Die Gärten von Istanbul (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017
736 Seiten
btb Verlag
978-3-641-18445-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Gärten von Istanbul - Ahmet Ümit
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Istanbul, die unbezähmbare Stadt zwischen zwei Kontinenten. Ein magischer Ort, wo Geschichte geschrieben wurde und sich noch heute unzählige Geschichten ineinander verweben. Kaum einer kennt ihn so gut wie Nevzat, Oberinspektor des Morddezernats. Und kaum einer leidet an ihm wie er, dessen Frau und Tochter dort Opfer eines Verbrechens wurden. Und doch wird er hinzugezogen, als an der Atatürk-Statue eine Leiche gefunden wird. Das Opfer, Professor für Kunstgeschichte, war anerkannt in Istanbuls intellektuellen Kreisen. Ebenso wie seine Exfrau Leyla, Museumsdirektorin im legendären Topkap? Palast. Kurz darauf wird eine zweite Leiche gefunden. Wieder an einem von Istanbuls Wahrzeichen. Und die Serie reißt nicht ab. Sieben Leichen an sieben historischen Stätten - und nur ein einziger Faden scheint die Fälle miteinander zu verbinden: die jahrtausendealte Geschichte einer der geheimnisvollsten und faszinierendsten Städte der Welt ...

Ahmet Ümit, geboren 1960 in Gaziantep, ist einer der meistgelesenen Autoren in der Türkei. Er war von 1974 bis 1989 aktives Mitglied der Türkischen Kommunistischen Partei und schrieb in den Achtzigerjahren nicht nur seine ersten literarischen Texte, sondern studierte auch an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften in Moskau, was zu jener Zeit nach türkischem Recht illegal war. Während der Militärdiktatur von 1980-1990 war er im Untergrund aktiv und musste zeitweise auch selbst untertauchen. Er zog sich schließlich aus der aktiven Politik zurück und konzentrierte sich aufs Schreiben. Einige seiner zahlreichen Bücher wurden erfolgreich verfilmt. Für seine Nachforschungen zu »Das Land der verlorenen Götter« wurde er 2023 zum Korrespondierenden Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts Istanbul ernannt.

»DER MENSCH IST KEIN SONDERLICH TREUES WESEN.«

Die auf der Visitenkarte genannte Adresse befand sich in Samatya, am Hang des siebten der sieben Hügel, auf denen Istanbul gegründet ist. Ich mochte Samatya, wenn auch nicht so sehr wie mein Viertel Balat, es gehört zu den schönen alten Quartieren, die Istanbul zu der Stadt machen, die sie ist. Einst lebten dort vor allem Armenier. Mitunter, wenn uns einfällt, unseren Rakı einmal woanders als im Tatavla zu trinken, komme ich mit Evgenia hierher. Evgenia nennt das Viertel Psammatia, das sei sein griechischer Name. Er bedeute so viel wie Sandstrand. Ich dagegen denke bei Samatya an Häuser aus Stein mit Dächern, die nach Sonne, und Fenstern, die nach Meer duften, an alte Kirchen und Moscheen, an enge Gassen, an kleine Tavernen darin, auch an die Vorortzüge, die Tag für Tag unermüdlich Tausende Istanbuler zwischen den antiken Stadtmauern hindurchtransportieren. Samatya ist ebenso erschöpft, überaltert und heruntergekommen wie Balat. Einen so hübschen, gepflegten Holzbau wie das zweigeschossige Haus des Mordopfers hatte ich hier nicht erwartet. An zwei üppigen Judasbäumen vorbei, deren zarte violette Blüten über das eiserne Tor hingen, betraten wir den Vorgarten. Ein Feigenbaum auf krummem Stamm begrüßte uns, er erweckte den Eindruck, noch aus byzantinischen Zeiten zu stammen. In der Hitze der mittlerweile hoch stehenden Sonne breitete sich ein betäubender Geruch aus, der einem in der Kehle brannte. Von irgendwoher erscholl heiseres Möwenkreischen und aus den Nebengassen Kinderlachen. Ali bestaunte den Bau und schluckte.

»Was für ein schönes Haus! Sogar mit Garten! Archäologen scheinen gut zu verdienen.«

Zeynep lief ein paar Meter voraus, hatte schon fast die Haustür erreicht, als sie sich umdrehte, um dem Kollegen und Freund in die Parade zu fahren: »Oder der Mann hat bei seinen Ausgrabungen einen Schatz gefunden.«

»Vielleicht haben sie ihn deshalb umgebracht. Weil er seinen Kumpanen bei der Schatzgräberei ihren Anteil vorenthielt.«

Wie ernst Ali es meinte, war nicht genau herauszuhören.

»Dann kümmern wir uns mal um seine Archäologen-Kollegen«, gab Zeynep zurück. Doch ihr Lächeln verriet, dass sie nur Spaß machte. »Checken wir auch ihr Vermögen.«

»Ich weiß nicht, ob ein Schatz im Spiel ist, aber ich fürchte, wir werden genau das tun müssen, was du da sagst.«

Meine Worte wischten das Lächeln aus Zeyneps Miene, und Ali drehte den Kopf von den roten Geranien zu mir. Nun war Ernst angesagt.

»Gehen wir rein«, sagte ich, da klingelte mein Handy. Mein Herz schlug schneller, als ich Evgenias Namen auf dem Display las.

»Sekunde, Leute.« Ich entfernte mich ein paar Schritte.

Erst unter den weit herabhängenden Blütendolden der üppigen Judasbäume nahm ich das Gespräch an.

»Hallo Evgenia …«

»Hallo Nevzat …«

»Wie geht’s?«

»Gut, gut …«

Nein, es ging ihr nicht gut. Es konnte ihr nicht gut gehen, denn heute Abend würde sie zum ersten Mal zu mir kommen. Würde zum ersten Mal den Ort betreten, an dem ich lebte, dieselbe Luft atmen, die ich immer atmete, wäre dort zum ersten Mal mit meinen Gespenstern, meinem Kummer, meiner Trauer konfrontiert. Sie war nervös, denn ich hatte Jahre gebraucht, bevor ich sie zu mir einladen konnte. Ich dagegen war ganz ohne Einladung zu ihr gegangen, in ihr Haus, in ihre Taverne, unter ihre Freunde, sogar in ihre griechische Gemeinde. Doch was mich betraf, war die geduldige Evgenia stets auf ein Hemmnis gestoßen, auf eine emotionale Barriere, eine mit Trauer verputzte Mauer, eine aus Kummer gewebte Distanz. Sie hatte sich daran gewöhnt, hatte nie Andeutungen gemacht, geschweige denn es offen zur Sprache gebracht. Wohl deshalb war in ihrer Miene, als ich sie zu mir nach Hause eingeladen hatte, eher Skepsis als Freude zu sehen gewesen.

»Bist du sicher?«, hatte sie gefragt. »Nevzat, bist du dir da sicher?«

»Ganz sicher«, hatte ich geantwortet und leicht die Stirn gerunzelt. »Natürlich bin ich mir sicher. Würde ich dich sonst einladen?«

War ich mir wirklich sicher? Ich wusste es nicht genau, aber ich sollte mir sicher sein. Wie lange sollte das denn noch so weitergehen? Evgenia stand mir von allen Freunden am nächsten, ihr vertraute ich am meisten, sie war mir wichtiger als alle anderen, sie war die Frau, die ich liebte. Und Güzide und Aysun? Meine Frau und meine Tochter, die ich verloren hatte? Ihre Bilder, Spuren, Sachen, Gerüche und Stimmen, die noch immer zwischen den Wänden meines Hauses herumspukten? Richtig, ich lebte nach wie vor mit der Erinnerung an sie, doch Güzide und Aysun waren tot. So schwer es mir fiel, das zu akzeptieren und mich von ihnen zu lösen: Das war die Realität. Ob wir es Schicksal nannten, Fluch, Pech oder wie auch immer, jene entsetzliche Explosion hatte mir Frau und Tochter genommen. Aber das Leben ging weiter. Nolens volens begegnete man anderen Menschen, verliebte sich neu. Andere zu lieben, tat der Verbundenheit, die man für die Verstorbenen empfand, doch keinen Abbruch. Das zu bejahen, bedeutete allerdings, mir etwas vorzumachen, das wusste ich. Das Leben gab lebenden Wesen den Vorrang. Gestalten, Stimmen, Gerüche, Erinnerungen, Spuren der Verstorbenen verblassten allmählich. Das war traurig, aber es gab wohl keinen Ausweg. Der Mensch ist kein sonderlich treues Wesen. Es galt, die Verstorbenen nicht ganz zu vergessen, einen Teil ihrer Seelen in sich zu tragen, sich zu überzeugen, dass sie im eigenen Herzen weiterlebten. Überzeugen, sage ich, denn der Nachhall unserer Liebsten in unserer Seele, ihre Gesichter, an die wir uns mit der Zeit kaum noch werden erinnern können, die lebendigen Bilder des Lebens, auch erschütternde Erlebnisse verblassen nach und nach in unserem Gedächtnis. Das war die traurige Wahrheit, sosehr ich mir auch immer wieder das Gegenteil vorsagte. Und diese Wahrheit hatte mich bald am Kragen gepackt. Irgendwann hatte ich mich nicht länger gewehrt, war an eine Weggabelung gekommen und hatte mich abgefunden. An dieser Weggabelung stand Evgenia und wartete auf mich. Auch mit ihrer Hilfe war ich wieder aufgestanden, wo ich hingefallen war, hatte gelernt, wieder auf den Füßen zu stehen und mit meinem Kummer im Gepäck weiterzugehen. Wenn es so etwas wie normale Menschen gab, dann versuchte ich, einer von ihnen zu sein. Und um Evgenia zu zeigen, wie dankbar ich ihr war, hatte ich das getan, was ich schon vor Jahren hätte tun sollen: sie zu mir nach Hause einladen. Nach einigem Zögern hatte sie zugestimmt, war aber weiterhin nervös. Sie fürchtete, ich könnte jeden Augenblick meine Meinung ändern oder etwas tun, das sie verletzen würde. Deshalb klang die Stimme am anderen Ende der Leitung angespannt. Ich musste sie beruhigen.

»Was ist los?«, fragte ich und legte aufrichtigen Vorwurf in meine Stimme. »Oder willst du etwa sagen, dass du heute Abend nicht kommst?«

»Nein, Nevzat, wie könnte ich?« Die Nervosität fiel von ihr ab. »Äh, ich wollte nur, also, soll ich von den Meze-Vorspeisen, die du so gern magst …«

Ich spielte meine Rolle vorbildlich.

»Nein, Evgenia. Wir haben das doch besprochen, heute Abend rührst du nichts an, heute bin allein ich zuständig.«

»Na gut.« Sie war erleichtert, es war mir gelungen, sie zu überzeugen, allerdings bezweifelte ich, ob ich mich selbst hatte überzeugen können. Halb im Scherz fragte Evgenia weiter: »Was gibt es denn heute Abend?«

»Speisen, die du noch nie gesehen hast …« Ich plusterte mich weiter auf. »Sobald du die Meze gekostet hast, bittest du mich bestimmt, in deiner Taverne anzufangen.«

Sie lachte.

»Das sage ich schon, bevor ich deine Speisen probiert habe, liebster Nevzat. Hör endlich auf, dich mit Mördern und Verbrechern herumzuschlagen.« Ihre Stimme klang ernst, fast flehentlich. »Ich meine das ernst. Warum lässt du dich nicht pensionieren und fängst im Tatavla an?«

Sie wusste natürlich, dass ich ein solches Angebot niemals annehmen würde, dennoch wiederholte sie es zum x-ten Mal. Ich überging es.

»O nein, kommt nicht in Frage, mich so zu schanghaien. Ich bestehe auf Gewerkschaft und Versicherung. Vor allem aber will ich einen guten Lohn. Besser als das Gehalt, das der Staat mir zahlt.«

»Bin mit allem einverstanden«, stieg sie auf das Spiel ein. Möglicherweise war es für sie gar kein Spiel. Vielleicht meinte sie es ernst wie immer. Zuversichtlich fuhr sie fort: »Hauptsache, du bist bereit, an meiner Seite zu arbeiten.«

Ich wollte keine Gefühlsduselei und lachte, damit ihr klar war, dass ich ihre Worte als Spiel auffasste.

»Ich denk darüber nach, und du, schau dir erst mal die Fähigkeiten des Mannes an, dem du einen Posten geben willst. Ohne ihn zu kennen und getestet zu haben, stellt man doch keinen Koch ein!«

Evgenia lachte nicht, sie klang weiterhin sentimental.

»Wenn es um dich geht, reicht mir, was ich weiß.«

Ich hätte sagen sollen: Wenn es um dich geht, reicht auch mir, was ich weiß, liebste Evgenia. Aber ich schwieg. Ich war unfähig dazu, mit ein paar netten Worten gut Wetter zu machen. Mein Blick glitt zu Zeynep und Ali hinüber, die schon die Tür geöffnet hatten und auf mich warteten.

»Danke«, sagte ich nur zu Evgenia, »wie schön, so akzeptiert zu sein. Also dann, komm nicht zu spät heute Abend, okay?«

»Keine Sorge, um acht bin ich bei dir.«

Ich spürte nicht das kleinste Fitzelchen von Übelnehmen, ihre Stimme war mild wie der Frühlingshauch, der mir um die Stirn wehte, und selbstsicher wie die Mauern gleich hinter uns, die seit Tausenden von Jahren die Stadt schützten. Dennoch...

Erscheint lt. Verlag 11.9.2017
Übersetzer Sabine Adatepe
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Istanbul Hatirasi
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Byzanz • eBooks • Historische Kriminalromane • Istanbul • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Türkei
ISBN-10 3-641-18445-2 / 3641184452
ISBN-13 978-3-641-18445-2 / 9783641184452
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