Ein kalter Ort zum Sterben (eBook)
480 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-18314-1 (ISBN)
Ian Rankin, geboren 1960, ist Großbritanniens führender Krimiautor. Seine Romane sind seit Jahren fester Bestandteil der internationalen Bestsellerlisten. Er wurde mit dem Order of the British Empire geehrt, außerdem erhielt er den British Book Award und zahlreiche andere renommierte Preise. Er lebt in Edinburgh.
1
Rebus legte Messer und Gabel auf seinen leeren Teller, lehnte sich zurück und betrachtete die anderen Restaurantbesucher.
»Hier wurde jemand ermordet, wusstest du das?«, fragte er.
»Und da hört man immer, es gäbe keine Romantik mehr.« Deborah Quant hielt kurz über ihrem Steak inne. Eigentlich hatte Rebus anmerken wollen, dass sie es mit derselben Sorgfalt zerteilte, mit der sie sich auch den Leichen an ihrem Arbeitsplatz widmete, aber dann war ihm zum Glück der Mord eingefallen, den er für den besseren Gesprächseinstieg hielt.
»Tut mir leid«, entschuldigte er sich und nahm einen Schluck Rotwein, obwohl es auch Bier gab – er hatte die Kellner damit an andere Tische gehen sehen –, aber er wollte versuchen, etwas weniger zu trinken.
Ein Neustart – das war der Grund, weshalb sie essen gingen, sie feierten eine Woche ohne Zigaretten.
Sieben ganze Tage.
Hundertachtundsechzig Stunden.
(Von der einen Kippe, die er drei Tage zuvor einem anderen Raucher draußen vor einem Bürogebäude abgeschnorrt hatte, musste sie ja nichts erfahren. Außerdem war ihm sowieso schlecht davon geworden.)
»Jetzt schmeckst du auch das Essen viel besser, oder?«, fragte sie ihn nicht zum ersten Mal.
»Oh ja«, bestätigte er und unterdrückte einen Hustenreiz.
Anscheinend hatte sie genug von dem Steak und tupfte sich jetzt den Mund mit der Serviette ab. Sie waren in der Galvin Brasserie de Luxe, die zum Caledonian Hotel gehörte, das neuerdings Waldorf Astoria Caledonian hieß. Wer in Edinburgh aufgewachsen war, kannte es als »das Caledonian« oder »Caley«. Vor dem Essen hatte Rebus in der Bar ein paar Geschichten zum Besten gegeben – über den Bahnhof nebenan, der in den sechziger Jahren abgerissen worden war; oder Roy Rogers, der hier den Fotografen zuliebe sein Pferd Trigger die Hoteltreppe hinaufgeführt hatte. Quant hatte brav zugehört und ihm anschließend erklärt, dass er sein Hemd ruhig ein Stück aufknöpfen dürfe. Er war mit einem Finger an der Innenseite des Kragens entlanggefahren, hatte versucht, den Stoff ein bisschen zu dehnen.
»Du merkst aber auch alles«, hatte er gesagt.
»Wer mit dem Rauchen aufhört, nimmt leicht ein paar Pfund zu.«
»Wirklich?«, hatte er erwidert und weiter Erdnüsse aus dem Schälchen geschaufelt.
Jetzt hatte sie Blickkontakt zu einem der Kellner aufgenommen, der daraufhin kam und die Teller abräumte. Die angebotene Dessertkarte lehnten beide ab. »Wir nehmen nur einen Kaffee – entkoffeiniert, wenn Sie welchen haben.«
»Zweimal koffeinfrei?« Der Kellner sah Rebus an.
»Genau«, bestätigte dieser.
Quant schob sich eine rote Locke aus der Stirn und lächelte über den Tisch. »Du hältst dich sehr wacker«, sagte sie.
»Danke, Mum.«
Wieder lächelte sie. »Also gut, dann erzähl mir von dem Mord.«
Er griff nach seinem Glas, fing aber wieder an zu husten. »Müsste nur mal …« begann er und zeigte in Richtung der Toiletten. Er schob seinen Stuhl zurück, stand auf und rieb sich mit einer Hand die Brust. Kaum hatte er den Toilettenraum erreicht, ging er ans Waschbecken, beugte sich darüber und hustete Schleim aus der Lunge. Wie immer war auch ein bisschen Blut dabei. Kein Grund zur Panik, hatte man ihm versichert. Noch mehr Husten, noch mehr Schleim. COPD nannte man das. Chronisch obstruktive Lungenerkrankung. Deborah Quants Lippen waren ganz schmal geworden, als er ihr davon erzählt hatte.
»Kein Wunder, oder?«
Und gleich am nächsten Tag hatte sie ihm ein Probenglas unbestimmten Alters mitgebracht. Darin: ein Stück Lunge, die Bronchien waren ausgezeichnet zu erkennen.
»Nur damit du’s weißt«, hatte sie gesagt und ihm gezeigt, was er längst auch schon am Computer gesehen hatte. Trotzdem hatte sie ihm das Probenglas dagelassen.
»Geliehen oder geschenkt?«
»Für so lange du’s brauchst, John.«
Er spülte gerade das Becken sauber, als er die Tür hinter sich aufgehen hörte.
»Hast du deinen Inhalator zu Hause gelassen?« Er drehte sich zu ihr um. Sie lehnte an der Tür, einen Fuß über den anderen geschlagen, die Arme verschränkt, den Kopf zur Seite geneigt.
»Bin ich nirgendwo vor dir sicher?«, brummte er.
Mit ihren strahlend blauen Augen suchte sie den Raum ab. »Hier gibt’s nichts, was ich nicht schon mal gesehen hätte. Geht’s dir gut?«
»Ging mir nie besser.« Er warf sich Wasser ins Gesicht und tupfte es mit einem Handtuch trocken.
»Demnächst steht Sport auf dem Programm.«
»Heute Abend noch?«
Ihr Grinsen wurde breiter. »Wenn du versprichst, nicht tot auf mir zusammenzuklappen.«
»Aber vorher trinken wir noch unsere köstlichen koffeinfreien Heißgetränke, ja?«
»Und du wirst mich mit einer Geschichte bezirzen.«
»Du meinst den Mord? Das war oben in einem der Zimmer. Die Frau eines Bankiers, hat sich gerne anderweitig vergnügt.«
»Hat ihr Liebhaber sie ermordet?«
»Das war eine der Theorien.«
Sie wischte sich unsichtbare Krümel vom Jackenaufschlag. »Wirst du lange brauchen für deine Geschichte?«
»Kommt drauf an, in welcher Ausführlichkeit ich berichten soll.«
Sie überlegte einen Augenblick. »So lang wie eine Taxifahrt zu dir oder zu mir.«
»Dann beschränke ich mich auf die Höhepunkte.«
Von der anderen Seite der Tür wurde ein Räuspern vernehmbar, anscheinend war sich ein anderer Gast unsicher, was die Etikette in einer Situation wie dieser vorsah. Er nuschelte eine Entschuldigung, schob sich an ihnen vorbei und entschied sich für eine der sicheren Kabinen.
Rebus und Quant kehrten grinsend an ihren Tisch zurück, auf dem bereits zwei entkoffeinierte Kaffee warteten.
Detective Inspector Siobhan Clarke saß mit einem guten Buch und den Resten eines Fertiggerichts zu Hause, als sie der Anruf einer Freundin erreichte, die in Bilston Glen in der Telefonzentrale saß.
»Normalerweise würde ich dich nicht damit behelligen, Siobhan, aber als ich den Namen des Opfers gehört habe …«
Also hatte Clarke sich in ihren Vauxhall Astra gesetzt und auf den Weg ins Royal Infirmary gemacht. Das Krankenhaus lag am südlichen Stadtrand, und um diese Uhrzeit gab es dort jede Menge Parkplätze. Sie zeigte ihren Ausweis am Schalter der Notaufnahme und bekam den Weg gewiesen, sie passierte eine lange Reihe abgetrennter Nischen und schaute hinter jeden Vorhang. Eine alte Frau mit fast transparenter Haut strahlte sie von ihrer fahrbaren Trage aus an. Auch bei anderen sah sie hoffnungsvolle Blicke – bei Patienten und Angehörigen. Ein betrunkener Jugendlicher, dem noch das Blut vom Kopf tropfte, wurde von zwei Pflegern beruhigt. Eine Frau mittleren Alters erbrach sich in eine Pappschale. Ein zusammengekauertes Teenagermädchen stöhnte immer wieder leise. Dann entdeckte Clarke ihn, das heißt eigentlich zuerst seine Mutter. Gail McKie beugte sich über ihren Sohn, strich ihm das Haar aus der Stirn. Darryl Christie hatte die Augen geschlossen, sie waren geschwollen und blau angelaufen, die Nase ebenfalls, getrocknetes Blut verklebte die Nasenlöcher. Eine mit Schaumstoff abgepolsterte Kopfstütze war ihm angelegt worden, die auch das Genick stabilisierte. Er trug einen Anzug, das Hemd war bis zum Hosenbund aufgeknöpft. Er hatte blaue Flecken auf Brust und Bauch, aber er atmete. Über eine Fingerklemme war er an eine Maschine angeschlossen, die seine Lebensfunktionen überwachte. Gail McKie drehte sich zu dem Neuankömmling um. Sie war zu stark geschminkt, und Tränen hatten Striemen auf ihrem Gesicht hinterlassen. Ihre Haare waren strohblond gefärbt und oben auf dem Kopf zum Pferdeschwanz zusammengebunden. Schmuck baumelte an beiden Handgelenken.
»Ich kenne Sie«, stellte sie fest. »Sie sind von der Polizei.«
»Tut mir leid, das mit Ihrem Sohn«, sagte Clarke und trat ein Stück näher. »Geht es ihm gut?«
»Sehen Sie ihn sich doch an!« Ihre Stimme wurde lauter. »Sehen Sie sich an, was die Schweine mit ihm gemacht haben! Erst Annette und jetzt das …«
Annette war noch ein Kind, als sie ermordet wurde, der Täter war gefasst und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden – aber es dauerte nicht lange, bis auch er starb, erstochen von einem Insassen, den – höchstwahrscheinlich – Annettes Bruder Darryl dazu angestiftet hatte.
»Wissen Sie, was passiert ist?«, fragte Clarke.
»Er hat in der Auffahrt gelegen. Ich hab den Wagen gehört und mich gefragt, warum das so lange dauert. Die Sicherheitsbeleuchtung war angesprungen und wieder ausgegangen, aber von ihm keine Spur, dabei stand sein Essen fertig auf dem Herd.«
»Dann haben Sie ihn gefunden?«
»Auf dem Boden neben seinem Wagen. Die müssen sich auf ihn gestürzt haben, als er ausgestiegen ist.«
»Aber Sie haben nichts gesehen?«
Darryl Christies Mutter schüttelte langsam den Kopf, richtete ihre gesamte Aufmerksamkeit auf ihren Sohn.
»Was sagen die Ärzte?«, fragte Clarke.
»Darauf warten wir noch.«
»Darryl war noch gar nicht bei Bewusstsein? Konnte noch gar nicht sprechen?«
»Was wollen Sie von ihm hören? Sie wissen genauso gut wie ich, dass Cafferty dahintersteckt.«
»Wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen.«
Gail McKie grinste spöttisch und richtete sich gerade auf, als sich zwei Personen in weißen Kitteln, ein Mann und eine Frau, an Clarke vorbeischoben.
»Ich empfehle einen Ultraschall und eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs. Soweit wir feststellen konnten, ist vor allem...
Erscheint lt. Verlag | 13.3.2017 |
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Reihe/Serie | Ein Inspector-Rebus-Roman | Ein Inspector-Rebus-Roman |
Übersetzer | Conny Lösch |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Rather be the Devil |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Big Ger Cafferty • eBooks • Edinburgh • John Rebus • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Malcolm Fox • Nummer-1-Bestseller in Großbritannien • Schottland • Siobhan Clarke • spiegel bestseller • Tartan noir |
ISBN-10 | 3-641-18314-6 / 3641183146 |
ISBN-13 | 978-3-641-18314-1 / 9783641183141 |
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