Die goldene Stadt (eBook)

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2017 | 1. Auflage
528 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-12331-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die goldene Stadt -  Sabrina Janesch
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«Makellos geschrieben, fesselnde Figuren, Reichtum, wohin man sieht - plastisch, farbig und unvergesslich.» Sten Nadolny über «Die goldene Stadt» «Sabrina Janesch hat einen großen Abenteuerroman geschrieben, phantastisch anmutend und doch historisch wahr - eine Hommage an die Grenzenlosigkeit der menschlichen Neugier.» Alberto Manguel über «Die goldene Stadt» Peru, 1887. Das ganze Land redet nur von einem Mann - und seiner großen Entdeckung: Augusto Berns will die verlorene Stadt der Inka gefunden haben. Das Medienecho reicht von Lima bis London und New York. Doch wer ist der Mann, der vielleicht El Dorado entdeckt hat? Alles beginnt mit einem Jungen, der am Rhein Gold wäscht und sich in erträumten Welten verliert, der später in Berlin den glühend verehrten Alexander von Humboldt befragt, um bald darauf einen Entschluss zu fassen: Er, Berns, will die goldene Stadt finden. Berns wagt die Überfahrt nach Peru, wo er eher zufällig zum Helden im Spanisch-Südamerikanischen Krieg wird, dann als Ingenieur der Eisenbahn Mittel für seine Expedition sammelt. Mit dem Amerikaner Harry Singer besteigt er die Höhen der Anden und schlägt sich durch tiefsten Dschungel - um schließlich an einen Ort zu gelangen, der phantastischer ist als alles, was er sich je vorgestellt hat. Erst seit kurzem weiß man, dass das sagenumwobene Machu Picchu in Peru von einem Deutschen entdeckt wurde. Sabrina Janesch hat sich auf die Spuren des vergessenen Entdeckers begeben und erzählt seine aufregende Geschichte. Ein Roman von großer literarischer Kraft, der uns in eine exotische Welt eintauchen lässt - und zeigt, was es bedeutet, für einen Traum zu leben.

Sabrina Janesch, geboren 1985 im niedersächsischen Gifhorn, studierte Kulturjournalismus in Hildesheim und Polonistik in Krakau. 2010 erschien ihr Romandebüt «Katzenberge», das u.a. mit dem Mara-Cassens-Preis und dem Anna-Seghers-Preis ausgezeichnet wurde. Über ihren Roman «Die goldene Stadt» (2017), der zum Bestseller wurde, schrieb Sten Nadolny: «Makellos geschrieben, fesselnde Figuren, Reichtum, wohin man sieht - plastisch, farbig und unvergesslich.» Sabrina Janesch, die Stipendiatin des Ledig House, New York, war und Stadtschreiberin von Danzig, lebt mit ihrer Familie in Münster.

Sabrina Janesch, geboren 1985 im niedersächsischen Gifhorn, studierte Kulturjournalismus in Hildesheim und Polonistik in Krakau. 2010 erschien ihr Romandebüt «Katzenberge», das u.a. mit dem Mara-Cassens-Preis und dem Anna-Seghers-Preis ausgezeichnet wurde. Über ihren Roman «Die goldene Stadt» (2017), der zum Bestseller wurde, schrieb Sten Nadolny: «Makellos geschrieben, fesselnde Figuren, Reichtum, wohin man sieht – plastisch, farbig und unvergesslich.» Sabrina Janesch, die Stipendiatin des Ledig House, New York, war und Stadtschreiberin von Danzig, lebt mit ihrer Familie in Münster.

I. Teil


1. Flussgold


Als Kind wäre Rudolph August Berns beinahe an einer Fliege erstickt, die in seine Luftröhre gelangt war. Stundenlang konnte er mit weit geöffnetem Mund und glasigen Augen dasitzen: Legionen von Römern zogen dann an ihm vorbei und überquerten den Rhein ungefähr an der Stelle, an der gerade die Fähre nach Mündelheim ablegte.

Die Römer – was war das jedes Mal für ein Spektakel! Der Rhein war plötzlich kein bleierner Fluss mehr, sondern ein reißender Strom, und drüben, auf der anderen Seite, wohnten nicht die Mündelheimer Bauern, sondern wilde Germanen, die ihr Land verteidigen würden – und Klipper Eu, unten am Ufer, mit seinem zerrissenen Mantel und der Goldpfanne, war nicht Klipper Eu, sondern Gaius Julius. Gaius Julius und seine Männer hatten ganz Gallien unterworfen, doch nun stießen sie auf den Fluss, vor dem sie gewarnt worden waren. Rhenus hieß das Wasser, das sie jetzt überqueren mussten; auf dem Land dahinter lag ein Fluch, und wer es betrete, so hieß es, sei dem Tode geweiht.

Hinter Gaius Julius ging ein Soldat mit Brustschild, der die römische Standarte trug. Der goldene Adler funkelte und glänzte in der Sonne. Das Trampeln Hunderter Pferde und Männer war zu hören; von irgendwoher drang ein Lied, sonderbar fern und fremd. Und da: Einige der Soldaten führten Pferde, beladen mit kostbaren Schatullen, Schätze mussten sich darin befinden, Gold- und Silbermünzen, schwer genug, einem einfachen Mann ein Loch in die Hosentasche zu reißen – und Perlenketten, Edelsteine, Goldreife, ganze Barren!

Als Gaius Julius auf die Brücke ritt, flatterte und bauschte sich sein Umhang im Wind. «Barbaricum», sagte er und legte seine Stirn in Falten. Obwohl er es nur flüsterte, drang es bis herüber zum Apfelbaum, auf dem Rudolph saß und hinunter zum Rhein schaute. Dann warf Gaius Julius einen Blick zurück nach Westen und überquerte schließlich die Rheinbrücke. Auf der anderen Seite angekommen, drehte er sich ein letztes Mal um und winkte Rudolph zu. Eine kaum wahrnehmbare Bewegung der Hand war das, unbemerkt von den Soldaten und dem Standartenträger; Rudolph aber wusste, dass die Geste einzig ihm galt, über zweitausend Jahre hinweg, und dass Gaius Julius ihn mindestens so klar sah wie er ihn.

Aber bevor Gaius Julius sich wieder abwenden konnte, um mit wehendem Umhang nach Germanien zu reiten, war da diese Fliege. Die überreifen Früchte des Apfelbaums lockten Schwärme von Insekten an. Schmetterlinge, Bienen, Wespen und Fliegen tummelten sich auf den Äpfeln und stoben hoch bis zu Rudolphs Platz auf dem Ast. Die Arme schlaff, der Mund trocken, war sein Blick in eine andere Welt gerichtet; eine Welt ohne Fliegen, ohne empörtes Aufsummen, plötzlichen Schmerz und Hustenreiz.

Rudolph hustete sich vom Baum herunter, fuhr mit seinem Finger in den Mund und weiter in den Rachen, aber da war nichts zu holen, da war nur die Atemnot, das Röcheln – und plötzlich war da Gaius Julius, der ihn packte und nach oben hievte. Dann kam die Schwärze, die sich nach einer Zeit in die Stimme der Mutter verwandelte, in etwas Kühles unter seinem Hinterkopf, ja, in den Geruch von Bohnensuppe mit Speck und sogar in das Geheul von seinem kleinen Bruder Max. Am Ende aber verblasste auch das, und über Rudolph kreiste nur noch der goldene Adler der Legion.

 

Rudolph August Berns war das erste Kind des Kaufmanns Johann Berns und seiner Frau Caroline. Die beiden hatten sich in Solingen kennengelernt, wohin der junge Kaufmann geschäftlich gereist war. Neben einigen vorzüglichen Messern und anderen Stahlwaren hatte er das Bild eines Mädchens mitgebracht, das, wie er seinen Eltern versicherte, protestantischer und häuslicher kaum sein konnte. Man heiratete schnell. Der junge Mann war nicht ganz, was sich die Eltern des Mädchens vorgestellt hatten. Aber immerhin führte er gemeinsam mit seinem Vater erfolgreich eine Weinhandlung, und so hatte man zugestimmt. Das junge Ehepaar zog in Johanns Elternhaus in Uerdingen. Es lag umgeben von Obstfeldern, die der Familie Berns seit Jahrhunderten gehörten. Kaum einen Steinwurf entfernt floss der Rhein an dem kleinen, wohlhabenden Städtchen vorbei, aus dem immer mehr Fabrikschlote gen Himmel ragten.

Das obere Geschoss des Hauses teilten sich Johann und Caroline mit Johanns Vater Wilhelm, der sich die meiste Zeit in den Geschäftsräumen im Erdgeschoss aufhielt. Die Mutter war schon lange verstorben.

«Das Geschäft kommt zuerst», sagte der alte Berns, wann immer man ihn aufforderte, mit der Familie eine Mahlzeit einzunehmen. Meist brachte das Dienstmädchen dem alten Mann einen Teller vom Mittagessen hinunter ins Erdgeschoss, wo er hastig zwischen Bottichen und Flaschen aß.

Was wäre die Weinhandlung Berns gewesen ohne den Alten, der über das Treiben wachte und die Kundschaft in Gespräche verwickelte? Nach einem Leben in Uerdingen kannte er alles und jeden, eines jeden Eltern, Kinder, Großeltern und Haustiere, ja sogar ihre Gebrechen, Vorlieben, Nöte und Sorgen. Gesprochen wurde nur von Wein.

 

Schon bald nahm Johann Berns zu, ließ sich einen Vollbart wachsen und verkehrte häufiger in den Schänken des Ortes. Aus dem jungen Berns wurde der Berns, der endlich von den anderen Kaufmännern beachtet und respektiert wurde. Man besuchte ihn im Geschäft, lud ihn zum Abendessen ein, und selbst der alte Melcher, Besitzer der größten Destillerie Uerdingens, schlug ihm eine Zusammenarbeit vor. Seitdem führte Berns hauptsächlich Weinbrände aus dem Hause Melcher, und natürlich den Uerdinger Doppelwacholder. Mehrere Dutzend der braunen Flaschen standen jederzeit im Regal; die vorbeiziehenden Arbeiter waren durstig und er, Berns, ein guter Verkäufer. Das Geschäft lief besser denn je. Nur eines fehlte, und das war ein Sohn.

Rudolph August kam im Jahre des Herrn 1842 auf die Welt. Rudolph, weil der Vater es so wollte, und August, weil so der Lieblingsbruder der Mutter hieß. Schon nach wenigen Jahren aber, in denen Elise und Max nachfolgten, zeigte sich, dass Rudolph August wenig vom Temperament seines Onkels an sich hatte; auch seiner pragmatischen, nüchternen Mutter glich er nicht. «Vielleicht kommt er mehr nach deiner Familie», sagte Caroline zweifelnd zu ihrem Mann, aber wirklich vorstellen konnte sie sich das nicht.

«Hans Guck-in-die-Luft» nannte ihn sein Großvater, nach der Figur aus einem Buch, das er dem Jungen geschenkt hatte. Rudolph hatte es studiert und schnell zur Seite gelegt. Ihm war nur das lieb, was er selber fand und für sich entdeckte. Nur dann, so kam es ihm vor, hatte er wirklich Anspruch darauf, nur dann war es sein und real.

Die meiste Zeit saß der Junge verträumt da und stierte unablässig auf irgendeine Sache, die seine Aufmerksamkeit fesselte. Weckte man ihn aus diesem Zustand und befragte ihn nach seinem Tag oder dem Grund für die dreckige Hose oder das fehlende Geld im Portemonnaie, so bekam man die haarsträubendsten Dinge zu hören. Von schwarzen Reitern war da die Rede, von Irrlichtern, die ihn hinausgelockt hätten, von Geistern, die ihm den Weg weisen wollten zu den Verstecken römischer Schätze, von Seeungeheuern, Drachen und dergleichen mehr. Tatsächlich verspürte Rudolph eine sonderbare Verbindung zu den Legenden vergangener Zeiten und ihren sagenhaften Reichtümern. Er konnte es weder sich selber noch sonst irgendwem erklären, aber manchmal kam es ihm vor, als sei die Welt in seinem Kopf wesentlicher als die, die ihn umgab.

«Lügen», sagte die Mutter. «Ach was», sagte der Vater. «Der Junge hat Phantasie!» Aber es half nichts. Auch nicht die Erklärung des Vaters, dass Einfallsreichtum für einen Geschäftsmann mindestens genauso wichtig sei wie sorgfältige Buchhaltung und die Fähigkeit, kritisch zu denken. Die Mutter antwortete bloß, dass er dem Jungen nicht noch mehr Flausen in den Kopf setzen solle, es sei so schon schlimm genug.

 

Rudolph spürte, wie etwas Scharfes seine Kehle hinabfloss. Vielleicht schmeckt so der Tod, dachte er. Scharf und süß und zugleich ein wenig nach Wacholder. Ein Ruck ging durch seinen Körper; er meinte, die Augen zu öffnen, und erkannte Vater und Mutter neben sich auf dem Boden. Auch Max und Elise waren da, heulten und versteckten sich hinter den gebeugten Rücken der Eltern. Auf der Eckbank hinten in der Stube saßen Großvater und Klipper Eu. Klipper Eu hielt ein Glas Weinbrand in der Hand, sein Atem hatte sich noch immer nicht beruhigt, so schnell war er mit dem Jungen auf den Armen ins Berns’sche Haus gerannt.

Alles schien wie immer, und doch stimmte etwas nicht: das Haar der Mutter etwa, das beständig die Farbe wechselte; der Großvater, der plötzlich ganz jung aussah; der Bruder, der sich immer wieder in seine Schwester verwandelte. Außerdem war da ein Soldat, der seelenruhig auf dem Kaminsims saß und die Beine baumeln ließ. Rudolph hatte ihn nie zuvor gesehen, und dabei kannte er doch mittlerweile so gut wie jedes Gesicht aus der römischen Legion. Es gab schmale Gesichter mit hohen Wangenknochen, breite Gesichter mit kräftigem Kinn, olivfarbene Teints, tiefbraune, bleiche; Legionäre mit schwarzen Haaren, blonden, braunen, es war alles dabei. Die meisten trugen rundliche Helme und Kettenhemden, die von groben Gürteln zusammengehalten wurden. Aber der hier? Der merkwürdige Herr auf dem Kaminsims schien so gar nicht zu ihnen zu gehören. Die tiefliegenden Augen, der graue Bart und die scharf geschnittene Nase wären Rudolph aufgefallen, auch trug der Mann einen länglichen Helm, der von einer breiten Krempe umgeben war. Seine Vorderseite lief spitz zu,...

Erscheint lt. Verlag 18.8.2017
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 19. Jahrhundert • Abenteurer • Alexander von Humboldt • Anden • Augusto Berns • El Dorado • Entdeckungen • Goldene Stadt • Inka • Lima • Machu Picchu • Neue Welt • Peru
ISBN-10 3-644-12331-4 / 3644123314
ISBN-13 978-3-644-12331-1 / 9783644123311
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