Beklage deine Sünden (eBook)
512 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-20004-6 (ISBN)
Deborah Crombies höchst erfolgreiche Romane um Superintendent Duncan Kincaid und Inspector Gemma James von Scotland Yard wurden mit dem »Macavity Award« ausgezeichnet und für den »Agatha Award« und den »Edgar Award« nominiert. Die Autorin lebt mit ihrer Familie im Norden von Texas, verbringt aber viel Zeit in England, wo ihre Romane angesiedelt sind.
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 26/2017) — Platz 14
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 25/2017) — Platz 10
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 24/2017) — Platz 9
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 23/2017) — Platz 6
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 22/2017) — Platz 2
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 21/2017) — Platz 7
1
Sie stand an der Haltestelle und trat von einem Fuß auf den anderen. Mittlerweile wartete sie schon seit zwölf Minuten, und es war immer noch kein Bus aufgetaucht. Dabei sollte man doch eigentlich meinen, dass man am Freitagabend an der Kensington High Street einen Bus erwischen würde. Das war so ätzend.
Ganz zu schweigen von dem unheimlichen Typen mit dem Kapuzensweatshirt und den Ohrhörern. Er glaubte wohl, sie würde nicht bemerken, wie er zu ihr herüberschaute. In ihrem dünnen weißen Kleid fühlte sie sich seinen Blicken vollkommen ausgeliefert, und sie hatte nicht einmal eine Strickjacke dabei, die sie sich über die Schultern legen konnte. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Warum hatte sie dieses verdammte Teil nur angezogen? Aber natürlich wusste sie, warum sie es getan hatte. Zum einen war es ein wunderschöner Abend, ungewöhnlich warm für diese Jahreszeit, und außerdem hatte sie geglaubt, er würde sich anders entwickeln.
Demonstrativ kehrte sie dem Kapuzentypen den Rücken zu und checkte ihr Handy. Keine Nachrichten. Und auch keine verpassten Anrufe. Anscheinend hatte sie sich geirrt.
Und immer noch kein Bus in Sicht. Der Kapuzentyp rückte ihr noch ein bisschen dichter auf die Pelle.
Das gab den Ausschlag. Sie beschloss, zur Kensington Church Street hinüberzugehen und dort den 52er zu nehmen – womit sie sich auch das Umsteigen am Notting Hill Gate sparen würde. Allerdings musste sie dann noch mal an der Pianobar vorbei, und sie wollte die anderen nicht mehr sehen.
Sie marschierte rasch los und blickte kurz über die Schulter, um sich davon zu überzeugen, dass ihr der Kapuzentyp nicht folgte. Als sie am Club vorüberkam, wummerte Musik aus den offenen Fenstern im ersten Stock. Und sie senkte den Kopf, als ob sie so unsichtbar würde. Als sie vorhin hinausgestürmt war, hatte sie halb gehofft, irgendwer käme ihr nachgelaufen, aber mittlerweile wollte sie keinen von ihnen mehr sehen. Auf gar keinen Fall heute Nacht. Vielleicht nie wieder.
Und mit Hugo war sie wirklich ein für alle Mal fertig. Beim Gedanken an die letzte Nacht errötete sie vor Scham. Sie hatte Schluss machen wollen und sich deswegen schuldig gefühlt. Und nur aus diesem Grund hatte sie noch mal mit ihm geschlafen. Aber heute Abend hatte sie herausgefunden, was er für einer war. O Gott. Dieser Arsch.
Als sie über den Vorplatz der St. Mary Abbots Church abkürzte, klatschten ihre Sandalen auf die Pflastersteine. Jetzt im Dunkeln und da der Blumenstand geschlossen war, wirkte es hier sehr verlassen, und sie war heilfroh, als sie endlich um die Ecke biegen und zur 52er-Haltestelle hinauflaufen konnte.
Erleichtert sah sie, dass der Bus heranrollte. Nachdem er quietschend und seufzend zum Stillstand gekommen war, stieg sie ein. Mit ihrem weit ausgestellten Kleid wollte sie auf keinen Fall die Wendeltreppe hochsteigen und suchte sich einen Platz im Unterdeck. Als sie saß, wandte sie sich von ihrem Spiegelbild im Fenster ab. Zuvor erhaschte sie jedoch noch einen Blick auf die dunklen Locken, die ihr über die Wange fielen, und den unbedeckten Hals. Sie zitterte.
Sie hatte von dem grässlichen Drink, den der Barkeeper ihr vorhin im Club gemacht hatte, nur einen winzigen Schluck genippt und das Glas dann bei irgendwelchen Leuten auf den Tisch gestellt. Jetzt wünschte sie, sie hätte sich die Nase zugehalten und ihn ausgetrunken. Zumindest hätte er ihr vielleicht beim Einschlafen geholfen.
Als der Bus holpernd an der Haltestelle Elgin Crescent anhielt, stieg sie aus und ging den Rest der Strecke zu Fuß. Die Gärten waren dunkel, und auf den Straßen herrschte Stille. Als sie beim Haus ankam, war es ebenfalls unbeleuchtet. Abgesehen vom schwachen Licht in der Souterrainküche.
Sie fischte ihren Schlüssel aus der Handtasche und blieb noch einen Moment auf dem Treppenabsatz stehen. Plötzlich hatte sie es gar nicht mehr eilig hineinzugehen. Wie gerne hätte sie jemanden zum Reden gehabt! Vielleicht ihre Mum. Von ihr würde sie einen guten Ratschlag bekommen. Aber die war meilenweit entfernt, und sie konnte sie nicht um Hilfe bitten. Sie hatte versprochen, niemandem zu erzählen, was sie erfahren hatte. Und dieses Versprechen würde sie auch halten.
Ihr war klar, dass sie sich mit Hugo zum Trottel gemacht hatte. Aber sie wusste auch, dass das auf lange Sicht keine Rolle spielte. Hugo war nie mehr als eine Ablenkung gewesen, und ihr Leben würde ohne ihn genauso weitergehen.
Es war diese andere Sache, die Folgen haben würde, mit denen sie nicht gerechnet hatte. Und die ihr Leben, ganz gleich was passierte, auf die eine oder andere Weise verändern würde.
Jean Armitage stellte sich niemals einen Wecker. Ihr gesamtes Erwachsenenleben war sie, komme, was wolle, jeden Morgen pünktlich um fünf Uhr aufgewacht. Darauf war sie sehr stolz. Ihrer Meinung nach mangelte es Leuten, die den Tag nicht früh begannen, an innerer Stärke.
Als ihr Ehemann Harold noch gelebt hatte, war sie, um ihn nicht zu stören, immer leise aus dem Bett geschlüpft und zum Anziehen auf Zehenspitzen ins Bad geschlichen. Er war Banker gewesen und hatte es für unzivilisiert gehalten, vor sechs aufzustehen.
Inzwischen genoss sie die Freiheit, die Nachttischlampe einschalten zu können, sich anzuziehen, wie es ihr gefiel, und das Bett mit der Genauigkeit einer Internatsschülerin zu machen, ehe sie ins Erdgeschoss hinunterging. An diesem Samstagmorgen im Mai schüttelte sie die Kissen auf und gab dem blumengemusterten Bettbezug einen letzten zufriedenen Klaps. Dann ging sie zum Fenster, zog die Vorhänge auf und blickte einen Moment lang auf den Gemeinschaftsgarten hinaus. Der wolkenlose Himmel schimmerte zartrosa, und gerade in diesem Augenblick vergoldeten die ersten Sonnenstrahlen die Baumwipfel.
Ihre Freude über den Ausblick wurde jedoch von dem halbfertigen Anbau getrübt, der von der Rückseite ihres Nachbarhauses bis in den Garten hineinragte. Jean runzelte die Stirn und schnalzte missbilligend mit der Zunge. Nur weil diese Leute einen Verlust erlitten hatten, gab ihnen das noch lange nicht das Recht, sich auf dem Gemeinschaftseigentum auszubreiten. Sie hatte sich bei der Eigentümerversammlung darüber beschwert, genau wie ein paar andere Gartenanwohner. Bislang war dagegen zwar noch nichts unternommen worden. Aber sei’s drum. Sie war keine Person, die in einem Konflikt klein beigab.
Ein paar Minuten später öffnete sie mit einer Tasse in der Hand das Eisentor, das ihre kleine Privatterrasse vom Gemeinschaftsgarten trennte. Bei schönem Wetter genoss sie es, den Pfad entlangzuspazieren, der um die Gartenanlage herumführte, und alles genau zu inspizieren, während sie an ihrem Kaffee nippte. Der perfekt geharkte Kiesweg knirschte unter ihren Schritten, während ihr gleichzeitig der betörende Duft der Climbing-Cécile-Brunner-Rosen in die Nase stieg. Clive Glenn, der Gärtner, hatte sich dieses Jahr selbst übertroffen. Die Hecken waren makellos geschnitten, die Bäume zierten dichte Laubkronen, und die Spätfrühlingsblumen blühten in voller Pracht. Cornwall Gardens hatte nie prächtiger ausgesehen und war zweifellos der schönste Garten in Notting Hill.
Jean zog sich die Strickjacke enger um die Schultern. Es war noch etwas kühl, aber der Tag versprach sonnig und warm zu werden. Vielleicht würde sie bei dem milden Wetter Gelegenheit haben, bei den anderen Anwohnern um Unterstützung zu werben.
Sie hatte gerade begonnen, sich einen Plan zurechtzulegen, als ihr Blick an etwas hängen blieb. Stirnrunzelnd blieb sie stehen und betrachtete den leuchtend grünen Rasenstreifen, der sich durch die Mitte des Gartens schlängelte. Der Ausblick wurde von etwas Weißem verschandelt, das unter einer Platane lag – in dem dicht mit Bäumen bewachsenen Bereich, den sie insgeheim das Wäldchen nannte. Die verdammten Bauarbeiter von diesem Anbau, schimpfte sie in Gedanken vor sich hin, ließen ihren Müll so rumliegen, dass er durch die Gegend geweht wurde.
Oder hatte es vielleicht einen Einbruch gegeben? Bei diesem Gedanken beschleunigte sich ihr Puls ein wenig. Was immer das für ein Gegenstand war, er lag nicht weit weg vom Gartenschuppen. Und in letzter Zeit hatte es in einer ganzen Reihe von Londoner Gemeinschaftsgärten Einbrüche in solche Schuppen gegeben.
Aber wenn es Einbrecher gewesen waren, hatten sie inzwischen bestimmt schon längst das Weite gesucht, mahnte sie sich selbst zur Ruhe, während sie den Pfad verließ und mit wiedergewonnener Entschlossenheit über das taufeuchte Gras marschierte. Doch als sie näher kam, verlangsamte sie ihre Schritte. Was aus der Ferne wie ein Haufen weißes Plastik oder Papier ausgesehen hatte, erinnerte allmählich verstörend an eine menschliche Gestalt. Bestürzt erkannte Jean, dass es eine Frau war. Eine junge Frau in einem weißen Kleid, ausgestreckt auf der Wiese unter den dicken Ästen einer Platane.
Sie lag auf dem Rücken und hatte das Gesicht ein wenig abgewandt, doch schon als Jean nur noch wenige Schritte entfernt war, erkannte sie bereits am Profil und den schulterlangen dunklen Haaren, um wen es sich handelte. Es war das Kindermädchen, das auf der anderen Seite des Gartens arbeitete.
Erbost stürmte Jean Armitage auf sie zu und holte tief Luft für eine ordentliche Gardinenpredigt. Was für ein dummer Streich! Die jungen Leute von heute schreckten doch wirklich vor gar nichts zurück. Anscheinend hatte sie sich nach einer Nacht in der Stadt zum Schlafen in den Garten gelegt. So ein Verhalten konnte in Cornwall Gardens nicht geduldet werden, nicht unter zivilisierten Menschen. Sobald sie die...
Erscheint lt. Verlag | 15.5.2017 |
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Reihe/Serie | Die Kincaid-James-Romane | Die Kincaid-James-Romane |
Übersetzer | Urban Hofstetter |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Garden of Lies (Kincaid & James 17) |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | britische Detektive • Britischer Krimi • Duncan & Gemma • Duncan Kincaid • eBooks • englische Detektive • Englischer Krimi • Gemma James • Inspector • Kincaid & James • Krimi • Kriminalromane • Krimis • London • Metropolitan Police • Notting Hill • Scotland Yard • Superintendent |
ISBN-10 | 3-641-20004-0 / 3641200040 |
ISBN-13 | 978-3-641-20004-6 / 9783641200046 |
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