Im Schatten der Linden

Christa Oehler wurde 1940 in Greiz geboren, wuchs dort auf und blieb auch als Erwachsene ihrer Heimatstadt treu. Nach ihrem pädagogischen Studium arbeitete sie als Lehrerin. Heute ist sie Rentnerin und kann sich intensiv dem Schreiben widmen: Es entstanden bisher Gedichte, Kurzgeschichten und Romane; die vorliegende Autobiographie ist eine ihrer ersten überregionalen Veröffentlichungen.

Aus dem Kapitel "Alltagssorgen" (1948): Kleidung und Schuhe waren Mangelware. Kinder wachsen sehr schnell aus allem heraus. Deshalb gab es Tauschzentralen - Läden, in denen man zu klein gewordene Sachen abgeben und mit entsprechendem Wertausgleich andere erwerben konnte. Auch dort hatten meine Eltern versucht, für mich größere Schuhe zu bekommen. Die Bemühungen waren umsonst. So begann ich das neue Schuljahr mit meinen aufgeschnittenenn Schuhen. Je weiter ich daraus herauswuchs, desto öfter stolperte ich... Schulen waren damals der soziale Mittelpunkt, wenn es etwas für die Kinder zu verteilen gab. In den ersten Monaten nach der Schuleinführung kamen jeden Tag der Hausmeister und seine Frau mit einem großen Wäschekorb voller Brötchen in das Klassenzimmer. Jedes Kind bekam kostenlos ein kleines graues Brötchen. Manche bissen sofort hinein, auch wenn es noch mitten im Unterricht war, denn sie hatten früh noch nichts gegessen. Aus dem Kapitel "Schulalltag (1978/79): Alle Lehrer waren verpflichtet, ein Erziehungsziel für jede Unterrichtsstunde in der schriftlichen Vorbereitung auszuweisen. Die vorgeschriebene Erziehung zum Klassenkampf, der Liebe zur Sowjetunion und anderen politischen Zielen, war nicht nur mir zuwider, sie wurde im Unterricht fast von allen Lehrern absichtlich vergessen. Schlimm war es aber, wenn man das Erziehungsziel auch bei Hospitationen vergaß oder es nicht schriftlich in der Vorbereitung stand. Deshalb versuchte ich immer, andere Ziele anzugeben wie zum Beispiel die Erzienung zur Sauberkeit, Kameradschaftlichkeit, Achtung der Eltern oder zur allgemeinen Solidarität. Auch die "Pioniergesetze" boten Möglichkeiten einer moralisch hochwertigen Erziehung, die nichts mit Politik zu tun hatte. Dabei stellte ich immer die Hilfe für andere Menschen in den Mittelpunkt. Freiwillig übernahmen es meine Schüler unter anderem alten Leuten aus der Schulküche täglich das Mittagessen zu bringen. Auch die Erziehung zur Friedensliebe konnte ich aus innerer Überzeugung heraus glaubhaft übermitteln.