Ein tödliches Grippevirus grassiert in den USA. Während Chaos um sich greift, flieht eine Gruppe ganz unterschiedlicher Menschen in einen unterirdischen Luxusbunker - das Sanctum -, ihre eigene, sich selbst versorgende Welt. Doch schon bald befeuern Abschottung und Enge erste Spannungen unter den Bewohnern. Als der Erbauer des Bunkers tot aufgefunden wird, bricht Panik aus. Mit ihm ist der Code zum Öffnen der Türen verloren. Der Sauerstoff wird knapp. Die Wasservorräte schwinden. Der Kampf ums Überleben beginnt.
Hinter S. L. Grey verbergen sich die Bestsellerautoren Sarah Lotz und Louis Greenberg. Beide Autoren leben in Südafrika, Sarah in Capetown, Louis in Johannesburg. Als S. L. Grey beschäftigen sie sich mit der Frage, was passiert, wenn der Mensch in Extremsituationen geworfen wird.
1
GINA
Den ganzen Vormittag lang hab ich die Wohnung geputzt, alle Oberflächen mit Desinfektionsmittel abgewischt, die Teppiche, die Polster und die völlig sinnlosen Vorhänge abgesaugt. Fenster gibt’s hier unten ohnehin keine und natürliches Licht ebenso wenig. An den Wänden sind bloß Bildschirme montiert. Eine Waldszene, ein schneebedeckter Berg, gleich daneben ein tropischer Strand. Mir wird schlecht davon.
Und überall sind Einbauschränke.
Dicke, frisch gewaschene Bettdecken und Einbauschränke. Eine richtige Reiche-Leute-Wohnung. Ich sollte mich darüber freuen – als wäre das hier eine Art Traumurlaub. Aber ich hab jetzt schon die Nase voll. Ich wünschte mir, wir könnten einfach wieder heimfahren. Ich wünschte mir, Daddy hätte diese Wohnung nie gekauft.
Momma hat sich verändert, als wir aus der Stadt in den Trailer auf Mr. Harbers Farm gezogen sind. Ich hab nie wirklich verstanden, wieso wir gehen mussten, aber es hatte wohl irgendwie damit zu tun, dass Brett wieder mal von der Schule geflogen war. Und Momma war sauer, als sie herausfand, dass Daddy ihr Erbe für diese Bude hier ausgegeben hatte statt für das Haus, von dem sie immer geträumt hatte. »Was sollen wir mit einer Wohnung, in der wir nur wohnen können, wenn die Welt untergeht?«, hat sie gesagt. Und geheult. »Jetzt, Cam? Was ist mit jetzt?« Normalerweise erhebt sie gegen Daddy nicht die Stimme, und ihm gefiel das gar nicht. Aber natürlich wusste sie genauso gut wie er, dass es so nicht weitergehen konnte, und überspielte von da an ihren Kummer mit Gebeten.
Als wir im Sanctum ankamen, sah sie so müde aus, dass ich ihr anbot, sauber zu machen, während sie sich ausruht. »Bist du dir sicher, Liebling?«, fragte sie, noch während sie sich hinlegte und zudeckte. »Kommst du zurecht? Mit ihm?« Ja, natürlich, hab ich geantwortet. »Wenn du Angst hast, komm einfach zu mir, ja?«
»Klar, Momma.«
Ich spüle und trockne das Geschirr ab – brandneue Teller, Gläser und Tassen, großes Kochgeschirr und glänzendes Besteck aus Edelstahl – und wische die Regalböden aus, bevor ich alles wieder einräume.
»Vergiss die Griffe nicht, Gina«, ermahnt mich Daddy. »Muss alles blitzblank werden. Wir wollen uns schließlich keine Mexikanerbazillen einfangen, was?« Er sagt das, um mich einzubeziehen, als Witz, über den wir zusammen lachen könnten, und auch wenn er mich wie ein Kind behandelt, weiß ich es zu schätzen. Hier drinnen müssen wir ein Team sein, sogar noch mehr als auf der Farm.
»Bestimmt nicht, Daddy.«
Daddy und Brett machen keine Anstalten, mir zu helfen. Sie sitzen einfach am Frühstückstisch, trinken Kaffee, futtern Sandwiches und reden über Politik und Football.
»Glaubst du, wir sind rechtzeitig zum Saisonstart wieder zurück, Dad?«, fragt Brett. Vor ihm auf dem Tisch liegt eine M1911, und er wippt nervös mit dem Knie, weil Mr. Fuller gesagt hat, wir sollen ihm unsere Waffen aushändigen. Daddy war damit einverstanden, dass Mr. Fuller sie später, wenn wir uns eingerichtet haben, in den Safe legt, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Brett da einfach so mitspielt. Einen Augenblick lang starre ich ihn an, will ihn dazu bringen, mich anzusehen, so wie ich es in den letzten zwei Jahren immer wieder versucht und mir dabei gewünscht habe, dass er sich erinnert, wer ich bin – seine Zwillingsschwester –, obwohl er selbst nicht mehr derselbe ist und trotz allem, was vor zwei Jahren passiert ist. Früher waren wir ein Herz und eine Seele, konnten praktisch die Gedanken des anderen lesen. Aber er dreht sich nicht mal um. »Die Testspiele haben gerade angefangen, aber vielleicht …«
Daddy sieht ihn stirnrunzelnd an und atmet tief durch. »Ich bin mir nicht mal sicher, ob’s überhaupt eine Saison geben wird. Wenn wir zurückkommen, wird alles anders sein – wir haben es hier nicht bloß mit irgendeiner Allerweltsgrippe zu tun. Die Dinge verändern sich. In den nächsten Wochen bricht da draußen alles zusammen – Plünderungen, Aufstände, Zerstörung. Dann wird das Kriegsrecht verhängt. Das wird sich bis in die einfachste Infrastruktur auswirken. Wenn wir hier wieder raus sind, müssen wir dort oben alles neu aufbauen.« Daddys Stimme wird tiefer und lauter, wie wenn er mit seinen Freunden über Politik spricht. »Aber wir sitzen das aus, und dann sind wir stark genug und bereit, unseren Platz in der neuen Weltordnung einzunehmen.« Brett nickt. »Allerdings wird es erst noch viel schlimmer werden, bevor es wieder aufwärtsgeht. Aber es wird ganz bestimmt wieder besser.«
»Daran sind nur die Schlitzaugen schuld«, sagt Brett. »Die haben’s nicht anders verdient.«
»Ja. Aber du siehst ja, wie schnell sich das Virus nach Amerika ausbreitet. Ein heimtückischer Angriff ist das, generalstabsmäßig geplant. Und wir kriegen das ab – und zwar so richtig. Viel schlimmer als die. Wir sind das Ziel.«
»Aber wieso sterben dann die Leute bei denen, Daddy?«, frage ich zögerlich und so höflich wie nur möglich, damit er nicht denkt, ich will ihm widersprechen.
Daddy zuckt mit den Schultern. »Bestimmt ein Versehen. Vielleicht ist da irgendeine Ampulle runtergefallen.«
»Oder sie machen Tests mit ihren eigenen Leuten«, meint Brett. »Würde den Schlitzaugen ähnlich sehen, Dad.« Als wüsste er Bescheid. Seit einer Weile sagt Brett zu Daddy »Dad«, ist mir aufgefallen. Und diskutiert mit ihm wie mit einem Kumpel auf der Schießanlage.
»Ein Gegenmittel gibt’s jedenfalls frühestens in ein paar Monaten«, erwidert Daddy. »Genau darauf haben wir uns vorbereitet. All das hier war nicht umsonst.«
Ich will ihn schon fragen, wieso Brett und er die Pferde erschießen mussten, lasse es dann aber bleiben. Er würde mich nur anschreien. Und ich weiß sowieso, was er sagen würde. Hättest du gewollt, dass sie verhungern, Gina? Oder dass sie jemand umbringt und auffrisst, während wir weg sind? Hättest du das mit deinem Gewissen vereinbaren können?
Ich steige auf die kleine Küchenleiter, um einen Stapel großer Teller in den Schrank über dem Herd zu schieben, und stütze mich dabei kurz an der Schranktür ab – nur ganz leicht, ehrlich, ich fasse sie kaum an. Trotzdem rutscht die obere Angel raus, die Tür kracht mir entgegen, und ich zucke weg. Der oberste Teller kippt vom Stapel und zerspringt mit einem gewaltigen Klirren auf der steinernen Arbeitsplatte. Ich schaffe es gerade so, die übrigen Teller in den Schrank zu bugsieren, bevor ich zittrig von der Leiter steige. Noch bevor Daddy losbrüllt, kauere ich auf den Knien und sammle die Scherben auf.
»Pass doch auf«, bellt er, kommt rüber und inspiziert die Schranktür. »Jetzt schau dir das an!«
»Entschuldigung«, sage ich und mache mich ganz klein. Ich weiß schon, dass er nur wegen des Geräuschs erschrocken ist. Die Wut wird genauso schnell verrauchen, wie sie aufgeflammt ist, aber bis dahin bleibe ich lieber auf Abstand.
Momma kommt aus dem Schlafzimmer, wirft Brett und Daddy einen fragenden Blick zu und marschiert dann auf mich zu. »Was hast du denn jetzt schon wieder angestellt?«
Ich sage nichts. Vielen Dank für die Hilfe, Momma. Vom Boden aus blicke ich rüber zu Brett, der immer noch vollkommen ungerührt auf seinem Stuhl sitzt. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit wäre er mir zu Hilfe geeilt. Jetzt schaut er einfach weg.
Später gehen Daddy und Brett rauf, um mit Mr. Fuller den Zaun zu überprüfen. Daddy ist ziemlich stolz darauf, dass wir als Erste da waren, das sehe ich ihm an. Planung ist das halbe Leben, sagt er immer. Momma schläft wieder, in ihrem Zimmer. Das Essen ist fertig, alles ist sauber, Daddy hat den Schrank repariert. Die Rattenkötel, die ich beim Putzen oben auf den Schränken gefunden habe, erwähne ich lieber nicht. Er würde daraus nur wieder mir einen Strick drehen.
Die Pferde gehen mir einfach nicht aus dem Kopf. Reggies riesengroße Augen und Dwights scheckige Flanken, die an Chocolate-Chip-Eis erinnerten. Um mich abzulenken, blättere ich noch mal durch die Willkommensbroschüre auf der Küchentheke. »Herzlich willkommen im Sanctum! Fühlen Sie sich rundum sicher in Ihrer persönlichen Survival-Luxuswohnung.« Als wir gestern ankamen, redete Mr. Fuller in einem fort davon, wie das Sanctum sich selbst versorgen könnte, erzählte von dem Gemüse, das hier unter künstlichem Licht angebaut, und von der Komposttoilette im Keller, aus der Dünger für die Pflanzen gewonnen würde. Irgendwie finde ich das eklig. Andererseits haben wir zu Hause auch Kuhmist genommen. Sogar einen Hühnerstall gibt’s dort unten, und Mr. Fuller hat vorgeschlagen, ich könnte ihm ja mit den Hühnern helfen. Ich hab Daddy noch nicht gefragt, aber ich hoffe, er erlaubt es mir. So hätte ich eine Ausrede, ab und zu mal aus der Wohnung zu kommen. Echt unfair: Nur weil Brett ein Junge ist, darf er jederzeit raus und überall hingehen, und ich muss immer erst fragen. Brett hat versprochen, später mit mir zum Pool zu gehen, aber warum sollte ich so lange warten? Falls Momma aufwacht, kommt sie auch mal kurz allein zurecht.
Bevor ich den Mut verliere, öffne ich die Wohnungstür einen Spaltbreit – die Angeln quietschen nicht wie in unserem Trailer – und schlüpfe hinaus auf den stockdunklen Flur. Man würde nie glauben, dass gerade Mittag ist. Im Sanctum herrscht immer tiefste Nacht. Als ich die Tür schließe und der Bewegungssensor mich entdeckt, geht das Licht an.
Probehalber lege ich den Daumen auf das Bedienfeld vor der Tür. Die Tür klickt und gibt nach. So weiß ich wenigstens, dass ich –...
Erscheint lt. Verlag | 14.11.2016 |
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Übersetzer | Jan Schönherr |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Under Ground |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Angst • Bunker • eBooks • Prepper • Thriller • Überleben • Underground • Virus |
ISBN-10 | 3-641-15309-3 / 3641153093 |
ISBN-13 | 978-3-641-15309-0 / 9783641153090 |
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