Die Reise in den Westen (eBook)
1320 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961168-6 (ISBN)
Eva Lüdi Kong lebt seit 25 Jahren in China. Ein frühes Selbststudium der chinesischen Sprache führte sie zur Fachrichtung Sinologie an der Universität Zürich, darauf folgten ein Studium der Kalligraphie und Druckgraphik an der China Academy of Art (BA) und ein Nachdiplomstudium der Klassischen Chinesischen Literatur an der Zhejiang University (MA) in Hangzhou.Eva Lüdi Kong arbeitete als Übersetzerin, Dolmetscherin und Forschungsassistentin sowie als Dozentin an Universitäten und Hochschulen in China und in der Schweiz. Heute ist sie als freischaffende Literaturübersetzerin und Kulturvermittlerin im Bereich der chinesischen Literatur und Philosophie tätig.
Eva Lüdi Kong lebt seit 25 Jahren in China. Ein frühes Selbststudium der chinesischen Sprache führte sie zur Fachrichtung Sinologie an der Universität Zürich, darauf folgten ein Studium der Kalligraphie und Druckgraphik an der China Academy of Art (BA) und ein Nachdiplomstudium der Klassischen Chinesischen Literatur an der Zhejiang University (MA) in Hangzhou.Eva Lüdi Kong arbeitete als Übersetzerin, Dolmetscherin und Forschungsassistentin sowie als Dozentin an Universitäten und Hochschulen in China und in der Schweiz. Heute ist sie als freischaffende Literaturübersetzerin und Kulturvermittlerin im Bereich der chinesischen Literatur und Philosophie tätig.
Die Reise in den Westen
Anhang
Das Pantheon der "Reise in den Westen"
Verzeichnis der Gottheiten
Nachwort
1. Kapitel
Die beseelte Wurzel keimt, der Quell nimmt seinen Lauf
Mit innerer Vervollkommnung beginnt der Große Weg
Ein Gedicht besagt:
Einst war das Chaos ungetrennt,
Himmel und Erde dämmrig vermengt;
Verschwommen war alles und endlos weit,
Nie sah ein Mensch jene Zeit.
Doch als der Urriese Pan Gu erwachte
Und die Zerstörung des Chaos vollbrachte,
Erschloss sich die mächtige Nebelwelt,
Reines und Trübes ward zweigeteilt.
Alle Geschöpfe auf dieser Erde
Streben empor zur höchsten Güte;
Den daraus erwachsenden Dingen
Kann letztlich das Gute gelingen.
Und wollt ihr nun jene Kräfte erkennen,
Welche des Daseins Kreislauf bestimmen,
So schätzt dieses Buch hier als eines der besten:
Die »Erlösung vom Leid auf der Reise gen Westen«.
Über die Zahlen von Himmel und Erde wissen wir, dass ein Weltenzyklus 129 600 Jahre dauert. Aufgeteilt in zwölf Epochen, entspricht dies den Zwölf Erdzweigen Zi, Chou, Yin, Mao, Chen, Si, Wu, Wei, Shen, You, Xu und Hai. Jede Epoche währt demnach 10 800 Jahre. Erläutern wir es vorerst am Beispiel der Tageszeiten: Die Mitternachtszeit Zi empfängt die lichte Yang-Kraft, zu Chou krähen die Hähne, während Yin ist das Licht noch verdeckt, zu Mao aber geht die Sonne auf. Chen folgt auf das Frühstück, und Si gilt der täglichen Arbeit. Zu Wu steht die Sonne in des Himmels Mitte, wandert während Wei gegen Westen, und nach der Vesperzeit Shen geht sie unter um You. Xu gehört der Dämmerung an, und um Hai ruhen die Menschen.
Die Zwölf Erdzweige in Verbindung mit den zwölf zyklischen Hexagrammen. Durchbrochene Linien () stehen für die dunkle, kalte, sinkende Yin-Kraft; durchgezogene Linien () stehen für die helle, warme, aufsteigende Yang-Kraft. So verdeutlicht dieses Schema sowohl den Tages- wie auch den Jahreszyklus und steht gleichzeitig modellhaft für das Werden und Vergehen aller Dinge.
Übertragen auf die großen Zahlen, ist es so, dass die Welt sich zu Ende von Xu noch im ungeteilten Urzustand befindet und kein Wesen existiert. Auch 5400 Jahre später, im Zeitalter Hai, herrscht Finsternis; es gibt weder Himmel noch Erde, weder Menschen noch andere Kreaturen. Darum wird dies das Urchaos genannt. Nach weiteren 5400 Jahren, nach dem Ende von Hai, beginnt mit Zi ein neuer Weltenzyklus, indem er sich allmählich aufhellt. So beschreibt es der Philosoph Shao Kangjie: »Zur Wintersonnenwende, in der Mitte der Zeit Zi, steht das Zentrum des Himmels still. Da die lichte Yang-Kraft sich erstmals regt, sind alle Dinge noch ungeboren.« Nun verwurzelt sich das Firmament. 5400 Jahre danach, mitten in der Epoche Zi, steigt das Leichte und Reine empor, daraus formen sich Sonne, Mond, Sterne und Sternbilder, die vier Gestirne genannt. Darum heißt es, der Himmel öffnet sich während Zi. Nach weiteren 5400 Jahren, wenn Zi vergeht und Chou beginnt, tritt allmählich eine Festigung ein. So heißt es im Buch der Wandlungen: »Groß ist das Himmelsprinzip! Vollkommen ist das Erdprinzip! Alle Wesen entstehen daraus, den Gesetzen des Himmels folgend.« Nun beginnt sich die Erde zu härten. 5400 Jahre später, zur Mitte von Chou, sinkt das Schwere und Trübe nach unten, und es entstehen Wasser, Feuer, Berge, Steine und Erdreich, was wir die fünf Formen nennen. Darum heißt es, die Erde sei während Chou entstanden. Nach weiteren 5400 Jahren, wenn Chou sich neigt und Yin beginnt, entstehen alle Dinge. So heißt es im Kalenderbuch: »Der Atem des Himmels sinkt hernieder und der Atem der Erde steigt empor; so vereinen sich Himmel und Erde und erzeugen die Zehntausend Dinge.« Nun ist der Himmel rein und die Erde frisch, Yin und Yang stehen im Einklang. Nach weiteren 5400 Jahren, zur Mitte der Zeit Yin, entstehen die Menschen, die Tiere und die Vögel. Wir nennen dies die Festlegung der drei Sphären Himmel, Erde und Mensch. Darum heißt es, der Mensch sei im Zeitalter Yin entstanden.
Dankbar über den Schöpfungsakt des Pan Gu, ordneten die Drei Urkaiser die Welt, und die Fünf legendären Könige regelten das Zusammenleben. Auf der Erde wurden vier große Kontinente unterschieden: der östliche Kontinent Purvavideha, der westliche Kontinent Aparagodaniya, der südliche Kontinent Jambudvipa und der nördliche Kontinent Uttarakuru. Unser Buch spielt nun in einem Land mit Namen Aolai, das sich an der Küste des östlichen Kontinents Purvavideha befand. Dort nämlich ragte ein berühmter Berg aus dem Meer, und der hieß Blumen-Früchte-Berg. Er bildete die Hauptader der zehn göttlichen Eilande und war der Ausgangspunkt der drei sagenhaften Inseln der Unsterblichen.
Zuoberst auf seinem Gipfel aber lag ein himmlischer Stein. Dieser Stein hatte eine Höhe von 36,5 Fuß, entsprechend dem Umfang des Himmels von 365 Grad, und einen Umfang von 24 Fuß, entsprechend den vierundzwanzig Jahreseinteilungen des Kalenders. Er wies außerdem neun Öffnungen und acht Löcher auf, übereinstimmend mit den Neun Palästen und Acht Trigrammen. Von Anbeginn der Schöpfung hatte dieser Stein nun die Wahrheit des Himmels und die Schönheit der Erde empfangen, und die Kraft der Sonne und der Glanz des Mondes hatten ihn so sehr durchdrungen, dass er nach langer Zeit magische Kräfte entwickelte und in seinem Innern eine himmlische Frucht heranwuchs. Bis er eines Tages zerbarst und ein steinernes Ei von der Größe eines Spielballs zum Vorschein kam. Unter dem Einfluss der Winde bildete sich daraus ein steinerner Affe, der mit allen fünf Sinnesorganen und vier Gliedern versehen war.
Alsbald hatte dieser Affe das Kriechen und Gehen erlernt, und als er sich schließlich nach allen vier Himmelsrichtungen verneigte, schossen aus seinen Augen zwei goldene Lichtstrahlen, die bis zum Sternpalast des Siebengestirns blitzten und gar den Großen Heiligen Jadekaiser im Himmel aufschreckten. Dieser weilte gerade von unsterblichen Ministern umgeben in der Halle der Himmelshöhen im Wolkenpalast des Goldenen Tores, als ihn das gleißende Goldlicht blendete. Sogleich erteilte er seinen Generälen Tausend-Meilen-Auge und Wie-der-Wind-Ohr den Befehl, das Südliche Himmelstor zu öffnen und Ausschau zu halten. Wie geheißen, schritten die beiden zum Tor, schauten und horchten. Kurz danach kehrten sie zurück und berichteten:
»Der Ort, woher das goldene Licht strahlt, ist der Berg der Blumen und Früchte im Lande Aolai auf dem östlichen Kontinent Purvavideha. Auf diesem Berg lag einst ein himmlischer Stein, dem dann ein Ei entsprang, das sich durch die Winde in einen Steinaffen verwandelt hat. Eben hat sich dieser Affe nach allen vier Himmelsrichtungen verneigt, dabei sind goldene Lichtstrahlen aus seinen Augen geschossen und auf unseren Palast aufgetroffen. Sobald er aber anfangen wird zu essen und zu trinken, wird das Goldlicht sich abschwächen und schließlich erlöschen.«
Gütig sprach der Jadekaiser: »Alle irdischen Dinge entstehen aus den Kräften von Himmel und Erde. Das wird nichts Außergewöhnliches sein.«
Jener Affe aber konnte nun gehen und laufen, hüpfen und springen; er aß von Gräsern und Bäumen, trank aus Bächen und Quellen, pflückte Bergblumen und suchte nach Früchten. Schimpansen und Kraniche waren seine Gefährten, Rehe und Hirsche umgaben ihn. Nachts ruhte er unter Felshängen, tagsüber durchstreifte er Gipfel und Schluchten. Zu Recht sagt man:
»Der Kalender ist in der Gebirgswelt unbekannt,
Nach dem Winter wird kein Neues Jahr benannt.«
Eines Tages, es war heiß und schwül, spielte der Steinaffe mit anderen Affen zusammen im kühlenden Schatten der Kiefern. Nachdem sich die ganze Horde eine Weile vergnügt hatte, begannen alle im nahen Bergbach zu planschen. Das Wasser floss in schnellem Strome dahin, dass es nur so rauschte und spritzte.
»Wo mag wohl dieser Bach herkommen?« fragten sich die Affen. »Heute haben wir ja nichts Besonderes vor, machen wir uns doch auf die Suche nach der Quelle! Auf ins Vergnügen!«
Ein Jauchzen, und die ganze Schar stürzte los. Sie kletterten den Bach entlang bergauf bis hin zur Stelle, wo das Wasser herabstürzte. Es war ein Wasserfall, der da oben aus dem Fels hervorströmte.
»Schönes Wasser! Schönes Wasser!« freuten sich die Affen und klatschten in die Hände. »Wer von uns hat den Mut, hinter diesen Wasserfall zu dringen, um den Weg zur Quelle zu finden? Wer das schafft und unversehrt wieder zurückkommt, den wollen wir fortan als König verehren.«
Dreimal hatten sie dies gekreischt, als plötzlich mitten aus der turbulenten Schar der Steinaffe hervorsprang und mit lauter Stimme rief:
»Ich gehe! Ich gehe!«
Tapferer Affe! Seht, wie er die Augen zukneift und sich zum Sprunge duckt! Schon schnellte er hoch, mitten durch den Wasserfall hindurch. Dann riss er die Augen auf und schaute sich um. Drinnen aber gab es kein Wasser und keine Wellen mehr; stattdessen lag vor ihm klar und deutlich ein eiserner...
Erscheint lt. Verlag | 11.10.2016 |
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Mitarbeit |
Kommentare: Eva Lüdi Kong |
Übersetzer | Eva Lüdi Kong |
Verlagsort | Ditzingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Klassiker / Moderne Klassiker |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Abenteuergeschichte • Affenkönig • Black Myth • Chinesische Legenden • Chinesische Literatur • chinesische Mythen • daoistisches Denken • Die Reise nach Westen • Entspannung 2017 • Erzähltradition • Ferien • Geburt des Affen • Göttersagen • Klassiker der Weltliteratur • Kulturgut China • Ostasien • Philosophie • Preis der Leipziger Buchmesse 2017 in der Kategorie Übersetzung • Preis der Leipziger Buchmesse Kategorie Übersetzung • Reich Buddhas • Sun Wukong • Übersetzungspreis Leipziger Buchmesse 2017 • Urlaub • Vier chinesische Klassiker • Vier klassische Romane • Weltbild • Weltliteratur • Zahlensymbolik • Zahlensymbolik2017 |
ISBN-10 | 3-15-961168-X / 315961168X |
ISBN-13 | 978-3-15-961168-6 / 9783159611686 |
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