Diese wunderbare Bitterkeit. Leben mit Tee -  Christoph Peters

Diese wunderbare Bitterkeit. Leben mit Tee (eBook)

Leben mit Tee
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
144 Seiten
Arche Literatur Verlag AG
978-3-03790-088-8 (ISBN)
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Vor mehr als zwanzig Jahren fing alles an, mit der Faszination für die japanische Teezeremonie. Schon als Jugendlicher sammelte Christoph Peters lieber Teegefäße als Schallplatten. Heute verbringt er jede Woche viele Stunden mit der Zubereitung von Tee und stellt fest, dass sich im Nachvollziehen der zugleich reduzierten wie vollendet funktionalen Gesten seine Wahrnehmung verändert hat, er weniger fahrig und unkonzentriert ist. Der Leser erfährt außerdem von ersten Tee-Initiationsriten am Internat,von Begegnungen mit Zollbeamten, die ratlos vor einer antiken Teekanne standen, und davon, wie der Tee für den Autor irgendwann den Genuss von Alkohol ersetzt hat. Humorvoll und entspannt nimmt Christoph Peters uns mit auf eine Reise durch die Teekulturen der Welt, von Ostfriesland bis in die Türkei, von Japan über China zum High Tea nach England.

'Christoph Peters, geboren 1966 in Kalkar am Niederrhein, studierte Malerei an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste in Karlsruhe. Heute lebt er als freier Schriftsteller und Künstler in Berlin. Für sein Werk wurde er vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem aspekte-Literaturpreis, dem Friedrich-Hölderlin-Preis sowie dem Wolfgang-Koeppen-Preis; zuletzt erschienen ?Dorfroman? (2020) und der Reiseessay ?Tage in Tokio? (2021).'

"Christoph Peters, geboren 1966 in Kalkar am Niederrhein, studierte Malerei an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste in Karlsruhe. Heute lebt er als freier Schriftsteller und Künstler in Berlin. Für sein Werk wurde er vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem aspekte-Literaturpreis, dem Friedrich-Hölderlin-Preis sowie dem Wolfgang-Koeppen-Preis; zuletzt erschienen ›Dorfroman‹ (2020) und der Reiseessay ›Tage in Tokio‹ (2021)."

1. Die Lage


Tee ist das Getränk der Stunde – so könnte man meinen: Hochwertige Darjeelings, Assams oder auch Earl Greys sind Teil einer Renaissance bürgerlicher, am englischen Geschmack orientierter Lebensart – sozusagen die Fortsetzung von Downton Abbey im heimischen Wohnzimmer, dagegen verbindet sich im Longjing oder Sencha und erst recht im Matcha, dem pulverisierten Grüntee für die japanische Teezeremonie, modernes Gesundheitsbewusstsein mit den Weisheitslehren Asiens. Erlesener Schwarztee in feinem Porzellan steht geradezu sinnbildlich für den westlichen Trend zu »Wertigkeit« und »Entschleunigung«, wohingegen man sich mit grünem Tee, empfindlicher in der Zubereitung und dem Vernehmen nach noch viel gesünder für Körper und Geist, in östlicher »Achtsamkeit« übt. Beides ist mehr denn je vonnöten, damit der von allen Seiten unter Feuer genommene nachpostmoderne Mensch hier und da Momente der Ruhe findet.

Schon das Wort Tee, das wie ein tiefer Atemzug in der Unendlichkeit zu verhallen scheint, hat einen vollständig anderen Ausdruck als Kaffee!, dessen zackiger Anlaut selbst schon fast wie ein Befehl klingt, und genauso schallt es auch allmorgendlich millionenfach durch Verwaltungsgebäude und Produktionsstätten, wenn die ebenso hoch motivierten wie chronisch erschöpften Helden der Arbeit zur Tür hereinkommen. Viele haben auf dem Weg dorthin ihren ersten Coffee to go getrunken und damit sich selbst und allen anderen ihre uneingeschränkte Leistungsbereitschaft demonstriert.

Dagegen klingt die Vorstellung, sich Tea to go zu bestellen, in den Ohren der meisten Teetrinker genauso absurd wie die Idee einer Teemaschine, obwohl dem Fortschritt verpflichtete Produktentwickler sich auch daran versucht haben: Parallel zur Erfindung des industriellen Teebeutels in Deutschland erlangte in Großbritannien und seinen Kolonien ab den frühen 1930er-Jahren eine sonderbare Apparatur namens Teasmade eine gewisse Popularität, in der Wecker, Wasserkocher und Teekanne miteinander kombiniert waren, um dem zunehmend unter Zeitdruck geratenen Gentleman des Morgens einige Handgriffe und Minuten einzusparen. Ich kenne tatsächlich jemanden, der so ein Ding besitzt, allerdings weniger, weil er glaubt, dass man Tee sinnvollerweise auf diese Art zubereitet, als vielmehr, weil er sämtliche Marotten der Briten liebt.

Während Kaffee als einer der wichtigsten Treibstoffe der Leistungsgesellschaft gilt und durch hochpreisige, an die Glanzzeit italienischen Sportwagenbaus erinnernde Maschinen auch repräsentative Aufgaben übernehmen kann, steht der Tee für Zurückgenommenheit und Selbstbesinnung. Er begleitet gedämpfte Unterhaltungen oder die Lektüre eines gebundenen Buchs in vertrauten Räumen, die idealerweise mit gediegenen Möbeln und goldgerahmten Bildern ausgestattet sind.

Um einen guten Tee zuzubereiten, sind aufwendige technische Apparaturen nicht nur nutzlos, sondern regelrecht hinderlich. Manche Tees erweisen sich als ausgemachte Diven und reagieren auf Mangel an persönlicher Zuwendung und Fingerspitzengefühl mit Geschmacksverweigerung oder Verbitterung. Im Grunde braucht es für einen guten Tee lediglich frisches Wasser in der jeweils richtigen Temperatur und passende Gefäße, um ihn aufzugießen beziehungsweise zu trinken. Diese Teegefäße bilden – vor allem in China und Japan – seit anderthalb Jahrtausenden auch ein zentrales Betätigungsfeld für viele kunsthandwerkliche Traditionen, insbesondere im Bereich der Keramik. Die Suche nach dem perfekten Tee hat die dortigen Töpfer immer wieder zu technischen Innovationen und zeitlosen Meisterwerken angetrieben.

In seiner geschmacklichen Vielfalt und Nuanciertheit ist der Tee allenfalls dem Wein vergleichbar, wobei die viel zu grobe Einteilung in Weißwein, Rosé und Rotwein nicht nur farblich eine gewisse Entsprechung in der ebenso oberflächlichen Unterscheidung von grünem, also unfermentiertem Tee, halb fermentiertem Oolong und schwarzem Tee aufweist. Manche Teehandelshäuser bedienen sich bei der Beschreibung ihres Angebots denn auch derselben Küchenpoesie, wie man sie vom Winzerprospekt kennt: Von »fordernd fruchtig«, »rasant animierend« oder »feiner Zitrusnote« ist da die Rede. Selbst was die Preise anlangt, nehmen erstklassige Tees es mühelos mit den besten Weinen auf. So ist es ohne Weiteres möglich, mehrere Hundert Euro für ein Döschen Gyokuro aus einem berühmten japanischen Teegarten zu bezahlen; chinesische Pu-Erh-Ziegel, die noch nach dem traditionellen Reifungsverfahren hergestellt wurden, können auf Auktionen Preise von einigen Tausend Dollar erzielen. 2013 wurde für zwei Kilo Fu Yuan Chang Pu Erh die Rekordsumme von einer Million Britischen Pfund bezahlt.

Im Prinzip gäbe es also auch für den begüterten Teetrinker Möglichkeiten, seine versnobten Freunde zu beeindrucken, wobei er – trotz der gegenwärtigen Teemode – hierzulande wohl noch immer damit rechnen müsste, von besorgten Angehörigen vors Vormundschaftsgericht gezerrt zu werden, würde er sein Geld auf diese Weise anlegen. Nach wie vor ist es so, dass Leute, die locker fünfundzwanzig Euro für eine Flasche Wein ausgeben oder sich einen Espressoautomaten für tausendfünfhundert Euro in die Küche stellen, mich anschauen, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank, wenn ich ihnen erzähle, dass man schon zwanzig Euro für zwanzig Gramm Matcha ausgeben muss, wenn man eine trinkbare Qualität erwerben will, und dass hundert Euro für ein Yixing-Kännchen, wie man es für die Zubereitung eines guten Oolong-Tees benötigt, durchaus normal sind. Bei den Chawan, den großen Schalen für die japanische Teezeremonie, würden Preise wie für ein Van-Gogh-Gemälde aufgerufen, käme zum Beispiel ein Stück des sagenumwobenen Töpfers Chōjirō (1516 – ca. 1592) zur Auktion, der in Zusammenarbeit mit Sen no Rikyū (15221591), dem bedeutendsten Meister des japanischen Teewegs, die berühmte Raku-Keramik entwickelt haben soll.

Gleichwohl, und auch wenn es wie ein Widerspruch klingt, gilt für jedwede Form der Teezubereitung, was besagter Sen no Rikyū in einem Leergedicht über die Rolle des Teegeräts formulierte:

»Ist es vorhanden: gut,

gibt es keins: dann nicht;

handeln wir gerade so,

wie es ist,

dann ist es die wahre Teekunst.«

Was im Grunde nichts anderes bedeutet, als dass es zwar immer so, aber eben auch anders geht – vorausgesetzt, derjenige, der den Tee zubereitet, weiß, was er tut.

Allerdings scheint die Teezubereitung bei uns – trotz neuer Bürgerlichkeit und heiligem Krieg gegen freie Radikale und obwohl es seit Langem auch abseits der Ballungsräume gut sortierte Teefachgeschäfte gibt – noch immer etwas für Spezialisten, um nicht zu sagen, Sonderlinge zu sein. Nach wie vor stehen in den Supermarktregalen weitgehend dieselben Teemarken wie vor dreißig Jahren, und anders als beim Kaffee, wo man inzwischen in jeder Kleinstadtbäckerei eine akzeptable Qualität trinken kann, fällt der Teemensch auch in ambitionierten Ausschankstätten für Heißgetränke – die bezeichnenderweise fast immer »Café« heißen – regelmäßig in Zustände depressiver Verstimmung. Selbst wenn neben der Porzellankanne ein frisch befülltes Papiersäckchen oder ein Siebeinsatz mit einem laut Karte »Darjeeling first flush SFTGFOP1 Singbulli« liegt, besteht nur eine geringe Chance, dass daraus noch ein guter Tee wird. Der Grund liegt in einer fatalen Fehlinterpretation der grundsätzlich richtigen Erkenntnis, dass der Teetrinker die Ziehzeit seines Tees lieber selbst bestimmen möchte, je nachdem, ob er ihn anregend oder beruhigend, blumig leicht oder kräftig bitter bevorzugt. Infolge der ersten Grünteewelle vor gut zwanzig Jahren hat sich unter Deutschlands Gastronomen außerdem herumgesprochen, dass dieser nur sehr kurz und keinesfalls in zu heißem Wasser ziehen darf. Da kein Mensch verlangen kann, dass die überlastete und unterbezahlte Tresenkraft mit dem Teethermometer in der Hand am Wasserkocher steht, hat sich als Kompromisslösung lauwarmes Wasser für alle durchgesetzt. Wenn nun aber nicht gerade ein hochwertiger japanischer Gyokuro neben dem Kännchen liegt, der Wassertemperaturen zwischen fünfzig und sechzig Grad bevorzugt, verlasse ich das Lokal am besten gleich wieder, es sei denn, ich bin mit jemandem verabredet und es spielt sowieso keine Rolle, was ich trinke. Meist ist das warme Wasser auch noch für die doppelte Menge Teeblätter bemessen, sodass sich selbst nach zehnminütiger Ziehzeit nur eine gelbliche Flüssigkeit von unspezifischem Geschmack in meiner Tasse befindet. Inzwischen bin ich froh, wenn ich es mit einer gänzlich ahnungslosen Bedienung ohne jede Ambition zu tun habe, die mir einen landläufigen Beutel English Breakfast mit einem zischenden Wasserstrahl direkt aus dem Kaffeevollautomaten überbrüht.

In den meisten Privathaushalten ist die Lage kaum besser. Wenn ich die Frage »Trinkst du einen Kaffee … oder lieber Tee« dummerweise mit »lieber Tee« beantwortet habe, ist die Reaktion für gewöhnlich eine kurze Pause, gefolgt von einem vorsprachlichen Ratlosigkeitslaut, der in den Satz »Mal sehen, was ich da hab« mündet. Irgendwo zwischen Reis, Linsen, Tütensuppen und Gewürzdöschen finden sich schließlich einige Faltkartons mit Beuteltees, von denen die wenigsten Trockenbrösel der echten Teepflanze »Camellia sinensis« enthalten. »Anzubieten hätte ich Pfefferminztee … Fenchel-Anis-Kümmel … Rooibos-Vanille … Ah, warte mal, hier gibt’s noch Earl Grey. Ich weiß aber nicht,...

Erscheint lt. Verlag 14.10.2016
Illustrationen Matthias Beckmann
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Schlagworte Andere Kulturen • England • Humor • Leidenschaft • Nachmittag • Tee • Teebeutel • Teekocher • Teesorten • Wasserkocher
ISBN-10 3-03790-088-1 / 3037900881
ISBN-13 978-3-03790-088-8 / 9783037900888
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