»Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?« (eBook)

Das Brecht-Brevier zur Wirtschaftskrise

(Autor)

Tom Kindt (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
123 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-74247-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

»Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?« -  Bertolt Brecht
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Sieben Jahre Wirtschaftskrise. Sieben Jahre Beruhigungsrhetorik und Durchhalteparolen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Höchste Zeit für einen neuen Blick auf die Erschütterungen, die Banken und Börsen, Währungen und Gesellschaften seit 2008 an den Rand des Abgrunds drängen. »Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?« zeigt, dass Bertolt Brechts Werk einen solchen Blick auf die Wirtschaftskrise bereithält. In sechs Lektionen versammelt das Brevier literarische, aphoristische und publizistische Texte Brechts, die - obgleich vor mehr als einem halben Jahrhundert entstanden - wie Analysen und Kommentare zu den ökonomischen Turbulenzen der Gegenwart erscheinen.

<p>Bertolt Brecht wurde am 10. Februar 1898 in Augsburg geboren und starb am 14. August 1956 in Berlin. Von 1917 bis 1918 studierte er an der Ludwig-Maximilians-Universität München Naturwissenschaften, Medizin und Literatur. Sein Studium musste er allerdings bereits im Jahr 1918 unterbrechen, da er in einem Augsburger Lazarett als Sanitätssoldat eingesetzt wurde. Bereits während seines Studiums begann Brecht Theaterstücke zu schreiben. Ab 1922 arbeitete er als Dramaturg an den Münchener Kammerspielen. Von 1924 bis 1926 war er Regisseur an Max Reinhardts Deutschem Theater in Berlin. 1933 verließ Brecht mit seiner Familie und Freunden Berlin und flüchtete über Prag, Wien und Zürich nach Dänemark, später nach Schweden, Finnland und in die USA. Neben Dramen schrieb Brecht auch Beiträge für mehrere Emigrantenzeitschriften in Prag, Paris und Amsterdam. 1948 kehrte er aus dem Exil nach Berlin zurück, wo er bis zu seinem Tod als Autor und Regisseur tätig war.</p>

Erste Lektion:
Von der Undurchsichtigkeit der Wirtschaft


Für ein bestimmtes Theaterstück brauchte ich als Hintergrund die Weizenbörse Chicagos. Ich dachte, durch einige Umfragen bei Spezialisten und Praktikern mir rasch die nötigen Kenntnisse verschaffen zu können. Die Sache kam anders. Niemand, weder einige bekannte Wirtschaftsschriftsteller noch Geschäftsleute – einem Makler, der an der Chicagoer Börse ein Leben lang gearbeitet hatte, reiste ich von Berlin bis nach Wien nach –, niemand konnte mir die Vorgänge an der Weizenbörse hinreichend erklären. Ich gewann den Eindruck, daß diese Vorgänge schlechthin unerklärlich, das heißt von der Vernunft nicht erfaßbar, und das heißt wieder einfach unvernünftig waren. Die Art, wie das Getreide der Welt verteilt wurde, war schlechthin unbegreiflich. Von jedem Standpunkt aus außer demjenigen einer Handvoll Spekulanten war der Getreidemarkt ein einziger Sumpf.

(22.1: 138f.)

 

 

Die kleinen Spekulanten

Wehe! Ewig undurchsichtig

Sind die ewigen Gesetze

Der menschlichen Wirtschaft!

Ohne Warnung

Öffnet sich der Vulkan und verwüstet die Gegend!

Ohne Einladung

Erhebt sich aus den wüsten Meeren das einträgliche Eiland!

Niemand benachrichtigt, niemand im Bilde! Aber den letzten

Beißen die Hunde!

(Die heilige Johanna der Schlachthöfe, 3: 187)

 

 

Ziffel

Ich habe weder die Absicht noch die Fähigkeit, ein Bild der plötzlich so erschreckend überhandnehmenden Arbeitslosigkeit und allgemeinen Verarmung zu entwerfen oder gar die sich hier auswirkenden Kräfte aufzuzeigen. Es war das tief Beunruhigende der bedrohlichen Situation, daß nirgends Ursachen zu dieser jähen Verschlechterung der Situation zu entdecken waren.

Wie es schien, war die ganze zivilisierte Welt von unheimlichen Krämpfen geschüttelt, warum, wußte niemand. Die Männer in den Konjunkturforschungsinstituten, die doch über genaue Notierungen auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Erscheinungen verfügten, zeigten ihren Kopf nur dadurch, daß sie ihn schüttelten. Die Politiker »gerieten in Bewegung« wie die Hausbalken bei einem Erdbeben. Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen der Ökonomen versiegten, dafür wurden unzählige astrologische Zeitschriften gegründet.

Ich machte eine seltsame Beobachtung.

Ich stellte fest, daß das Leben in den Zentren der Zivilisation so verwickelt geworden war, daß auch das beste Gehirn es nicht mehr überblicken und also nicht mehr irgendwelche Voraussagen machen konnte. Mit unserer ganzen Existenz hängen wir allesamt von der Wirtschaft ab und sie ist eine so komplizierte Angelegenheit, daß, sie zu überblicken, so viel Verstand nötig ist, als es überhaupt nicht gibt! Hier hatten die Menschen eine Wirtschaft aufgebaut, die zu überblicken Übermenschen nötig waren!

Der Untersuchung der Situation stellten sich eigentümliche Schwierigkeiten in den Weg. Ich muß hier an eine Erfahrung der modernen Physik denken, den Heisenbergschen Unsicherheitsfaktor. Dabei handelt es sich um folgendes: die Forschungen auf dem Gebiet der Atomwelt werden dadurch behindert, daß wir sehr starke Vergrößerungslinsen benötigen, um die Vorgänge unter den kleinsten Teilchen der Materie sehen zu können. Das Licht in den Mikroskopen muß so stark sein, daß es Erhitzungen und Zerstörungen in der Atomwelt, wahre Revolutionen, anrichtet. Eben das, was wir beobachten wollen, setzen wir so in Brand, indem wir es beobachten. So beobachten wir nicht das normale Leben der mikroskopischen Welt, sondern ein durch unsere Beobachtung verstörtes Leben. In der sozialen Welt scheinen nun ähnliche Phänomene zu existieren. Die Untersuchung der sozialen Vorgänge läßt diese Vorgänge nicht unberührt, sondern wirkt ziemlich stark auf sie ein. Sie wirkt ohne weiteres revolutionierend. Dies ist wahrscheinlich der Grund, warum die maßgebenden Kreise tiefer schürfende Untersuchungen auf dem sozialen Gebiet so wenig ermuntern.

Da sich Übermenschen, fähig, diese Wirtschaft zu überblicken wie sie war, nicht meldeten und gewisse Leute schon vorschlugen, die Wirtschaft selber radikal zu vereinfachen, um sie überblickbar und dirigabel zu machen, fanden in dieser Situation einige Männer Gehör, die ihre Entschlossenheit verkündeten, die Wirtschaft einfach überhaupt nicht in Betracht zu ziehen.

(Flüchtlingsgespräche, 18: 228f.)

 

 

Die Leute glauben von allem eben noch Bestehenden, daß wohl ein Grund vorhanden sein müsse, daß es noch bestehe, und der Grund ist doch oft nur der, daß sie dies glauben.

(21: 259)

 

 

Die großen Verbrechen sind nur möglich durch ihre Unglaublichkeit. Gewöhnlicher Betrug, einfache Lüge, Schiebung mit einem Mindestmaß an Scham, das trifft viele unvorbereitet. Die subtileren Geister weigern sich, primitiven Betrug zu vermuten, schon mißtrauisch, sind sie noch zu anspruchsvoll, indem sie raffinierte und meisterhaft verfeinerte Verbrechen postulieren. Sie weigern sich entrüstet, Staatsmänner mit Pferdedieben, Generäle mit Börsenspekulanten zu »verwechseln«, und so bleiben ihnen die Pferdediebstähle und Börsenspekulationen ganz unverständlich. Natürlich suchen sie mit Recht Schlauheit bei den Großen; es ist aber eine niedrige und auf die Ausführung der Untaten beschränkte Schlauheit. Die Schläge, die sie austeilen, sind nicht immer tödlich. Sie hauen das Volk »übers Ohr« mit schönen Reden, die ihre Opfer nicht arbeitsunfähig, sondern nur unzurechnungsfähig machen sollen.

(27: 167)

 

 

Kurz, das Denken ist zu schwer und gehört schon deshalb nicht zu den Vergnügungen.

(27: 256)

 

 

Viele vertraten den Standpunkt, der geistige Hunger beginne erst im körperlich Gesättigten. Nur für den, der es noch nicht habe, spiele das Essen eine Rolle. (…) Was für ein geistiger Hunger ist das, der beginnt, wenn der Mann körperlich gesättigt ist? Er wird der Güte gleichen, mit der der Mann beginnt, wenn er den andern erschlagen hat!

(22.1: 347)

 

 

Zu Herrn Keuner, dem Denkenden, kam der Schüler Tief und sagte: Ich will die Wahrheit wissen.

Die Wahrheit ist bekannt. Welche Wahrheit willst du wissen, die über den Fischhandel? Oder die über das Steuerwesen? Wenn du dadurch, daß sie dir die Wahrheit über den Fischhandel sagen, ihre Fische nicht mehr hoch bezahlst, wirst du sie nicht erfahren, sagte Herr Keuner.

(Geschichten vom Herrn Keuner, 18: 32)

 

 

Zukünftigen Geschlechtern muß die tödliche Abhängigkeit riesiger Menschenmassen von einigen Leuten, welche die Werkzeuge aller in Form gewaltiger Fabriken in ihren Händen halten, nicht weniger befremdlich erscheinen als uns die Sklaverei. Sie werden nicht ohne Mühe ausfindig zu machen suchen, wie dieser für beinahe alle doch so furchtbare Zustand so lang aufrechterhalten werden konnte.

(21: 569)

 

 

Ich will nicht behaupten, daß Rockefeller ein Dummkopf ist

Aber Sie müssen zugeben

Daß an der Standard Oil ein allgemeines Interesse bestand

Was ein Mann hätte dazu hergehört

Das Zustandekommen der Standard Oil zu verhindern!

Ich behaupte

Solch ein Mann muß erst geboren werden.

 

Wer will beweisen, daß Rockefeller Fehler gemacht hat

Da doch Geld eingekommen ist

Wissen Sie:

Es bestand Interesse daran, daß Geld einkam.

 

Sie haben andere Sorgen?

Aber ich wäre froh, wenn ich einen fände

Der kein Dummkopf ist, und ich

Kann es beweisen

 

Sie haben schon den richtigen Mann ausgewählt

Hatte er nicht Sinn für Geld?

Wurde er nicht alt?

Konnte er nicht Dummheiten machen und

Die Standard Oil kam doch zustande?

 

Meinen Sie, wir hätten die Standard Oil billiger haben können?

Denken Sie, ein anderer Mann

Hätte sie mit weniger Mühe zustande gebracht?

(Da ein allgemeines Interesse an ihr bestand?)

 

Sind Sie auf jeden Fall gegen Dummköpfe?

Halten Sie etwas von Standard Oil?

 

Hoffentlich glauben Sie nicht

Ein Dummkopf ist

Ein Mann, der nachdenkt.

(11: 168)

 

 

Man konnte auch sich allerhand darauf zugute tun, daß das Denken von der Wirtschaft unabhängig sein sollte, aber was war daran günstig, daß die Wirtschaft unabhängig vom Denken war? Die Wirtschaft nämlich war nicht nur von einem bestimmten Denken (…) unabhängig, also ein absolutes, ein Ding an sich, sondern von jedem Denken. Dies, daß die Wirtschaft selbst vom Denken der Wirtschaftsführer (…) unabhängig sein sollte, war selbst undenkbar, hauptsächlich, weil diese wenigen doch Profite machten. Man wußte wenig über die Umstände und Mächte, die das eigene Schicksal bestimmten, aber man sah allenthalben Leute Drähte ziehen. Sollte man annehmen, daß diese keine Ahnung hatten? Sie hatten keine, und dies war es, woraus sie ihre Profite zogen. Nur von der Unwissenheit des andern konnte der eine profitieren, dies lag im System. Auch für die Führer war ein Erfassen des Ganzen weder möglich noch nötig, wohl aber ein Verschleiern der Teile.

(21: 418f.)

 

 

Unsichtbar macht sich die Dummheit, indem sie sehr große Ausmaße annimmt. Ganz ungereimte Behauptungen sind...

Erscheint lt. Verlag 13.6.2016
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Brevier • Krise • ST 4653 • ST4653 • suhrkamp taschenbuch 4653 • Wirtschaft
ISBN-10 3-518-74247-7 / 3518742477
ISBN-13 978-3-518-74247-1 / 9783518742471
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