Früher hab' ich nur mein Motorrad gepflegt (eBook)

Wie ein Sohn tapfer versucht, sich um seine alten Eltern zu kümmern
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2017 | 1. Auflage
288 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490406-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Früher hab' ich nur mein Motorrad gepflegt -  Bernd Gieseking
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Von einem, der auszog, um seinen alten Eltern zu helfen Eines Tages ein Anruf, der alte Vater ist gestürzt, »Serienrippenbruch«. Autor und Kabarettist Bernd Gieseking wird klar: Er muss sich um seine alten Eltern kümmern. Ins Häuschen zu ziehen wäre ihm gefühlt zu eng, so stellt er einen Wohnwagen in den Garten. Einen Sommer lang will er helfen, sich um Haus und Hof kümmern. Aber er merkt schnell: Die Eltern sind fitter als befürchtet und er selbst langsamer als gedacht. Er lernt: Um wirklich zu helfen, muss er früh aufstehen! Ein sehr rührendes Buch über das Älter werden der Eltern und die stete Sorge um ihre Autonomie. Und ein humorvoller Bericht über ein außergewöhnliches »Experiment«.

Bernd Gieseking, geboren 1958 in Minden-Kutenhausen, ist Kabarettist und Autor von Kolumnen für die »Wahrheit«-Seite der »taz«, Kinderbüchern, Kinderhörspielen für den WDR und den HR sowie diversen anderen Büchern. Seine im FISCHER Taschenbuch erschienen Finnland-Bücher »Finne dich selbst!« und »Das kuriose Finnland-Buch - Was Reiseführer verschweigen« sind Bestseller.

Bernd Gieseking, geboren 1958 in Minden-Kutenhausen, ist Kabarettist und Autor von Kolumnen für die »Wahrheit«-Seite der »taz«, Kinderbüchern, Kinderhörspielen für den WDR und den HR sowie diversen anderen Büchern. Seine im FISCHER Taschenbuch erschienen Finnland-Bücher »Finne dich selbst!« und »Das kuriose Finnland-Buch – Was Reiseführer verschweigen« sind Bestseller.

Sein Buch ist [...] nicht nur eine einfühlsame Liebeserklärung an die eignen, sympathisch gezeichneten Eltern, […]. Es ist auch ein Buch über Heimat.

Caravan Of Love


Ich liege im Hotelzimmer auf dem Bett und schalte durch die Sender. Das übliche Ende eines Tourneetages. Mittlerweile ist es drei Uhr morgens, und der Rest Weißwein ist lauwarm. Der darf im Glas bleiben. Ich bin müde, kann aber trotz der Erschöpfung durch den Auftritt nicht schlafen. Ich muss immer wieder an Hermanns Sturz denken. Der Arme! Rippenbruch, und es ist nicht nur eine durch. Jeder Atemzug wird ihn schmerzen, jede Bewegung. In seinem Alter wird es dauern, bis das alles wieder zusammengewachsen ist.

Meine Eltern sind inzwischen reichlich in den Jahren, wie man bei uns sagt. Hermann ist Mitte 80, Ilse Ende 70. Beide sind natürlich Ruheständler, aber ihr arbeitsreiches Leben setzt sich fort. Haus und Hof wollen in Schuss gehalten sein, und vor den Nachbarn gibt man sich hier auf dem Dorf keine Blöße, da werden oft genug die Blätter einzeln vom Rasen gepickt, Verblühtes abgeschnitten, und immer wird neu gepflanzt, umgesetzt, repariert, gestrichen, geschraubt und gedübelt. Sie halten sich wacker, obwohl beide reich gesegnet sind mit »Malessen«, das ist Ostwestfälisch für Malaisen, Krankheiten. Mein Vater wird immer krummer und braucht Gehhilfen, Ilse leidet unter Hörstürzen. Trotzdem scheinen sie unverwüstlich zu sein, das zeigt sich besonders in ihrem Witz und Humor. Als Paar beharken sie sich einerseits in jahrzehntelang geübter Streitlust, andererseits stellen sie in ihrem Miteinander, in ihrer Verlässlichkeit selbst ehemalige Traumpaare wie Brad Pitt und Angelina Jolie locker in den Schatten. Brangelina schafften gerade mal zehn Jahre. Meine Eltern stehen kurz vor der diamantenen Hochzeit: sechzig Jahre! Außerdem haben sie zwei Söhne großgezogen, meinen Bruder Axel und mich.

Wir sind mit jeweils Anfang zwanzig ausgezogen zum Studium, Axel nach Mönchengladbach, ich nach Kassel, nachdem wir beide zuvor eine Ausbildung gemacht hatten, Axel als Bürokaufmann in einem Fotogeschäft, ich eine Lehre als Zimmerer. »Unser« Axel, wie man hier sagt, ist dann vor Jahren nach Finnland ausgewandert. Der Liebe wegen ist er zu Viivi gezogen und lebt seitdem in Lahti. Nicht nur wegen der Entfernungen sind wir zwei Jungs in unseren Erwachsenenjahren eher selten zu Hause gewesen, bis auf den obligatorischen Weihnachtsbesuch. Wir waren in unseren eigenen Universen unterwegs: Musik, Rockabilly, Country, Kunst und Kultur interessierten uns mehr als Kutenhausen, unser Heimatdorf.

Nun liege ich in diesem Hotel und schalte im TV-Programm hin und her zwischen »The Big Bang Theory« und »Zwei rechnen ab«, einem alten Western mit Kirk Douglas und Burt Lancaster. Ich muss lachen, denn meine Eltern rechnen auch dauernd miteinander ab. Ilse, meine sonst so großherzige Mutter, hält unserem Hermann einerseits gern die alten Sünden vor. Andererseits rechnen die beiden bis heute akribisch das Haushaltsgeld ab und führen Buch darüber. Ilse sagt: »Es gibt mein Geld und unser Geld!«

Die TV-Bilder laufen, ich nehme sie gar nicht richtig wahr, höre kaum die Dialoge, bin mit meinen Gedanken bei meinen Eltern. Ich bekomme Hermanns Sturz nicht aus dem Kopf, und ich sorge mich natürlich. Fragen tauchen auf: Muss man was tun? Mein inneres Autokorrektursystem formuliert das sofort um in: Müsste ich was tun? Eine Idee wabert seit zwei Stunden durch meinen Kopf. Sehr unscharf noch. Vage denke ich: Ich müsste mich mal kümmern! Aber wie? Irgendwann falle ich in leichten Schlaf.

Als ich wach werde, läuft bereits das Frühstücksfernsehen. Es ist 8 Uhr 25. Ausgeschlafen fühlt sich anders an. Zwischen den neuesten Sport-Doping-Meldungen verzückt Peter Großmann die frühmorgendliche TV-Gemeinde mit seinem beruhigenden Brandt-Zwieback-Lächeln. Meine nächtlichen Sorgen kämpfen sich vom Unterbewusstsein zurück ins Bewusstsein, und als ich unter der Dusche stehe, auch meine zaghaft formulierte Idee: Ich muss mich um meine alten Eltern kümmern. Aber wie soll das gehen? Ich wohne in Dortmund, sie in Minden. Ich muss zu Auftritten fahren, die eher südlich als nördlich liegen.

Am Frühstückstisch kritzele ich, statt zu lesen, verschiedene Hausansichten auf den Rand meiner Zeitung. Ansichten, die dem Haus meiner Eltern ähneln. Der Platz wird langsam knapp. Ich versuche, das Gebäude von der Seite zu zeichnen, von hinten. Man achtet oft viel zu wenig auf die Rückseiten der Dinge, denke ich. Von Skulpturen zum Beispiel. Es lohnt, dass man einmal drumherum geht. Ich notiere: »Konfusion sagt: ›Du kennst jedes Ding erst wirklich, wenn du es auch von hinten gesehen hast!‹« Was ist die Rückseite meiner Idee? Was sind die Folgen? Ich zeichne noch eine Art Draufsicht unseres Grundstücks. Meine Überlegung nimmt ein wenig Gestalt an, aber dann verlaufen die Konturen wieder ins Ungefähre.

 

Ich bringe mein Gepäck ins Auto. In diesem Moment brummt das Handy. Meine ferne Freundin schickt eine SMS, unser tägliches Ritual am Morgen. Wir wohnen in verschiedenen Städten, sie in Hannover, ich in Dortmund. Eine untypische Distanzbeziehung. Wochenendbeziehung kann man das nicht nennen, denn da bin ich oft auf Tournee. Aber es läuft. Sehr gut sogar. Sie heißt Rita. Wir haben uns auf Gomera kennengelernt. Als wir dort zum ersten Mal gemeinsam in den unendlichen Sternenhimmel geschaut haben, taufte ich sie, zuerst heimlich, »mein leuchtender Stern des Südens«. Ich wusste nicht, dass es ein ähnlich betiteltes Fan-Lied des FC Bayern gibt, aber was interessiert einen Ostwestfalen schon die Umdeutung eines Sternenbildes durch Fußballfans? Aus Wikipedia weiß ich inzwischen, dass es gar keinen »Stern des Südens« gibt, sondern nur ein »Kreuz des Südens«. Egal. Rita ist für mich das hellste Sternenbild am Firmament meines Lebens. Als ich sie das erste Mal sah, ging für mich die Sonne auf. Von meiner Seite war es Liebe auf den ersten Blick. Sie musste mehrmals hinschauen.

Rita schreibt: »Guten Morgen! Wie war dein Auftritt? Wohin fährst du heute?«

Ich tippe: »Nach Hause.«

»Zu Hause« ist für mich immer der Ort, an dem ich mich am Abend ins Bett legen werde.

Sie tippt: »Dortmund?«

Ich tippe zurück: »Nee, Minden. Hermann ist gestürzt, ist aber nicht viel passiert.«

Sofort klingelt mein Telefon. Rita braucht Details. Sie ist inzwischen ein festes Familienmitglied. Das ist nicht immer gut für mich. Meine Eltern sind mit ihr zusammen nun schon zu dritt. Und sie sind sich oft erschreckend einig, besonders wenn es mich betrifft.

»Bernd, was ist los?«

Ich erzähle ihr, was ich weiß. Viel ist das nicht.

Rita fragt erschrocken: »Und was jetzt?«

Pause.

»Weiß ich auch nicht. Ich hab die Nacht kaum geschlafen. Ich knobele da an etwas rum. Ich glaube, man müsste sich mal kümmern.«

»Man oder du?«

»Das ist hier ziemlich deckungsgleich, glaube ich.«

Dann erzähle ich ihr von meinen ersten Überlegungen.

»Wissen deine Eltern das schon?«

»Nee, hab ich ja grad erst überlegt. Also, ich fange an, mir Gedanken zu machen.«

»Aha. Und was denkst du da so?«

Ich sage zögerlich: »Ich hab da mal was aufgezeichnet.«

»Aufgezeichnet?«

»Ja, das Haus und so. Mit einer … Planskizze.«

»Planskizze?«

»Ja, Plan und Skizze!«

»Aha.«

»Am Zeitungsrand.«

Rita sagt: »Das klingt ja fast schon nach einem sehr gut durchdachten Plan.«

Auch wegen solcher Sätze liebe ich sie. Wir lachen. Dann schweigen wir wieder.

Schließlich fragt sie: »Und was ist das Ergebnis dieser Zeichnerei?«

»Na ja, dass man die Dinge auch mal von hinten betrachten muss.«

»Du sprichst in Rätseln, Bernd.«

Nun formuliere ich den Gedanken erstmals aus: »Vielleicht sollte ich mal ein paar Tage vor Ort sein bei ihnen.«

»Ist das jetzt nur eine Idee, oder willst du das wirklich machen?«

Gute Frage, denke ich. Und schweige. Was für eine gute und präzise Frage, denke ich.

»Da grübele ich jetzt mal drüber nach.«

»Gut, ruf mich an, wenn du es genauer weißt!«

 

Ich steige ins Auto, programmiere im Navi das Krankenhaus Minden als Ziel und starte den Wagen. Ich denke über die Lebenssituation meiner Eltern nach und schleiche deshalb mit unfassbar langsamen 110 Stundenkilometern über die Autobahn. Ich halte an drei Raststätten hintereinander und zapfe mir jeweils einen Kaffee XXL aus dem Automaten. Dreimal bin ich kurz davor, mir eine große Tüte Weingummi zu kaufen. Wenn ich nervös bin, hilft diese Nervennahrung eigentlich optimal, sie bekämpft die Krise mit Süße. Aber ich widerstehe jedes Mal. Es reicht schon, wenn meine Veranstalter inkonsequent sind. Ich versuche, meine Gedanken zu ordnen. Wie kann ich meinen Eltern helfen?, frage ich mich. Was ist sinnvoll? Was ist nötig?

Ich überhole drei Lkws und ein Wohnwagengespann. Ich stelle fest, dass ich überhaupt keine Ahnung habe, wie der Alltag meiner Eltern aussieht. Was sind ihre täglichen Pflichten? Wobei brauchen sie Hilfe? Was kann ich tun? Wie könnte ich helfen? Was würden die beiden mich tun lassen? Wie viel an Einmischung lassen sie zu?

Schon wieder zwei Wohnwagen, ich blinke links. Die Autobahn ist voll, und ich muss erst den Verkehr auf der Überholspur vorbeiziehen lassen. Sind schon Ferien?

Wenn ich das mit der Hilfe tatsächlich irgendwie umsetzen will, wie kann ich dabei meine eigene Arbeit weiterführen? Auftreten, schreiben, an Besprechungen hier und da teilnehmen, meine Programme proben. Kann das auch alles funktionieren, wenn ich eine Zeitlang in Minden wohne? Minden liegt nicht gerade im Zentrum meiner...

Erscheint lt. Verlag 24.8.2017
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
Schlagworte alte Eltern • Alter • Humor • Ostwestfalen • Pflege • Sohn • Wohnwagen
ISBN-10 3-10-490406-5 / 3104904065
ISBN-13 978-3-10-490406-1 / 9783104904061
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