Japanische Perlen (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
400 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-98337-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Japanische Perlen -  Sujata Massey
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Nur widerwillig ist Rei Shimura ihrem Verlobten Hugh von Japan nach Washington gefolgt. Und während sie sich noch nach Japan zurücksehnt, vermittelt ihr ihre Cousine Kendall einen vielversprechenden Job: Sie soll die Innenausstattung für ein trendiges Japanrestaurant übernehmen. Doch als Kendall bei dessen Eröffnung entführt wird, sind wieder Rei Shimuras Qualitäten als Ermittlerin gefragt ...

Sujata Massey, geboren 1964 als Tochter einer Deutschen und eines Inders in Sussex, verbrachte ihre Kindheit und Jugend in den USA und lebte dann mehrere Jahre in Hayama, Japan. Ihr Krimi-Debüt »Die Tote im Badehaus« wurde mit dem renommierten Agatha-Award ausgezeichnet. Dem folgten weitere Romane mit Rei Shimura: »Zuflucht im Teehaus«, »Bittere Mandelblüten«, »Tödliche Manga«, »Der Brautkimono«, »Die Tochter des Samurai«, »Japanische Perlen«, »Der japanische Liebhaber« und »Der Tote im Sumida«. Zuletzt erschien »Brennender Hibiskus«, ihr zehnter Rei Shimura-Krimi. Sujata Massey lebt in Baltimore und kehrt so oft wie möglich nach Japan zurück.

1

Es erschienen eine Linie und ein Schatten.

Oder waren es zwei Linien? Ich betrachtete den Plastikstreifen auf dem Waschbeckenrand im Bad genauer. Eine Linie bedeutete nein, zwei ja. Eine Definition für eine Linie und einen Schatten gab es nicht.

»Na, wie sieht’s aus?« fragte Hugh von der anderen Seite der Tür aus.

»Wenn ich das wüßte«, antwortete ich, öffnete die Tür und hielt ihm den Streifen hin wie ein Hors d’oeuvre. »Versuch du, dir einen Reim drauf zu machen.«

»Eine Linie, ist doch ganz einfach.«

»Siehst du den Schatten daneben nicht?«

»Eine richtige Linie wäre pink. Das ist bloß eine Falte im Streifen.« Er schlüpfte in seinen Burberry, denn der Washingtoner Frühling präsentierte sich in diesem Jahr ziemlich verregnet.

»Wenn’s doch eine Erklärung für solche Schatten gäbe …«

»Für Schatten, die nur du siehst. Schatz, wenn dich das wirklich so sehr beschäftigt, dann ruf doch bei der Hotline des Herstellers an.«

»Wenn ich das mache, sagen sie mir sicher, ich soll zum Arzt gehen.«

»Vielleicht bedeutet das ja, daß du ein bißchen schwanger bist.« Hugh legte seine Hand unter meinem Flanellpyjama auf meinen nackten Bauch.

»Eine ungeplante Schwangerschaft ohne Hochzeitstermin wäre wirklich die reine Freude«, sagte ich und schob seine Hand weg. Hugh und ich waren seit genau drei Monaten verlobt. Am Strand von Hawaii hatten wir sogar mit dem Gedanken an eine Blitzheirat gespielt, waren jedoch zu dem Schluß gekommen, daß wir das unseren Familien nicht antun konnten. Nun wollten wir die Feier in Washington veranstalten, aber die Sache ging nicht recht voran, weil ich Lokale und Catering in der Stadt noch nicht sonderlich gut kannte. Alles in allem hatte ich außer meinem künftigen Mann nichts vorzuweisen.

»Meine Cousine hatte ihr Kind bei der Hochzeit schon, und es war trotzdem das schönste Fest seit Jahren«, erklärte Hugh und ließ seinen geschlossenen Schirm durch die Luft wirbeln, bevor er ihn wieder auffing. Fast beneidete ich ihn wegen seines Optimismus hinsichtlich des Babys, des Verfahrens, das er gerade organisierte, und des Lebens allgemein. Nicht einmal der Washingtoner Regen machte ihm etwas aus, weil er ihn an Edinburgh erinnerte. Ich bevorzugte die hart auf die Dächer Tokios prasselnden Tropfen im Herbst und die warmen, schwülen Schauer im Frühling, zu Beginn der japanischen Regenzeit, doch ich fand mich mit dem Washingtoner Wetter ab, weil es für die Aussicht auf eine gemeinsame Zukunft mit Hugh stand.

Nachdem wir uns über das Abendessen unterhalten hatten – Risotto mit angerösteten Zwiebeln und Jakobsmuscheln, falls es die irgendwo gab, dazu grüner Salat –, machte Hugh sich auf den Weg, und ich bereitete mir ein o-nigiri zu. Der Reis vom Vorabend war noch warm im Kocher, und im Kühlschrank befand sich ein kleiner Rest Lachs. Ich rollte alles in ein Stück Seetang und briet es kurz an.

Mit der linken Hand aß ich das Reisbällchen, während ich mit der rechten durch die Online-Version des Daily Yomiuri scrollte. Mittlerweile lebte ich seit einem halben Jahr nicht mehr in Japan, und ich hatte das Gefühl, daß meine Sprachkenntnisse sich drastisch verschlechterten. Als bafu – halb Japanerin, halb Amerikanerin – verstand ich es als meine Pflicht, auf dem laufenden zu bleiben. Ich übersprang die schlechten Wirtschaftsnachrichten und wandte mich den für Ausländer bestimmten Sprachseiten zu. Das Wort des Tages war zurekin, was so viel bedeutet wie »Pendeln außerhalb der Rush-hour« und von der Regierung propagiert wird, weil es das Reisen für Mensch und Umwelt leichter und angenehmer macht – eine Idee, die sich aber bei der arbeitenden Bevölkerung bisher nicht wirklich durchgesetzt hat.

Ich sah eine Parallele zu meinem Leben: Meine übliche Hektik hatte sich urplötzlich in zurekin verwandelt, und ob mir das gefiel, wußte ich noch nicht so genau. Die Jahre zwischen zwanzig und dreißig hatte ich in Japan hart gearbeitet und einfach gelebt. Alles Japanische, sogar die notorisch überfüllten Züge, fand ich toll. Doch leider durfte ich auf unbestimmte Zeit nicht mehr in das Land einreisen, eines Vergehens wegen, dessen ich mich für eine wichtigere Sache schuldig gemacht hatte. Aufgrund des Eintrags in meinem Paß mußte ich das Beste aus meinem Washingtoner Dasein machen, und wie alle Bewohner der Stadt beklagte ich mich über die überfüllten Metro-Züge, die meinem in Japan geschulten Empfinden nach nur halbvoll waren. Die Immobilienpreise hier konnten sich allerdings tatsächlich mit denen Tokios messen, obwohl in Washington natürlich mehr Wohnraum zur Verfügung stand.

In Hughs Zweizimmerapartment im ersten Stock eines alten Stadthauses zum Beispiel gab es viel Schönes: hohe Decken, alte Parkettböden, ein Erkerfenster im Wohnzimmer. Trotzdem fühlte ich mich fremd. Nun klingelte das Telefon, und sogar das klang fremd. Ich nahm den Hörer von der Gabel.

»Hallo, Schätzchen, was machst du heute mittag?« Die kehlige Stimme am anderen Ende der Leitung gehörte meiner Cousine Kendali Howard Johnson, die in Bethesda lebte.

»Kendall?« Ich kann es nicht leiden, wenn Leute am Telefon ihren Namen nicht nennen.

»Ja, Rei.« Sie zog die eine Silbe meines Namens in die Länge wie schon damals als kleines Kind.

Kendall war in Bethesda aufgewachsen, was bedeutete, daß ich ihr ziemlich oft begegnete, wenn ich meine nur vierzig Autominuten entfernt in Baltimore wohnende Großmutter besuchte. Oma nannte Kendall und mich gern das »Marienkäferteam«, wegen Kendalls roter und meiner schwarzen Haare. Wir waren im selben Alter und schienen als Freundinnen wie füreinander geschaffen, aber irgendwie klappte das nicht so recht. Ich werde nie vergessen, wie Kendall mich eines Sommers – wir waren beide fünfzehn – hinter die Büsche zog und einen Joint hervorholte. Natürlich hatte ich keine Ahnung, wie man inhalierte, und das, obwohl ich aus der Bay Area stammte, wo sich angeblich alle mit Hasch auskannten. In dem gemischten Internat, das Kendall in Virginia besuchte, lernte sie viele Dinge, über die ich nichts wußte: Reiten, Jointrollen, bei Konzerten unentdeckt in den Backstage-Bereich Gelangen. Kendall, die nach dem College einige Jahre lang Investoren für Unternehmen geworben hatte, war mir in puncto Weltwissen immer schon voraus gewesen. Das von unserer Großmutter treuhänderisch für sie eingerichtete Vermögen stand ihr nun zur Verfügung. Kendall verwendete es für ihre Hochzeit, die erste Hypothekenrate und politische Spenden, die sie seit dem Beginn ihres sorgfältig geplanten Aufstiegs in der Washingtoner Gesellschaft plazierte. Meine Mutter meinte, ich könne die Zuneigung meiner Großmutter erringen, wenn ich mehr Zeit mit ihr verbringen würde, aber ich fühlte mich einfach nicht wohl in ihrer Gesellschaft, und es lag mir fern, ihr um den Bart zu gehen, um wie meine Marylander Cousins und Cousinen Geld von ihr zu bekommen. Möglicherweise hing meine geringe Beliebtheit ja auch damit zusammen, daß meine Mutter sich auf eine Ehe eingelassen hatte, die den Howards wie eine Katastrophe erschienen sein mußte. Wäre mein Vater schwarz gewesen, hätte die Heirat mit ihm seinerzeit gegen das Gesetz von Maryland verstoßen. Ein asiatischer Mann war nicht ganz so schlimm wie ein Afroamerikaner, aber als ausgelassenes Familienfest ließ sich die Hochzeit meiner Eltern nun wirklich nicht bezeichnen.

Obwohl Kendall eine von den Howards war, verspürte ich keine Ressentiments gegen sie, weil sie mich trotz ihrer Kinder, ihres Haushalts und ihrer Spendensammelaktivitäten nicht vergessen hatte. Kendall war die einzige Verwandte, die mich nach meiner Ankunft in Washington vor ein paar Monaten besucht hatte, und das würde ich ihr nicht vergessen.

»Wie geht’s den Zwillingen?« Nach ihrem Mann Win, den ich nicht ausstehen konnte, erkundigte ich mich nicht. Win war Immobilienmakler und betrachtete jeden als potentiellen Kunden. Daß Hugh und ich kein Interesse am Erwerb eines Hauses in den Vororten zeigten, verübelte er uns.

»Die haben Halsentzündung. Kommt ganz selten vor bei Kindern unter drei Jahren, aber meine beiden fangen sich natürlich so was ein!«

»Ist wahrscheinlich ganz schön anstrengend«, sagte ich.

»In der Nacht ja. Tagsüber kümmert sich zum Glück unser Au-pair-Mädchen um sie. Ich bin grade im Fitneßcenter, hab mir eine Stunde Spinning und hinterher eine an den Geräten gegönnt. Jetzt hab ich einen Bärenhunger. Wollen wir uns um halb eins zum Lunch treffen?«

»Hm. Das Wetter ist nicht besonders. Eigentlich wollte ich ein paar Dinge hier erledigen …«

»Regen tut gut, Schätzchen«, erklärte Kendall. »Und übrigens habe ich auch nicht bloß einen Lunch unter Mädels im Sinn, sondern ein Essen in einem schicken Restaurant, und zwar mit Harp Snowden.«

»Was, du kennst Harp Snowden persönlich?« fragte ich verblüfft. Snowden vertrat als demokratischer Senator Kalifornien und stimmte unerschütterlich gegen alle von der Regierung vorgeschlagenen Kriege. Er gehörte zu den wenigen Politikern, die sich auch im neuen Jahrhundert für Umwelt, Einwanderer und Frieden einsetzten. Kendalls Treffen mit ihm war interessant, denn sie stand als konservative Demokratin den Republikanern fast näher als ihrer eigenen Partei.

»Noch nicht so lange. Als er den Vorschlag mit dem Lunch im Mandala machte – das ist eins meiner Lieblingslokale –, wußte ich, er hat angebissen. Nun, vielleicht magst du mitkommen.«

»Was meinst du mit ›angebissen‹?« fragte ich. Kendall war seit fünf...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2017
Reihe/Serie Ein Fall für Rei Shimura
Übersetzer Sonja Hauser
Sprache deutsch
Original-Titel The Pearl Diver
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Bücher • Cosy Mystery • Culture Clash • Detektivin • Entführung • japanische Kultur • Japan Roman • Krimi • Kriminalroman • Krimi Reihe • Rei Shimura • spannend • Spannung für Frauen • Starke Frau • Washington • weibliche Ermittlerin
ISBN-10 3-492-98337-5 / 3492983375
ISBN-13 978-3-492-98337-2 / 9783492983372
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