Wein und Haschisch (eBook)

Essays
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
224 Seiten
Manesse (Verlag)
978-3-641-20569-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wein und Haschisch -  Charles Baudelaire
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'Ein Mensch, der nur Wasser trinkt, hat seinen Mitmenschen etwas zu verbergen.'
Wer Charles Baudelaire ausschließlich als Verfasser der dunkel-brillanten Gedichte aus «Die Blumen des Bösen» kennt, lässt sich ein wahres Lesevergnügen entgehen. In seinen geist- und pointenreichen Essays vergleicht Baudelaire die unterschiedlichen - und nicht gleichermaßen empfehlenswerten - Wirkungen von Wein und Haschisch, gibt jungen Schriftstellerkollegen Tipps zum Umgang mit Gläubigern, schildert seine Begeisterung nach der ersten Aufführung einer Wagner-Oper in Paris oder erteilt Ratschläge, wie man das Glück in der Liebe finden kann. In dieser exklusiven Zusammenstellung in Neuübersetzung begegnet uns der feinsinnige Ästhet als ironischer Lebenskünstler, als hellsichtiger Literaturkritiker und als wortmächtiger Protagonist der Pariser Boheme.

Gebunden in dunkelroten Samt mit Glanzfolienprägung, ist der Band zudem ein bibliophiler Hingucker.

Charles Baudelaire (1821-1867) war Dandy, Ästhet und Inbegriff der Pariser Künstlerbohème. 1857 veröffentlichte er den Gedichtzyklus 'Die Blumen des Bösen', der ihm eine Anklage wegen 'Beleidigung der öffentlichen Moral' eintrug. Seinen Zeitgenossen war er vor allem als scharfsinniger Kunst- und Literaturkritiker bekannt.

AUSWAHL TRÖSTLICHER MAXIMEN ÜBER DIE LIEBE

Wer Maximen verfasst, will sich verkleiden – die Jungen schminken sich auf alt, die Alten putzen sich heraus.

Die Gesellschaft, dieses große System von Widersprüchen, schätzt Hinfälligkeit jeder Art hoch – schwärzen wir uns geschwind Runzeln ins Gesicht – und rühmt sich ihrer Empfindsamkeit, also lasst uns unser Herz wie ein Frontispiz schmücken.

Und wozu? – Wenn Sie keine wahren Menschen sind, seien Sie wahre Tiere. Seien Sie naiv, und so mancher wird Sie nützlich oder erfreulich finden. Mein Herz – schlüge es auf der Rechten – würde gewiss tausend Mitparias unter den drei Milliarden Geschöpfen erkennen, die an den Brennnesseln der Gefühlsseligkeit nagen!

Wenn ich mit der Liebe beginne, dann weil die Liebe für alle – mögen sie es ruhig leugnen – das Wichtigste im Leben ist!

Ihr alle, die ihr einen unersättlichen Geier nährt – hoffmanngleiche1 Dichter, die ihr in kristallenen Gefilden zur Harmonika tanzt und denen die Violine das Herz zerreißt wie eine Klinge, ihr gierigen, unersättlichen Betrachter, die das Schauspiel der Natur in gefährliche Ekstasen versetzt –, möge die Liebe euch ein Beruhigungsmittel sein.

Stille Dichter, sachliche Dichter, edle Parteigänger der Methode, Architekten des Stils, gewiefte Köpfe, die ihr eine tägliche Pflicht zu erfüllen habt – möge die Liebe euch ein Exzitans sein, ein belebendes und anregendes Getränk, und die Gymnastik der Lust ständige Ermunterung zum Handeln!

Für die einen eine nervenberuhigende Arznei, für die anderen der Alkohol.

Ihr, die ihr die Natur für grausam und die Zeit für kostbar haltet – möge die Liebe euch ein heißer, Herz und Seele stärkender Trank sein.

Es heißt also, seine Liebschaften zu wählen.

Ohne die Liebe auf den ersten Blick zu leugnen, was undenkbar wäre – man vergleiche Stendhal, «Über die Liebe», 1. Buch, 23. Kapitel2 –, muss man dennoch annehmen, dass Schicksalsfügungen gewissen Schwankungen unterliegen, hervorgerufen durch die menschliche Handlungsfreiheit.

So wie für die Theologen die Freiheit darin besteht, die Versuchung eher zu meiden, als ihr zu widerstehen, so besteht in der Liebe die Freiheit darin, die Frauen der gefährlichen Sorte zu meiden, das heißt die Frauen, die Ihnen gefährlich wären.

Ihre Geliebte, die Frau Ihres Himmelreichs, werden Ihnen Ihre naturgegebenen Vorlieben hinreichend deutlich offenbaren, das bestätigen auch Lavater3, die Malerei und die Bildhauerei.

Die physiognomischen Merkmale wären unfehlbar, kennte man sie allesamt und gründlich. Ich kann an dieser Stelle nicht alle weiblichen physiognomischen Merkmale aufführen, die für immer und ewig zu diesem oder jenem Mann passen. Vielleicht werde ich eines Tages diese titanische Aufgabe in einem Buch bewältigen, das zum Titel haben wird: «Der Katechismus der geliebten Frau», doch ich halte es für unstreitig, dass ein jeder, der sich von seinen gebieterischen, wenn auch schemenhaften Vorlieben und seiner Beobachtungsgabe leiten lässt, zu gegebener Zeit die erforderliche Frau finden kann. Außerdem sind unsere Vorlieben in aller Regel nicht gefährlich; beim Kochen wie in der Liebe versieht uns die Natur nur selten mit Geschmack an dem, was uns schadet.

Da ich den Begriff der Liebe im umfassendsten Sinn verstehe, sehe ich mich genötigt, einige besondere Maximen zu delikaten Fragen aufzustellen.

Mann des Nordens, der du dein Schiff mit Leidenschaft durch die trügerischen Nebel lenkst; der du die Schönheit des Polarlichts höher schätzt als die der Sonne; der du unermüdlich nach dem Ideal dürstest: Liebe die kalten Frauen! Liebe sie innig, denn sie zu lieben ist mühsamer und beschwerlicher und wird dir eines Tages zu größerer Ehre gereichen vor dem Liebesgericht, das jenseits der blauen Unendlichkeit tagt!

Mann des Südens, dessen heitere Natur keinen Geschmack an Geheimnissen und Rätseln findet, frivoler Mann aus Bordeaux, Marseille oder Italien – mögen die feurigen Frauen dir genügen; Lebhaftigkeit und Temperament sind dein natürliches Reich – ein amüsantes Reich.

Junger Mann, der du ein großer Dichter sein willst, hüte dich in der Liebe vor dem Paradoxen; überlasse es den von ihrer ersten Pfeife berauschten Schülern, lauthals Lobgesänge auf die dicke Frau anzustimmen; überlasse diese Lügen den neu bekehrten Anhängern der pseudoromantischen Schule. Die dicke Frau mag bisweilen eine reizende Caprice sein, doch die magere Frau ist eine unerschöpfliche Quelle dunkler Wollust!

Verleumde nie die erhabene Natur, und wenn sie dir eine Geliebte ohne Busen zugeteilt hat, sage: «Ich habe einen Freund – mit Hüften!», und geh in den Tempel, um den Göttern zu danken.

Versteh sogar aus der Hässlichkeit Gewinn zu ziehen: aus der eigenen, das ist allzu leicht; jedermann weiß, dass Trenck4, die verbrannte Visage, von den Frauen vergöttert wurde;* und zwar von der eigenen – was seltener und schöner ist, durch die gedankliche Assoziation aber nachvollziehbar und schlüssig wird.

Denken wir uns Ihre Göttin krank. Ihre Schönheit ist unter der abscheulichen Kruste der Blattern verschwunden wie das Grün unter dem schweren Eis des Winters. Noch bewegt von der ständigen Angst und dem wechselhaften Verlauf der Krankheit betrachten Sie voller Kummer die unauslöschlichen Stigmata am Körper der geliebten Genesenden; in Ihren Ohren erklingt unvermutet eine ersterbende Melodie, von Paganinis rasendem Bogen ausgeführt, und diese mitfühlende Melodie spricht von Ihnen selbst und scheint Ihnen das ganze Gedicht Ihrer verlorenen Hoffnungen zu deklamieren. Von nun an werden die Spuren der Blattern Teil Ihres Glücks sein und unter Ihrem zärtlichen Blick immer die geheimnisvolle Melodie Paganinis singen. Diese Narben werden nicht nur Gegenstand liebevollen Mitgefühls sein, sondern auch körperlicher Wollust, sofern Sie zu jenen empfindsamen Geistern gehören, denen die Schönheit vor allem das Versprechen des Glücks bedeutet. Es sind also in erster Linie die gedanklichen Assoziationen, die lehren, die Hässlichen zu lieben, denn wenn Ihre pockennarbige Geliebte Sie betrügt, laufen Sie Gefahr, sich nur mit einer Pockennarbigen trösten zu können.

Bei gewissen neugierigeren und blasierteren Zeitgenossen leitet sich das Vergnügen an der Hässlichkeit aus einem noch mysteriöseren Gefühl her, dem Durst nach dem Unbekannten und dem Geschmack am Grauenhaften. Dieses Gefühl, dessen Keime jeder von uns mehr oder weniger ausgeprägt in sich trägt, drängt manche Dichter in die Seziersäle und Kliniken und die Frauen zu den öffentlichen Hinrichtungen. Wer das nicht versteht, den kann ich nur bedauern – eine Harfe, der eine tiefe Saite fehlt!

Was die Schreibfehler betrifft, die manche Einfaltspinsel für ein Kennzeichen moralischer Hässlichkeit halten: Muss ich Ihnen eigens erklären, dass sie ein ganzes naives Gedicht der Erinnerungen und Genüsse ergeben können? Der bezaubernde Alkibiades5 stotterte so reizend, und das Kauderwelsch der Kindheit ist göttlich! Hüten Sie sich also davor, junge Adepten der Wollust, Ihre Freundin im Französischen zu unterrichten – sofern man nicht ihr Französischlehrer sein muss, um ihr Liebhaber zu werden.

Es gibt Männer, denen es die Schamesröte ins Gesicht treibt, eine Frau geliebt zu haben, sobald sie merken, dass sie dumm ist. Das sind eitle Besserwisser, dazu bestimmt, sich von den elendsten Disteln der Schöpfung zu ernähren oder von der Gunst eines Blaustrumpfs. Die Dummheit ziert oft die Schönheit; sie verleiht den Augen die düstere Klarheit dunkler Teiche und den öligen Frieden tropischer Meere. Die Dummheit hält die Schönheit frisch; sie hält die Falten fern; sie ist ein himmlisches Kosmetikum; sie bewahrt unsere Göttinnen vor jenen Verletzungen, die für uns hässliche, kluge Denker bestimmt sind!

Manche verargen ihren Geliebten deren Freigebigkeit. Das sind Geizkragen oder Republikaner, denen die Grundsätze der politischen Ökonomie unbekannt sind. Die Laster einer großen Nation sind deren größter Reichtum.

Andere wiederum, gesetzte Personen, vernünftige und moderate, genau im rechten Maß gläubige Deisten, erzürnt es, wenn ihre Frauen sich der Frömmigkeit hingeben. Ach! Was für Tölpel, die nie ein Instrument zu spielen verstünden! Ach! Was für Erzdummköpfe, die nicht begreifen, dass die bewundernswürdigste Form, die die Religion annehmen kann – ihre eigene Frau ist! Ein Ehemann, den es zu bekehren gilt: welch köstlicher Apfel! Eine große Gottlosigkeit: welch herrliche verbotene Frucht – in einer stürmischen Winternacht am Feuer, mit Wein und Trüffeln –, stummer Lobgesang auf das häusliche Glück, Sieg über die unerbittliche Natur, die auf ihre Weise die Götter zu lästern scheint!

Ich käme nicht so bald zum Ende, wollte ich alle schönen und guten Seiten dessen aufzählen, was man als Laster und moralische Hässlichkeit bezeichnet; doch oft geraten herzensgute, intelligente Menschen in eine schwierige und beängstigende, geradezu tragische Situation, wenn sie in der Zwickmühle stecken zwischen dem Hang zur Sittlichkeit, den sie vom Vater geerbt haben, und dem Hang zur Tyrannei, den eine verachtenswerte Frau erkennen lässt. Zahlreiche...

Erscheint lt. Verlag 13.6.2017
Nachwort Tilman Krause
Übersetzer Melanie Walz
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Schlagworte Boheme • Dandy • dark academia books • Dark Academia Bücher • eBooks • Frankreich • Französische Literatur • Klassiker • Paris • Wagner • Weltliteratur
ISBN-10 3-641-20569-7 / 3641205697
ISBN-13 978-3-641-20569-0 / 9783641205690
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