Lebensgeschichte Tobias Knauts, des Weisen, sonst der Stammler genannt (eBook)

Satirischer Roman: Ein Klassiker des 18. Jahrhundert
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2016 | 1. Auflage
665 Seiten
e-artnow (Verlag)
978-80-268-7023-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lebensgeschichte Tobias Knauts, des Weisen, sonst der Stammler genannt -  Johann Karl Wezel
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Dieses eBook: 'Lebensgeschichte Tobias Knauts, des Weisen, sonst der Stammler genannt' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: 'In einem der unbekanntesten Winkel Deutschlands, nicht weit vom Thüringer Walde, lebte ein Schulmeister, dessen vollständiger Name eigentlich Christian Knaut war und den wegen eines roten Kopfs, womit einer von seinen Urgroßvätern die Familie verunehrt hatte, das sämtliche Kirchspiel, selbst den vornehmern Teil desselben nicht ausgenommen, Rotkopfs Christel zu nennen pflegte. Er hatte, solang er denken konnte, von der Welt niemals mehr oder weniger kennengelernt als den kleinen Fleck, worauf er seine natürlichen Bedürfnisse abwartete; und von der sogenannten großen Welt war ihm auch weiter nichts bekannt, als was er aus einem sehr nahen Umgange mit gewissen Herren wußte, denen er bei dem Monarchen des Dorfs, in dessen Diensten er fünfzehn mühselige Jahre zubrachte, auf einem zinnernen Teller zu essen und zu trinken überreicht hatte. Doch ein ziemlich glückliches Nervensystem, die kurzweiligen Übungen, wodurch seine Kameraden seinen Verstand und die Gegenwart seines Geistes oft auf eine sehr harte Probe stellten, ein paar abgelebte Bücher, in welchen unter einem Haufen Unsinn doch hin und wieder Spuren anzutreffen waren, aus welchen sich vermuten ließ, daß sie ein Mensch geschrieben haben möchte, und endlich die nachdrücklichen Zurechtweisungen seines gebietenden Herrn hatten ihm so etwas von dem zweideutigen Dinge verschafft, das man gemeinen Menschenverstand zu nennen pflegt...' Johann Karl Wezel (1747 - 1819) war ein deutscher Dichter, Schriftsteller und Pädagoge der späten Aufklärung. Wezel schrieb anfangs Gedichte, aber auch Romane, Lustspiele und Satiren. Seine Arbeiten sind unter anderem beeinflusst von Henry Fielding, Tobias G. Smollett und Laurence Sterne.

Zu der Zeit, als der junge Tobias seine Gliedmaßen zu menschlichen Verrichtungen zu gebrauchen anfing und also zuweilen ein Bedürfnis, sie zu beschäftigen, fühlte, sahe sich der Patron des Kirchspiels genötigt, auf die untertänig gehorsamste und treu devoteste Vorstellung des Pfarrs, die schon bei dem Antritte seines Amtes vor sechs Jahren geschehen war, der Kirchenkasse die Erlaubnis zu geben, daß sie eine neue Pfarrwohnung bauen ließ. Der arme Mann hatte nebst seiner Familie schon manche Überschwemmung vom Regen und überhaupt die Witterungen aller vier Jahrszeiten in seiner Stube so gut ausgestanden als sein Hund vor der Tür; er hatte Husten, Gicht und die Frau Magisterin einen großen Auswuchs an dem rechten Beine durch diese unmenschliche Lebensart sich zugezogen; seine ganze Nachkommenschaft, geborne und ungeborne, geriet in Fäulnis und versprach nichts als einen elenden Haufen Krüppel, Schwindsüchtige und dergleichen. Alle die Beschwerlichkeiten des Seelsorgers und die Gefahr, ihn bei strenger Kälte, Schloßenwetter oder heftigen Regengüssen ertrinken, verhageln oder erfrieren zu sehn, waren noch keine dringenden Bewegungsgründe, den Bau zu unternehmen, wenn nicht ein wichtigrer Umstand die Beschleunigung desselben erfodert hätte.

Ihre Gnaden hatten an der einen Querseite des Pfarrhauses einen vortrefflichen Schießstand; die Kugel pfiff durch zwei Buchenhecken bis an die Scheibe – o wie der Teufel! – nach Ihre Gnaden selbsteignem Ausdrucke. Der Stand selbst war ein kleines Häuschen, mit einem erträglichen Saale, aber so gebaut, daß in der daran stoßenden Stube der Pfarrwohnung im ganzen Jahre nicht mehr als am längsten Tage eine halbe Stunde Dämmerung war; welches freilich für den gegenwärtigen Bewohner kein Schaden war, weil er diesen Teil des Hauses wegen der täglich mehr und mehr drohenden Gefahr des Einsturzes gänzlich geräumt hatte und in die beßre Hälfte geflüchtet war. An der rechten Seite des Platzes, vom Schießhause aus gerechnet, erhub sich von der Hecke an ein Berg von mittelmäßiger Höhe, mit einem schattichten Birkenhaine bepflanzt, und dehnte sich an der Hinterseite der Pfarrwohnung weit über das Dorf hinaus, von dem ein Teil zerstreut auf ihm lag. Sonst rieselten etliche Quellen an seinem Fuße längst der Hecke hin, sammelten sich ein wenig über der Mitte zu einem Bächelchen, das etliche Ruten hinter der Schießmauer, wo sich der Berg in ein Tal verlor, zwei oder drei Fuß hoch murmelnd hinunterstürzte; aber weil die geschwätzige Laune der Schützen das sanfte Geräusch der Quellen überstimmte und kein einziger durch eine minutenlange Aufmerksamkeit dankbar dafür sein wollte, so wurde die Quelle unwillig und verstummte, und, was ganz natürlich daraus folgen mußte, der Bach murmelte auch nicht mehr – oder ganz prosaisch gesagt: die Quellen vertrockneten, und ich weiß nicht, warum. Sonst war der Birkenhain die Residenz aller Arten von Vögeln in dem ganzen Bezirke des Ritterguts; aber das menschenfeindliche Knallen der Büchsen und das lärmende Getöse der Gesellschaft machte sie schüchtern, und sie flohen. Von der andern Hecke an streckte sich eine unübersehliche Fläche von beblümten Wiesen hinaus, durch die ein mäßiger Fluß – der Name ist leicht in der Geographie zu finden! – sich in vielfältigen Krümmungen hindurchschlängelte. Längst der Wiese hin stund die übrige Hälfte des Dorfes, und mitten darinnen erhub sich das Schindeldach des herrschaftlichen Palastes. Schön war der Platz, und Götter würden hier bei einem Glase Nektar, nach der Scheibe zu schießen, sich nicht geschämt haben, wenn Götter Zeit hätten, nach der Scheibe zu schießen. Alles, was die Kunst daran gearbeitet hatte, schrieb sich von der Erfindungskraft und dem Fleiße des verstorbnen Herrn Pastors her, der in einer zahlreichen Gemeine, bei den beschwerlichsten Reisen auf zwei Filialdörfer, kurz, bei der arbeitvollsten Pfarre im Lande noch Zeit genug übrighatte, den ganzen Tag auf diesem geliebten Platze zuzubringen und seine unbezwingbare Neigung zum Schießen täglich an einer oder zwei Scheiben auszulassen – wohl zu merken, allzeit in Gesellschaft des gnädigen Herrn und etlicher Schmarotzer, die sich wechselweise bei dem letztern ablöseten.

Niemand hatte nach seinem Tode ein größeres Recht auf diesen göttlichen Lustort, weil ihn niemand besser zu gebrauchen wußte, als der gnädige Herr; auch war er ihm wirklich in einem Testamente vermacht worden. Doch als ein Mann, der seine Rechte verstund, besann sich der benannte Erbe, daß der Herr Testator keine Gewalt gehabt hatte, einen Platz zu verschenken, der einen Teil von den zur Pfarr gehörigen Wiesen ausmachte. Aber besitzen mußte er den Platz oder doch willkürlich ihn gebrauchen können, solange er lebte. Um also seine Ehre (sein Gewissen) nicht zu beleidigen, so tat er dem neuen Pfarr bei seinem Anzuge sein Verlangen kund, den seine Ernsthaftigkeit ohnehin zu einem beschwerlichen Mitgliede der Schießgesellschaft gemacht hatte, wenn er auch der nie fehlende Apoll gewesen wäre; vergaß nicht zu bemerken, wie groß seine Liebe und Hochachtung für die Gerechtigkeit sei, daß er den ganzen Platz sehr leicht sich hätte anmaßen können, ohne daß jemand erfahren hätte, daß es ein geraubtes Kirchengut sei – gerade als wenn ein unterlaßnes Bubenstück das Lob der Tugend verdiente – und daß es endlich bloß von ihm abhänge, ob er alle Tage seines künftigen Amtes die Gnade genießen wolle, seinen gnädigen Herrn in der Nähe seines Hauses zu riechen und zu hören. Der Pfarr, ein guter, ehrlicher Mann, der so nachsichtig gegen die törichsten Bedürfnisse andrer Menschen und am meisten gegen ihre Vergnügungen war, daß er lieber bis an die Knöchel in den Kot trat, um nur den Dorfkindern ihre Drehkreuze, ihre Äugellöcher und dergleichen nicht zu zertreten – dieser gutherzige Mann machte am Ende eines jeden Perioden in der Rede des Patrons eine Verbeugung, so gut und tief sein dicker Körper es erlaubte, und freute sich sehr mit seinem ganzen Gesichte – bis ans Herz reichte die Freude über eine solche Nachbarschaft nicht –, seinem Herrn Collator schon bei dem Anfange seines Amtes einen Gefallen zu tun; dies war seine ehrliche natürliche Sprache. Aber der Herr Major – so hieß er – fand sie nicht so ganz natürlich, und Leute, die ohne Sehrohr andern ins Herz zu sehen vorgeben, wollen versichern, daß der Mangel an gehörigen wohlstilisierten Komplimenten die einzige oder doch eine mitwirkende Ursache gewesen sei, warum der Bau des Pfarrhauses, sooft man es auch versprach, so lange verschoben wurde; zum wenigsten soll diese Ursache wie ein kleiner heimtückischer Schadenfroh in einem Winkel des Herzens gelegen und alle Bewegungsgründe wider den Bau auf die entgegengesetzten losgehetzt haben. Hiezu kam noch: Die Gewissenhaftigkeit des Pfarrers konnte nicht zugeben, daß dieses eine Dienstbarkeit der Pfarrwohnung werden sollte, und verlangte eine schriftliche Versichrung darüber, die seine Nachfolger dafür sicherte. Sie wurde ihm gegeben nach vielen Versicherungen bei dem gnädigen Wort und Ehre – aber mit einem verzerrten, sauren Gesichte, und der Pfarr legte sie vergnügt in das Kirchenarchiv.

Die Traktaten waren geschlossen; sechs Jahre lang hatten die Sparren und Balken des Pfarrhauses vor dem Knallen des Gewehrs und dem Lärm der hochadeligen Gesellschaft alle Tage gezittert und das ganze Gebäude in einer beständigen erdbebenmäßigen Bewegung erhalten. Für den Pfarr war die Beschwerlichkeit gering, weil ihn seine Pflicht, den größten Teil des Tages außer dem Hause zuzubringen, nötigte, und seine Familie, von der Frau bis auf das jüngste fünfvierteljährige Kind – denn in dieser Beschaffenheit erhielt er beständig seine Familie –, war von Gichtflüssen teils wirklich taub, teils auf dem Wege dazu.

Nach einer so langen glücklichen Ruhe kam auf einmal einem Sud-Sudwestwinde die Lust an, bei einem Gewitter mit aufgeblasenen Backen auf den schwächsten Teil des Hauses, der von dem Berge nicht beschützt war, loszustürmen. So gebrechlich er war, so hielt er sich doch lange und tapfer; doch endlich mußte er seinem zu unverschämten Gegner weichen. Der Giebel stürzte herunter, ein Stück vom Dache hintendrein, Balken, Steine, Schindeln fuhren, wie geschwänzte Feuerdrachen, in der Luft hin; alles stürzte auf das Schießhaus, zerschmetterte das Dach, warf einen großen Teil der Decke in den Saal herunter – die Gesellschaft, die gerade sehr zahlreich war, flohe, fiel übereinander her, schrie, fluchte; einer verrenkte das Bein; einer wurde von einem Steine an der linken Schulter gequetscht, ein andrer im Herausdrängen mit dem empfindlichsten Teile des Leibes an die Türpfoste gedrückt und war in großer Gefahr, in Zukunft einem elenden Eunuchen zu gleichen; alle wurden beschädigt, doch keiner mit Lebensgefahr. Keine Marine kann einen angenehm schrecklichern Anblick darstellen als dieser Sturm auf dem festen Lande. Die gnädige Frau, die kaum vorher in ihrem Kabinett über dem Netzknüpfen mit ihrem geliebten Joli auf dem Schoße eingeschlummert war, fuhr bei dem entsetzlichen Krachen plötzlich auf, ließ ihren Joli fallen, und Joli – zerbrach ein Bein.

Dieser traurige Vorfall ließ nichts als eine unangenehme dreifache Wahl übrig: Entweder mußte das Pfarrhaus neu gebaut und der Schießstand zugleich ausgebessert werden – oder jenes wurde wieder mit einem neuen Giebel ausgeflickt, und bei dem nächsten Sturmwinde mußte wieder die ganze Gesellschaft gequetscht, beschunden, gedruckt werden, Joli mußte noch ein Bein zerbrechen usw. – oder endlich mußte der Herr Major zu Hause bleiben, die Rechnungen seines Verwalters durchlesen, ein Buch zur Hand nehmen und verschiedene Sachen daraus lernen, die...

Erscheint lt. Verlag 10.12.2016
Verlagsort Prague
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga Humor / Satire
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Candide • Catch-22 • Christopher Moore • Don Quijote • Drei Mann in einem Boot • Gullivers Reisen • Herman Melville • Jules Verne • Mark Twain • Tristram Shandy
ISBN-10 80-268-7023-9 / 8026870239
ISBN-13 978-80-268-7023-4 / 9788026870234
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