Warten auf Wunder (eBook)

Roman

(Autor)

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2016 | 1. Auflage
192 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1343-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Warten auf Wunder - John Fante
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Arturo Bandini, ein erfolgloser Schriftsteller, verdient sich seinen Lebensunterhalt als Hilfskellner. Doch als überraschend eine seiner Erzählungen von einer Zeitschrift angenommen wird, beginnt sich sein Leben mit einem Schlag zu ändern. Er bekommt neue Jobs angeboten, in denen er es nie lange aushält, und er lernt neue Frauen kennen - hinreißende, aber leider meist unnahbare Frauen. Ein Mann wie Arturo Bandini gibt allerdings niemals auf, egal wie oft er eine Abfuhr erhält. Denn er weiß: Irgendwo wartet das Paradies. 'John Fantes Romane gehören zum Besten, was die amerikanische Literatur je hervorgebracht hat.' Charles Bukowski 'John Fante ist einer der ganz großen West-Coast-Autoren - italienische Leidenschaft gepaart mit californischer Coolness.' Alex Capus

John Fante, geboren 1909 in Denver als Sohn italienischer Einwanderer, zog als Mittzwanziger nach L.A. In einer Stadt, die aus Filmträumen bestand, war er mehr als fehl am Platz, und so entstand sein unnachahmlicher Stil aus innerer Zerrissenheit, Großmut und erlösenden Rachegelüsten. Sein erster Roman 'Warte auf den Frühling, Bandini' wurde 1938 veröffentlicht, im Jahr darauf folgte 'Warten auf Wunder'. Er starb 1983 an einer Folge seiner Diabetes-Erkrankung. Posthum verlieh man ihm den PEN Award für sein Lebenswerk.

Kapitel 1


Mein erster Zusammenstoß mit dem Ruhm war nicht besonders aufregend. Ich war Kellner in Marx’ Imbiss an der Ecke Third und Hill Street in Los Angeles. Man schrieb das Jahr 1934, ich war einundzwanzig Jahre alt, und meine Welt reichte von Bunker Hill im Westen bis zur Los Angeles Street im Osten, und vom Pershing Square im Süden bis zum Civic Center im Norden. Als Kellner war ich unvergleichlich. Obwohl schrecklich unterbezahlt (einen Dollar pro Tag plus Mahlzeiten), wirbelte ich schwungvoll und Aufsehen erregend von Tisch zu Tisch, balancierte das Tablett auf einer Hand und fand nebenher Zeit, ein kleines Lächeln auf die Gesichter meiner Kunden zu zaubern. Außer meinen Servierkünsten konnte ich meinem Chef noch etwas bieten: Ich war Schriftsteller.

Diese Tatsache hatte sich herumgesprochen, nachdem ein betrunkener Fotograf von der Los Angeles Times an der Bar gesessen und ein paar Fotos von mir gemacht hatte, während ich eine Kundin bediente, die bewundernd zu mir hochsah. Am nächsten Tag stand das Bild in der Times, zusammen mit einer Story über Kampf und Aufstieg des jungen Arturo Bandini, dieses ehrgeizigen, hart arbeitenden Burschen aus Colorado, der im schwierigen Zeitschriftenmarkt den Durchbruch geschafft hatte, indem er seine erste Geschichte an den American Phoenix verkaufte. Herausgeber des Phoenix war selbstredend die berühmteste Persönlichkeit der gesamten amerikanischen Literaturszene – kein Geringerer nämlich als Heinrich Muller. Guter alter Muller, wie liebte ich diesen Mann! Meine allerersten literarischen Versuche waren eigentlich nichts weiter als Briefe an ihn gewesen. In den Briefen hatte ich ihn um Rat gebeten, ich hatte ihm Vorschläge für Geschichten gemacht, die ich noch schreiben würde, und dann hatte ich ihm Geschichten geschickt – viele Geschichten, eine Geschichte jede Woche, bis sogar Heinrich Muller, der größte Geizhals der literarischen Welt, die Waffen streckte. Erst ließ er sich herab, mir einen zweizeiligen Brief zu schicken, dann einen mit vier Zeilen und schließlich zwei Seiten mit vierundzwanzig Zeilen. Und dann, Wunder über Wunder, einen Scheck über hundertfünfzig Dollar als Pauschalhonorar für meine erste verkaufte Geschichte.

Am Tag, an dem der Scheck eintraf, ging ich in Lumpen. Meine tollen Colorado-Klamotten hingen in Fetzen an mir herunter, und so galt mein erster Gedanke einer neuen Garderobe. Schick sollte sie sein und günstig. Ich lief von Bunker Hill hinunter zum Goodwill Store an der Ecke Second Street und Broadway. In der Abteilung für gehobene Qualität fand ich einen hervorragenden blauen Anzug mit weißen Nadelstreifen für zehn Dollar. Die Hosenbeine und Ärmel waren zu lang. Ich ließ sie kürzen, was einen weiteren Dollar kostete, und sauste unterdessen durch die Hemdenabteilung, wo es Hemden in bester Qualität und jedem Stil zu fünfzig Cents gab. Dann erstand ich ein Paar Schuhe – feine, dicksohlige Oxfords ganz aus Leder, die mich über viele Monate durch die Straßen von Los Angeles tragen würden – und zu guter Letzt kaufte ich noch andere Sachen: mehrere Shorts und T-Shirts, ein Dutzend Paar Socken, einige Krawatten, und schließlich einen prächtigen, einfach unwiderstehlichen Borsalino. Ich setzte ihn mir elegant schräg auf den Schädel, verließ den Ankleideraum und bezahlte. Zwanzig Scheine. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich für mich selber Kleider gekauft. Ich betrachtete meine Erscheinung in einem großen Spiegel. Da fiel mir ein, dass meine Eltern in all den Jahren in Colorado nie das Geld gehabt hatten, mir einen Anzug zu kaufen; auch nicht vor der Abschlussprüfung an der High School. Na gut, jetzt ging ich meinen Weg, und nichts würde mich aufhalten, denn Heinrich Muller, der brüllende Tiger der literarischen Welt, würde mich an die Spitze führen. Ich verließ den Goodwill Store als neuer Mensch und ging die Third Street hinauf. Vor dem Imbiss stand Abe Marx, mein Boss.

»Du lieber Himmel, Bandini!«, rief er. »Warst du bei Goodwill oder was?«

»Goodwill, am Arsch«, schnaubte ich. »Das ist frisch von Bullock’s, Sie Blödmann.«

Ein paar Tage später gab mir Abe Marx eine Visitenkarte. Darauf stand:

Dr. Gustave Du Mont

Literaturagent

Aufbereitung und Lektorat

von Büchern, Theaterstücken,

Drehbüchern und Geschichten

Fachmännische Supervision

513 Third Street, Los Angeles

Schwätzer unerwünscht

Ich steckte die Karte in die Tasche meines neuen Anzugs und stieg in die fünfte Etage. Du Monts Büro war am Ende des Flurs. Ich trat ein.

Der Empfangsraum schlingerte wie bei einem Erdbeben. Ich hielt die Luft an und sah mich um. Der Raum war voller Katzen.

Katzen auf den Stühlen, Katzen auf den Vorhängen, Katzen auf der Schreibmaschine. Katzen auf den Bücherregalen. Der Gestank war überwältigend. Die Katzen wirbelten um mich her, strichen mir um die Beine und rollten spielerisch über meine Schuhe. Überall auf dem Boden und auf den Möbeln wogte und schwappte eine dünne Schicht Katzenhaare, wie das Wasser in einer Pfütze bei leichtem Wind. Ich ging hinüber zu einem offenen Fenster und warf einen Blick auf die Feuertreppe. Katzen stiegen rauf und runter. Ein riesiges graues Vieh kletterte zu mir hoch. Es hatte einen Lachskopf im Maul, strich an mir vorbei und sprang hinein ins Zimmer.

Auch die Luft war jetzt voller Katzenhaare. Eine Tür ging auf, und dann stand da Gustave Du Mont, ein kleiner, älterer Mann mit Augen wie Kirschen. Er ruderte mit den Armen, rannte zwischen die Katzen und kreischte:

»Raus! Raus! Alle raus! Zeit, dass ihr nach Hause geht!«

Gemächlich glitten die Katzen zu Boden. Einige landeten vor seinen Füßen, ein paar schlugen zum Spaß nach seinen Hosenbeinen. Die Katzen waren Du Monts Gebieterinnen. Er seufzte, warf die Hände in die Höhe und sagte:

»Was kann ich für Sie tun?«

»Ich bin vom Imbiss im Erdgeschoss. Sie haben mir Ihre Karte dagelassen.«

»Kommen Sie rein.«

Ich trat in sein Büro. Er schloss die Tür. Wir befanden uns in einem kleinen Raum in Gesellschaft von drei Katzen, die zuoberst auf einem Bücherregal lümmelten. Edle Tiere, riesige Perser, die sich königlich selbstbewusst die Pfoten leckten. Ich starrte sie an. Du Mont schien zu verstehen.

»Meine Lieblinge«, sagte er lächelnd. Er öffnete die Schreibtischschublade und nahm eine kleine Flasche Scotch heraus.

»Wie wär’s mit Mittagessen, junger Mann?«

»Nein danke, Doktor Du Mont. Sie wollten mich sprechen?«

Du Mont entkorkte die Flasche, nahm einen Schluck und ächzte.

»Ich habe Ihre Geschichte gelesen. Sie sind ein guter Schriftsteller. Einer wie Sie sollte nicht mit Hamburgern jonglieren. Sie gehören in eine bessere Umgebung.« Du Mont nahm einen weiteren Schluck. »Wollen Sie einen Job?«

Ich musterte die Katzen. »Vielleicht. Woran haben Sie gedacht?«

»Ich brauche einen Lektor.«

Ich sog den beißenden Gestank der Katzen ein. »Ich weiß nicht, ob ich dem gewachsen bin.«

»Sie meinen die Katzen? Darum kümmere ich mich.«

Ich dachte kurz nach. »Was soll ich lektorieren?«

Er nahm noch einen Schluck. »Romane. Kurzgeschichten. Alles, was reinkommt.«

Ich zögerte. »Kann ich mir das Zeug mal anschauen?«

Er schlug mit der Faust auf einen Stapel Manuskripte. »Bitte sehr.«

Ich nahm das oberste Manuskript vom Stapel. Es war eine Kurzgeschichte mit dem Titel »Leidenschaft im Morgengrauen«. Geschrieben hatte sie eine gewisse Jennifer Lovelace. Ich stöhnte auf.

Du Mont nahm wieder einen Schluck. »Sie ist grauenhaft«, sagte er. »Alle sind grauenhaft. Ich kann das Zeug nicht mehr lesen. Auf meinem Schreibtisch landet das schlechteste Geschreibsel der Welt. Aber es liegt viel Geld drin, wenn man den Nerv dazu hat. Je schlechter der Kram, desto mehr Geld liegt drin.«

Inzwischen war mein Anzug bedeckt mit Katzenhaaren. Meine Nase juckte, und ich hatte Niesreiz. Ich unterdrückte ihn.

»Wie viel springt für mich raus?«

»Fünf Dollar die Woche.«

»Verflucht, das ist ja nur ein Dollar pro Tag.«

»Genau.«

Ich schnappte mir die Flasche und nahm einen Schluck. Der Scotch schmeckte nach Katzenpisse und verätzte mir den Hals.

»Zehn Dollar die Woche, sonst läuft nichts.«

Du Mont streckte mir die Hand entgegen. »Abgemacht. Am Montag fangen Sie an.«

Als ich am Montag um neun Uhr zur Arbeit antrat, waren die Katzen weg. Das Fenster war geschlossen. Der Empfangsraum frisch aufpoliert. Beim Fenster stand ein Schreibtisch. Alles war sauber und abgestaubt. Ich strich mit dem Finger über den Fenstersims – kein einziges Katzenhaar blieb hängen. Ich sog die Luft ein. Der Uringeruch war immer noch kräftig, aber überdeckt von einem starken Desinfektionsmittel. Und dann war da noch der Duft von Anti-Katzen-Spray. Ich setzte mich an den Schreibtisch und nahm den Staubschutz von der Schreibmaschine. Es war eine alte Underwood. Ich spannte ein Blatt ein und probierte die Tastatur aus. Sie funktionierte wie ein rostiger Rasenmäher. Etwas an diesem Job gefiel mir nicht. Wieso sollte ich anderer Leute Sachen verbessern? Warum blieb ich nicht in meinem Zimmer und schrieb mein eigenes Zeug? Was würde H. L. Muller in einem Fall wie diesem tun? Wahrscheinlich würde er mich auslachen. Recht hatte...

Erscheint lt. Verlag 16.12.2016
Reihe/Serie Arturo Bandini
Übersetzer Alex Capus
Sprache deutsch
Original-Titel Dreams From Bunker Hill
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1930er Jahre • Alex Capus • Alltag • Arbeiter • Arturo Bandini • Baldini • Bukowski • Italienische Einwanderer • John Fante • Kleinstadt • Leben • Moderne Klassiker • Schriftsteller • Westküste
ISBN-10 3-8412-1343-X / 384121343X
ISBN-13 978-3-8412-1343-3 / 9783841213433
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