Bin am Meer. (eBook)
240 Seiten
adeo (Verlag)
978-3-86334-709-3 (ISBN)
Udo Schroeter lebt seit 2006 mit seiner Familie am Meer auf der dänischen Insel Bornholm. Er ist an einem Punkt in seinen Leben umgekehrt und arbeitet heute als Autor, Fotograf und Naturcoach auf der Insel mitten in der Ostsee. In seinen Büchern und Seminaren will er die Menschen inspirieren, aus der Höher-Schneller-Weiter-Spirale auszusteigen und sich wieder den Dingen im Leben zuzuwenden, die wirklich wichtig sind.
Udo Schroeter lebt seit 2006 mit seiner Familie am Meer auf der dänischen Insel Bornholm. Er ist an einem Punkt in seinen Leben umgekehrt und arbeitet heute als Autor, Fotograf und Naturcoach auf der Insel mitten in der Ostsee. In seinen Büchern und Seminaren will er die Menschen inspirieren, aus der Höher-Schneller-Weiter-Spirale auszusteigen und sich wieder den Dingen im Leben zuzuwenden, die wirklich wichtig sind.
Der erste Tag
Wir müssen lernen, uns nicht mit unwesentlichen Aktivitäten und Beschäftigungen zu überfordern, sondern unser Leben mehr und mehr zu vereinfachen. Der Schlüssel zu einer glücklichen Ausgewogenheit im modernen Leben ist Einfachheit.
Sogyal Rinpoche
Der Wind hatte in der Nacht auf nordöstliche Richtung gedreht und noch etwas zugelegt. Das Wasser schwappte bis an die Dünen und der vollkommen überspülte Strand war längst zum Jagdgebiet der Möwen geworden. Die kräftige Uferströmung hatte die Treibhölzer mit auf eine neue Reise genommen.
„Wir fahren an die Südküste“, waren Leifs erste Worte nach einer kurzen und herzlichen Begrüßung. Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn die Brandung vor dem Ferienhaus überstieg bei Weitem meine anglerischen Fähigkeiten. „Dort war die letzten drei Tage auflandiger Wind und es ist viel Nahrung freigespült worden. Die Fische werden zum Fressen an die Riffe kommen. Wir nennen das Angeln in den alten Wellen. Sie brechen nicht so hart wie die Wellen im Seewind. Das macht das Angeln einfacher und effektiver“, erklärte Leif seine Platzwahl.
Wir stiegen in seinen alten Landrover und fuhren Richtung Südküste.
Leif erinnerte mich vom Aussehen her ein wenig an Spencer Tracy in dem Film „Der alte Mann und das Meer“, aber er hatte eine Vitalität an sich, die selbst die Haie vertrieben hätte. Man spürte förmlich seine Lebensfreude und die Lust darauf, jetzt ans Meer zu fahren und Fische zu fangen. „Das Meer ist der letzte freie Ort der Welt“, hatte Ernest Hemingway einmal in einem Interview zu dem Film gesagt. Und wer diesen Mann sah, verstand genau, was er meinte.
„Und? Hast du einen guten Abend im Ferienhaus gehabt?“, fragte Leif mich mit einem aufmunternden Klaps auf meinen Oberschenkel.
„Am Ende schon!“, lachte ich. „Zuerst stand ich mir selbst ein wenig im Weg. Ich hätte schon Lust gehabt, gleich mit dir an den Strand zu fahren. Nachdem du mir dann gesagt hast, dass wir erst heute starten, wusste ich zunächst nicht so recht, was ich mit mir anfangen sollte. Es hat eine ganze Zeit gedauert, den inneren Widerstand loszulassen und mich wirklich auf das Ankommen im Ferienhaus einzulassen“, gab ich zu. „Aber dann war es ein wunderbares Gefühl, einfach nur auf der Couch zu liegen und auf das Meer zu schauen!“
„Einfach ist manchmal eben richtig schwer!“, lachte Leif. „Toll, dass du diesen Abend genießen konntest. Damit hast du auch den ersten Schritt zum Fang deiner ersten Meerforelle gemacht!“
„Wie meinst du das denn?“, fragte ich etwas erstaunt. Was hatte der Abend im Ferienhaus mit dem Fang meiner ersten Meerforelle zu tun?
„Die Kunst, einen Fisch zu fangen, beginnt damit, den Übergang aus deinem Alltag in die Jägerwelt zu meistern. Du kehrst in den Rhythmus der Natur zurück, und da herrscht ein anderes Tempo als auf der Überholspur der Autobahn oder in deinem Büro, von dem du mir erzählt hast“, antwortete Leif. „Für diesen Übergang benötigt man Zeit und die hast du dir gestern genommen! Ich sehe hier so viele Männer, die bereits am Anreisetag raus zum Angeln gehen. Die meisten von ihnen fallen ins Wasser. Sie haben verlernt, ihre Geschwindigkeit achtsam an die Bedingungen anzupassen. Ein Riff im Meer ist eben keine Autobahn! Und mit der Energie, mit der die Männer am Strand aufschlagen, schaffen sie es in kürzester Zeit, den Strand völlig fischleer zu poltern. Die wenigsten Fische werden am Anreisetag gefangen! Deshalb bist du deinem Fisch einen Schritt näher gekommen.“ Leif sah mich mit einem verschmitzten Lächeln an.
Ich war sprachlos. Noch nie hatte ich mir über das Ankommen am Strand Gedanken gemacht. Oft genug war ich ohne Fang nach Hause gegangen, und die Vorstellung, die Nummer vielleicht schon beim Betreten des Strandes vergeigt zu haben, war mir ein wenig unangenehm.
Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich wirklich bewusst einem Strand näherte und wahrnahm, wie viele Wasservögel das Revier mit uns teilten. Wir erreichten den Strand, ohne dass ein Vogel aufgeregt die Flucht ergriffen hätte. Gemächlich schwammen die Enten, der Strömung folgend, am Strand entlang. Zwei Kormorane, die nach kleinen Fischen tauchten, wichen auf die nächste Landspitze aus, um dort nach der Jagd ihr Gefieder im Wind zu trocknen.
Wir hatten uns nicht nur langsam, sondern auch in völliger Stille dem Strand genähert. Seit langer Zeit machte sich bei mir erstmals wieder ein Gefühl von Zufriedenheit breit.
Leif holte eine Thermoskanne mit Kaffee und zwei Becher aus dem Rucksack. „Es gibt eine alte Tradition bei uns auf der Insel“, verriet er und reichte mir einen Becher. „Bevor wir mit dem Angeln beginnen, trinken wir erst einmal in Ruhe einen Kaffee am Strand. Wenn du es so ausdrücken willst, gehört dieses Ritual mit zu dem Übergang von der alltäglichen in die Jägerwelt. Ist der Becher geleert, sind wir bereit zur Jagd. Das ist übrigens auch eine der wichtigen Übungen für das Leben. Die Menschen schaffen sich so oft keine Übergänge mehr. Zwischen Büro und Familie, zwischen Familie und eigener Zeit, zwischen An- und Entspannung. Viele nehmen die Energie und das Tempo vom Arbeitsplatz mit in die Familie. Dabei ist es so viel besser, sich vorher zu entschleunigen und sich ein Ritual zu überlegen, um von der einen in die andere Welt zu gehen. Sonst passiert das Gleiche wie hier am Strand: Die Energie, mit der die Männer zu Hause aufschlagen, löst im Rest der Familie nur noch Fluchtinstinkte aus. Statt Nähe entsteht Distanz, und es braucht anschließend viel Zeit, bis sich die Wogen wieder geglättet haben. Die Achtsamkeit und Entschleunigung, die man als guter Jäger nutzt, um dem Fang ein Stück näher zu kommen, ist auch ein gutes Handwerkszeug für die Übergänge im alltäglichen Leben.“
Er lehnte sich gegen eine angespülte Wurzel. „Der ,Becher Kaffee‘ kann dabei ein Spaziergang durch den Park sein, ein paar Seiten in einem guten Buch oder etwas ganz anderes, das dir hilft, den Übergang gut hinzubekommen. Du wirst in jedem Fall mit besseren ,Fängen‘ belohnt.“ Dabei grinste Leif mich an.
Ich sah mich um, während ich meinen Kaffee trank. Der Sandstrand wurde immer wieder von kleineren Landspitzen durchbrochen. Dort lagen größere Steine am Ufer und im Wasser. Der Wind der letzten Tage hatte viel frisches Seegras an den Strand gespült. Im Wasser konnte ich einzelne Sandbänke erkennen, auf denen die „alten Wellen“ immer noch kräftig ausrollten. Das Wasser war leicht angetrübt und es wimmelte darin sicher von Kleintieren: Flohkrebse, Garnelen, Tangläufer – die Brandung der letzten Tage hatte den Tisch für die Meerforellen reich gedeckt.
Als wir den Kaffee ausgetrunken hatten, nahm ich meine Angel und machte mich auf zur nächsten Landspitze. Vorsichtig watete ich über kleinere Steine hinaus auf eine vorgelagerte Sandbank. Hier fand ich einen sicheren Stand im hüfttiefen Wasser. Die Wellen brachen an meinem Körper, und immer wieder musste ich etwas hochspringen, um nicht ein Vollbad zu nehmen.
Das Meer war ein kraftvoller Ort, eine starke, positive Energie erfüllte mich.
Ich hatte mich lange nicht mehr so lebendig gefühlt. Und wie hatte Leif mir noch mit einem breiten Grinsen hinterhergerufen? „Denk dran, die Wellen wollen dich nicht umwerfen, sie wollen dich nur lehren, stark zu sein!“
Ich warf meinen Blinker weit hinter die brechenden Wellen in das tiefere Wasser. Meerforellenangeln ist eigentlich einfach: Man wirft einen Blinker (ein Stück Blech in Form eines Fischs) so weit wie möglich in das Meer hinaus. Dann dreht man den künstlichen Verführer mit der Angel so schnell wieder heran, dass die Meerforelle denkt, im Wasser sei ein Beutefisch unterwegs. Sie schnappt nach dem Stück Blech und der Kampf beginnt.
Da das Wasser im Strandbereich nicht sehr tief ist, wird der Blinker eher etwas schneller als zu langsam geführt. Zum einen verhindert man so, dass der Blinker am Grund hängen bleibt, zum anderen ist der Köder besser im Blickfeld der Fische, die ihre Beute gern von unten attackieren.
Es lässt sich vortrefflich darüber streiten, welche Farbe, welche Form und welches Gewicht so ein Blinker haben sollte. Die Hauptbeutefische der Meerforelle sind Sandaale und Heringe. Die Farbe dieser Beutefische im Wasser ist grünlich silbern. Das Wurfgewicht, das so ein Blinker haben sollte, liegt idealerweise zwischen 15 und 25 Gramm. Die volle Palette aller käuflich zu erwerbenden Blinker umfasst, zieht man alle Gewichte und Farben mit in Betracht, geschätzte 20.000 Modelle. 20.000 Modelle für die Jagd auf einen Fisch, der sich hauptsächlich von Heringen und Sandaalen ernährt. Die PR- und Werbeagenturen müssen ganze Arbeit leisten, um die vielen Dinger an den Mann zu bringen!
Ich hatte die zweijährige Vorbereitungszeit auf meine Reise auch zu kleineren, mittleren und großen Kaufräuschen genutzt. War der Druck besonders groß und schien die Reise besonders fern, glich ich das Gefühl gern mit meiner Kreditkarte aus. Also war ich in Sachen Köder bestens ausgestattet. In meinen Boxen tummelten sich rund 250 verschiedene Modelle. Selbst so außergewöhnliche Farben wie Pink, Gold und Neongrün fanden sich in meiner Auswahl. Natürlich gibt es keine pinken Heringe, aber man weiß ja nie …
An diesem Morgen fiel meine Wahl zunächst auf einen rot-schwarzen Blinker mit 20 Gramm. Eigentlich gab es ja auch keine rot-schwarzen Heringe, aber in der Fachpresse war dieses Modell immer wieder hochgejubelt worden.
Das war die andere Leidenschaft, mit...
Erscheint lt. Verlag | 10.8.2012 |
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Verlagsort | Asslar |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Angeln • Belletristik • Entspannung • Erzählung • Kraft • Meer • Udo Schroeter • Urlaub |
ISBN-10 | 3-86334-709-9 / 3863347099 |
ISBN-13 | 978-3-86334-709-3 / 9783863347093 |
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