Giftflut (eBook)
496 Seiten
Carl's Books (Verlag)
978-3-641-19596-0 (ISBN)
Ein Sprengstoffanschlag auf die Oberbaumbrücke erschüttert Berlin. Es gibt Tote und Verletzte. Auch in Paris und London explodieren Brücken. Es folgt Anschlag auf Anschlag. Die Polizei tappt im Dunkeln, die Täter hinterlassen keine Spur und keine Botschaft. Klar ist nur: Jemand führt Krieg gegen Europa. Die Politik verfällt in Panik, die Bevölkerung lebt in Angst, es kommt zu Übergriffen auf Minderheiten und Flüchtlinge. Rechtsparteien werden stärker. Aktienmärkte und Wirtschaft stürzen ab.
Mit hoher Schlagzahl jagt Christian v. Ditfurth seinen Berliner Hauptkommissar Eugen de Bodt durch ein Land am Abgrund. De Bodt wirft alle Regeln über den Haufen, ermittelt hart am Rand der Legalität und darüber hinaus. Mit seinen Kollegen Silvia Salinger und Ali Yussuf verfolgt er Spuren im In- und Ausland.
Eugen de Bodts dritter Fall spielt in einer Welt, die sich auflöst. Alle Gewissheit schwindet. Eherne Regeln werden zertrampelt. Moral ist Ballast, Recht ein Störfaktor. In einer entfesselten Welt braucht es neue Ideen, um Ideale zu bewahren. Und um Gewalttäter zu fassen.
Christian v. Ditfurth, geboren 1953, ist Historiker und lebt als freier Autor in Berlin und in der Bretagne. Neben Sachbüchern und Thrillern wie »Der 21. Juli« und »Das Moskau-Spiel« hat er die Krimiserie um den Historiker Josef Maria Stachelmann und die Eugen-de-Bodt-Serie veröffentlicht. »Tanz mit dem Tod« ist der Auftakt einer historischen Krimiserie um den Polizeikommissar Karl Raben, die im Berlin der 1930er Jahre beginnt.
48.
Sie gingen am Landwehrkanal.
»Wohin gehen wir? Hast du ausgerechnet jetzt Zeit für einen Spaziergang im Morast?« Über Nacht war Regen gefallen, hatte die Straßen erst in Eisfallen verwandelt, dann in Matschwüsten. Salinger umrundete eine riesige Pfütze. »Wer freiwillig hier rumlatscht, ist verrückt.«
Er lachte leise. »Wir treffen gleich jemanden. Der beobachtet uns vorher. Wo ist man derzeit ungestörter als hier?«
»Ach so, wir wandeln durch die Wassermassen, damit wir beobachtet werden können.«
Er grinste sie an.
»Das macht dir Spaß?«
»Was?«
»Mister Rätsel zu spielen.«
»Klar.«
Nach ein paar Minuten wechselte de Bodt die Straßenseite.
Er hatte nicht viel mit dem Mann gesprochen, den sie treffen würden.
»Ich wollte nur hören, ob es Ihnen gut geht. Und noch mal danken.«
»Kein Grund. Bei Ihnen ist ja ganz schön was los.«
»Kann man so sagen. Sie hatten doch versprochen, Sie wollten Urlaub in Berlin machen.«
Stutzen. »Stimmt. Das passt gut, ich wollte sowieso ein paar Tage freinehmen.«
Salinger folgte de Bodt. Der fasste sie an der Schulter und steuerte sie in ein kleines Restaurant. »Ich weiß aber nicht, ob mir Rinderleber mit Zwiebeln pläsiert.«
»Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt.«
Als er den Gastraum betrat, stutzte de Bodt. Er hatte Merkow erwartet, nicht seine Begleitung. Sie saßen nebeneinander.
Merkow erhob sich und begrüßte zuerst Salinger, dann de Bodt. »Anja Katt. Sie war an unserem letzten … Abenteuer beteiligt. Aber Sie haben sie noch nicht kennengelernt, fürchte ich.«
Irgendwas klingelte in de Bodts Kopf, als er der schlanken Frau die Hand gab. Ihr Händedruck war fest. Klar, Kollegin von Merkow. Und seine Geliebte. Das lag in der Luft.
»Ihr erster Aufenthalt in Berlin?«, fragte de Bodt Anja Katt.
»Kann man so sagen.« Sie lächelte. Ein kühler Blick.
»Ich nehme an, Sie wollen nicht über den letzten Krieg plaudern«, sagte Merkow.
»Ich erzähle Ihnen lieber, wie die Dinge stehen. Eine Brücke weniger und viele Tote mehr seit Ihrem letzten Besuch.«
Merkow blickte de Bodt ernst an. Salinger übersah er. »Wir fürchten Anschläge auch in Moskau. Ich verrate kein Geheimnis, dass mich meine Chefs deshalb gern nach Berlin fliegen ließen. Natürlich gibt es Regierungskontakte. Aber es kann nicht schaden, mit Ihnen zu sprechen.«
Sie bestellten den Erbseneintopf, den die Karte empfahl. Dazu Wasser.
»Ich hoffe, Ihre Vorgesetzten wussten Ihren Einsatz zu würdigen«, sagte de Bodt.
Merkow nickte. Er erinnerte sich des Ordens und noch lieber der Prämie. Der Beförderung. Am meisten schätzte er die Gunst des Präsidenten. Sie schützte ihn vor den Vorgesetzten. Wäre die Aktion schiefgegangen, dann säße er im Gefängnis, im Lager. Mindestens hätten sie ihn rausgeworfen. Befehlsverweigerung, Fahnenflucht, Terrorismus, irgendwas hätten sie aus dem Hut gezaubert. Merkow hatte sich nie Illusionen gemacht über das System, dem er diente. In der Sowjetzeit und danach. Aber er war Russe, und ein Russe stand zum Vaterland, wenn es hart auf hart kam. Eigentlich kam es immer hart auf hart.
Am Nebentisch saßen vier Männer. Sie stritten sich, wie man die Schweine bestrafen sollte, die die Brücken gesprengt hatten. »Lange foltern, dann lebend in Stücke schneiden. Die sollen auch was davon haben«, dröhnte einer. Ein zweiter klopfte Beifall auf den Tisch. Sie lachten. Dieses Lachen, wenn die Angst regiert.
Anja Katt aß wenig. Sie legte den Löffel auf den Tellerrand und hörte zu. Ihre Augen verharrten bei dem, der sprach.
De Bodt zweifelte nicht. Diese Frau hatte mitgemacht bei der letzten blutigen Geheimoperation der Russen in Berlin. Natürlich hatten sie versucht, den Anschlag auf ihren Präsidenten aufzuklären.
»Ihrer Regierung trauen hier manche solche Operationen zu«, sagte de Bodt.
»Danke für Ihre Direktheit. Ich weiß nichts von dieser Operation …«
»Wenn Sie’s wüssten, dürften Sie es nicht verraten«, sagte Salinger trocken.
»Sie haben recht. Insofern fehlt mir die Möglichkeit, Ihnen glaubwürdig zu erklären, dass wir es nicht waren.«
»Wir waren es nicht, was soll das geschwollene Gerede?«, sagte Anja Katt. Sie strahlte eine merkwürdige Attraktivität aus. Nicht schön, und doch zog sie die Blicke an. In ihrer Haltung, in ihren Augen, in ihrer Stimme lag etwas Geheimnisvolles. De Bodt hätte gern gewusst, was er hinter dem Stahlpanzer fände.
»Ich glaube es auch nicht«, sagte de Bodt. Er hatte keine Anhaltspunkte dafür oder dagegen. Nur traute er dem russischen Präsidenten einiges zu. Auch Terroraktionen. Aber warum schwadronieren?
»Ich erinnere mich an die Aktion Ihrer Spezialkräfte in Baku. Frauen, Kinder, Männer, alle abgeschlachtet.« Salinger blickte lächelnd in die Runde. Als hätte sie übers Wetter gemeckert.
»Manchmal überziehen Sicherheitskräfte. Es hat nicht nur die Falschen getroffen.« Merkow lächelte.
»Was mich interessiert …«, setzte de Bodt an.
»Kommen wir also zur Sache«, sagte Anja Katt.
»Mich interessiert, was Ihre Dienste über die Anschläge wissen«, sagte de Bodt. »Wer kommt infrage? Als Auftraggeber? Wer leitet die Operation?«
»Einen, der dafür infrage käme, haben Sie eingesperrt. Weiß der nichts?«, fragte Merkow.
»Noch nichts. Robert Wedenstein kennt weder Täter noch Auftraggeber. Behauptet er. Aber er weiß womöglich, in welchen Kreisen wir suchen sollten.«
»Wird er reden?«
»Unser Freund Bob wird sich bald melden.«
Salinger warf ihm einen Seitenblick zu.
»Gut«, sagte Merkow. »Obwohl ich von ihm nichts Konkretes erwarte. Wenn er Sie nicht sowieso an der Nase herumführt. Halten Sie mich auf dem Laufenden?«
De Bodt nickte. »Über das Verfahren reden wir nachher.«
Diesmal fiel Salingers Seitenblick nicht skeptisch aus, sondern misstrauisch. »In welchen Kreisen sollten wir denn suchen, Ihrer Meinung nach?« Ein Blick erst auf Anja Katt, dann auf Merkow.
»Ich würde nach den Leuten suchen, welche die Operation ausführen«, sagte Anja Katt.
Merkow nickte. Sie hatten es durchgekaut. »Die Motive sind unüberschaubar. Wie die Zahl möglicher Auftraggeber. Von einem monströsen Erpresser bis zu einem Milliardär, der Wagner-Oper spielt.«
De Bodt lachte.
»Oder einem Präsidenten, der zu viel Star Wars geguckt hat«, sagte Salinger.
»Unserer mag solche Filme nicht«, erwiderte Merkow. »Ich tippe auf Geheimdienst, Spezialeinheit. Wenn Sie die Staaten durchgehen, die solche Kräfte in ausreichender Stärke haben, haben Sie den Kreis der Verdächtigen.«
»Russland, USA, China. Großbritannien, Frankreich, wenn wir unterstellen, dass eine Regierung verrückt geworden ist.« Salinger blickte die beiden Russen an. Ihr Lächeln war tiefgefroren.
»Die Saudis«, sagte Merkow ungerührt. »Man denkt, das sei eine monolithische Monarchie. Aber das Spektrum reicht von ultrafrommen Konservativen bis zu hyperfrommen Terroristen. Die Saudis wären in der Lage, eine solche Operation zu stemmen. Und sie hätten Motive. Die Ungläubigen besiegen, bevor das Öl ausgeht und in der Wüste alles zusammenkracht.«
»Damit schießen die sich doch selbst ins Knie«, sagte Salinger. Sie gab sich wenig Mühe, ihre Abneigung zu verbergen.
Merkow schien es nicht zu beeindrucken. Er betrachtete sie einen Augenblick. »Wir machen immer den gleichen Fehler. Wir beurteilen andere nach unserer Logik. Die verbietet, dass man sich selbst wirtschaftlich schadet. Die Saudis schwimmen trotz der Ölpreiskrise immer noch in Dollars. Ihre Reserven sind größer als unsere. Und doch gibt es dort Leute, die würden das ganze Geld am liebsten nehmen, um die Erde von den Ungläubigen zu säubern.« Er hob die Hand. »Ich rede zu lang, Entschuldigung. Unsere Nachrichtendienste befassen sich – wie Ihre natürlich auch – schon länger mit diesen Gefahren. Wir wissen trotzdem nicht, welche Fraktion gerade die Politik bestimmt. Der König versucht zu lavieren, auch wenn er nach außen den Hardliner gibt.«
»Man weiß nie, wie Staaten reagieren, denen der Untergang droht. Schon wie die auf das Fracking der Amerikaner reagiert haben. Ölpreis runter, um die Frackingindustrie zu zerstören. Sogar wenn es an die eigenen Reserven geht. Nach innen haben sie die Zügel längst angezogen.«
»Kopf ab, Peitsche los«, sagte Salinger.
Merkow lächelte.
Salinger blickte ihn bitter an.
»Ich nehme an, Ihr Bundesnachrichtendienst hat Sie schon unterrichtet. Über die Gefahren, die aus der Ecke kommen.«
De Bodt hob die Brauen und beide Hände.
Merkow lächelte. »Sie sitzen also wieder am … wie sagt man? Am Katzentisch?«
»Es hat keinen Sinn, nach dem Motiv zu suchen, bevor wir weitere Hinweise haben«, sagte de Bodt. »Bisher würde ich sagen, es geht ums Wasser. Da gäbe es verschiedene Varianten: Vergiftung, Wassermangel, Überschwemmung durch Meeresspiegelanstieg. Die letzten beiden Varianten schließen sich aus, sind aber gleich wahrscheinlich.«
»Darüber haben wir in Moskau auch nachgedacht. Wenn Staaten, die von Absaufen oder Austrocknung bedroht sind, zusammenlegen. Um sich die Fachkräfte leisten zu können, die man für solche Operationen braucht. Ihr zerstört unsere Heimat, also zerstören wir eure. Operation Flut...
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2017 |
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Reihe/Serie | Kommissar de Bodt ermittelt | Kommissar de Bodt ermittelt |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
Schlagworte | Berlin • eBooks • Eugen de Bodt • Frankreich • Heldenfabrik • Josef Maria Stachelmann • London • Mann ohne Makel • Thriller • Zwei Sekunden |
ISBN-10 | 3-641-19596-9 / 3641195969 |
ISBN-13 | 978-3-641-19596-0 / 9783641195960 |
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