Die Zitronenschwestern (eBook)
448 Seiten
Penguin (Verlag)
978-3-641-19540-3 (ISBN)
Der erste Roman der Bestsellerautorin
Elettras früheste Kindheitserinnerung ist der Duft von Anisbrötchen. Ihre Mutter war eine begnadete Bäckerin, deren Köstlichkeiten direkt den Weg zum Herzen der Menschen fanden. Doch seit sie schwer erkrankt ist, steuert die Bäckerei der Familie auf den Bankrott zu. Und Elettra ist ganz auf sich allein gestellt, denn sie erfuhr nie, wer ihr Vater ist. Als sie von einer kleinen Insel im Mittelmeer hört, auf der ihre Mutter die glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht haben soll, reist sie kurz entschlossen dorthin. Inmitten von Zitronenhainen stößt sie auf ein verlassenes Kloster, das eine alte Liebe verbirgt - und vielleicht das große Glück.
Valentina Cebeni wurde 1985 in Rom geboren, doch sie trägt das türkisblaue Meer, das die Küste Sardiniens umspielt, im Herzen. Bereits seit ihrer Kindheit hat sie zwei große Leidenschaften: für mitreißende Geschichten und für das Kochen und Backen. Sie liebt es, über die Rezepte ihrer Familie die gemeinsame Vergangenheit wiederzuentdecken. Mit ihren gefühlvollen Romanen hat sie sich in die Herzen ihrer Fans geschrieben.
4.
Die Fähre zwischen der Isola del Titano und dem Festland fuhr in die geschützte Hafenbucht ein. Hinter dem mächtigen Schiff lagen eine breite Spur goldfarbener Schaumkronen und eine schier endlos lange Reise. Davor ragten riesige, von Wacholder und wilder Iris überwachsene Felsen auf, von denen sich ein Leuchtturm abhob.
Mit einem Becher Kaffee in der Hand und tief in ihre Jacke vergraben, stand Elettra auf der Brücke und betrachtete die stolze Schönheit der Landschaft vor ihr. Als sie hörte, dass der Motor der Fähre abgestellt wurde und der Bug sich mit metallenem Kreischen öffnete, seufzte sie erleichtert auf. Kurz darauf lief sie über den schwankenden Steg aufs Festland, fest entschlossen, das Panorama zu genießen: den kleinen Touristenhafen mit dem knappen Dutzend Anlegestellen und den Stegen, daneben der Hafen für die Fischer, ein verwitterter Holzsteg voller Reusen und Kisten in der prallen Sonne, dahinter ein Hügel, der mit Erika, rotem Wacholder und Erdbeerbäumen überwuchert war.
Die Insel schien sie willkommen zu heißen. Lächelnd strich sie sich eine Locke aus der Stirn, während sie mit der anderen Hand die Tasche mit den Brötchen umklammert hielt. Dann atmete sie tief durch. Endlich war sie auf diesem Fleckchen Erde mitten im Meer angekommen und konnte sich nicht sattsehen. Um sie herum das Chaos eines morgendlichen Marktes, improvisierte Stände mit Früchten, Strandschirme gegen die Sonne, daneben unzählige Paletten. Hinter den Verkaufstischen standen Frauen in schwarzen, wadenlangen Baumwollröcken und dunklen Blusen. Das silberne, zu festen Kränzen geflochtene Haar stand im Kontrast zu ihren erhitzten Gesichtern. Sie pressten Papiertüten gegen die Brust, aus denen Tomaten und fast orangenfarbene Pfirsiche herauslugten. Die Kundinnen hielten beim Gehen den Kopf gesenkt und ließen sich wortlos Früchte und Gemüse abwiegen, selbst beim Bezahlen wechselten sie kein Wort miteinander. Die Frauen waren stumm und ihre Augen ausdruckslos. Niemand sprach sie an, und die in Trauergewänder gehüllten Gestalten schienen ihre Umgebung gar nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Wie eine Prozession von Geistern, dachte Elettra. Die Schattengestalten, denen die Gluthitze offenbar nichts ausmachte, traten zurück, um die Ankömmlinge hindurchzulassen. Die Einheimischen begegneten ihnen, als hätten sie die Pest. Komisch, dachte sie wieder und beobachtete die schwarz gekleideten Frauen, die sich nach und nach in den Gassen des Städtchens verloren.
Elettra öffnete ihre Tasche, um einen Blick auf ihre Backwaren zu werfen, aber die Reise hatte ihnen wider Erwarten nichts anhaben können. Der Geruch nach Anis war sogar noch intensiver geworden. Die Brötchen kamen ihr vor wie kleine, würzig duftende Kometen, die ihr den Weg zur Wahrheit weisen würden.
Bevor sie sich eine Unterkunft besorgte – sie war überhastet aufgebrochen und hatte völlig vergessen, ein Zimmer in einer billigen Pension (alles andere überstieg ihr Budget) zu reservieren –, wollte sie erst einen anderen Ort aufsuchen.
Auf einer Piazza fragte sie eine Einheimische nach dem Weg und wandte den Blick nicht von den knotigen Händen ab, die ihr die Richtung wiesen. Die schmalen Augen der Frau, die ihr bis zur Schulter reichte, und die veränderte Tonlage, nachdem sie das Kloster erwähnt hatte, ignorierte sie einfach.
»Sie meinen das von Lea und diesen Elendigen auf der anderen Inselseite?«, fragte die Frau und musterte sie von Kopf bis Fuß.
Elettra schüttelte den Kopf, sie verstand den Dialekt der Alten nur schwer. »Nein, nein, ich meine das Kloster der Heiligen Elisabeth«, wiederholte sie verwirrt.
Die Frau verzog das Gesicht und schlug sich mit der Faust auf die Brust, um einen Hustenanfall zu unterdrücken. »Nun geh schon, möge Gott dir auf dem Weg zu diesem unseligen Ort beistehen«, sagte sie kurz angebunden und lief weiter.
Hilflos und mutterseelenallein stand Elettra auf dem staubigen, von Häusern umgebenen Platz. »Kein sehr freundlicher Empfang«, murmelte sie und machte sich verzagt auf den Weg.
Bald verlor sie in der sonnenverbrannten, verwucherten Landschaft die Orientierung. Zu Hause hatte sie sich noch über Esthers Bedenken, was die Insel und ihre Eigenarten anging, lustig gemacht, aber jetzt kam ihr der Gedanke, dass ihre Freundin vielleicht doch nicht übertrieben hatte. Immer wieder bog Elettra auf unbefestigte Straßen und Wege ab. Was hatte die zahnlose Alte noch mal gesagt? Bis zum Kloster war es weniger als eine halbe Stunde, war sie sich anfangs sicher gewesen, aber nach einer Stunde auf der einsamen Straße, auf der es nichts außer Eidechsen und streunende Hunde gab, blieb sie erschöpft stehen.
Von dem Kloster noch immer keine Spur. Sie wischte sich über die Stirn und ging den Weg ein Stück zurück. Wo war sie nur falsch abgebogen? Die Straßen waren hier alle ähnlich, nichts als Erde und Steine. Die Feldwege, die sich durch die Vegetation schlängelten, sahen einer aus wie der andere, und die sengende Sonne erschwerte die Orientierung.
Trotzdem, hier ist es wie im Paradies, dachte Elettra, als sie auf einer Hügelkuppe hinter einer Kurve ein Gebäude entdeckte. Von dem alten, heruntergekommenen Anwesen blätterte überall der Putz ab und zwischen den verbliebenen Dachziegeln wuchs Unkraut. Vielleicht war dies ja das Kloster? Zielstrebig ging sie darauf zu.
Oben auf dem Hügel angekommen, wandte sie sich um und nahm die Landschaft in Augenschein. Unter ihr erstreckte sich ein Tal, so schön, dass sie völlig vergaß, wie müde sie war. Ihre Augen tränten fast von dem gleißenden Sonnenlicht, doch die Farbe des Meeres in den Buchten zwischen ausgeblichenen Felsen war sensationell, sie erinnerte an Nacht und Tiefe.
Sie begriff, woher diese Insel ihren Namen hatte. Vor ihr ruhte, auf einer Seite über die gesamte Länge der Insel bis ins Grün hineingestreckt, ein Gigant. Die Gegenden vor ihm und in seinem Rücken hätten nicht unterschiedlicher sein können: auf der einen Seite der pittoreske, belebte Hafen, auf der anderen das Kloster, umgeben von kargen, unwirtlichen Höhenzügen. Hier hatte die Natur ganz offensichtlich die Herrschaft übernommen und die Wildnis wirkte undurchdringlich. Verlassene Häuser hatte sie ebenso vereinnahmt wie die vom Winter zerborstenen Bäume. Dazwischen immer wieder helle, gewundene Streifen: einsame Wege.
In diese Richtung waren die Frauen in Schwarz vom Markt gegangen, wie Elettra beobachtet hatte, eine Prozession aus dunklen, gebeugten Gestalten, die schweigend Körbe auf den Köpfen balancierten. Irgendwann waren sie wie verschluckt gewesen von der nahezu unbewohnten Wildnis, in der nichts anderes zu gedeihen schien als Unkraut.
Wer weiß, was sich dort unten befindet, dachte Elettra und lächelte dem Giganten zu, dem Wächter der Insel, auf der die Luft nach Geheimnissen duftete. Vorsichtig drückte sie das halb geöffnete Klostertor auf, das zwei mächtige Zitronenbäume flankierten.
Die kühle Luft im Kreuzgang erfrischte sie. Sie auf dem Rücken zu spüren, war angenehm, ebenso die Stille zwischen den Säulen. Sie lief auf dem Gang einmal um den kleinen Platz herum und stolperte ein paar Mal über kaputte Marmorplatten, weil sie nach oben geschaut hatte. Die Brötchen schienen unterdessen ein Eigenleben zu entwickeln und pochten wie Herzen gegen den Stoff der Tasche.
Hört auf, dachte Elettra und schlug kurz mit der flachen Hand auf die Tasche. Ihr war klar, wie verrückt das aussehen musste, aber in den vergangenen Tagen war die Grenze zwischen der realen und einer irrealen Welt fließend geworden.
Sie lauschte angestrengt, um sich zu versichern, dass sie nicht die einzige Menschenseele in diesen moosüberwachsenen Mauern war, aber jegliches Leben schien sich, wenn überhaupt, hinter den Türen des Kreuzgangs zu verbergen. Eine davon war nur angelehnt und Elettra lugte neugierig durch den Spalt. Es war nichts zu hören, nicht einmal das Rascheln von Stoff.
Widerstrebend setzte sie ihren Erkundungsgang fort, doch als sie die mit Zitronenbäumen voll goldgelber Früchte und blühenden Hortensien bewachsene Nische entdeckte, machte ihr Herz einen freudigen Sprung.
Dort war sie, die Heilige.
Mit vor Aufregung trockenem Mund ließ Elettra die Tasche fallen. Sie spürte die intensive Wärme auf ihrer Haut wie ein sanftes Streicheln nach großer Anstrengung, zugleich durchströmte ein tiefes Glücksgefühl ihren müden Körper. Sie umklammerte Eddas Medaillon und atmete tief durch. Genau danach suchte sie, nach ihrer Geschichte – und der ihrer Mutter.
Die Faust gegen die Brust gepresst und mit einem Gebet auf den Lippen, näherte sie sich der Heiligen, um sie vorsichtig zu berühren.
»He, du«, sagte sie liebevoll, während ein herber Zitrusduft sie umwehte.
In ihren Ohren hallte Evas Ermahnung wider, sich auf dem schnellsten Weg auf die Insel zu begeben, dann erschien vor ihrem geistigen Auge die Fahrkarte, die sie zufällig gefunden hatte, als hätte ihre Mutter sie nicht nur vor ihr, sondern auch vor sich selbst versteckt.
»Kann ich Ihnen weiterhelfen?«
Elettra erstarrte und zog mit einem Ruck die Hand weg. Sie trat einen Schritt zurück, räusperte sich und hob ihre Tasche auf.
»Ja, bestimmt. Ich war auf der Suche nach der Heiligenfigur, um ehrlich zu sein«, stotterte sie, verärgert über ihre Unsicherheit. Sie raffte ihr Haar im Nacken und drehte sich um wie ertappt. Ihre Beine zitterten, das Herz klopfte ihr bis zum Hals. »Ich habe gerufen und niemanden bemerkt, daher bin ich einfach eingetreten. Tut mir leid, ich wollte...
Erscheint lt. Verlag | 13.3.2017 |
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Übersetzer | Sylvia Spatz, Brigitte Lindecke |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | La Ricetta Segreta per un Sogno |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Backbuch • Backen • Cristina Caboni • Die Rosenfrauen • eBooks • Familiensaga • Frauenromane • Geheimnis • Italien • italienisches Kochbuch • Kochbuch • Kochbücher • Kochen • Kuchen • Liebesromane • Mediterrane Küche • Rezept • Romane für Frauen • Sardinien • Spiegelbestseller |
ISBN-10 | 3-641-19540-3 / 3641195403 |
ISBN-13 | 978-3-641-19540-3 / 9783641195403 |
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