eine lose Sohle leimte oder manchmal gar ein neues Paar Wanderstiefel verkaufte, dann hörte er ihnen gerne zu, wie schon sein Vater, der vor ihm der Schuhmacher des Dorfes gewesen war. Es war sogar die erste Regel, die ihm der Vater mit auf den Weg gegeben hatte und es auch heuer noch manchmal tat: »Zuhören musst, dann verkauft sich selbst der teuerste Schuh.« Doch dazu brauchte es auch einen anderen, der was erzählt.

Den nächsten Karton zog der Kroisleitner Karl aus dem Regal, »ein ganz besonders guter Schuh«, den trage er selbst auch, und recht beiläufig, fast, als würde er eine Antwort gar nicht erst erwarten, ließ er dieser Feststellung noch eine Frage folgen.

»Wo kommen S’ denn her?«

Mit einer kleinen Verzögerung brummte der fremde Wanderer etwas, das mit einem B begann, es war ein strenges Brummen, zu scharf, um nachzufragen, zu brumm, ums zu verstehen. Fragend blickte er auf die Schuhe.

»Ja, die Neuneinhalb müsst’ schon passen. Vorn ein wenig Luft, das ist wichtig.« Der Mann zog sich die Stiefel an und während er sie mit ungeübten Fingern zuschnürte, nutzte der Kroisleitner Karl die Gelegenheit, sich ihn genauer anzuschauen, denn neugierig waren sie schon in seinem Dorf, wie überall auf der Welt. Dunkle Ringe hatte der Wanderer um die Augen und eine arg wirre Frisur, der ein Schnitt und etwas Shampoo guttun würde, und so sehnte sich der Schuhmacher erst recht nach einem richtigen Kundengespräch, in dem er dezent auf die Dagmar mit ihrem Salon hätte hinweisen können.

»Aber lang sind S’ noch nicht unterwegs, gell?«

Der frische Sonnenbrand im Gesicht und die von der Hitze aufgesprungenen Lippen bezeugten diese mit einem Fragezeichen versehene Feststellung. Doch bei diesem jüngsten Versuch des Schuhmachers, in die Konversation einzusteigen, brummten sie nicht, die Lippen. Der Wandersmann atmete vielmehr scharf aus, und darauf sagte sich der Kroisleitner Karl, dass er erst einmal nichts mehr sagen würde. So viel Kundschaft hatte er in diesem heißen und trockenen Sommer auch noch nicht gehabt, und wer es nicht mag, das Miteinanderplaudern, den, bittschön, wollte er auch nicht weiter belästigen, sondern lieber schweigen. Zumindest so lange, bis der Fremde selbst wieder etwas sagen und hoffentlich – aber lieber nicht mit einer Kreditkarte – zum Bezahlen an den Kassentisch treten würde … aber ach!

Sein Lebtag hat sich der Kroisleitner Karl nicht an jene Kunden gewöhnen können, die, so wie jetzt auch dieser Wanderer, die noch nicht bezahlten Schuhe unbedingt draußen auf der Straße ausprobieren mussten. Nicht einer hatte sich jemals auf diese Weise illegal der Ware bemächtigt oder gar das Schuhwerk ruiniert, dennoch war es dem Kroisleitner Karl ein Graus. Da flatterten die Hände in der Luft, ein »uiuiui« und ein »solang‘s noch nicht bezahlt sind, tun’s quietschen« lagen ihm schon auf der Zunge. Und erst, nachdem der Mann den Laden wieder betreten und »Zahlen!« gebrummt hatte, beruhigte sich der Schuhverkäufer und entspannte seine ein Meter neunzig.

»Haben S’ an Gästepass? Dann tät ich’s um fünf Prozent rabattieren.«

*

Darauf hätte ihm auch die Wirtsfrau im Gasthof Zum Valentiner eine Antwort geben können. Denn der Lissi, einer kleinen, früher gar zierlichen Frau, die versuchte, das Beste aus ihren mittlerweile fünfzig Jahren herauszuholen, entging nichts und merken konnte sie sich eh alles. Wie neulich, als sie der Frau Moser aus München fünf Jahre nach dem letzten Aufenthalt ungefragt einen Verlängerten und ein Glas kalte Milch auf den Frühstückstisch gestellt hatte und sie über den Ausruf – »Dass Sie sich daran noch erinnern können!« – einfach nur glücklich gewesen war.

Aber mehr noch hatte die Lissi als Frau des Gasthofwirts Jakob Valentiner über die Jahre die Fähigkeit perfektioniert, allein aus der Bestellung eines Gastes seine Herkunft herauszulesen. Und was sie sich da bei dem fremden Wandersmann zurechtgereimt hatte, als der geradezu unverschämt früh am Morgen ins Gasthaus gekommen war und »ein Wiener Schnitzel mit Bratkartoffeln« bestellt hatte, das hatte ihr nicht gefallen.

Deutsche Großstadt, vielleicht sogar aus Berlin, aber auf keinen Fall ein Feinschmecker, denn ein Wiener isst man mit Salzkartoffeln oder warmem Erdäpfelsalat, wer es mag mit Reis, aber nie und nimmer mit etwas, das ebenfalls gebraten oder gebacken wäre, das war ihrem Jakob wichtig, sehr wichtig – und der musste es ja schließlich wissen. Und schon gar nicht um halb neun, wenn die Pensionsgäste gerade erst ihr Frühstück einnehmen. Aber was soll’s, im Valentiner ist der Gast König, selbst wenn er ausschaut wie der Gehörnte höchstpersönlich.

Denn sogar aus der Ferne, von ihrem Platz hinter der Schank, hatte die Lissi Valentiner erkennen können, dass dem Fremden, während er an seinem Tisch eine Postkarte beschrieb, ein Ring am Finger fehlte, sicher ein dicker Ehering, denn die Haut war an der Stelle nicht nur blasser, sondern auch ein bisschen eingedatscht.

Seine verschmutzte Jeans, das verschwitzte hellblaue Hemd und der neue, lächerlich bunte Rucksack – das alles waren Zeugnisse ihres Verdachts, dass er nicht überlegt, sondern überstürzt aufgebrochen sein musste. Als wäre er auf der Flucht – ja, das hatte die Lissi noch gedacht, während sie nach dem Frühstück das ein wenig enge Dirndl zurechtgezogen hatte, und vor allem diesen Gedanken war sie nicht mehr losgeworden. Doch jemand, der auf der Flucht war, der würde nicht gerade hier in St. Margarethen Schutz suchen wollen. Denn was hier getratscht wird, da kann niemand vor niemandem kein Geheimnis nicht bewahren. Und somit hätte der auch keinen Gästepass.

*

Dem Lamberti Josef aber war der fremde Mann zuerst begegnet. In seinem Geschäft. Gleich beim Aufsperren um acht. Am Postkartenkarussell. Hernach beim Kassieren und »pfiat di Gott, auf Wiederschauen«. Nicht einen Laut hatte er von sich gegeben, der Wandersmann. Und im Hinausgehen hatte er bereits die nur mit einem Fingerzeig ausgewählte Zigarettenschachtel aufgerissen. Als wäre der Josef, der »schöne Josef«, wie sie ihn nannten, nichts als Luft.

Das Adjektiv hatte seine Berechtigung. Gleichzeitig könnte man es fast eine Untertreibung nennen. Denn der schöne, groß gewachsene und gut gebaute blonde Mann mit seinen strahlend blauen Augen hatte schon des Öfteren sprachloses Erstaunen ausgelöst. Doch wer beim Lamberti Josef an der Kasse stand und sich erhoffte, dass man diesem unerhört hübschen Mann auch noch die Gabe der charmanten Konversation in die Wiege gelegt hätte, würde mit einer leichten...

Erscheint lt. Verlag 14.7.2017
Reihe/Serie Frassek-Krimi
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alpen • Alpen Krimi • Berlin • Braunschlag • Buch 2017 • Cosy Crime • Cosy Mystery • Ermittler • Heimat • Heimatkrimi • Humor • Kommissar • Krimi • Kriminalroman • Neu 2017 • Neuerscheinung 2017 • Neuerscheinungen 2017 • Österreich • Polizei • Polizeiobermeister • Serie • skurril • Steiermark • Tod • Urlaub • Urlaubskrimi
ISBN-10 3-8437-1610-2 / 3843716102
ISBN-13 978-3-8437-1610-9 / 9783843716109
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