Katzendorfer Tagebuch
Pop, Traian (Verlag)
978-3-86356-132-1 (ISBN)
Frieder Schuller, *1942 in Katzendorf (Caţa), Sieben- bürgen (Rumänien). Studium der Theologie und Germanistik; lebt in Berlin und Caţa. Autor (Lyrik, Prosa, Drehbücher), Initiator und Leiter des mehrsprachigen Kulturtreffens von Katzendorf in Siebenbürgen. Veröffentlichungen u.a. „Die Angst der Parkbank vor dem Abendrot“(Lyrik), „Ossis Stein oder wer werfe das erste Buch“ (Theaterstück). Auszeichnungen: u.a. Andreas-Gryphius-Preis, Filmprämie des Bundesministeriums; seit 2012 Mitglied im Exil-P.E.N..
Vorwort Katzendorf, um 1400 erstmalig als Siedlung urkundlich erwähnt, wurde von den Siebenbürger Sachsen gegründet. Es steht heute, als kleines Dorf im östlichen Siebenbürgen mit vielen anderen Dörfern, die das gleiche Schicksal teilen, mit seiner Geschichte exemplarisch da – für fast alle ehemals siebenbürgisch-sächsisch geprägten Ortschaften im rumänischen Siebenbürgen. Siebenbürgen, eine über 800 Jahre von deutschen Auswanderern geprägte Kulturlandschaft, durchläuft seit der Mitte des 20. Jahrhunderts starke Wandlungsprozesse, die mit der Massenauswanderung seiner siebenbürgisch-sächsischen, also deutschen Bevölkerung seit Zusammenbruch des kommunistischen Regimes 1989 noch einmal gravierend an Fahrt aufgenommen haben. Die wechselvolle Geschichte Katzendorfs durchweht auch Jürgen Israels „Tagebuch“. Alle im Buch erwähnten Ortschaften trugen und tragen noch bis heute seit Jahrhunderten eine deutsche Bezeichnung. Dort, wo der Autor beide Ortsnamen (rumänisch, deutsch) nebeneinanderstellt, ist es sogleich offensichtlich. An anderer Stelle, wo dies nicht geschieht, bleibt es dem Leser überlassen, auf eigene Faust vorzudringen, sich außerhalb des „Tagebuchs“ mit frisch geweckter Neugier in die Historie der Städte und Dörfer dieses faszinierenden Landstrichs in Mitteleuropa vorzutasten. Dem interessierten Leser bieten sich immer wieder passable Einstiegspunkte, um sich über Siebenbürgen, über seine deutsche Minderheit und seine zwischen Exodus und Aufbruch schwankende Stimmung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zu informieren. Episodische Rückblenden in die Geschichte des Dorfes realisiert Jürgen Israel geschickt und ohne Anspruch auf Vollkommenheit mittels der Menschen, deren Erzähltes er in seine Chronistenaufgabe einfließen lässt. Der Leser erhält schlaglichtartige Einblicke in die Vorkriegszeit, in die tragischen Momente der Deportation der deutschen Einwohner Anfang 1946, aber auch in die langen, mühsamen Jahrzehnte kommunistischer Diktatur bis 1989. Geschickt und einer zwingenden Logik folgend, verknüpft der Autor die heutigen Bewohner Katzendorfs mit der geschichtlichen Entwicklung ihres Dorfes – so dass in seinem „Tagebuch“ Menschen auch immer als Produkt ihrer Umgebung und ihrer Lebensumstände, ihrer Geschichte und ihrer Lebenseinstellung zum Vorschein kommen. Der Roma Gheorghe, einer der Dorfhirten, wird zum menschlichen Mittelpunkt des Dorfschreibers. Mit ihm verbringt er die meiste Zeit, so dass Gheorghes naturverbundene Weltsicht für die Wahrnehmung des Dorfgeschehens prägend wirkt. Die pensionierte rumänische Lehrerin hingegen, die nachmittags im unmittelbar benachbarten Haus Nachhilfeunterricht gibt, wird nicht zum Kosmos der zentralen Personen des Tagebuchs gehören. Erzählt wird auch von einem Treffen mit dem Roma-König Cioabă in Hermannstadt, der Stadt, in welcher der deutsche Bischof Reinhard Guib seinen Amtssitz hat. Letzteres muss der Leser sich dann allerdings selbst erschließen. Es bedarf schon des fremden Blickes, der niemals mit der Erde Siebenbürgens verwurzelt war, der globalisiert denkt und von willkürlichen Enteignungen in Büchern gelesen hat, um das heutige Sozialgefüge in Katzendorf unvoreingenommen beschreiben zu können, so wie es Jürgen Israel punktuell vortrefflich gelingt. Unvoreingenommenheit, deren Abgrenzung zu Unbedarftheit und Gutgläubigkeit manchmal stark verschwimmen, ist in vorliegendem Buch der Schlüssel des Autors zu einer Dorfgemeinschaft, die vom Zusammenleben verschiedener Nationalitäten geprägt ist. Es entbehrt nicht einer deftigen Situationskomik, wie der Autor auf einer Feier der Roma deren lockere Sitten im wahrsten Sinne des Wortes zu spüren bekommt – ohne sich überhaupt dessen bewusst zu sein, dass er auf einer Roma-Feier ist. Es entzieht sich offensichtlich seiner Kenntnis, dass die unterschiedlichen Ethnien im Dorf bei ihren Veranstaltungen traditionell unter ihresgleichen bleiben. Ein Einheimischer hingegen, ob nun Rumäne, Ungar oder Siebenbürger Sachse, würde jederzeit fünf Meilen gegen den Wind feststellen können, dass es eine Roma-Feier ist (…) Überhaupt arbeitet sich Jürgen Israel immer wieder an der Multiethnizität „seines“ Dorfes ab. Seine westeuropäisch geprägte Political Correctness, moralischer Kompass seines Denkens und Handels, wird bereits früh einer Stressprobe unterzogen: nicht nur, dass die große Anzahl von Roma im Dorf von den Bewohnern als „Zigeuner“ bezeichnet werden – nein, sie nennen sich selbst so! Das will erst einmal ver-daut werden. Seine schriftstellerischen Bemühungen, diese aus Sicht des Autors vermeintlich inakzeptable Tatsache historisch-soziologisch, ja psychologisch vom rumänischen Kopf auf korrekte europäisch-moderne Füße zu stellen, sind lesenswert. Und unterhaltsam. Das „Katzendorfer Tagebuch“ ist eine nah an der Realität geschriebene, dadurch beinahe dokumentarische Momentaufnahme einer Dorfgesellschaft im ländlich geprägten Osten Siebenbürgens. Hier, am Fuße der Ostkarpaten, ticken die Uhren heute noch anders. Der Blick des Dorfschreibers in ein Dorfgefüge hinein, das sich über Jahrhunderte entwickelt hat, lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers recht unvermittelt in eine zum Teil immer noch archaisch, „überholt“ wirkende Gesellschaft: Das Clanoberhaupt der Roma verfügt, dass die Roma-Kinder trotz wochenlanger Proben am Tag des Auftritts nicht teilnehmen dürfen; ausländische Fremde aus Westeuropa sind immer reich und werden grundsätzlich angebettelt; die Kuhherde zieht morgens und abends wie seit Jahrhunderten noch durch die Dorfstraße; das Schwein wird auf der Straße geschlachtet – wenn auch nur im Roma-Viertel. Bemerkenswert am „Katzendorfer Tagebuch“ ist die Spannung zwischen einerseits objektiver Beobachtung, andererseits subjektiver Deutung des Beobachteten. Die für viele der Siebenbürger Sachsen, die dort gelebt haben, vielleicht befremdlich anmutende Schilderung ist somit gleichzeitig ein (paradox!) objektiv-subjektives Ausleuchten einer Dorfstruktur, wie sie tatsächlich nur in einem ehemals deutschen Dorf im ungarisch geprägten Ostsiebenbürgen und nur zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts vorzufinden ist. Dr. Bernd Fabritius MdB Präsident des Verbands der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V.
VorwortKatzendorf, um 1400 erstmalig als Siedlung urkundlich erwähnt, wurde von den Siebenbürger Sachsen gegründet. Es steht heute, als kleines Dorf im östlichen Siebenbürgen mit vielen anderen Dörfern, die das gleiche Schicksal teilen, mit seiner Geschichte exemplarisch da - für fast alle ehemals siebenbürgisch-sächsisch geprägten Ortschaften im rumänischen Siebenbürgen. Siebenbürgen, eine über 800 Jahre von deutschen Auswanderern geprägte Kulturlandschaft, durchläuft seit der Mitte des 20. Jahrhunderts starke Wandlungsprozesse, die mit der Massenauswanderung seiner siebenbürgisch-sächsischen, also deutschen Bevölkerung seit Zusammenbruch des kommunistischen Regimes 1989 noch einmal gravierend an Fahrt aufgenommen haben.Die wechselvolle Geschichte Katzendorfs durchweht auch Jürgen Israels "Tagebuch". Alle im Buch erwähnten Ortschaften trugen und tragen noch bis heute seit Jahrhunderten eine deutsche Bezeichnung. Dort, wo der Autor beide Ortsnamen (rumänisch, deutsch) nebeneinanderstellt, ist es sogleich offensichtlich. An anderer Stelle, wo dies nicht geschieht, bleibt es dem Leser überlassen, auf eigene Faust vorzudringen, sich außerhalb des "Tagebuchs" mit frisch geweckter Neugier in die Historie der Städte und Dörfer dieses faszinierenden Landstrichs in Mitteleuropa vorzutasten. Dem interessierten Leser bieten sich immer wieder passable Einstiegspunkte, um sich über Siebenbürgen, über seine deutsche Minderheit und seine zwischen Exodus und Aufbruch schwankende Stimmung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zu informieren.Episodische Rückblenden in die Geschichte des Dorfes realisiert Jürgen Israel geschickt und ohne Anspruch auf Vollkommenheit mittels der Menschen, deren Erzähltes er in seine Chronistenaufgabe einfließen lässt. Der Leser erhält schlaglichtartige Einblicke in die Vorkriegszeit, in die tragischen Momente der Deportation der deutschen Einwohner Anfang 1946, aber auch in die langen, mühsamen Jahrzehnte kommunistischer Diktatur bis 1989. Geschickt und einer zwingenden Logik folgend, verknüpft der Autor die heutigen Bewohner Katzendorfs mit der geschichtlichen Entwicklung ihres Dorfes - so dass in seinem "Tagebuch" Menschen auch immer als Produkt ihrer Umgebung und ihrer Lebensumstände, ihrer Geschichte und ihrer Lebenseinstellung zum Vorschein kommen. Der Roma Gheorghe, einer der Dorfhirten, wird zum menschlichen Mittelpunkt des Dorfschreibers. Mit ihm verbringt er die meiste Zeit, so dass Gheorghes naturverbundene Weltsicht für die Wahrnehmung des Dorfgeschehens prägend wirkt. Die pensionierte rumänische Lehrerin hingegen, die nachmittags im unmittelbar benachbarten Haus Nachhilfeunterricht gibt, wird nicht zum Kosmos der zentralen Personen des Tagebuchs gehören. Erzählt wird auch von einem Treffen mit dem Roma-König Cioaba in Hermannstadt, der Stadt, in welcher der deutsche Bischof Reinhard Guib seinen Amtssitz hat. Letzteres muss der Leser sich dann allerdings selbst erschließen.Es bedarf schon des fremden Blickes, der niemals mit der Erde Siebenbürgens verwurzelt war, der globalisiert denkt und von willkürlichen Enteignungen in Büchern gelesen hat, um das heutige Sozialgefüge in Katzendorf unvoreingenommen beschreiben zu können, so wie es Jürgen Israel punktuell vortrefflich gelingt. Unvoreingenommenheit, deren Abgrenzung zu Unbedarftheit und Gutgläubigkeit manchmal stark verschwimmen, ist in vorliegendem Buch der Schlüssel des Autors zu einer Dorfgemeinschaft, die vom Zusammenleben verschiedener Nationalitäten geprägt ist. Es entbehrt nicht einer deftigen Situationskomik, wie der Autor auf einer Feier der Roma deren lockere Sitten im wahrsten Sinne des Wortes zu spüren bekommt - ohne sich überhaupt dessen bewusst zu sein, dass er auf einer Roma-Feier ist. Es entzieht sich offensichtlich seiner Kenntnis, dass die unterschiedlichen Ethnien im Dorf bei ihren Veranstaltungen traditionell unter ihresgleichen bleiben. Ein Einheimischer hingegen, ob nun Rumäne, Ungar oder Siebenbürger Sachse, würde jederz
Erscheinungsdatum | 01.12.2016 |
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Reihe/Serie | Fragmentarium |
Nachwort | Frieder Schuller |
Vorwort | Bernd Fabritius |
Zusatzinfo | Umschlagbild: Agathe IsraelAutorenfoto: Björn Reißmann |
Verlagsort | Ludwigsburg |
Sprache | deutsch |
Maße | 145 x 200 mm |
Gewicht | 331 g |
Einbandart | kartoniert |
Themenwelt | Literatur ► Briefe / Tagebücher |
Schlagworte | Belletristik und verwandte Gebiete • Katzendorf • Roma • Rumänien • Rumänien; Berichte/Erinnerungen • Siebenbürgen • Tagebuch |
ISBN-10 | 3-86356-132-5 / 3863561325 |
ISBN-13 | 978-3-86356-132-1 / 9783863561321 |
Zustand | Neuware |
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