Im Zelt (eBook)

Spiegel-Bestseller
Von einem, der auszog, um draußen zu schlafen
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
272 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-57241-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Im Zelt -  Wigald Boning
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Das verrückteste Campingexperiment aller Zeiten. Zelten - da denkt man an Sommerurlaub, romantische Abende am See, an Lagerfeuer, Luftmatratzen und Grillwürstchen. Vielleicht noch an Mücken. Was aber, wenn das Zelt zum Schlafplatz im Alltag wird? Und zwar über Herbst und Winter hinweg, bei Wind und Wetter, über 200 Nächte am Stück? Wigald Boning probiert es aus. Er sagt Matratze und Federbett ade und schläft draußen: auf Campingplätzen und in Flussbetten, auf Häuserdächern und Balkonen, am Strand und auf Parkbänken. Was er dabei erlebt und welcher Traum dabei in Erfüllung geht, erzählt er in diesem Buch.

Wigald Boning, Moderator und Comedian, wurde mit verschiedenen Preisen wie dem Goldenen Löwen, dem Adolf-Grimme-Preis, Bambi und Echo ausgezeichnet.

Wigald Boning, Moderator und Comedian, wurde mit verschiedenen Preisen wie dem Goldenen Löwen, dem Adolf-Grimme-Preis, Bambi und Echo ausgezeichnet. Wigald Boning, Moderator und Comedian, wurde mit verschiedenen Preisen wie dem Goldenen Löwen, dem Adolf-Grimme-Preis, Bambi und Echo ausgezeichnet.

1 Idee


Hitze. Entsetzliche Hitze. Der heißeste Tag des Jahres. Ich lungerte im schattigen Innenhof jenes Münchener Hauses herum, in dem ich wohne, schleppte mich dann in der Hoffnung auf größere Abkühlung zurück in die Wohnung, entledigte mich schließlich nach stummen Schwitzestunden meiner Kleidung und duschte kalt. Die Erfrischung hielt nicht lange vor; wie auf einer Herdplatte verdampfte das kühle Nass auf meiner Haut, und nach weniger als einem Viertelstündchen fühlte ich mich wieder maladiös überhitzt.

Diese Hundstage sind nichts für mich. Bereits als semmelblonder Bub konnte ich den Hochsommer nicht verknusen, sehnte mich in kühle Gründe und war äußerst anfällig für Sonnenstiche. Im Alter von zehn Jahren begann ich damit, heiße Nächte nicht in meinem Kinderzimmer, sondern auf der Terrasse meines Elternhauses zu verbringen, bei besonders hohen Temperaturen auch gerne ohne Unterlage, auf dem blanken Waschbeton. Als junger Erwachsener verstieg ich mich zu der Behauptung, in einem vorigen Leben ein Shetland-Pony gewesen zu sein: gedrungen, robust und kälteunempfindlich. Nachdem dieses launige Bekenntnis meine Zuhörer erheiterte, pflegte ich die Pony-Legende in meinen persönlichen Anekdotenfundus ein und erzählte sie immer häufiger, bis ich vergaß, dass ich sie mir nur ausgedacht hatte, und sie fester Bestandteil meines Selbstbilds wurde.

Jetzt schrieben wir den August 2015, und die Quecksilbersäulen touchierten die Vierzig-Grad-Marke, wobei ich mir gar nicht sicher bin, ob die modernen Thermometer überhaupt noch auf Quecksilberbasis arbeiten, wegen der Giftigkeit des Schwermetalls. Ist das ungesunde Element nicht schon vor langer Zeit aus dem Messverkehr gezogen worden? Über diese Frage grübelte ich eine Weile nach, bis die Grübelei einem ziellosen Gebrüte wich; meine Augenlider verdeckten die Pupillen zur Hälfte, und ich schnappte müd’ nach frischer Luft.

Am Spätnachmittag stellte ich mich erneut unter die kalte Dusche, und unter dem frischen Strahl sprang ein Linderungsgedanke ins erhitzte Hirn: Wie wär’s, wenn ich zur Isar radelte, um die kommende Nacht an ihrem Ufer zu verbringen? Das Wasser der Isar ist auch im Sommer gebirgsfrisch, und an ein Ein- oder gar Durchschlafen im heimischen Bett war bei dieser Witterung nicht zu denken. Ich erinnerte mich an meine Waschbetonnächte als kleiner Wigald, damals, in der Reihenhaussiedlung in Oldenburg, entstieg erquickt und von plötzlichem Tatendurst ergriffen der Dusche, packte Schlafsack und Isomatte ein und radelte los.

Beißender Grilldunst hing über dem Isartal; Tausende tummelten sich an den kiesigen Gestaden und suchten ihr Heil im Hopfensaft. Ich hielt die Luft an und rollte auf meinem Klapprad durch die Steak-Schwaden, den Rucksack geschultert. Es dauerte lange, bis ich einen geeigneten Schlafplatz fand: Satte sieben Kilometer südlich vom Stadtzentrum, hinter der Großhesseloher Brücke, erspähte ich im Flussbett eine Kiesbank. Mit leichtem Herzklopfen stieg ich vom Rad. Abenteuerlust ergriff mich. Das Eiland war an die dreißig Meter lang, acht Meter breit und ragte kaum zwei Handhöhen aus dem munter sprudelnden Fluss heraus. Nur einige ausgekohlte Feuerstellen wiesen darauf hin, dass sich schon Menschen auf der Insel aufgehalten hatten. Ich stand am Ufer und versuchte, den Schlafplatz in spe zu evaluieren. Offenbar konnte die Insel durch eine Furt erreicht werden, ich würde also immerhin nicht zu Bett schwimmen müssen. Auf Erfahrungen bei der Beurteilung von Schlafinseln konnte ich allerdings nicht zurückgreifen; weder war ich bei den Pfadfindern noch bei der Bundeswehr gewesen. Ob der Wasserspiegel über Nacht ansteigen konnte, sodass ich Gefahr lief, im Schlaf davongeschwemmt und via Donau ins Schwarze Meer gespült zu werden? Andererseits erschien mir die Insellage besonders sicher: Böse Buben, dachte ich mir, würden kaum die Mühe auf sich nehmen, den knietiefen Fluss zu durchstiefeln, um mich auszurauben. Auch Ordnungshüter würden mich auf der Kiesbank in Ruhe lassen, denn dass mein Vorhaben eventuell nicht ganz legal sein könnte, hielt ich für durchaus möglich – wir sind immerhin in Deutschland.

Meine nachmittägliche Jammerlappigkeit war forschem Entdeckergeist gewichen, und als ich in der Unterbux mein Klapprad durchs Wasser schob und den unbeschuhten Fuß aufs namenlose Eiland setzte, fühlte ich mich wie James Cook im Moment der Entdeckung Australiens. Leider hatte ich keinen Wimpel dabei, den ich zur Inbesitznahme hätte aufstellen können; ersatzweise entfaltete ich den Ständer meines Klapprades, parkte es possessiv am höchsten Punkt der Insel und erklärte mich gönnerhaft zu ihrem Gouverneur. Dann entrollte ich die mitgebrachte Isoliermatte, ein billiges Modell aus dem letzten Jahrtausend, das ich im Keller gefunden hatte, und drapierte den Schlafsack obendrauf.

Drei ältere Damen schipperten in einem Gummiboot vorbei, in Richtung Innenstadt. Auf dem Bugwulst hatte die älteste gleichsam als Galionsfigur Platz genommen, die zwote hielt den Luftkahn auf Kurs, die dritte bewachte die Ladung, nämlich einen Kasten Bier. «Ist’s noch weit bis zum Tierpark?», fragten die drei Leichtmatronen im Vorübertreiben, und ich rief zurück: «Noch ein Kilometer! Bei der dritten Brücke rechts anlegen!» Mit artigem Dank verschwand das Boot flussabwärts – dies war mein erster und letzter Sozialkontakt auf «meiner» Insel.

Güldenes Dämmerlicht verlieh der Szenerie ausgeprägte Märchenhaftigkeit; Steinfliegenschwärme schwirrten zwischen den bewaldeten Steilufern umher, vereinzelt sprangen kapitale Salmoniden aus der Flut. Von beiden Ufern drang Musik an mein Ohr: Im Biergarten der Waldwirtschaft am Sollner Ufer spielte an diesem Samstag eine Jazzkapelle, von der Perlacher Seite wehten die Bee Gees herüber. Night Fever, Night Fever! Die Doppelbeschallung begleitete mich bis tief in die Nacht. Dies war eine meiner ersten Lektionen: Wer draußen übernachtet, hört Nachtigallen trapsen – mindestens. Manchmal wird’s auch ganz schön laut, und samstags wird gefeiert; zum Thema Schall und Schutz komme ich später noch ausführlich.

Es wehte ein laues Lüftchen, die Füße hielt ich ins Wasser – schon jetzt war ich begeistert von meiner Idee, der Hitze hierher zu entfliehen.

Als es dunkel war, bestaunte ich die Beleuchtung der Großhesseloher Brücke, einer kühnen Stahlkonstruktion hoch über der Isar, auf der die Eisenbahnen zwischen München und dem Tegernsee verkehren. Die eleganten Scheinwürfe der Leuchtkörper am Gleis bezauberten mich. Noch ergreifender schien aber der volle Mond über meinem Kopf, den ich ausgiebig betrachtete, in Rückenlage, meinen Fahrradhelm als Kopfkissen untergelegt. Erst zur Geisterstunde schlüpfte ich in den Schlafsack und schloss die Augen. Mit wohligem Rekeln quittierte ich das Rauschen des Flusses, die frische Nachtluft, die letzten Musikfetzen von den Partymeilen des Münchener Südens und sank in jenen flachen Schlaf, der gelungene Premierennächte auszuzeichnen pflegt: Tief ist er nicht, wohl aber erquickend. Wie sagte Friedrich Schiller? «Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne». Oder war’s Hermann Hesse? Ich komme mit diesen Zitaten immer ein wenig durcheinander, zumal bei Schlafmangel. Bitte sehen Sie’s mir nach, wenn ich im Verlauf meines Berichtes die Weisheiten nicht immer korrekt ihren Urhebern zuzuordnen weiß – denn über einen Mangel an Schlaf konnte ich mich in den letzten Monaten fürwahr nicht beklagen. Manchmal war ich so müde, dass ich mitten im Satz einschlie…

Am nächsten Morgen erwachte ich in einem Zustand überbordender Euphorie. Ich war Insulaner, Herr über einen kiesigen Keil, umtost von Alpenwasser. Der Morgen war frischer als an den Tagen zuvor, und ich fühlte mich im Vollbesitz jenes Gutes, nach dem heutzutage alle Welt jagt: Glück. Genau, dieses Kleeblatt- und Schornsteinfeger-Ding, «The Pursuit of Happiness», wie es in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung heißt. «Draußen zu schlafen macht glücklich!», fabulierte ich mit fester Stimme, um sogleich innezuhalten. Stimmt das überhaupt? Oder bilde ich mir das ein, schwabbelsinnig, weil ich gestern zu viel Sonne abbekommen habe?

Ich stand an der Nordküste der Boning-Insel und dachte nach. Es war Sonntag, sieben Uhr, das Isartal menschenleer. War Draußenschlafen tatsächlich der Heilige Gral, das Geheimnis des Glücks? Und wie könnte man diese Frage gesichert beantworten? Spontan zeichneten sich die Umrisse eines Experiments ab. Nicht nur eine Nacht müsste man draußen verbringen, sondern mehrere. Je mehr, desto besser, denn erst ein Langzeitexperiment liefert verlässliche Daten. Mit einer Mischung aus kindlicher Neugier und wissenschaftlichem Ernst begutachtete ich meine Lebenssituation: Ich lebte alleine und seit einiger Zeit ungebunden; niemand würde mich also vermissen, wenn ich meine Nächte in einem Schlaflabor am Busen der Natur zubrächte. Mein Kalender war zum Bersten gefüllt, mit Live-Auftritten, Dreharbeiten, Fernsehshows; ich war als Schauspieler am Berliner Schlossparktheater engagiert und hatte mir fest vorgenommen, so oft wie möglich meine Zwillinge zu besuchen, die bei ihrer Mutter im Allgäu lebten und sich aufs Abitur vorbereiteten. Ich würde also kaum «aussteigen» können, die Brocken hinwerfen oder ein Sabbatical einlegen, nein, das Draußenschlafen müsste in mein reiselustiges, reiselastiges Leben eingebaut werden.

«Frisch gewagt ist halb gewonnen». Horaz? Tick, Trick und Track? Nein, das tapfere Schneiderlein sagte dies. Ich packte meine Siebensachen, schob mein Klapprad durch die Isar und radelte zurück in Richtung Innenstadt. Auf dem Weg reifte der Entschluss,...

Erscheint lt. Verlag 21.9.2016
Illustrationen Wigald Boning
Zusatzinfo 4-farb., zahlr. Abb.
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga Humor / Satire
Schlagworte Abenteuer • Camping • Nacht • Natur • Outdoor • Zelten
ISBN-10 3-644-57241-0 / 3644572410
ISBN-13 978-3-644-57241-6 / 9783644572416
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