Dann schlaf auch du (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman

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eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
224 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-21290-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Dann schlaf auch du -  Leïla Slimani
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Der Preis des Glücks
Sie wollen das perfekte Paar sein, Kinder und Beruf unter einen Hut bringen, alles irgendwie richtig machen. Und sie finden die ideale Nanny, die ihnen das alles erst möglich macht. Doch wie gut kann man einen fremden Menschen kennen? Und wie sehr kann man ihm vertrauen?

Sie haben Glück gehabt, denken sich Myriam und Paul, als sie Louise einstellen - eine Nanny wie aus dem Bilderbuch, die auf ihre beiden kleinen Kinder aufpasst, in der schönen Pariser Altbauwohnung im 10. Arrondissement. Wie mit unsichtbaren Fäden hält Louise die Familie zusammen, ebenso unbemerkt wie mächtig. In wenigen Wochen schon ist sie unentbehrlich geworden. Myriam und Paul ahnen nichts von den Abgründen und von der Verletzlichkeit der Frau, der sie das Kostbarste anvertrauen, das sie besitzen. Von der tiefen Einsamkeit, in der sich die fünfzigjährige Frau zu verlieren droht. Bis eines Tages die Tragödie über die kleine Familie hereinbricht. Ebenso unaufhaltsam wie schrecklich.



Die französisch-marokkanische Autorin Leïla Slimani gilt als eine der wichtigsten literarischen Stimmen Frankreichs. Ihre Bücher sind internationale Bestseller. Slimani, 1981 in Rabat geboren, wuchs in Marokko auf und studierte an der Pariser Eliteuniversität Sciences Po. Für den Roman »Dann schlaf auch du« wurde ihr der renommierte Prix Goncourt zuerkannt. Zuletzt erschienen im Luchterhand Literaturverlag der persönliche Band »Der Duft der Blumen bei Nacht sowie die beiden Romane »Das Land der Anderen« und »Schaut, wie wir tanzen«. Letztere sind Teil einer Romantrilogie, die auf der Geschichte von Leïla Slimanis eigener Familie beruht.

»Keine ohne Papiere, da sind wir uns einig? Bei einer Putzfrau oder einem Maler stört es mich nicht. Diese Leute müssen ja auch irgendwie arbeiten, aber mit den Kindern ist das zu riskant. Ich will niemanden, der Angst hat, die Polizei zu rufen oder ins Krankenhaus zu gehen, wenn es ein Problem gibt. Ansonsten nicht zu alt, unverschleiert und Nichtraucherin. Das Wichtigste ist, dass sie flexibel ist und nicht so dröge. Dass sie schuftet, damit wir schuften können.« Paul hat alles vorbereitet. Er hat eine Liste mit Fragen aufgestellt und dreißig Minuten pro Gespräch eingeplant. Sie haben sich den Samstagnachmittag freigehalten, um eine Nanny für ihre Kinder zu finden.

Ein paar Tage vorher, als Myriam ihrer Freundin Emma von der Suche erzählte, hat diese sich über die Frau beklagt, die ihre Jungs hütet. »Die Nounou hat selbst zwei Kinder hier, also kann sie nie länger bleiben oder abends babysitten. Das ist wirklich unpraktisch. Denkt daran, wenn ihr die Bewerbungsgespräche führt. Wenn eine Kinder hat, dann besser nicht hier in Frankreich.« Myriam hat sich für den Rat bedankt. Aber eigentlich war ihr Emmas Überlegung unangenehm. Hätte ein Arbeitgeber so über sie oder eine ihrer Freundinnen gesprochen, sie hätten sich sofort lauthals über die Diskriminierung beschwert. Sie fand den Gedanken schrecklich, eine Frau auszuschließen, weil sie Kinder hatte. Mit Paul spricht sie lieber nicht darüber. Ihr Mann ist wie Emma. Ein Pragmatiker, der seine Familie und seine Karriere über alles stellt.

Heute Morgen sind sie alle zusammen auf den Markt gegangen. Mila auf Pauls Schultern und Adam schlafend im Kinderwagen. Sie haben Blumen gekauft, und jetzt räumen sie die Wohnung auf. Sie wollen vor den Nannys, die sich vorstellen werden, eine gute Figur machen. Sie sammeln die auf dem Boden, unter ihrem Bett und sogar im Bad herumliegenden Bücher und Zeitschriften auf. Paul bittet Mila, ihr Spielzeug in große Plastikkisten zu räumen. Die Kleine weigert sich heulend, und am Ende ist er es, der alles an die Wand stapelt. Sie legen die Anziehsachen der Kinder zusammen, wechseln die Bettwäsche. Sie putzen, schmeißen weg, versuchen verzweifelt, frischen Wind in diese Wohnung zu bringen, in der sie ersticken. Die Bewerberinnen sollen sehen, dass sie nette Leute sind, anständige und ordentliche Leute, die sich bemühen, ihren Kindern das Beste zu bieten. Und es soll klar sein, dass sie die Arbeitgeber sind.

Mila und Adam machen Mittagsschlaf. Myriam und Paul sitzen auf der Bettkante. Bang und unbehaglich. Sie haben ihre Kinder noch nie jemandem anvertraut. Myriam war gerade dabei, ihr Jurastudium zu beenden, als sie mit Mila schwanger wurde. Zwei Wochen vor der Geburt machte sie ihren Abschluss. Paul reihte einen Assistenzjob an den anderen, voller Optimismus, wie damals, als sie sich kennenlernten und er Myriam genau deswegen so gefiel. Er war überzeugt, dass er für zwei arbeiten könnte. Sicher, dass er es als Musikproduzent zu etwas bringen würde, trotz Krise und reduzierter Budgets.

Mila war ein anfälliges, unruhiges Baby, das immerzu weinte. Sie nahm nicht zu, wollte weder an der Brust ihrer Mutter noch aus den Fläschchen trinken, die ihr Vater zubereitete. Über die Wiege gebeugt, vergaß Myriam den Rest der Welt. Alles, was sie interessierte, war, dass dieses schwächliche, plärrende Mädchen ein paar Gramm zulegte. Sie nahm gar nicht wahr, wie die Monate vergingen. Paul und sie schleppten Mila überallhin mit. Sie taten so, als bemerkten sie nicht, dass ihre Freunde sich darüber aufregten und hinter ihrem Rücken sagten, ein Baby gehöre nicht in eine Bar oder ein Restaurant. Aber Myriam wollte absolut nichts von einem Babysitter wissen. Sie allein war in der Lage, ihrer Tochter zu geben, was sie brauchte.

Mila war kaum anderthalb, als Myriam wieder schwanger wurde. Sie hat immer behauptet, es sei ein Unfall gewesen. »Die Pille ist niemals hundertprozentig sicher«, sagte sie lachend zu ihren Freundinnen. In Wahrheit hatte sie es darauf angelegt. Adam war ihre Ausrede, um noch ein bisschen zu Hause zu bleiben. Paul hatte nichts dagegen einzuwenden. Er war gerade als Tonassistent bei einem renommierten Studio angestellt worden, wo er, den Launen und Lebensrhythmen der Künstler ausgesetzt, seine Tage und Nächte zubrachte. Seine Frau schien ganz in dieser instinktiven Mutterschaft aufzugehen. Das Leben in einem Kokon, abgeschlossen von der Welt und den anderen, beschützte sie vor allem.

Und dann begann ihr die Zeit lang zu werden, das perfekte familiäre Räderwerk geriet ins Stocken. Pauls Eltern, die ihnen seit Milas Geburt immer geholfen hatten, verbrachten mehr und mehr Zeit in ihrem Haus auf dem Land, wo sie größere Umbauarbeiten in Angriff genommen hatten. Einen Monat vor Myriams Niederkunft planten sie eine dreiwöchige Asienreise und sagten Paul erst im letzten Moment Bescheid. Er war empört darüber und beklagte sich bei Myriam über den Egoismus und die Unzuverlässigkeit seiner Eltern. Aber Myriam war erleichtert. Sie ertrug es nicht, Sylvie um sich zu haben. Lächelnd hörte sie sich die Ratschläge ihrer Schwiegermutter an, biss sich auf die Zunge, während diese den Kühlschrank inspizierte und bemängelte, was sich darin befand. Sylvie kaufte Salat aus biologischem Anbau. Sie kochte für Mila, hinterließ aber die Küche in einem unsäglichen Chaos. Myriam und sie waren sich in nichts einig, und in der Wohnung herrschte ein greifbares, brodelndes Unbehagen, das jeden Moment in eine tätliche Auseinandersetzung umzuschlagen drohte. »Lass deine Eltern machen, was sie wollen. Sie haben recht. Sie sollten es ausnutzen, dass sie jetzt frei sind«, hatte Myriam schließlich zu Paul gesagt.

Sie konnte die Tragweite dessen, was sie erwartete, nicht ermessen. Mit zwei Kindern wurde alles viel komplizierter: einkaufen, die Kleinen baden, zum Arzt gehen, der ganze Haushalt. Die Rechnungen häuften sich. Myriam fühlte sich immer elender. Sie begann die Ausflüge in den Park zu hassen. Die Wintertage kamen ihr endlos vor. Milas Capricen nervten sie, Adams erstes Geplapper war ihr gleichgültig. Jeden Tag wuchs ihr Bedürfnis, alleine herumzulaufen, und sie hatte Lust, mitten auf der Straße wie eine Verrückte zu schreien. »Sie fressen mich bei lebendigem Leib auf«, sagte sie sich manchmal.

Sie war eifersüchtig auf ihren Mann. Abends erwartete sie ihn fiebrig hinter der Tür. Eine Stunde lang beschwerte sie sich über das Geschrei der Kinder, die Enge der Wohnung, ihren Mangel an Freizeit. War er endlich an der Reihe, von den abenteuerlichen Aufnahmen einer Hip-Hop-Band zu erzählen, stieß sie aus: »Du hast’s gut.« Er erwiderte: »Nein, du hast’s gut. Ich würde sie so gern heranwachsen sehen.« Bei diesem Spiel gab es niemals einen Gewinner.

Nachts sank Paul neben ihr in den tiefen, wohlverdienten Schlaf eines Mannes, der den ganzen Tag gearbeitet hat. An ihr nagten Bitterkeit und Reue. Sie dachte an die Anstrengungen, die sie unternommen hatte, um ganz ohne finanzielle und elterliche Unterstützung ihr Studium durchzuziehen, an ihre Freude, als sie in den Anwaltsstand erhoben wurde, daran, wie Paul sie zum ersten Mal in der neuen Robe fotografiert hatte, stolz und strahlend vor ihrem Haus.

Monatelang hat sie vorgegeben, mit der Situation klarzukommen. Selbst Paul konnte sie nicht sagen, wie sehr sie sich schämte. Wie sehr sie darunter litt, dass sie von nichts anderem zu erzählen hatte als den Albernheiten ihrer Kinder und den Unterhaltungen zwischen Fremden, die sie im Supermarkt belauschte. Sie fing an, alle Einladungen zu Abendessen auszuschlagen, ging nicht mehr ans Telefon, wenn ihre Freunde anriefen. Sie hütete sich vor allem vor den Frauen, die so grausam sein konnten. Am liebsten hätte sie diejenigen erwürgt, die so taten, als bewunderten oder, schlimmer noch, beneideten sie sie. Sie ertrug es nicht mehr zu hören, wie sie sich über ihre Arbeit beklagten und darüber, dass sie ihre Kinder nicht genug sahen. Am allermeisten fürchtete sie Leute, die sie noch nicht kannte. Die ganz unschuldig fragten, was sie beruflich mache, und sich abwandten, wenn sie sagte, sie sei Hausfrau.

Einmal hat sie nach dem Einkaufen bei Monoprix am Boulevard Saint-Denis gemerkt, dass sie aus Versehen ein Paar Söckchen stibitzt hatte, die im Kinderwagen liegen geblieben waren. Sie war noch nicht ganz zu Hause und hätte umdrehen und sie zurückbringen können, aber sie hat es nicht getan. Sie hat Paul nichts davon erzählt. Es war nicht von Belang, und doch musste sie immer wieder daran denken. Danach ging sie regelmäßig zu Monoprix und versteckte im Kinderwagen ihres Sohnes ein Shampoo, eine Creme oder einen Lippenstift, den sie nie benutzen würde. Sie wusste genau, dass sie, wenn man sie erwischte, nur die Rolle der überlasteten Mutter zu spielen brauchte, und jeder sofort an ihre Unschuld glauben würde. Diese lächerlichen kleinen Diebstähle versetzten sie in Euphorie. Sie lachte auf der Straße vor sich hin in dem Gefühl, die ganze Welt zum Narren zu halten.

Als sie Pascal über den Weg gelaufen ist, hat sie das als Zeichen gewertet. Ihr ehemaliger Kommilitone von der juristischen Fakultät hat sie nicht gleich wiedererkannt: Sie trug eine zu weite Hose, ausgetretene Stiefel und hatte ihre ungewaschenen Haare zu einem Knoten gebunden. Sie stand neben dem Karussell, aus dem Mila sich weigerte auszusteigen. »Das ist die letzte Runde«, wiederholte sie jedes Mal, wenn ihre Tochter auf dem Pferdchen an ihr vorbeikam und ihr zuwinkte. Sie hat hochgeschaut. Pascal lächelte sie an, mit ausgebreiteten Armen, um seine Freude und Überraschung auszudrücken. Sie erwiderte sein Lächeln, die Hände um den Kinderwagengriff gekrampft. Pascal hatte nicht viel Zeit, aber er war zufällig ganz in der Nähe von Myriams Wohnung verabredet....

Erscheint lt. Verlag 21.8.2017
Übersetzer Amelie Thoma
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Chanson douce
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Dann schlaf auch du Film Ende • eBooks • Einsamkeit • Familie • Frankreich • Französischer Roman • Glück • Kinder • Kinderfrau • Mord • Nanny • Paris • Prix Goncourt • Roman • Romane • Weihnachten
ISBN-10 3-641-21290-1 / 3641212901
ISBN-13 978-3-641-21290-2 / 9783641212902
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