Mama, Roman hat es nicht geschafft - Die Zeit meines eigenen Überlebens nach dem Suizid meines Sohnes -  Karin  Karczewski

Mama, Roman hat es nicht geschafft - Die Zeit meines eigenen Überlebens nach dem Suizid meines Sohnes (eBook)

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2016 | 1. Auflage
190 Seiten
Verlag DeBehr
978-3-95753-295-4 (ISBN)
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'Mama, Roman hat es nicht geschafft.' Diese Worte - überbracht von meiner traumatisierten Tochter - sollten mein Leben mit einem Schlag zum Stillstand bringen und für immer verändern. In der einsamen Verwirrung einer Psychose hatte mein Sohn wohl nur diesen einen Ausweg gesehen und seinem Dasein auf grausame Weise ein Ende gesetzt. Die Welt drehte sich weiter, als wäre nichts geschehen. Ich selbst jedoch, erstarrt in meinen Grundfesten, drohte mich im Strudel des Unfassbaren zu verlieren. Ein Kind auf diese Art hergeben zu müssen, das Unaussprechliche zu verarbeiten - auf all dies kann eine Mutter niemals vorbereitet sein. Die Zeit nach dem Suizid meines Sohnes lastet schwer auf unser aller Leben. Und stets stand und steht die Frage nach dem WARUM im Raum, WARUM mein Kind? WARUM gerade Roman mit seinem feinsinnigen, liebenswerten Charakter? Die Autorin beleuchtet tagebuchmäßig die ersten drei Jahre Trauer und Verzweiflung ebenso wie den Umgang von Gesellschaft und Familie mit dem Verlust des Sohnes, Bruders und Enkels. Dieses Buch kann ein Helfer für Betroffene in den dunkelsten Stunden des Lebens sein.

 

CHRONIK

 

14. Juni 2012

2.59 Uhr

Roman macht Fotos von seinem Körper. Er sieht aufgequollen und verweint aus. Er hat nicht geschlafen.

 

7.15 Uhr

Roman fährt zur Tankstelle an der Königsbrücker Straße und holt sich einen Sechserpack Bier und Zigaretten.

 

10.30 Uhr

Roman wirft seine Playstation und sein Handy aus dem Fenster seiner Wohnung im fünften Stock.

Die Concierge beobachtet alles.

 

10.45 Uhr

Roman holt die Sachen wieder in seine Wohnung.

 

11.00 Uhr

Roman versucht Anna, seine kleine Schwester, telefonisch zu erreichen.

Anna ist krank und schläft.

 

11.45 Uhr

Anna simst Roman, warum er angerufen hat.

 

12.00 Uhr

Roman simst Anna zurück, sie möge einfach schnell kommen.

 

13.30 Uhr

Anna kommt bei Romans Wohnung an. Sie hört ihn in der Wohnung rumoren. Sie klopft an der Tür und ruft nach ihm.

Er antwortet nicht.

Er versucht, sich die Halsschlagadern mit einem stumpfen Messer aufzuschneiden.

 

14.35 Uhr

Anna geht zurück zur Straßenbahnhaltestelle der Linie 7 an der Synagoge.

 

14.40 Uhr

Anna trifft Livia, ihre große Schwester und sie gehen zurück zu Romans Wohnung.

Sie fahren mit dem Fahrstuhl in den 5. Stock.

 

14.40 Uhr

Roman schleppt sich blutend in den 8. Stock des Hauses.

Er ist geschwächt und verschmiert die Wände mit Blut, als er sich daran abstützen muss. Er versucht auf das Dach des Hochhauses zu kommen. Die Dachtür ist verschlossen. Er öffnet das Fenster im Treppenhaus und springt auf den Fenstersims. Ein fremder Mann steht auf dem Gang ca. 2 Meter von ihm entfernt. Er hält ihn nicht auf.

 

14.44 Uhr

Anna und Livia erreichen den Vordereingang des Hauses. Sie fahren mit dem Fahrstuhl in den 5. Stock.

Als sich die Fahrstuhltür öffnet, springt Roman ohne zu zögern aus dem 8. Stock des Treppenhausfensters aus 18 Meter Höhe auf das Vordach des Eingangsbereiches im Innenhof.

Er hat seine Bestzeitmedaille vom Dresdner Marathon um den Hals.

Beim Sprung stößt er einen lauten Schrei aus.

 

14.45 Uhr

Livia und Anna hören aufgeregte Rufe verschiedener Menschen.

Livia schaut aus dem Fenster des Treppenhauses.

Sie zwingt Anna, sich auf den Boden des Treppenhauses zu setzen und nicht aus dem Fenster zu sehen.

 

14.46 Uhr

Livia läuft die Treppe herunter und klettert zu ihrem Bruder auf das Vordach.

Er lebt.

Er murmelt leise, unverständliche Worte. Livia kann ihn nicht verstehen.

Sein Körper ist unnatürlich verdreht.

Die Blutlache um seinen Kopf wird größer.

 

14.50 Uhr

Die Polizei trifft ein.

 

14.55 Uhr

Mehrere Krankenwagen treffen ein.

Zwei Feuerwehrwagen stehen außerhalb des Wohnkarrees.

 

15.00 Uhr

Roman wird in ein künstliches Koma versetzt.

Die Rettungsmaßnahmen laufen an.

 

15.10 Uhr

Roman wird ins Uniklinikum Dresden gebracht.

 

15.20 Uhr

Roman wird durchgängig reanimiert. 45 Minuten lang.

6 Bluttransfusionen werden verabreicht.

 

16.25 Uhr

Romans Herz hört auf zu schlagen.

 

16.35 Uhr

Romans Seele verlässt den Körper.

Es ist ein wunderschöner Tag im Juni. Die Sonne scheint und ich trage das erste Mal im Jahr kurze Hosen.

Ich stehe nach einem erholsamen Mittagsschlaf auf der Leiter im Kirschbaum.

Die Luft ist erfüllt von Kinderlachen und Frühlingsduft.

Keine negativen Schwingungen oder Panikattacken.

Mir geht es gut.

 

Mein Sohn hat mehrere Stunden gelitten. Er hat versucht, sich die Halsschlagadern mit einem stumpfen Küchenmesser aufzuschneiden. Er ist wie ein verletztes Tier noch lange Zeit in seiner Wohnung herumgelaufen. Alles war voller Blut.

 

Ich habe im Kirschbaum gestanden. Ich habe den Kindern ganze Äste mit herrlichen, reifen Kirschen zugeworfen.

 

Früh hat Roman Anna, seine kleine Schwester, angerufen. Sie hat es nicht gehört. Sie hat geschlafen.

 

Er hat sich lange nicht gemeldet, deshalb meinte ich später zu ihr: „Geh doch einfach mal hin.“ Anna war erkältet und hatte nicht die richtige Lust dazu. Zu der Zeit hat er oft Verabredungen nicht eingehalten. Sie fragt ihn per SMS warum sie kommen soll.

 

Roman simst zurück; sie solle einfach kommen, schnell. Er hat um Hilfe gerufen.

 

Vor dem Zug um dreizehn Uhr habe ich sie erneut gedrängt hinzufahren.

Ich war so froh, dass er sich wieder einmal gemeldet hat. Mich wollte er ja nicht sehen.

Sie hat den Zug genommen und war dann gegen 13.30 Uhr vor seiner Wohnung. Er muss sie wahrgenommen haben. Anna hat Geräusche aus der Wohnung gehört.

Eine Stunde hat sie es rufend und klopfend vor der Wohnung ausgehalten. Verzweifelt wendet sie sich per SMS an ihre beste Freundin. Die hat zu tun und schaltet ihr Handy aus. Anna ist 15 und weiß nicht, was sie machen soll. Sie wird immer kopfloser. Ich sage ihr, dass sie da weggehen soll. Was soll sie machen, wenn er nicht aufmachen will.

Anna hat große Angst um ihren Bruder.

 

Eine ganze Stunde. Warum hat er nicht aufgemacht? Wollte er uns schützen? Hätte es sonst ein Blutbad gegeben?

 

Roman hat seine Schwester durch den Türspion gesehen. Überall an der Innentür waren Spuren von seinen Händen. Er hat stark geblutet. An den Verletzungen am Hals wäre er nicht gestorben. Vielleicht Stunden später.

Er hat sich nirgends hingesetzt. Wie ein verwundetes Tier ist er hin- und hergelaufen. Ist Anna zu spät gekommen, für sein Verständnis von Geliebtwerden? Was hat er noch überlegt?

Roman schreibt für Anna auf einen kleinen Zettel: „Sei mir nicht böse. Ich hab dich sehr lieb.“ Livia findet ihn später beim Saubermachen. Der Zettel ist voller Blut. Sie wirft ihn weg.

Roman sucht die Urkunden von seinen Marathonläufen heraus. Viele waren voller Blutspritzer.

Wollte er verbluten, wollte er gar nicht springen?

Mit einem stumpfen Gemüsemesser hat er versucht, seine Halsschlagadern zu zertrennen. Er hatte doch so Angst vor Schmerzen.

Ich rufe Livia, meine große Tochter, an, sie möge Anna von da wegholen. Gegen 14.35 Uhr geht Anna zur Straßenbahnhaltestelle. Da sie voller Panik wegen Roman ist, laufen beide schnellen Schrittes über die Kreuzung zu Romans Haus zurück. Anna hat ein ungutes Gefühl. Sie hat ihn deutlich in der Wohnung gehört.

Er hat sie über die Kreuzung kommen sehen. Die Blutspuren an der Jalousie zeigen das. Wen hat er gesehen? Mich? Anna? Livia?

Sie waren gegen 14.40 Uhr an der vorderen Eingangstür. Das Haus hat zwei Eingänge.

Während die Mädchen vorn ins Haus gehen, läuft Roman die Treppe vom fünften in den achten Stock. Im Treppenhaus waren Blutspuren an den Wänden. Er hatte keine Kraft mehr. Wen hat er gesehen? Mich oder Livia? Wollte er einer erneuten Zwangseinweisung entgehen? Nie hätte ich das noch einmal gemacht. Ich hatte das ihm und mir versprochen.

Ohne zu zögern, will er auf das Dach des Hochhauses. Die Dachtür ist verschlossen. Er läuft die kleine Treppe wieder runter, öffnet das Treppenhausfenster und springt ohne anzuhalten. Ein Mann steht zwei Meter von ihm entfernt.

Er versucht nicht einmal ihn aufzuhalten. Wahrscheinlich geht alles zu schnell.

Beim Sprung hat Roman laut geschrien. Ein Nachbar, der gerade seinen 40. Geburtstag auf einem der gegenüberliegenden Balkone feierte, hat es später erzählt. Er hat Fotos von Roman auf dem Vordach liegend gemacht und ins Internet gestellt.

 

Als Anna und Livia im fünften Stock aus dem Fahrstuhl steigen, schlägt sein Körper auf dem Vordach auf. Hätten sie ihn einige Augenblicke eher abhalten können?

 

Sie hören laute Schreie nach einem Krankenwagen und ob er noch leben würde.

Der Notruf geht 14.46 Uhr bei der Feuerwehr ein. Zuerst ist die Polizei da. Sie befindet sich nur eine Straße weiter.

Der Krankenwagen und die Feuerwehr kommen gegen 14.55 Uhr.

 

Roman lebt.

Livia schaut aus dem Treppenhausfenster. Roman liegt auf dem...

Erscheint lt. Verlag 27.5.2016
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-95753-295-7 / 3957532957
ISBN-13 978-3-95753-295-4 / 9783957532954
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