Im Regen erwartet niemand, dass dir die Sonne aus dem Hintern scheint (eBook)
272 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-97630-5 (ISBN)
Bernhard Blöchl, Jahrgang 1976, ist Autor und Journalist aus München. Als Redakteur der Süddeutschen Zeitung befasst er sich mit Kultur in München und Bayern, seine Themen sind Film, Literatur und Pop. Blöchl schreibt Unterhaltungsromane und betreibt unter lieblingssaetze.de ein virtuelles Museum der schönen Sätze.
Bernhard Blöchl, Jahrgang 1976, ist Autor und Journalist aus München. Als Redakteur der Süddeutschen Zeitung befasst er sich mit Kultur in München und Bayern, seine Themen sind Film, Literatur und Pop. Blöchl schreibt Unterhaltungsromane und betreibt unter lieblingssaetze.de ein virtuelles Museum der schönen Sätze.
DAS GLÜCK DER ANDEREN IST EIN ARSCHLOCH
1) Das Glück der anderen traf ihn mit voller Wucht.
Knoppke zupfte gerade seine orange Weste zurecht, die neuerdings in der Hüftgegend bedenklich spannte, als das Tor fiel, welches das Schauspiel vor seiner Nase eröffnete. Er hob den Kopf und schaute auf Hunderte entrückter Gesichter, genauer gesagt schaute er in Hunderte Kehlen, so weit standen ihre Münder offen. Knoppke sah Fäuste, überall Fäuste, wie sie durch die flirrende Luft tanzten, Kerle, die zu Kindern wurden und flennten, wahlweise ihre Freundinnen knutschten oder die Freundinnen der Nachbarn oder völlig fremde Frauen. Er entdeckte graubärtige Matrosen in diesem hochhaushohen Wimmelbild, Tätowierte, die ihre Fish-&-Chips-Plauzen enthüllten und ihren Nebenmännern Bierküsse auf die Glatzen drückten. Ein blaues Meer des Überschwangs schwappte durch das rote Stadion, als Knoppke sich am Bauch kratzte.
Diese Halunken, dachte er voller Respekt für die Gäste aus London, denen er den Triumph zu keiner Zeit der Partie zugetraut hätte. Knoppke konnte den entscheidenden Elfmeter zwar nicht sehen, sondern nur hören, ein dumpfes, weit entferntes Flappen, dafür erlebte er hautnah, was dieser eine Schuss mit den Menschen machte, die ihn live und ganz genau verfolgten. Der Schuss zum High-Sein. Die Überdosis Gefühl.
Knoppke stand ein paar Meter vor dem Block der Auswärtsmannschaft in der Münchner Arena und sah den Fans der Sieger dabei zu, wie sie sich gegenseitig in die Arme fielen und rangelten. Einer zog sogar seinen Schwanz aus dem Hosenschlitz, einen gar nicht mal so mickrigen, wie Knoppke befand, so einen konnte man schon herzeigen. Später würden alle das Teil auf YouTube begutachten können, in dem verwackelten Video eines dieser Hobby-Filmer. Ein Glück, dachte Knoppke, dass es diese Dinger zu seiner Zeit noch nicht gegeben hatte, also diese Handykameras. Große Schwänze hatte es immer gegeben, kleine übrigens auch, weiß Gott. Aber wenn das Penisfechten in der Kabine des WSV im Netz gelandet wäre, damals in der A-Jugend, dann hätten sich ja doch nur wieder alle aufgeregt.
Drei Jahrzehnte später waren noch viel mehr Erwachsene aus dem Häuschen, es roch nach Silvester und Testosteron, nach feuchtem Gras und dem Schweiß der Massen. So sieht also Ekstase aus, dachte Knoppke und versuchte sich daran zu erinnern, wann er zuletzt so erregt war wie diese Meute. Wann er zuletzt geweint hatte. Oder sich entblößt hatte. Oder geschrien, getanzt, irgendwas. Musste lange her sein. Ihm kam nichts in den Sinn.
Gar nichts.
Einem Impuls folgend trat Knoppke ein paar Schritte zurück, so wild rüttelten die Fans an der Absperrung mit den mitgebrachten Union-Jack- und Vereins-Flaggen, so dröhnend und schrill war das Gebrüll auf den Rängen. Er konnte schon jetzt den Pfeifton hören, der ihn morgen begleiten würde, einen Ton, der sich anfühlen würde wie ein Ohrwurm, der seine Melodie vergessen hatte.
Morgen. Für die Fans des FC Chelsea existierte morgen nicht, für sie gab es nur den Moment. Diesen Moment für die Ewigkeit, von dem sie noch ihren Enkeln erzählen würden. Diesen Moment, den Knoppke nur indirekt erlebte, weil er ihm den Rücken zukehrte. Aber er hatte sich daran gewöhnt. Als Security Steward bestand sein Los darin, mittendrin zu sein und nicht dabei. Mitten im Stadion, in das die halbe Welt wollte, nur nicht als Spieler oder Trainer, noch nicht einmal als rechte Hand des Aufwärmprogrammkoordinators oder als Maskottchen im bärigen Plüschanzug. Und eben auch nicht als Zuschauer. Knoppke war der Zuschauerzuschauer, das Neutrum in Orange, dessen Fluch es war, nicht hinsehen zu dürfen auf die Ballstafetten und Laufwege, die Volleyschüsse und Blutgrätschen. Auf das Glück des kleinen Mannes, wie ihn Silvi gerne aufzog.
Silvi war seine Lebensabschnittsgefährtin, wie sie ihren gemeinsamen Status kategorisierte, und als solche hatte sie für Fußball weniger übrig als Knoppke für diese Wellnesshotels, in die sich Silvi regelmäßig hineinbuchte, und wenn es schlecht lief für Knoppke, dann buchte sie nicht nur sich, sondern auch ihn ein. Dabei wusste er noch nicht einmal, worauf es beim Wellness eigentlich ankam, und noch viel weniger glaubte er daran, dieses postmoderne Utopia in einem Hotel zu finden, in dem sich viel zu viele Menschen gegenseitig auf den Sack gingen, im wahrsten Sinne des Wortes, da brauchte man sich nur eine überfüllte Sauna vorzustellen.
Je länger er den hüpfenden Engländern beim Feiern zusah, immer auf der Hut, ob nicht der eine oder andere Rabauke auf dumme Gedanken kam, Grenzen überschritt und zurechtgewiesen werden musste, desto mehr reifte seine Erkenntnis: Die Blauen, denen er seit mehreren Stunden in die Gesichter sah, waren die unverdienten Gewinner dieses Matches. Darüber würde Knoppke nicht mit sich diskutieren lassen, wahre Sieger sahen anders aus, und er wusste, wie man ein Fußballspiel zu lesen hatte. Die Wahrheit, davon war Knoppke überzeugt, lag nicht auf dem Platz, sondern neben dem Platz, in den Gesichtern des Publikums. Man brauchte lediglich die Fans zu studieren, wie sich deren Lippen von einem Moment auf den anderen auseinanderbewegten, wie klare Blicke in Schockstarren verfielen und noch interessanter: Wie lange diese anhielten; wie heftig Tränen geschminkte Wangen übermalten und wie schnell Frust in Freude umkippte, das alles brauchte man nur zu studieren, und schon wusste man Bescheid. Die Tribüne wurde zum Barometer der Gefühle, der Jubel der anderen war seine Vorstellung des Glücks.
Knoppke wechselte das Standbein, weil sein linkes Knie wieder schmerzte, und kam zu dem Schluss, dass es ein gutes Spiel gewesen sein musste, ein intensives, ein dramatisches. Und einen kurzen Moment lang fuchste es ihn dann doch, dass er es verpasst hatte. Die Bayern, die vor zehn Minuten das Endspiel der Champions League im eigenen Stadion vergeigt hatten, das legendäre »Finale dahoam«, wie es von allen Zeitungsständern der Stadt brüllte, waren ihm so wurscht wie der Currywurst das Zwölf-Uhr-Läuten. Als Zugezogener und treuer Anhänger des Wuppertaler SV war es ihm bislang nicht gelungen, sich für den Stern des Südens zu begeistern. Er hatte es noch nicht einmal probiert, wozu auch? Man konnte sich schließlich nicht aussuchen, für wen sein Fanherz schlug. Fan war man von Geburt an, alte Knoppke-Regel. Knoppke war Fan seines Großvaters mütterlicherseits und Fan vom WSV, daran gab es nie etwas zu deuteln. Die Gäste aus London waren ihm ebenfalls egal. Wenn es um die Insel ging, dann mochte er die Schotten lieber als die Engländer, die waren ihm stets zu vornehm und nippten eindeutig zu viel milchigen Tee. Guten Whisky hatten sie auch nicht zu bieten, wozu also noch überlegen? Aber gesehen hätte er die Partie trotzdem gerne, dafür war er viel zu sehr Sportsmann.
Warum musste er ausgerechnet im Finale hier stehen, fragte sich Knoppke in dem Moment, als ihn ein geworfener Chelsea-Schal nur knapp verfehlte. Er hob ihn auf und schleuderte ihn zurück, was aber niemanden interessierte, nicht einmal den Werfer selbst, der, eben noch kurz vor der Absperrung herumhüpfend, mittlerweile auf den Schultern eines Mannes mit Drogba-Maske saß und Tränen schluchzte.
Meist nahmen ihn die Zuschauer überhaupt nicht wahr, Knoppke kam es so vor, als würden sie durch ihn hindurchstarren, dabei war er von jener bulligen Statur, breites Kreuz, breite Knie, breite Stirn, wie sie jeder Coach gern in seinem Team sah. Nur halt nicht mit Bauch, damit wäre kein Spiel zu gewinnen gewesen, weder in den Achtzigern noch heute. Komfortranzen, hatte Silvi vorgestern gefrotzelt, ihre Stimme war überzogen gewesen mit dem Frust einer hungrigen Biomarktkundin. Einer hungrigen Biomarktkundin, die im Regal das gepoppte Amaranth nicht finden konnte, weil es ihr ein hibbeliger Grünschnabel weggeschnappt hatte. Hunger den freiwilligen Hungrigen, hatte Knoppke gedacht. Erwidert hatte er nichts.
Jedenfalls war es eines dieser Spiele, dämmerte es ihm, von denen sich die Leute hinterher gegenseitig berichten würden, wo sie damals gewesen waren, was sie damals angehabt, mit wem sie hinterher geschlafen und welchen Song sie zu welcher Stellung gehört hatten. »Wir wuppen das«, hatte Knoppke gesagt, als er den Anruf von der Sicherheitsfirma bekam und seinen Dienst bestätigte. Mehr als an die Bedeutung dieses Fußballspiels hatte er an seinen Seelenfrieden gedacht.
Übermorgen würden Silvi und er nach Gran Canaria fliegen, und als wären drei Wochen zu zweit in der viel zu heißen Sonne nicht schon unerträglich genug, würde er seiner Lebensabschnittsgefährtin bei einer besonders heiklen Sache zur Seite stehen müssen. Vor Kurzem war Silvis größte Liebe unter die Räder gekommen, also ihr Hund, und weil sie den Straßenköter seinerzeit von den Kanaren nach München gerettet hatte, bestand sie nun darauf, Diegos Asche zurück nach Gran Canaria zu bringen. Knoppke hielt das für übertrieben, der Ostpark hätte es auch getan, aber solche Gedanken behielt er lieber für sich, sonst wären die Wortfluten bereits vor dem Abflug über ihn hereingebrochen.
Insgeheim war er also froh gewesen, vor dieser Reise noch eine Weile allein sein zu können und nicht so viel reden zu müssen. Allein war er im Stadion immer gewesen. Allein unter 66.000, doch, das ging gut.
2) Nun war es vielleicht nicht die beste Idee seines Lebens gewesen, mitten in der Nacht noch zu Silvi zu fahren. Aber das konnte Knoppke natürlich nicht wissen, als er sich Stunden nach dem Spielende die orange Weste abgestreift, sich in seinen Ford Transit gesetzt und festgestellt hatte,...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2017 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Belletristik • Buch • Bücher • eBook • Fußball • Gegenwartsliteratur • Humor • humorvoll • Lebensglück • Männerroman • Reisen • Road-Novel • Roadtrip • Roman • Schottische Highlands • Schottland • Tragikomik • Unterhaltung |
ISBN-10 | 3-492-97630-1 / 3492976301 |
ISBN-13 | 978-3-492-97630-5 / 9783492976305 |
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Größe: 419 KB
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