Die Akte Rosenburg (eBook)

Spiegel-Bestseller
Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit
eBook Download: PDF | EPUB
2016 | 1. Auflage
588 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-69769-2 (ISBN)
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Als das Bundesministerium der Justiz 1949 seine Arbeit aufnahm, kam es zu ganz erheblichen personellen und politischen Verflechtungen mit dem "Dritten Reich“. Dass Juristen, die eine stark belastete NS-Vergangenheit hatten, in der Behörde Dienst taten, wurde nicht als problematisch empfunden. Dieses grundlegende Werk zeigt, wer alles im Ministerium unterkam und welchen Einfluss das auf die Rechtspraxis hatte – nicht zuletzt bei der Strafverfolgung von NS-Tätern.
Die "Rosenburg" in Bonn war von der Gründung der Bundesrepublik bis 1973 der Sitz des Bundesministeriums der Justiz. 2012 setzte das Ministerium eine Unabhängige Wissenschaftliche Kommission ein, die den Umgang der Behörde mit der NS-Vergangenheit in den Anfangsjahren der Bundesrepublik erforschen sollte. Zu diesem Zweck erhielt die Kommission uneingeschränkten Aktenzugang. Dieses Buch präsentiert ihre Ergebnisse. Zum "Geist der Rosenburg", so zeigt die Studie, trugen maßgeblich Beamte und Mitarbeiter bei, die zuvor im Reichsjustizministerium, bei Sondergerichten und als Wehrrichter tätig gewesen waren. Ihre Karrieren vor und nach 1945 zeichnet die Kommission ebenso nach wie die Belastungen, die dies für das Ministerium und den Inhalt seiner Politik darstellte. So wird unter anderem gezeigt, welche zentrale Rolle das Ministerium spielte, als 1968 Zehntausende von Strafverfahren gegen NS-Täter eingestellt wurden.



<p>Manfred G&ouml;rtemaker ist Professor f&uuml;r Neuere Geschichte an der Universit&auml;t Potsdam.<br /> <br /> Christoph Safferling ist Professor f&uuml;r Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und V&ouml;lkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universit&auml;t Erlangen-N&uuml;rnberg. Er hat Publikationen u. a. zur V&ouml;lkerstrafrechtspolitik und zum Internationalen Strafrecht vorgelegt.</p>

lt;p>Manfred Görtemaker ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam.

Christoph Safferling ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er hat Publikationen u. a. zur Völkerstrafrechtspolitik und zum Internationalen Strafrecht vorgelegt.

Cover 1
Titel 3
Zum Buch 597
Über die Autoren 597
Impressum 4
Inhalt 5
Einleitung 11
Das Rosenburg-Projekt 12
Untersuchungsgegenstände und Arbeitsweise der Kommission 14
Die Rolle der Justiz in der NS-Zeit und in der Bundesrepublik 16
Das Bundesministerium der Justiz 22
Amnestie und Verjährung 23
Die Taten und ihre Täter 24
Erster Teil: Gründung, Aufbau und Entwicklung 31
I. Justiz unter der Besatzungsherrschaft 32
1. Die Gesetzgebung der Alliierten 33
Der Alliierte Kontrollrat 34
Spaltung der Vier-Mächte-Verwaltung 35
Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher 36
Die Entwicklung in der SBZ 39
Hilde Benjamin: Die «Rote Guillotine» 41
2. Der Nürnberger Juristenprozess 44
Allgemeine rechtliche Grundlagen 48
Der Prozess 51
Der Fall Schlegelberger 52
Der Fall Rothaug 54
Aussage Walter Roemer 57
Rezeption in der Bundesrepublik 59
Rezeption in der DDR 61
Fazit 62
3. Das Problem der Entnazifizierung 63
Entnazifizierung: Eine amerikanische Erfindung? 63
Der Fragebogen 67
Das Instrument der Spruchkammern 68
Die britische und französische Entnazifizierungspraxis 70
Die Politik des «Antifaschismus» in der SBZ 72
4. Die Landesjustizverwaltungen 74
Zwischen Kontrolle und Neuaufbau: Die alliierte Justizpolitik 1945 – 1949 74
Wiedereröffnung der deutschen Gerichte 76
Die Entstehung der Justizministerien in den Ländern 79
Bemühungen um die Entnazifizierung des Justizpersonals 80
Beginn der Verfolgung nationalsozialistischer Gewalttaten 84
II. Der Aufbau des BMJ 1949–1953 86
1. Die Gründungsväter: Thomas Dehler und Walter Strauß 86
Liberaler Demokrat und demokratischer Nationalist 86
Der «immerwährende Staatssekretär» 91
Auswandererhilfe für Juden und politisch Verfolgte 92
Nachkriegszeit 95
Die Wirtschaftsverwaltung der Bizone 97
Das Rechtsamt des Vereinigten Wirtschaftsgebiets 99
Dehler und Strauß im Parlamentarischen Rat 101
2. Das Bundesministerium der Justiz: Neubeginn oder Kontinuität? 103
Dehlers Weg ins Ministeramt 104
Die Idee eines «Verfassungsministeriums» 106
Dehlers persönliches Umfeld im BMJ 109
Konflikte mit Strauß 110
Auseinandersetzungen um die Verwendung der Bizonen-Mitarbeiter 112
Die Herkunft des Gründungspersonals im BMJ 114
Der Einfluss des Bundeskanzleramtes unter Hans Globke 118
Dehlers Umgang mit der NS-Belastung 122
Die NS-Belastung des BMJ 1949/50 124
Hans Winners und die Abteilung Z 128
3. Kennzeichen der Personalpolitik 133
«Persilscheine waren nicht zu vermeiden» 133
Geheimakten des Reichsjustizministeriums 136
Steigbügelhalter für die Renazifi zierung? 138
Dr. Robert Krawielicki: Ein Ausnahmefall? 141
Der Fall Kanter 143
Der-Heidelberger Kreis 145
Die Kanzlei Achenbach und der Naumann-Kreis 148
4. Der Artikel 131: Schlussstrich-Mentalität im Öffentlichen Dienst 154
Entstehung im Parlamentarischen Rat 154
«Tausende Beamte rufen in ihrer Not» 156
Die Rolle des BMJ 158
Ein Gesetz für die alten Eliten 160
Adenauer und der Wunsch nach «Normalisierung» 163
Auswirkungen des G 131 und Personalübernahmen im BMJ 165
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum G 131 167
III. Der «Geist der Rosenburg» 173
1. Die Schatten der Vergangenheit 173
Die heile Welt der Rosenburg 173
Amnesie oder Amnestie? 176
«Eine harte Prüfung für viele»: Das Straffreiheitsgesetz vom Dezember 1949 179
Straffreiheit für NS-Täter: Das Amnestiegesetz von 1954 183
NS-Recht als Gnadenrecht des Bundes? 190
Die Braunbuch-Diskussion 194
Die Ausstellung «Ungesühnte Nazijustiz» 202
Ansätze zur Reform der Juristenausbildung 206
2. Die Zentrale Rechtsschutzstelle: Eine «Geheimabteilung» des BMJ? 208
Die Gründung der ZRS 208
Hans Gawlik: Eine fatale Wahl 211
Betreuungsarbeit «in aller Stille» 213
«Graue Eminenz» zum Schutz von Kriegsverbrechern? 216
Überführung ins Auswärtige Amt 217
«Zur Warnung an Kriegsverbrecher rechtlich verpflichtet» 218
3. Das Bundesjustizministerium im Wandel 222
Der Ulmer Einsatzgruppen-Prozess 223
Die Zentralstelle in Ludwigsburg 225
Fritz Schäffer, Ewald Bucher und die Verjährungsdebatte 228
Der Eichmann-Prozess 233
Die Spiegel-Affäre 1962 239
Fritz Bauer und die Auschwitz-Prozesse 1963–1968 244
Wandel in der Personalpolitik 248
Aufhebung der NS-Unrechtsurteile 250
Sozialdemokratische Justizpolitik nach 1966 254
Zweiter Teil: Abteilungen und Sachfragen 259
I. Die allgemeine Personalentwicklung 1949–1973 260
1. Auswertung der Personaldatenbank 260
Personelle Entwicklung und Qualifikationen 261
NS-Mitgliedschaften 262
Mitarbeiter Reichsjustizministerium 264
Kriegsteilnahme 264
Übernahme aus den Zonenverwaltungen und 131er 266
NS-Strafverfahren 267
2. Der weitere Geschäftsbereich des BMJ: Der Bundesgerichtshof 267
Die Aufgabenbereiche 267
Die Errichtung des BGH 269
Die Ära Weinkauff 270
Der zweite Präsident Heusinger 272
Gleichberechtigung von Mann und Frau 274
Der Umgang mit Entschädigungsansprüchen: Sinti und Roma 277
3. Der Geschäftsbereich des BMJ: Der Generalbundesanwalt 279
Das Personal des GBA 281
Die Ära Güde 282
Wolfgang Fränkel: «Schicksal, nicht Schuld …»? 283
Ludwig Martin: Das geringere Übel? 286
4. Das Bundesverfassungsgericht 287
Gründung und Wahl der Verfassungsrichter 1951 288
Willi Geiger: Der «heimliche Vorsitzende» des Zweiten Senats 291
Die weiteren Richter der ersten Stunde 296
Die Selbstemanzipation des Gerichts 297
II. Abteilungen und Karrieren im BMJ 300
1. Die Abteilung I: Bürgerliches Recht 301
Das Leitungspersonal 301
Umgang mit der NS-Belastung 304
Franz Massfeller: Die personifizierte Kontinuität im Familienrecht 306
Heinrich von Spreckelsen und Hermann Weitnauer 310
Der Skandal um Max Merten 313
2. Die Abteilung II: Strafrecht 316
Struktur und Mitarbeiter 317
Herkunft und NS-Belastung 318
Alle Fäden in Händen: Josef Schafheutle 320
Ernst Kanter: «Vertrauensmann der Militärjustiz» 322
«Kommunistische Angriffe» 325
Schafheutle und die NS-Vergangenheit 327
Die ungekrönte Ministerialkarriere: Eduard Dreher 330
3. Die Abteilung III: Wirtschaftsrecht 336
Struktur und Herkunft des Personals 337
Die Abteilungsleiter Günther Joël und Ernst Geßler 337
Thieracks persönlicher Referent im BMJ: Heinrich Ebersberg 340
4. Die Abteilung IV: Öffentliches Recht 342
Hohe Kontinuität in Struktur und Personal 344
NS-Belastung und personelle Entwicklung von 1950 bis 1973 344
Der Herrscher: Walter Roemer 345
«Bei keiner dieser Hinrichtungen zugegen» 348
«Mörder der Geschwister Scholl» 350
Vorwürfe von Simon Wiesenthal 353
Hermann Maassen und Kai Bahlmann 356
III. Das NS-Erbe und die Gesetzgebung in der Bundesrepublik 358
1. Die Strafrechtsreform 359
Wiederherstellung des Analogieverbots durch die Alliierten 360
«Bereinigung» des StGB und Gesamtreform 362
Diskussion über die Todesstrafe 364
Der strafrechtliche Schutz des Lebens 369
Strafbarkeit der Homosexualität 372
2. Das Staatsschutzstrafrecht nach 1949 376
Staatsschutz im NS-Staat 376
Reformen nach 1949 377
Der Einfl uss des Grundgesetzes auf das Staatsschutzstrafrecht 379
Friedensverrat 380
Hoch- und Landesverrat 381
Neue Tatbestände: Staatsgefährdung 382
Prozessuale Besonderheiten des Staatsschutzstrafrechts 384
Die Reform 1968 388
3. Die Reform des Jugendstrafrechts 391
Das Reichsjugendgerichtsgesetz 1923 391
Der Weg zum RJGG 1943 393
Das Faktotum des Ministeriums: Karl Lackner 394
Das Jugendgerichtsgesetz von 1953 396
Die parlamentarischen Beratungen 397
Jugendstrafrechtspolitik auf der Rosenburg 398
4. Die «kalte Amnestie»: Parlamentarische Panne oder perfider Plan? 399
Das Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz von 1968 400
Sinn und Zweck eines Ordnungswidrigkeitenrechts 401
Auswirkungen auf die Verjährung 403
Die Vorahnung 405
Der Kampf vor dem Bundesgerichtshof 409
Die Entscheidung 412
Die Folgen der Katastrophe 415
Hat Dreher «gedreht»? 417
5. Streng geheim: Das V-Buch 421
Ein «Kriegsbuch» für den Notfall 422
«Ermächtigung mit Gesetzeskraft»: Das Versagen des BMJ als Hüterin der Verfassung 423
Tiefe Einschnitte in die Gerichtsverfassung 424
Das Geheimnis wird gelüftet 426
Umdenken unter Heinemann 427
Eine Notstandsregelung auf gesetzlicher Grundlage 428
6. Die Aufhebung der Erbgesundheitsurteile 429
Rassenhygiene und Vernichtung 429
Franz Massfeller: «Im Dienst einer großen Sache» 430
Die Entwicklung nach 1990 432
Entscheidung unter Schmidt-Jortzing 434
7. Die Wehrstrafgerichtsbarkeit: Verbotene Pläne alter Wehrmachtrichter 435
Das Netzwerk der Wehrmachtrichter 436
Ein neues Wehrstrafrecht für die Bundeswehr? 438
Das Wehrstrafgesetz 440
Die Flucht des BMJ aus der Verantwortung 441
Personalpolitik für die Wehrstrafgerichtsbarkeit: Joachim Schölz 443
Gesucht: Geeignete Wehrrichter 447
Das Ende 449
Schlussbetrachtungen 451
Anhang 459
Anmerkungen 460
Quellen- und Literaturverzeichnis 559
Abkürzungsverzeichnis 575
Bildnachweis 580
Personenregister 581
Tafelteil 589

Einleitung


Georg August Goldfuß galt als Sonderling, aber auch als guter Wissenschaftler. Bereits mit 31 Jahren nahm ihn die Leopoldina, die älteste naturwissenschaftlich-medizinische Gelehrtengesellschaft in Deutschland, als Mitglied auf. 1818 wurde er zum ordentlichen Professor für Zoologie, Paläontologie und Mineralogie an die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn berufen, an der er bis zu seinem Tod 1848, für kurze Zeit auch als deren Rektor, tätig war. 1831 ließ sich Goldfuß nach Plänen des Architekten Carl Alexander Heideloff im nahen Kessenich am Venusberg ein Landhaus im neoromanischen Stil errichten: die Rosenburg. Das Anwesen ging später in den Besitz eines Düsseldorfer Seidenfabrikanten über. Seit 1920 diente es dem Apostolat des Priester- und Ordensberufs als Stätte für die Ausbildung von Priestern, bis die burgartige Villa 1938 von der Wehrmacht übernommen wurde, die hier Offizierslehrgänge abhielt und während des Zweiten Weltkrieges Urlaubsunterkünfte für Zivilangestellte der Luftwaffe bereitstellte. 1944 bezog schließlich die medizinische Klinik der Universität Bonn vorübergehend Quartier in dem Gebäude.

1949, als die Bundesrepublik Deutschland gegründet und Bonn zum vorläufigen Regierungssitz bestimmt wurde, waren in der Rosenburg immer noch einige medizinische Einrichtungen untergebracht. Aber die Klinik war seit 1946 schrittweise auf den Venusberg gezogen, so dass der katholische Orden, der die Immobilie mit ihrer eigenwilligen Architektur, die so gar nicht in die moderne Zeit zu passen schien, nach dem Ersten Weltkrieg erworben hatte, eine neue Verwendung für das Haus suchte. Im Januar 1950 wurde es «für einen beträchtlichen Zins», wie einer der Mitarbeiter sich später erinnerte, dem Bundesministerium der Justiz als Dienstsitz zur Pacht angeboten.[1] Thomas Dehler, dem ersten Bundesjustizminister, kam die Offerte gerade recht. Das BMJ war bis zu diesem Zeitpunkt nur provisorisch untergebracht: in einem der hinteren Gebäude einer früheren Polizeikaserne an der Rheindorfer Straße (heute Graurheindorfer Straße) im Norden Bonns. Auch mit den ihm dort zugewiesenen Räumen war Dehler unzufrieden. Die pompös wirkende Anlage der Rosenburg war zwar ebenfalls gewöhnungsbedürftig, aber voller Atmosphäre, dazu idyllisch inmitten eines großen Waldgebietes am Hang des Venusbergs gelegen, von wo aus man das ganze Rheintal um Bonn überblickte. Nur eine einzige, gewundene Straße führte zur Burg hinauf. Dehler zögerte deshalb nicht lange. Nach einigen Umbauten und der Errichtung einiger zusätzlicher Gebäude wurde die Rosenburg am 1. April offiziell dem BMJ übergeben. Von 1950 bis 1973 war sie nun Sitz des Bundesministeriums der Justiz.

Das Rosenburg-Projekt


Die Zeit von der Gründung der Bundesrepublik bis zum Beginn der 1970er Jahre ist in etwa auch der Zeitraum, auf den sich die Tätigkeit unserer «Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission beim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit» (UWK-BMJ) bezog, von deren Forschungsarbeit und Ergebnissen der vorliegende Band handelt. Die Kommission, die im Januar 2012 von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eingesetzt wurde, bestand aus zwei «Abteilungen»: einer größtenteils juristischen Arbeitsgruppe an der Philipps-Universität Marburg und einer im Wesentlichen aus Historikern bestehenden Gruppe an der Universität Potsdam. Die Kommission war also von Anfang an interdisziplinär besetzt. Regelmäßige Treffen der beiden Gruppen, abwechselnd in Marburg, Potsdam und Berlin, sorgten für den notwendigen Austausch von Kenntnissen und Erfahrungen. Da der Name der Kommission etwas lang und umständlich war und auch die Abkürzung nicht restlos überzeugte, haben wir stets lieber von der «Rosenburg-Kommission» und vom «Rosenburg-Projekt» gesprochen.

Den Mitarbeitern der Kommission sicherte die Ministerin zu, unbeschränkten Zugang zu den Akten des Ministeriums zu erhalten, soweit diese den Untersuchungszeitraum betrafen – einschließlich der besonders sensiblen Personalakten. Forschungsgegenstand war nicht die Justiz im Dritten Reich, unbeschadet aller notwendigen Rückgriffe auf die Zeit vor 1945, sondern die Frage, wie man im Bundesministerium der Justiz nach 1949 mit der NS-Vergangenheit im eigenen Haus verfuhr. Tatsächlich ist die Rolle der Justiz im NS-Staat bereits gut erforscht, während wir über die Ministerien und Behörden und deren Umgang mit dem Erbe des NS-Regimes in der Nachkriegszeit noch verhältnismäßig wenig wissen: Welche personellen und institutionellen Kontinuitäten gab es? Wie tief war der Bruch 1945/49 wirklich? Und wie sah es mit den inhaltlichen Aspekten der Politik aus? Wurden auch diese, wenn man unterstellt, dass viele der handelnden Personen schon vor 1945 aktiv gewesen waren, vom Gedankengut des Nationalsozialismus beeinflusst? Und wenn ja, auf welche Weise?

Zum Auswärtigen Amt liegt seit 2010 eine entsprechende Untersuchung vor.[2] Gleiches gilt für das Bundeskriminalamt, über das 2011 eine Studie erschien.[3] Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz beauftragte am 1. November 2011 auf Initiative des früheren BfV-Präsidenten Heinz Fromm eine Forschergruppe, die «Organisationsgeschichte des BfV 1950 bis 1975 unter besonderer Berücksichtigung der NS-Bezüge früherer Mitarbeiter in der Gründungsphase» zu untersuchen; deren Ergebnisse wurden 2015 präsentiert.[4] Weitere Studien zu Ministerien und anderen Institutionen sind in Vorbereitung: zum Bundesnachrichtendienst, zum Bundesministerium der Finanzen, zum Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, zum Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie zum Bundesministerium des Innern.

Das Bundesministerium der Justiz fügt sich in diese Reihe ein. Es steht also nicht allein, sondern ist Teil eines inzwischen sehr weitreichenden Bemühens, die möglichen NS-Belastungen zentraler Institutionen der Bundesrepublik zu erforschen. Nicht zuletzt auf Initiative des BMJ wurde dazu 2013 eigens ein Satz in die Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD eingefügt, in dem es mit Blick auf die politischen Absichten der zu bildenden Bundesregierung heißt: «Die Koalition wird die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Ministerien und Bundesbehörden vorantreiben.»[5]

Zwar förderte das BMJ bereits in den 1980er Jahren unter Minister Hans A. Engelhard einzelne Studien, die sich mit möglichen personellen und sachlichen Kontinuitäten zwischen der NS-Zeit und der Bundesrepublik befassten.[6] Aktensperrfristen, historisches Desinteresse und sicher auch der Unwille, sich mit der unliebsamen eigenen Vergangenheit – oder der Vergangenheit des eigenen Hauses – ernsthaft und umfassend auseinanderzusetzen, trugen jedoch dazu bei, dass große Forschungslücken blieben, die erst jetzt mit dem Rosenburg-Projekt geschlossen werden sollten. Dabei kam die Initiative aus dem Ministerium selbst. Ähnlich wie im Auswärtigen Amt, wo Bundesaußenminister Joschka Fischer 2005 eine «Unabhängige Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Auswärtigen Amtes in der Zeit des Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik» berufen hatte, war inzwischen im BMJ die Überzeugung gewachsen, dass der Justizbereich ebenfalls eine entsprechende Untersuchung verdiene, ja unbedingt erfordere. Ministerialdirigent Gerd J. Nettersheim und Ministerialrat Detlef Wasser waren die treibenden Kräfte, die das Projekt initiierten und immer wieder voranbrachten, Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger persönlich unterstützte die Idee von Anfang an, ihr Nachfolger Heiko Maas machte sich das Projekt seiner Vorgängerin zu eigen und trug entscheidend dazu bei, Widerstände zu überwinden und dem Vorhaben zu größtmöglicher öffentlicher Resonanz zu verhelfen.

Natürlich war die Unternehmung nicht unumstritten. Zwar ließ sich gegen das Thema selbst schwer argumentieren. Aber vor allem bei der Frage der Finanzierung wurden immer wieder Bedenken vorgetragen, die zu einer Schmälerung des Forschungsvorhabens oder leicht auch zu dessen vorzeitigem Ende hätten führen können. Der frühere Bundesaußenminister ...

Erscheint lt. Verlag 17.10.2016
Zusatzinfo mit 19 Abbildungen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft Geld / Bank / Börse
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
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Geschichte Allgemeine Geschichte 1918 bis 1945
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
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Schlagworte Antifaschismus • Auschwitz • Auschwitz-Prozess • Behörde • Bundesministerium der Justiz • Bundesrepublik Deutschland • Bürgerliches Recht • DDR • Drittes Reich • Faschismus • Gerichtsbarkeit • Gerichtsverfassung • Krieg • Nationalsozialismus • Nazi • NS-Vergangenheit • NS-Zeit • Rassenhygiene • Rechtspraxis • Reichsjustizministerium • Rosenburg • Schlussstrich • Schuld • Sinti und Roma • Strafrecht • Strafverfolgung • Täter • Verflechtungen • Vergangenheit
ISBN-10 3-406-69769-0 / 3406697690
ISBN-13 978-3-406-69769-2 / 9783406697692
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