Warte bis zum Frühling, Bandini (eBook)

Roman

(Autor)

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2016 | 1. Auflage
224 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1344-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Warte bis zum Frühling, Bandini - John Fante
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Die Weihnachtszeit in Rocklin, Colorado, gerät bei den Bandinis, italienischen Einwanderern in ärmlichen Verhältnissen, zur großen Krise. Svevo, der Vater des jungen Arturo Bandini, verliebt sich in die reiche Witwe Hildegarde, und seine Frau kratzt ihm aus Eifersucht beinahe die Augen aus. Auch der vierzehnjährige Arturo wandelt auf Freiersfüßen. Doch die schöne Rosa, die er anbetet, will von ihm nichts wissen. 'John Fantes Romane gehören zum Besten, was die amerikanische Literatur je hervorgebracht hat.' Charles Bukowski 'John Fante ist einer der ganz großen West-Coast-Autoren - italienische Leidenschaft gepaart mit californischer Coolness.' Alex Capus



John Fante, geboren 1909 in Denver als Sohn italienischer Einwanderer, zog als Mittzwanziger nach L.A. In einer Stadt, die aus Filmträumen bestand, war er mehr als fehl am Platz, und so entstand sein unnachahmlicher Stil aus innerer Zerrissenheit, Großmut und erlösenden Rachegelüsten. Sein erster Roman 'Warte auf den Frühling, Bandini' wurde 1938 veröffentlicht, im Jahr darauf folgte 'Warten auf Wunder'. Er starb 1983 an einer Folge seiner Diabetes-Erkrankung. Posthum verlieh man ihm den PEN Award für sein Lebenswerk.

1. Kapitel


Er stapfte durch den tiefen Schnee, und jeder Schritt war ein Tritt gegen den verhassten Schnee. Sein Name war Svevo Bandini. Er wohnte drei Blocks weiter die Straße runter, und er fror und hatte Löcher in den Schuhen, die er mit Stücken von einer Makkaronischachtel verstopft hatte. Die Makkaroni aus jener Schachtel waren noch nicht bezahlt. Daran hatte er denken müssen, als er den Karton in seine Schuhe stopfte.

Bandini hasste Schnee. Er war Maurer. Bei Schnee gefror der Mörtel zwischen den Backsteinen. Bandini war auf dem Heimweg. Er hatte den Schnee schon gehasst, als er ein kleiner Junge war und in den Abruzzen lebte. Keine Sonne, keine Arbeit. Jetzt lebte er in Amerika, in Rocklin, Colorado, und war auf dem Heimweg von der Imperial-Billardhalle. Auch in Italien gab es Berge, genau solche wie die schneebedeckten Gipfel westlich von Rocklin, die aussahen wie riesige weiße Frauenröcke. Als junger Mann hatte Bandini einmal eine ganze Woche lang Hunger gelitten in den Falten eines solchen weißen Rockes. Das war vor zwanzig Jahren gewesen, als er in einer Berghütte einen Kamin mauern sollte. Im Winter war es gefährlich dort oben, aber damals war ihm das egal gewesen, denn er war zwanzig, und er hatte ein Mädchen in Rocklin, und er brauchte Geld. Aber dann war das Hüttendach unter dem Gewicht des Schnees eingestürzt.

Nichts als Ärger hatte er mit dem Schnee. Es war ihm unbegreiflich, dass er nie nach Kalifornien gezogen, sondern im Tiefschnee von Colorado stecken geblieben war. Jetzt war es zu spät. Der schöne weiße Schnee war wie die schöne weiße Frau von Svevo Bandini, die so weiß und fruchtbar in einem weißen Bett lag, das in einem Haus ein paar Häuser weiter stand. 456 Walnut Street, Rocklin, Colorado.

Svevo Bandini tränten in der Kälte die Augen. Sie waren braun und sanft, die Augen einer Frau. Diese Augen hatte er seiner Mutter bei der Geburt gestohlen; sie war vom Tag der Niederkunft an kränklich geblieben, hatte immer einen kränklichen Blick gehabt und war schließlich gestorben. Svevo aber hatte die sanften braunen Augen behalten.

Svevo Bandini wog hundertfünfzig Pfund. Sein Sohn Arturo legte ihm gern die Hand auf die runde Schulter, um die Muskeln unter der Haut zu spüren. Svevo Bandini war ein stattlicher, muskulöser Mann. Seine Frau Maria brauchte an die Kraft seiner Lenden nur zu denken, um dahinzuschmelzen wie der Schnee im Frühling.

Dio cane, Dio cane! Wieso hatte er sich an jenem Abend im Imperial zehn Dollar beim Poker abknöpfen lassen? Svevo war arm und Vater von drei Kindern, und die Makkaroni waren nicht bezahlt, genauso wenig wie das Haus, in dem die drei Kinder und die Makkaroni untergebracht waren. Dio cane.

Svevo Bandinis Frau sagte nie: Gib mir Geld, damit ich Essen für die Kinder kaufen kann. Aber sie hatte große, dunkle Augen, und mit diesen Augen konnte sie ihn durchleuchten, ihm in den Mund schauen, in die Ohren, in den Magen, in die Taschen. Diese klugen Augen wussten leider immer sofort, wenn das Imperial wieder ein gutes Geschäft gemacht hatte. Dass die Frau solche Augen haben musste! Sie sahen alles, was er war und was er zu sein hoffte. Aber seine Seele erkannten sie nie.

Das war seltsam, denn Maria Bandini betrachtete alle Lebenden und Toten als Seelen. Maria kannte sich mit Seelen aus. Die Seele war etwas Unsterbliches, darüber ließ sie nicht mit sich reden. Die Seele war unsterblich. Was immer sie war, die Seele war unsterblich.

Maria hatte einen weißen Rosenkranz. Er war so weiß, dass man ihn im Schnee für immer verlieren würde. Mit dem Rosenkranz betete sie für die Seelen von Svevo Bandini und ihren Kindern. Und weil ihr darüber hinaus keine Zeit blieb, tröstete sie sich mit der Hoffnung, dass irgendwo auf der Welt jemand – eine Nonne in einem abgeschiedenen Kloster vielleicht oder sonst wer – irgendwann ein paar Minuten Zeit fände, um für die Seele von Maria Bandini zu beten.

Dort vorne wartete ein weißes Bett auf Svevo Bandini, und seine Frau hielt es ihm warm. Er trat nach dem Schnee und dachte an seine Erfindung, die er eines Tages machen würde. Ein Schneepflug. Ein Modell davon hatte er schon gebastelt, aus Zigarrenkisten. Die Idee war da. Aber dann schauderte ihn, als ob er kaltes Metall berührt hätte, bei der Erinnerung an die vielen Male, da er zu Maria ins warme Bett gekrochen war und das kleine kalte Kreuz ihres Rosenkranzes ihn gestreift hatte wie eine kichernde kalte Schlange, worauf er sich auf die kühlere Seite des Betts zurückzog. Svevo Bandini dachte an das Schlafzimmer und an das unbezahlte Haus und an seine blasse Ehefrau, die schon ewig auf das Wiedererwachen seiner Leidenschaft wartete. Es war unerträglich. In seiner Wut stürzte er sich in den tiefen Schnee neben dem Gehsteig und ließ seine Wut an ihm aus. Dio cane, Dio cane.

Er hatte einen Sohn namens Arturo. Arturo war vierzehn und besaß einen Schlitten. Als Svevo in den Hof seines nicht bezahlten Hauses einbog, flogen plötzlich seine Füße den Baumkronen entgegen. Er landete auf dem Rücken, und der Schlitten schoss davon und kam im Fliederbusch zum Stillstand. Dio cane! Er hatte dem Jungen doch gesagt, diesem nichtsnutzigen Hundesohn, dass er den Schlitten nicht auf dem Fußweg abstellen sollte. Der kalte Schnee an Bandinis Händen fühlte sich an wie wild gewordene Ameisen. Er rappelte sich auf, schaute bebend vor Zorn zum Himmel hoch und drohte Gott mit der Faust. Dieser Hundesohn von einem Arturo! Er zerrte den Schlitten unter dem Flieder hervor und riss mit systematischer Bosheit die Kufen ab. Erst als das Werk der Zerstörung vollbracht war, fiel ihm ein, dass der Schlitten sieben Dollar und fünfzig Cent gekostet hatte. Er klopfte sich den Schnee von den Kleidern. Der Schnee war ihm von oben in die Schuhe gedrungen, und seine Knöchel fühlten sich seltsam heiß und kribbelig an. Sieben Dollar und fünfzig Cent in Stücke gerissen. Diavolo! Lass den Jungen einen neuen Schlitten kaufen. Er wollte ja schon lange einen neuen.

Das Haus war nicht bezahlt. Dieses Haus war sein Feind. Es hatte eine Stimme, und es konnte zu ihm sprechen wie ein Papagei, ewig das Gleiche. Wann immer die Bodenbretter der Veranda unter seinen Füßen ächzten, sagte das Haus frech: Du besitzt mich nicht, Svevo Bandini, und ich werde dir nie gehören. Wenn er den Türknauf am Eingang drehte, war es dasselbe. Seit fünfzehn Jahren hänselte ihn dieses Haus mit seiner idiotischen Unabhängigkeit. An manchen Tagen hätte er es mit Dynamit in die Luft jagen mögen. Früher einmal war das Haus eine Herausforderung gewesen, wie eine Frau, die einen lockt und sich entzieht. Aber in den letzten dreizehn Jahren war er müde und schwach geworden, und das hochmütige Haus hatte die Oberhand behalten. Jetzt war es Svevo Bandini egal.

Einer seiner schlimmsten Feinde war der Bankier, dem das Haus gehörte. Beim Gedanken an ihn bekam er wütendes, selbstzerstörerisches Herzklopfen. Helmer, der Bankier. Der Abschaum der Menschheit. Immer wieder hatte er Helmer gegenübertreten und gestehen müssen, dass er seine Familie nicht ernähren konnte. Dieser Helmer mit seinem sorgfältig gescheitelten grauen Haar, den weichen Händen und den Glubschaugen, die jedes Mal glibberig feucht wie Austern wurden, wenn Svevo Bandini sagte, dass er kein Geld für die Miete hatte. Er hatte das oft sagen müssen, und jedes Mal hatte ihn Helmer mit den weichen Händen zur Weißglut getrieben. Mit so einem Mann konnte er nicht verhandeln. Er hasste Helmer. Das Genick hätte er Helmer brechen mögen, ihm das Herz herausreißen und mit beiden Füßen darauf herumtrampeln. »Dich kriege ich noch! Irgendwann erwische ich dich!«, murmelte er beim Gedanken an Helmer. Das Haus war nicht sein Eigentum. Er brauchte nur den Türknauf zu berühren, um daran erinnert zu werden.

Ihr Name war Maria, und für ihre dunklen Augen war die Nacht hell wie der Tag. Auf Zehenspitzen ging Bandini zum Stuhl in der Ecke. Das grüne Rollo am Fenster war heruntergezogen. Als er sich setzte, knackten seine Knie. Wie zwei Glocken, die für Maria läuteten. Wie dumm von einer Frau, einen Mann dermaßen zu lieben, dachte er. Es war kalt im Zimmer. Der Atem strömte ihm als weißer Dampf aus dem Mund. Er nestelte an seinen Schnürsenkeln und grunzte dazu wie ein Ringer. Immer dieser Ärger mit den Schnürsenkeln. Diavolo! Würde er es bis ans Sterbebett nicht lernen, seine Schnürsenkel ordentlich zu binden wie jeder andere Mann?

»Svevo?«

»Ja.«

»Zerreiß sie nicht, Svevo. Mach Licht, und ich binde sie dir auf. Reg dich nicht auf, und zerreiß sie nicht.«

Herrgott im Himmel! Maria Mutter Gottes! War das nicht typisch Frau? Sich nicht aufregen? Wieso sollte er sich aufregen? Er hätte mit der Faust das Fenster einschlagen mögen. Mit den Fingernägeln fummelte er am Knoten herum. Schnürsenkel! Wozu brauchte man Schnürsenkel? Krrr. Krrr. Krrr.

»Svevo.«

»Ja.«

»Ich mache das. Schalte jetzt das Licht an.«

Die Kälte hatte seine Finger hypnotisiert, und der Knoten war widerspenstig wie Stacheldraht. Mit aller Kraft seiner Arme und Schultern machte er seinem Ärger Luft. Der Schnürsenkel zerriss mit einem kleinen Knall. Svevo Bandini fiel beinahe vom Stuhl.

»Ach, Svevo. Du hast ihn wieder zerrissen.«

»Na und«, sagte er. »Soll ich etwa mit den Schuhen ins Bett gehen?«

Er schlief nackt, denn er verachtete Unterwäsche. Nur einmal im Jahr, wenn der erste Schnee fiel, durfte Maria seine lange Unterwäsche auf dem Stuhl für ihn bereitlegen, und dann zog er sie an. Nur einmal in zwanzig Jahren Ehe hatte Svevo die lange...

Erscheint lt. Verlag 16.12.2016
Reihe/Serie Arturo Bandini
Übersetzer Alex Capus
Sprache deutsch
Original-Titel Wait Until Spring, Bandini
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alex Capus • Arbeiter • Baldini • Börsencrash • Bukowski • John Fante • Klassenkampf • Marx • Moderne Klassiker • Schwarzer Freitag • Wirtschaftskrise
ISBN-10 3-8412-1344-8 / 3841213448
ISBN-13 978-3-8412-1344-0 / 9783841213440
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