Schuld vergisst nicht (eBook)

Ein Triest-Krimi
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
320 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-97303-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schuld vergisst nicht -  Roberta De Falco
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Endlich hat Commissario Benussi seinen Kriminalroman zu Ende geschrieben. Und er weiß auch schon, wie er sein Meisterwerk der Verlagswelt präsentieren wird. Bei einer Feier für den Schriftsteller Ivo Radek will er sein Manuskript dessen Agentin schmackhaft machen. Doch dann wird der Preisträger schwer verletzt in der Bibliothek gefunden. Jemand trachtet dem altehrwürdigen Autor nach dem Leben. Benussi ermittelt in der Triester Literaturszene, zu der er selbst so gern gehören würde. Bald wird klar: Den 90jährigen Schriftsteller umgibt ein dunkles Geheimnis, das seine Schatten bis in die Gegenwart wirft ...

Roberta De Falco ist das Pseudonym einer erfolgreichen Drehbuchautorin, die mit den Großen des italienischen Kinos zusammengearbeitet hat. Sie lebt in Triest, Rom und Orvieto.

Stelio Kunz schrak aus dem Schlaf hoch, wie üblich schlecht gelaunt. Es war fünf Uhr nachmittags, und er war mit dem Kopf auf dem Schreibtisch eingeschlafen, wie ein Schüler, der keine Lust hat, Hausaufgaben zu machen. Und im Grunde verhielt es sich auch genauso: Er hatte dem Chefredakteur versprochen, den Text über Ivo Radek bis sieben Uhr zu liefern.

Aber was gab es denn noch über den istrischen Autor zu sagen, das nicht schon tausendmal gesagt und bis zum Erbrechen wiederholt worden wäre? Die Tatsache, dass die Universität Triest auf die extravagante Idee verfallen war, Radek im zarten Alter von achtundachtzig Jahren einen verspäteten Doktortitel honoris causa zukommen zu lassen, vergällte ihm den Tag so richtig. Welchen Sinn sollte das haben, ihm diesen Titel jetzt noch zu verleihen, wo er doch bereits mit einem Fuß im Grab stand?

Der Grund lag natürlich auf der Hand. Falls in diesem Jahr tatsächlich der Nobelpreis an den alten Schriftsteller aus Parenzo ging, was immerhin wahrscheinlich schien, dann wollte die Stadt, die ihn nach seiner traumatischen Erfahrung der Vertreibung aufgenommen hatte, nicht riskieren, als undankbar dazustehen.

Aber was sollte er, Stelio Kunz – notgedrungen Literaturkritiker, aber in Wirklichkeit ein verkannter Schriftsteller, der sehr viel mehr Talent aufwies als die zahlreichen Tintenkleckser, die die Bestsellerlisten verstopften –, was zum Teufel sollte er noch Originelles schreiben über einen Autor, der vor einem halben Jahrhundert einen vollkommen unverständlichen Erfolg mit seinem Erstlingswerk gehabt und danach nur mittelmäßige Bücher geschrieben hatte, die ebenso unverständlicherweise von vielen Lesern weit höher geschätzt und inniger geliebt wurden, als sie es verdient hatten?

Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er die Wahrheit geschrieben. Radek schuldete seinen unverdienten Ruhm ausschließlich seiner Vergangenheit. Wenn der junge Ivo nicht gezwungen worden wäre, seine Heimat und seine Familie zu verlassen, als Istrien 1947 unter Titos Herrschaft fiel, hätte er niemals dieses herzzerreißende Buch geschrieben, das alle für sein Meisterwerk hielten. Ein Buch, das, unter anderem, dermaßen banal und voller Floskeln war, dass er, Stelio Kunz, es unter denselben Bedingungen hundertmal besser hätte schreiben können, und zwar ohne diese ganzen ermüdenden Grübeleien.

Aber man weiß ja, wie so etwas in Italien läuft. Die wahren Talente, zu denen sich Kunz ganz unbescheiden zählte, mussten sich in erniedrigender Weise damit abfinden, von literarischen Nullen überholt zu werden, die – mithilfe perverser und unnachgiebiger Pressekampagnen, welche den ahnungslosen Lesern suggerierten, dass an dem Kauf ihrer mittelmäßigen Machwerke kein Weg vorbeiführte – dem bereits in Mitleidenschaft gezogenen Markt der »wahren Literatur« irreparablen Schaden zufügten. Zu der auch das letzte Buch von Kunz zählte, das er gerade fertiggestellt hatte und auf das er ganz besonders stolz war. Bei seinem »Koloss auf tönernen Füßen« handelte es sich in der Tat um ein komplexes und tiefgründiges Werk, das es verdient hätte, einen so bedeutenden Verlag wie Fondamenta zu finden. Es gab im Land kein anderes Haus, das in Ansehen und Kompetenz damit vergleichbar war.

Stelio Kunz stand auf, streckte sich und ging auf die kleine Terrasse, die gegenüber des Passeggio Sant’Andrea lag. Die warme Juniluft hatte Kinder, Mütter, Rentner und Heranwachsende scharenweise herausgelockt, die nun die weitläufige Fußgängerzone bevölkerten und den Sommeranfang genossen. Wie gern wäre er nach unten gegangen und hätte sich ein Eis geholt, wie diese Jungen, die auf den Bänken rund um den Brunnen saßen, aber er durfte sich das wirklich nicht erlauben. Er war schon zu spät dran, er musste schreiben. Der Chefredakteur hielt den Platz für seinen Artikel frei. Seufzend kehrte er an den Schreibtisch zurück und ließ den Computer wieder hochfahren.

»Der Herr erlöse uns von treu ergebenen Gattinnen«, schrieb er. Vielleicht könnte er so anfangen! Eines der Dinge, die ihn am meisten an Radek irritierten, war tatsächlich dessen Fähigkeit, hinter dem breiten Rücken seiner Ehefrau Petra in Deckung zu gehen. Sie war es, die seit Jahrzehnten für ihn den Kontakt zur Welt unterhielt, auf Anfragen von Journalisten antwortete, Interviews und Einladungen ablehnte. Er, der große Literat, versteckte sich in seiner Wohnung im obersten Stockwerk eines Palazzos in der Via Lazzaretto Vecchio und ließ sich seit Jahren nicht in der Öffentlichkeit blicken. Aus gesundheitlichen Gründen, sagte die Ehefrau. Aus Feigheit und Berechnung, dachte Kunz, und mit ihm viele andere Journalisten, denen es nicht gelungen war, zu einem Interview zugelassen zu werden.

Allerdings trieb Stelios Abneigung ihn nicht so weit, dass er sich nicht hätte eingestehen können, dass der Irritation eine Form von Neid, wenn nicht gar nackte Eifersucht zugrunde lag. Stelio Kunz, um bei der Wahrheit zu bleiben, war nicht nur der Erfolg versagt geblieben, der ihm seiner Meinung nach zugestanden hätte, sondern er war auch noch in seiner Jugend bis über beide Ohren in Petra Gargelli verliebt gewesen. Zwanzig Jahre jünger als ihr berühmter Gatte war Petra eine jener Frauen, die bei jeder Begegnung sofort Empathie ausstrahlte, eine Gabe, die Kunz zweifellos immer gefehlt hatte. Es war diese Ausstrahlung von Vertrautheit und Nähe, die vor vierzig Jahren den jungen Brillenträger Stelio angezogen und zu der Illusion verführt hatte, hinter der Freundschaft mit ihm verberge sich noch ein anderes Gefühl. Als er sich der Tatsache bewusst wurde, dass dem jedoch nicht so war und Petra nicht im Geringsten daran dachte, sich mit ihm zu verloben, war die Enttäuschung bitter gewesen, wenn auch nicht gänzlich unerwartet.

Die Universität Triest wird übermorgen um 11 Uhr in der Aula A der Fakultät für Literatur und Philosophie zusammenkommen, um Ivo Radek die Ehrendoktorwürde zu verleihen. Der berühmte istrische Schriftsteller, 1925 in Parenzo geboren, hat seine Anwesenheit zugesichert, auch wenn er, wie wir alle wissen, das Licht der Öffentlichkeit scheut. Radek trägt den Namen seiner Mutter, russischen Ursprungs, den er angenommen hat, um den Namen des Vaters, Furian, nicht führen zu müssen. Er war zu stark mit den tragischen Ereignissen des Exodus verknüpft.

Anlässlich der Verleihung werden seine beiden Verleger, der adelige Titus Celsius aus dem angesehenen Verlagshaus Fondamenta, das auch die Rechte am Enthüllungsbuch »Der Kindheitsfreund« von 1955 hält, und Terenzio Tasca, der neue Verlagsleiter von Russo & Nobile, anwesend sein. Der Verlag hat alle anderen Bücher Radeks publiziert und möchte auch die Rechte seines jüngsten, streng geheimen Werkes erwerben, von dem bis heute nur der Titel »Unser Erdenleben« bekannt ist.

Die Schlacht zwischen Russo & Nobile und Fondamenta um das neue Buch ist in vollem Gange. Die mächtige Literaturagentin Rhoda Wallace, die Radeks Rechte weltweit vermarktet, lässt sich nicht in die Karten schauen. Bis zum heutigen Zeitpunkt weiß niemand, wovon dieses, sein letztes Werk handelt; ob es, wie wir vorhersagen, eine Art spirituelles Testament des istrischen Autors sein wird oder ob er im Gegenteil einen Roman, ein Werk der Fiktion vorlegen wird. Die Idee, einen Wettstreit der Verlage um ein Buch auszurufen, das ansonsten auch unbemerkt hätte bleiben können, in der Hoffnung, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, ist allerdings gewagt und mitnichten ein Erfolgsgarant auf einem mit kurzlebigen Wegwerfprodukten überschwemmten Markt. Müssen wir das Spiel mitspielen und ein uns fernliegendes Interesse heucheln für einen Autor, der zweifellos seine Zeit hatte? Gibt es nicht schon genug aufwendig angekündigte Meisterwerke, die sich, einmal erschienen, als wahrhaft überflüssig erwiesen haben?

Stelio Kunz hielt inne. Wie so oft hatte er sich hinreißen lassen. Er wollte nicht missgünstig und gallig klingen. Schweren Herzens löschte er die letzten Zeilen und schrieb weiter.

Es ist ja kein Geheimnis, dass es Gianluigi Russo – Urenkel des Gründers des ruhmreichen Mailänder Verlagshauses und bis vor zwei Monaten noch allseits gefürchteter Verlagsleiter von Russo & Nobile –, noch gelungen ist, Radek das Versprechen abzuringen, ihm die Publikation seines neuen Werkes anzuvertrauen, bevor er so brutal vor die Tür gesetzt wurde. Doch dann hat das Erscheinen des jungen, frischgebackenen Verlegers Terenzio Tasca auf dem Parkett die Karten einmal mehr neu gemischt.

Es scheint, als schätze der greise Autor Veränderungen nicht, folglich läge die Vorstellung, dass er in Celsius’ Arme zurückkehrt, nicht allzu fern. Umso mehr als Fondamenta nach wie vor alle Rechte am »Kindheitsfreund« hält, auch heute noch Radeks meistverkaufter Titel, ungeachtet der Tatsache, dass seit seinem Erscheinen fast sechzig Jahre vergangen sind. Mit einer halsabschneiderischen Klausel in dem Vertrag, der im fernen 1954 vom Autor mit Rufus Celsius, dem bereits verstorbenen Vater des heutigen Verlegers, geschlossen wurde, hat sich das Haus die Rechte an der Verbreitung des Werkes auf alle Zeiten gesichert. Eine Klausel, die Rhoda Wallace bereits auf allen möglichen Wegen versucht hat für nichtig erklären zu lassen, indem sie behauptete, sie sei dem Autor seinerzeit in betrügerischer Absicht abgepresst worden. Allerdings ohne Erfolg.

Wir erinnern uns, dass »Der Kindheitsfreund« in etwa zur gleichen Zeit wie »Der Leopard« und »Doktor Schiwago« erschienen ist, den ersten echten Bestsellern des italienischen Verlagshauses, mit einer Auflage, die damals fast an eine Million verkaufte Exemplare...

Erscheint lt. Verlag 1.4.2016
Reihe/Serie Commissario-Benussi-Reihe
Übersetzer Sigrun Zühlke
Sprache deutsch
Original-Titel Il tempo non cancella
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Bannalec • Buch • Commissario Benussi • Die trüben Wasser von Triest • eBook • Ein ehrenwerter Tod • Ermittlungen • Fred Vargas • Gute Zeiten für schlechte Menschen • Istrien • Italien • Italien-Krimi • Jugoslawien • Krimi • Kriminalroman • Laurenti • Regionalkrimi • Sommerlektüre • Spannung • Triest • Urlaubslektüre • Veit heinichen
ISBN-10 3-492-97303-5 / 3492973035
ISBN-13 978-3-492-97303-8 / 9783492973038
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