Die Malerin (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman

(Autor)

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2017 | 1. Auflage
448 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1410-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Malerin - Mary Basson
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Eine Liebe in der Bohème.

München, 1902: Gegen alle Widerstände will die junge Gabriele Münter, genannt Ella, Malerin werden. Sie nimmt Unterricht bei Wassily Kandinsky und verliebt sich in ihn, sie wird seine Muse ebenso wie seine Gefährtin auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen. Doch während Kandinsky schon bald als Meister der Abstraktion und Begründer des Blauen Reiters zu Weltruhm gelangt, ringt Ella zeitlebens mit ihrer Rolle als Frau in der Kunst. Und dann bricht Krieg aus, und ihre Liebe droht tragisch zu scheitern ...

Nach der wahren Geschichte der großen Malerin Gabriele Münter, die mit ihrer Hingabe an die Kunst und an die Liebe allen Gefahren ihrer Zeit trotzte.



Mary Basson arbeitet im Milwaukee Art Museum, das die größte Gabriele-Münter-Sammlung Nordamerikas beherbergt. Münters Malerei faszinierte sie so sehr, dass sie sich auf die Spur ihrer Geschichte begab und nach München und zum Gelben Haus in Murnau am Fuße der Alpen reiste.

1
Die Farben der Berge


KOCHEL, ANFANG SOMMER 1902

Das Licht der Morgensonne breitete sich rosig über die Berghänge aus. Ella blieb stehen und lauschte. Hatte sie sich den Pfiff seiner Trillerpfeife nur eingebildet? Sie lehnte ihr Fahrrad an einen Baum und wartete. Ihr Blick fiel auf den Phlox zu ihren Füßen, den der Wind zerzauste. Im frühen Licht des Tages waren die Blüten zartlila, gegen Mittag leuchteten sie blau, und wenn es dämmerte, färbten sie sich dunkelviolett. Aber niemand trillerte, es waren auch keine Schritte zu hören. Er musste hinter ihr sein, sich leise lachend verbergen. Ella fuhr herum, dachte, sie würde noch einen Zipfel von ihm erhaschen. Doch da waren nur die leere Wegbiegung, Lavendelbüsche auf dem sonnenglänzenden Hang, moosbewachsene Felsen. Nun gut, der Tag hatte mehr als einen Pfiff zu bieten. Sie stellte ihre Staffelei zwischen kleinen Büscheln Edelweiß auf. Die Sonne stieg höher und tauchte die Landschaft in pfirsichfarbenes Licht. Schon wenig später nahmen die Schattierungen des Sommermorgens Ellas Aufmerksamkeit so gefangen, dass kein Raum blieb, um nach Pfiffen zu lauschen. Sie begann mit der Arbeit.

Unten, jenseits der Felsen, glänzte der Kochelsee silbrig, als hätte die Sonne ihn poliert. Eine leichte Bö löste sich, fuhr durch die Heliotrope am Ufer und weiter den Hang hinauf unter Ellas Hut. Sie verknotete das Band unter ihrem Kinn und befestigte ihr Zeichenpapier mit einer Klammer an der Staffelei. Sie wollte die Formen der Wolken zwischen zwei Bergen wiedergeben. Dunkelgrün erhoben die Berge sich über dem hellen See, doch auf diesem Bild würden sie nur in groben Zügen mit kräftigen Schrägstrichen skizziert werden. Ella ging es vor allem um die Wolken. Sie sollten zu etwas Leichtem, Vergänglichem werden. Deshalb durften sie auch keine festen Formen haben, sondern mussten Luftgebilden gleichen, so schwerelos, dass man sie wegpusten konnte. Wolkenblasen. Nein, das auch nicht. Noch formloser. Vielleicht lag es an ihren Augen, aber die Wolken wollten ihr einfach nicht gelingen. Sie stiegen kaum merklich höher, verdichteten sich, wurden wieder lichter, zerfaserten. Und noch immer hatte sie keinen Pfiff vernommen. Sie richtete ihr Gehör mal auf den Hang, mal in den Wald hinein. Der Pfiff der Trillerpfeife blieb aus.

Als das Licht des Tages allmählich verblasste und die späte Nachmittagssonne sämtliche Wolken vertrieben hatte, rollte Ella das Zeichenpapier zusammen, legte die Zeichenkohle in das Blechkästchen und wischte ihre geschwärzten Finger am Gras sauber. Sie streifte ihren Kittel ab, drehte ihn von innen nach außen und faltete den Stoff ordentlich zusammen. Dann schob sie die Staffelei zusammen, vorsichtig, um die zerbrechlichen Giraffenbeine nicht zu beschädigen, und packte alles in ihren Rucksack. Mit ihm auf dem Rücken radelte sie zum Gasthof zurück.

Gepfiffen hatte niemand.

Als Ella im Gasthof ankam, war der Speiseraum mit den dunklen hölzernen Deckenstreben leer. Doch kaum saß sie an ihrem gewohnten Platz, da stürmten die anderen Schüler herein. Laut klappernd hantierten sie mit Gläsern, Wasserkaraffen und Besteck.

»Gabriele«, sagte einer der jungen Männer. »Wir haben Sie heute gar nicht gesehen.«

»Dieses Fräulein Münter«, schaltete sich ein anderer ein und lächelte anzüglich. »Nie weiß man, wo sie steckt.«

»Ich war an einem Hang über dem See.« Sie wandte sich zu ihrem Tischnachbarn um und achtete darauf, nicht zu interessiert zu klingen. »War Professor K bei Ihnen?«

»Nein, er ist zum Bahnhof gefahren, um seine Frau Gemahlin abzuholen. Wussten Sie das nicht? Im Moment ist sie dabei, oben in ihrem Zimmer den Koffer auszupacken.«

In Ella verkrampfte sich etwas. Nein, wollte sie sagen. Bitte nicht. Ihr Tischnachbar musste etwas missverstanden haben. Oder sie hatte sich verhört.

»Seine Frau Gemahlin?« Sie umklammerte ihre Serviette.

»Ja, sie bleibt den ganzen Sommer bei uns.« Doncker, der ihr gegenübersaß, grinste.

»Eine gutaussehende Frau.« Palme zwinkerte ihr zu.

»War auch nicht anders zu erwarten.« Mühlenkamp schlug einen kleinen Trommelwirbel auf den Tisch.

Ella drückte die Serviette auf ihren Mund und entschuldigte sich. Sie stolperte die Treppe hinauf und über den engen Flur, eine Hand auf dem Mund, mit der anderen stützte sie sich an der holzgetäfelten Wand ab. Dann war sie in ihrem Zimmer und musste sich beherrschen, um nicht laut aufzuschluchzen. Sie kroch in ihr Bett, zog sich die kalte weiße Steppdecke über den Kopf und ließ ihren Tränen freien Lauf. Ein einziges Wort hatte es vermocht, sie in jemand anderen zu verwandeln.

Gemahlin. Er war verheiratet, und sie, Ella, war nicht die, für die sie sich noch vor wenigen Minuten gehalten hatte. Vor wenigen Minuten war sie eine junge Frau gewesen, die auf den trillernden Pfiff ihres Verehrers gewartet hatte, die von einem berühmten Mann erwählt worden war – eine junge Frau, die dieser Mann vielleicht heiraten würde. Mit einem Mal war sie eine Närrin. In den vergangenen Wochen – nein, vorher schon – hatte sie einen Mann geküsst, von dem es nun hieß, dass er eine Gemahlin habe. Und nicht nur geküsst hatte sie ihn. Sie war bereit gewesen, sich ihm ganz und gar hinzugeben. Um ein Haar wäre es auch dazu gekommen. Sie hatte es sich sogar gewünscht.

Aber war es denn ein Wunder, dass sie sich in einem Mann getäuscht hatte? Mit Menschen hatte sie sich noch nie ausgekannt. Sie verstand nicht, was sie sagten, hatte nicht gelernt, wie man ihre Worte zu interpretieren hatte. Wie viele Dummheiten hatte sie in ihrem kurzen Leben schon begangen, wie oft sich geirrt, und wie viele Fauxpas waren ihr unterlaufen! Nie wusste sie, wie sie sich ausdrücken sollte. Schon als kleines Schulmädchen hatte sie gespürt, wie unbeholfen sie war. Die Bestätigung erhielt sie eines verregneten Nachmittags, als sie zu Hause an der angelehnten Tür des Salons horchte.

»Meinst du, mit Ella stimmt etwas nicht?« Das war Emmy. »Ich weiß, dass sie sprechen kann. Aber sie ist immer so verschlossen. Das ist doch nicht normal. – Bitte, reich mir das blaue Garn.«

»Das würde ich so nicht sagen«, antwortete ihre Mutter. »Papa hat gedacht, das gibt sich, sobald sie in die Schule geht. Aber ich werde unseren Arzt konsultieren, obwohl Papa der Ansicht ist, dass …« Der Rest war zu leise, Ella verstand nichts mehr. »Ella«, rief ihre Mutter. »Bist du das da draußen? Komm, setz dich doch zu deiner Schwester und mir.«

Sie hatte nie jemandem erzählt, was sie an jenem Tag aufgeschnappt hatte, und konnte sich auch an keinen einschlägigen Arztbesuch erinnern, doch die Worte Mit Ella stimmt etwas nicht klangen ihr ein Leben lang in den Ohren. Sie selbst hatte erkannt – schon im Alter von acht oder neun Jahren –, dass sie weder wusste, wie man lachte, noch wie man spielte. Auf dem Heimweg nach der Schule trödelte sie nicht mit den anderen Mädchen und nahm auch nicht an ihren Streichen teil. Sie hatte keine Ahnung, wie man kicherte, andere neckte oder jemandem etwas ins Ohr flüsterte. Sie wusste nicht, dass sie einsam war.

An ihrem neunten Geburtstag schenkte ihr Vater ihr ein Kästchen Zeichenkohle und einen dicken Block Zeichenpapier. Ella wunderte sich darüber. Das neue Kleid von ihrer Mutter und die Bücher von Emmy und Carl hatte sie erwartet, doch was sie mit der Zeichenkohle und dem Block anfangen sollte, war ihr schleierhaft. »Das sind Zauberstifte«, sagte ihr Vater. »Wenn du sie anweist, werden sie sprechen.« Er hob Ella auf seinen breiten Schoß. »Schau dir den Baum am Tor an oder den Weg zu unserem Haus. Ist der Baum tapfer? Lächelt der Weg dich an? Ist unser Haus starrköpfig? Die Stifte sollen uns zeigen, was du siehst.«

Anfangs wusste Ella nicht, was sie sah und was die Stifte zeigten. Doch die Kohle fühlte sich gut an, als wäre der schwarze Stift noch ein Finger, der sich zu den anderen gesellt hatte und in der Lage war, mit dem Daumen, dem Zeigefinger und dem Mittelfinger zu kooperieren. Sie erkannte, dass sie mit dem Kohlestift in der Hand angefangen hatte, sich auszudrücken.

Eine Zeitlang war das Malen für sie, als hätte sie endlich Freunde. Wenn sie an einem Bild arbeitete, war sie ganz und gar konzentriert. Sie tauchte ein in das Bild, als hätte sie die Tür zu einem Zimmer geöffnet, in dem sie sich zwischen Formen und Figuren bewegte, eine Choreographin unter Tänzern. Stell dich so, konnte sie einem Strich sagen, dem sie den Arm um die Schultern gelegt hatte. Jetzt beugen, konnte sie einem anderen befehlen. Nur dass sie nie Wörter verwandte. Solange sie arbeitete, war sie unerreichbar, sogar für ihr Bewusstsein. Bis sie Professor K begegnete – und den Fehler machte, zugänglich zu werden.

Wütend trat sich Ella die Stiefel von den Beinen und schlug die Steppdecke zur Seite. Dummkopf. Er war elf Jahre älter als sie, ein anerkannter Künstler, maßlos attraktiv, großartig. Natürlich war so jemand verheiratet. Und war es nicht bekannt, dass Männer von Frauen nur das Eine wollten? Professor K war gewiss nicht der erste verheiratete Mann, der versucht hatte, eine alberne junge Frau zu verführen. Es war ihre Schuld. Er hatte ihr Beachtung geschenkt, und sie hatte nicht gewusst, wie man darauf reagierte. Aber welche Eitelkeit hatte sie denn glauben lassen, dass sie sein Interesse verdient hatte? Ausgerechnet sie. Wieder stiegen ihr Tränen auf. Sie kniff die Augen zusammen. Sie hatte tatsächlich gedacht, wenn sie sich von ihm küssen ließe, würde er sie...

Erscheint lt. Verlag 4.12.2017
Reihe/Serie Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe
Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe
Übersetzer Gabriele Weber-Jarić
Sprache deutsch
Original-Titel Saving Kandinsky
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abstrakte Kunst • Abstraktion • Anne Girard • August Macke • Avantgarde • Bayern • Blauer Reiter • Boheme • emanzipierte Frauen • Entartete Kunst • Expressionismus • Franz Marc • Frauenschicksal • Frau in der Kunst • Gabriele Münter • Goldreich • Jahrhundertwende • Kandinsky • Künsterlin • Künstlerroman • Liebe • Madame Picasso • Malerei • Malerin • München • Murnau • Muse • Musen Reihe • Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe • Nationalsozialismus • Wassily Kandinsky • weibliche Heldin • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-8412-1410-X / 384121410X
ISBN-13 978-3-8412-1410-2 / 9783841214102
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