Ich habe auch gelebt! (eBook)

Briefe einer Freundschaft
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
592 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-1488-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich habe auch gelebt! -  Astrid Lindgren,  Louise Hartung
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»Manchmal frage ich mich, warum ich lebe, warum Menschen überhaupt leben. Aber das erzähle ich nur Dir - ich laufe nicht mit hängendem Kopf herum, sodass es jemand sieht. Falls Du weißt, warum Menschen leben, dann schreib und erzähl es mir.« Astrid Lindgren stand 1953 am Beginn einer beispiellosen Weltkarriere. Bei einem Berlinbesuch lernte sie die Deutsche Louise Hartung kennen, etwa ein Jahr nachdem Lindgren sehr plötzlich ihren Mann verloren hatte. Aus der Begegnung entstand eine ganz besondere Freundschaft. Wie wenig andere verstand Hartung die »kleine Melancholie«, die Lindgren an manchen Tagen überkam. Über elf Jahre hinweg teilten die beiden außergewöhnlichen Frauen Freude und Trauer und standen einander in über 600 Briefen bei, die sich wie ein Roman lesen. In den Briefen der Freundinnen, die die Weltschriftstellerin Astrid Lindgren von einer ganz neuen Seite zeigen, entsteht ein sehr persönliches Bild vom Leben in Deutschland und Schweden in einer Zeit des Wiederaufbaus und gesellschaftlichen Umbruchs. Berührend, klug, traurig und lustig zugleich: das Porträt einer engen Freundschaft, die alle Grenzen überwindet.

Astrid Lindgren (1907-2002) ist die wichtigste Kinderbuchautorin des 20. Jahrhunderts, Pippi Langstrumpf, Michel aus Lönneberga, Karlsson vom Dach, Ronja Räubertochter und Die Brüder Löwenherz sind Klassiker, die bereits von mehreren Generationen von Kindern und Eltern gelesen wurden. Sie überwinden mühelos die Grenzen von Alter, Geschlecht, Herkunft und Politik. Astrid Lindgrens Bücher wurden in über 96 Sprachen übersetzt und haben sich mehr als 150 Millionen Mal verkauft. Neben ihrer Tätigkeit als Autorin hat sie sich stets für Rechte von Kindern eingesetzt.

Astrid Lindgren (1907-2002) ist die wichtigste Kinderbuchautorin des 20. Jahrhunderts. Die meisten ihrer Bücher wie Pippi Langstrumpf, Michel aus Lönneberga, Karlsson vom Dach, Ronja Räubertochter und Die Brüder Löwenherz gelten als Klassiker. Astrid Lindgrens Bücher wurden in über 96 Sprachen übersetzt und haben sich mehr als 150 Millionen Mal verkauft. Louise Hartung (1905-1965) kam in Münster als jüngstes von acht Kindern zur Welt. Mitte der 1920er-Jahre lebte sie in Berlin und traf dort Maler wie Kandinsky, Chagall und Paul Klee. Sie kam auch in Kontakt mit Bertolt Brecht und wirkte an der Uraufführung der Dreigroschenoper 1928 mit. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitete Hartung in Berlin für das Hauptjugendamt. Hier lernte sie auch Astrid Lindgren kennen.

1954


Stockholm 3. 2. 1954

Liebste Frau Hartung!

Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich auf Englisch schreibe? Es fällt mir ein bisschen leichter als in dieser deutschen Sprache, die ich so liebe, aber mündlich und schriftlich so schlecht beherrsche.

Ich habe zwei wirklich liebe Briefe von Ihnen erhalten und mich sehr darüber gefreut.1 Ich musste oft an Sie denken, seit ich Sie in Berlin sah. Diese kurzen Tage mit Ihnen in Berlin haben mir sehr viel bedeutet, und ich könnte jederzeit einen Essay in »Reader’s Digest« über »die unvergesslichste Person, die ich je traf« schreiben oder wie immer Sie das nennen. Und sagen Sie nichts über »Versäumnisse« – Sie waren einfach wunderbar zu mir. Ich weiß, Sie waren sehr traurig wegen Ihres Freundes Reuter2, aber das hat man Ihnen nicht angemerkt, Sie waren so ruhig und eine perfekte Gastgeberin. Sie wissen gar nicht, wie angenehm ich meinen Aufenthalt in Ihrem Haus empfand. Und ich finde es sehr, sehr lieb von Ihnen, mir anzubieten, eine Urlaubsreise mit Ihnen zu machen. Wenn es nur ginge. Wenn ich nur könnte! Aber ich habe meinen Kindern versprochen (Tochter, Sohn und Schwiegertochter), in diesem Sommer mit ihnen nach England zu fahren. Im Augenblick steht mir der Sinn überhaupt nicht nach Reisen. Früher bin ich nie krank gewesen, aber jetzt bin ich es. Seit ungefähr einem Monat fühle ich mich unpässlich, und ich schreibe dies, während ich mit einem dicken Wollschal um den Kopf im Bett sitze. Ich habe furchtbare rheumatische Schmerzen im Nacken, und allem Anschein nach arbeitet irgendein Infekt in mir.

Inzwischen bin ich ihn wirklich leid, ich hoffe sehr, dass ich bald wieder aufstehen kann.

Es gibt so unendlich vieles, wovon ich Ihnen schreiben möchte, doch im Augenblick bin ich zu müde. Lassen Sie mich nur sagen, dass ich hoffe – und weiß –, wir sehen uns wieder. Es gibt nicht so viele Menschen in dieser Welt, die man als Freunde haben möchte, und ich höre mit großer Freude, dass Sie über unsere Freundschaft genauso denken wie ich. All das könnte ich Ihnen besser sagen, wenn ich es auf Schwedisch schreiben könnte … ach herrje, jetzt fange ich schon wieder damit an.

Ich danke Ihnen sehr für »Ferdinand«3! Ich habe das Buch vor einigen Jahren gesehen, als es in Schweden veröffentlicht wurde, aber jetzt erlebe ich es als etwas ganz Neues und Wundervolles. Vielen Dank! Sobald ich aus dem Bett bin, schicke ich Ihnen Pippi in ihrer schönsten schwedischen Ausgabe.

Bleiben Sie mit mir in Verbindung. Ich werde Sie nie vergessen.

Astrid Lindgren

(krank und müde)

Berlin, undatiert, Anfang Februar 1954

Liebe, sehr liebe Frau Lindgren,
drei Emotionen auf einmal: froh über den Brief, erleichtert, weil er in Englisch war, und traurig, dass Sie krank sind – immer verstehen Sie es, gleichzeitig viele Saiten zum Schwingen zu bringen. (…)

Ich muss auf Ihren letzten Brief eingehen, den ich so lange nicht beantwortete, weil er mich eigentlich sehr unglücklich gemacht hat. Er war so endgültig. Endgültig durch die Sprachschranke, die für einen so von und in der Sprache lebenden Menschen wie Sie quälend sein muss; statt reich und verschwenderisch und überquellend wird man arm, sparsam und karg. Vor Jahren bin ich einmal Hals über Kopf von Paris abgefahren, weil ich es nicht mehr aushielt, diffizile Gespräche über bildende Kunst, Malerei und Musik zu führen, deren genauer Ausdruck mir in der fremden Sprache nicht zur Verfügung stand, Liebe und Freundschaft haben mir nicht ersetzen können, dass ich geistig arm wurde. (…)

Bitte mühen Sie sich nicht, diese umständliche deutsche Sprache zu gestalten, natürlich ist es mir viel lieber, wenn Sie Englisch schreiben, wenn Sie nur überhaupt schreiben. Aber besser wäre es schon, Sie bleiben bei Schwedisch. Wenn ich es auch nur sehr unvollkommen spreche, so verstehe ich es doch einigermaßen und bin auch bereit, dieser Sprache mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden, als es bisher nötig war. All unsere schwedischen Freunde, die hier lebten, sprachen zu gut berlinisch! – Ich hatte 1929 Unterricht bei einer berühmten amerikanischen Sängerin, Mme Charles Cahier, diesen Namen hatte sie von ihrem schwedischen Mann. Sie kaufte diesem in Schweden ein Schloss (Helgerum Slott), dann ließ sie ihn allein dort sitzen und kam fluchtartig nach Berlin. Gesangunterricht gab sie in einem Gemisch von Amerikanisch/Englisch und Schwedisch. (…)

Ich bin sehr froh, dass Sie denken, wir werden uns wiedersehen. Wann und wo auch immer das sein wird, ist gleichviel. Ich wusste schon, als ich Sie am Flugplatz abholte, dass die Begegnung viel mehr sein würde als der offizielle Besuch einer schwedischen Jugendbuchautorin beim Hauptjugendamt. (…)

Ich fragte Sie, ob Sie noch irgendeinen Wunsch hätten, den ich erfüllen könnte, und Sie wollten weiter nichts, als dass ich Ihnen die ganze Nacht von mir erzählen sollte. Ich wusste, dass ich nichts, aber auch gar nichts vor Ihnen zurückhalten würde, da Vertrauen ja nur unbegrenzt sein kann oder gar nicht. Nichts wäre mir lieber als der Beruf einer Scheherazade. Aber dann muss man eben 1001, nicht eine Nacht vor sich haben. Ich hatte Furcht vor den Schleusen, die sich öffnen, aber nicht so leicht schließen lassen. Und Furcht ist eben doch ein Grundübel, passt auch gar nicht zu mir und ist mir nur aus allen Erlebnissen des vergangenen Jahres erklärlich. Wir brauchen in der Welt viel mehr »Abenteurer der Hingebung«, sonst ersticken wir an der Geschäftemacherei und der Bürokratie.

Dass Sie Ihren Sommer schon verplant haben, habe ich mir fast gedacht, kein Mensch lebt ja im luftleeren Raum. Dann werden Sie wahrscheinlich doch nach Berlin kommen müssen, wo Sie ja noch so vieles zu tun übrig ließen … Nie werde ich den Abend um den Potsdamer Platz herum vergessen … und ich denke, dass Sie selbst wissen, dass man nicht zwei Tage lang in Berlin sein kann und dann wegfährt, um nicht mehr wiederzukommen.

Sie leben in der schönsten Stadt der Welt, umgeben von friedfertigen, wahrscheinlich wohlwollenden Menschen; diese zerrissene, zerschlagene, in sich hässliche Stadt voller Gegensätzlichkeit, mit Menschen wie gezähmten Raubtieren muss doch auf Sie mehr Anziehungskraft ausüben als auf den Normalreisenden. Sie sehen, was ich Ihnen als Verlockung hinstelle, würde in keinem Baedeker drei Sterne bekommen, und doch wage ich, Ihnen diese Gegend anzupreisen. Sie müssten kein Dichter sein, wenn Sie Berlin hinter sich lassen könnten wie einen abgetretenen Schuh. Lassen Sie nicht zu viel Zeit vergehen. Aber gleichviel, ob es lang dauert oder nicht, Sie wiederzusehen ist von allem, was ich wünsche oder plane, das Einzige, was ich noch erleben möchte.

Ihre Louise Hartung

Stockholm, 22. 2. 1954

Liebe süsse, heute bin ich zum ersten Mal auf den Beinen, und ich sehe mich in der Welt um wie ein neugeborenes Kind. Die Sonne scheint, und es ist nicht mehr so bitterkalt. Alles ist gut – außer dass ich mich schäme, Ihnen nicht schon längst geschrieben zu haben. Aber dafür schreiben Sie lange, schöne und äußerst geistreiche Briefe, und mich treibt der heftige Ehrgeiz, sie nicht allzu langweilig zu beantworten. Jeden Tag habe ich mir gesagt, »Heute schreibe ich – einen langen Brief an diesen umtriebigen, begeisterten und lebhaft süsser Mensch in Berlin«, und so habe ich mit der Schreibmaschine im Bett sitzend angefangen, aber mein Körper wie mein Verstand sagen: »Nein, ich bin zu müde«, und das Ergebnis war wirklich zu langweilig, um es einer intelligenten Frau wie Ihnen zu schicken. Nun aber lege ich meinen Ehrgeiz beiseite und schreibe einen langweiligen kleinen Brief, den Sie mit Geduld lesen müssen.

Nach Berlin kommen – das klingt wunderbar in meinen Ohren. Ich wünschte, ich könnte kommen, und ich komme bestimmt wieder, aber ich fürchte, in diesem Frühjahr wird es noch nichts. Diese verflixte Nierenentzündung hat mir schon zu viel von meiner Zeit geraubt, inzwischen sollte ich eifrig an meinem neuen Buch sitzen und habe noch nicht einmal angefangen. Außerdem muss ich noch schrecklich viel anderes erledigen, und mein Arzt sagt heute, vor Mitte März darf ich nicht mit der Arbeit beginnen. Das heißt, dass ich in den kommenden Monaten mehr denn je beschäftigt bin. Freunde von mir haben mich gebeten, im Mai mit ihnen nach Italien zu fahren, und ich habe natürlich nein gesagt. Viel lieber als nach Italien würde ich stattdessen nach Berlin kommen, aber bedauerlicherweise muss ich in beiden sehr angenehmen Fällen nein sagen. (…)

Es freut mich zu hören dass Sie waren draussen an der Havel. Ich werde diesen Abend nie vergessen und auch nicht das Abendrot und diese specielle Stimmung da. Ich verstand mit einem Mal was für ein ungewöhnlicher Mensch Sie waren. Kein anderer hätte daran gedacht mir so einen ersten Eindruck zu geben.

Und auch wenn Sie eine wilde Fahrerin sind (haha), werde ich Sie dafür immer bewundern – dass Sie Ihrem Gast dieses Ihr altes Berlin gezeigt haben, das ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ich erinnere mich, dass ich an einem Abend im Mai 1948 nach New York kam und dachte, es sei Metropolis, und es einen tiefen Eindruck machte, aber das mit Berlin war ein noch tieferes Erlebnis und mit nichts vergleichbar. Und Sie waren diejenige, die verstand, dass ich genau das wollte. Dieser Abend im Ostsektor – auch den werde ich nie vergessen, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie mir zumute war, als ich diese kaputte Stadt und Ihre Tränen sah. In letzter Zeit musste ich viel an Sie und Berlin denken, als diese unglückselige Konferenz der Großen Vier im...

Erscheint lt. Verlag 18.11.2016
Nachwort Antje Rávik Strubel
Übersetzer Angelika Kutsch, Ursel Allenstein, Brigitte Jakobeit
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Briefe / Tagebücher
Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Astrid Lindgren • Berlin • Berlin 20er Jahre • Bestseller • Bibliothek • Bildung • Biografie • Biografien & Erinnerungen • BRD • Brecht • Briefe • Brieffreundschaft • Briefwechsel • Buch 2016 • Bullerbü • DDR • Deutschland • Die Brüder Löwenherz • Die Menschheit hat den Verstand verloren • Dreigroschenoper • Ehe • Emotionaler Austausch • Erinnerungen • Europa • Europa /Geschichte • Franz Marc • Freundin • Freundinnen • Freundschaft • Geschichte • Ihr Leben • Jugendamt • Kalle Blomquist • Karlsson vom Dach • Klassiker • Korrespondenz • Kurt Weill • Lesen • Liebe • Lindgren • Madita • Marc Chagall • Mio mein Mio • Nachkriegszeit • Nell Walden • Neu 2016 • Neuerscheinung 2016 • Neuerscheinungen 2016 • Pippi Langstrumpf • Ronja Räubertochter • Schweden • Spiegelbestseller • Stockholm • Tod • Trauer • Zwanziger Jahre
ISBN-10 3-8437-1488-6 / 3843714886
ISBN-13 978-3-8437-1488-4 / 9783843714884
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