Mama Donau (eBook)

(Autor)

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2016 | 1. Auflage
135 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-74560-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mama Donau -  Eva Demski
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Eva Demski, geboren in Regensburg an der Donau, erzählt über ihren Fluß, über Mama Donau: »Ich bin an der Donau geboren, die ist ein Weib und nicht so romantisch wie der Vater Rhein. Sie strömt von Westen nach Osten und zählt 2850 Flußkilometer bei Donaueschingen bis 0 Kilometer in den Weiten des Donaudeltas, in Rumänien. ... Das Buch erzählt meine Geschichten vom Fluß, von geliebten und fremden Orten, aber auch die allerfremdesten waren vertraut: Wenn man ins Wasser schaute, es hörte und roch.«

Eva Demski, geboren 1944 in Regensburg, lebt in Frankfurt am Main. Ihr literarisches Werk wurde vielfach ausgezeichnet.

Sie hat es eilig


Sie hält sich nicht auf, höchstens, um schnell etwas zu verschlingen, es kommt ihr nicht drauf an, was. Schafe, Ziegen, Uferbäume, ein Stück Altstadt und besonders gern kleine Kinder. So hat mans uns jedenfalls erzählt, und daß es nur eine Möglichkeit gäbe, wieder herauszukommen, wenn man hineingefallen und in die Strudel geraten ist: Ihr nachgeben, sich totstellen, dann verliert sie die Lust und speit einen wieder aus.

Ich habe mir immer das Geräusch vorgestellt, das entstehen mag, wenn die Donau Kinder einschlürft – ungefähr wie wenn man mit dem Strohhalm auf dem Grund eines Eisbechers angekommen ist und den Rest rauszuzelt, was die Erwachsenen nicht gern hören. Nur lauter. Aber angst hat sie mir nie gemacht, und daß ich beim Schwimmenlernen in der Donau so gebrüllt habe, war, weil es ein kalter Sommer gewesen ist und ich den Schwimmlehrer mit seiner Angel gehaßt habe. Er hieß Hölzl, was für einen Schwimmlehrer ein guter Namen ist.

In einer amerikanischen Illustrierten hatte meine Mutter gelesen, man sollte schon Kleinstkindern das Schwimmen beibringen. Das tat sie, eingedenk der Gefräßigkeit des Flusses, aber sie war grade frisch befreit und konnte nicht so gut Englisch, deswegen hat sie überlesen, man sollte das in warmem Wasser tun. Sie hätte mir das Schwimmen fürs Leben verleiden können, aber nichts war: Ich wurde flußsüchtig und bin es geblieben.

Die Schwimmpontons in der Donau rochen nach warmem Holz und Karbolineum, der Fluß selber nach grünem Moder, Schlamm und ein bißchen nach Fisch, ein schattiger Geruch. Die jungen Frauen lagen vor ihren Badehütten, ganz kühne in zweiteiligen Badeanzügen, und sprachen vom Braunwerden und von ertrunkenen Kindern. Braun war die Donau von mitgerissenem Schwemmland, und Baumstämme trug sie eilig vorbei, die auf den Wellen Bewegungen machten wie bockende Rösser. Wir Kinder saßen in unseren Sandkuhlen am Ufer, gruben Kanäle, die sich rasch mit dem dunklen Wasser füllten, manchmal geriet ein unglücklicher Stichling in unser Hafensystem, das war toll. Wir erwogen, ob man ihn braten sollte oder mit ihm neue Fische züchten, ob man ihm das Springen beibringen könnte und wie lang er an Land leben würde, bis meine Mutter oder irgendein anderer Erwachsener kam und mit der Handkante einen Zugang ins offene Meer haute. Dann waren wir beleidigt, schauten dem Fisch hinterher und warteten auf vorbeitreibende Wasserleichen.

Die Badeanstalt war ein kilometerlanges Uferstück an der Donau, nicht weit außerhalb der Stadt Regensburg, und sie hieß »die Milli«. Gemma in d’Milli. Man belud Körbe und Strohtaschen, Fahrräder und Bollerwägelchen und zog jeden Nachmittag in d’Milli. Manche hatten Häuserchen am Ufer stehen, nicht einfach Hütten, sondern richtig sündig ausstaffierte Lauben mit bunten Stoffbespannungen an der Wand und Kissen auf den Feldbetten. Wir hatten auch so ein Luxushüttchen, gelb, und an den Wänden war eine Art Tüll gespannt, den jemand mit riesigen Sonnenblumen bemalt hatte. Es gab eine kleine Terrasse und Blumenkästen. Die Flaschen mit weißer Limonade, die man Kracherl nannte, wurden an Schnüre gebunden und in den Fluß gehängt.

Viele Jahre später erfuhr ich den richtigen Namen der Milli, die nämlich eigentlich Militärschwimmschule hieß, und noch später holte sich die Donau unser gelbes Sommerhaus und trug es eilig davon. So war sie, so ist sie immer noch. Erst kurz vor Wörth, hieß es, hätten sie ihr das Haus wieder entreißen können, aber da sah es traurig aus, und der Sonnenblumentüll war nur noch Erinnerung. Sie ist ein Weib, die Donau, und neidisch.

Wieder in einer Zeitung, diesmal gewiß nicht in einer amerikanischen, hatte meine Mutter gelesen, daß dünne Mullbinden eine guter Ersatz für Häkelwolle seien, und so häkelte sie sich einen Bikini. Die nannte man damals, glaube ich, noch nicht lange so, und sie sah prachtvoll aus, meine dunkelhäutige, schwarzhaarige Mutter in ihrem weißen Zweiteiler. Leider ist sie ganz arglos damit in die Donau gegangen, und die verwandelte das schöne Badekostüm in eine sich schnell und spurlos auflösende weiße Wolke. Wie weiland die keusche Jagdgöttin Diana wartete meine entblößte Mutter hinter irgendwelchem Wurzelwerk im Wasser, bis ihr jemand einen Kittel oder einen Bademantel geholt hatte, aber das nützte nichts. Die Regensburgerinnen hatten die nächsten Wochen was zum Tratschen, das taten sie bös und ausgiebig und trösteten sich damit drüber weg, daß sie fett und nicht so schön, braun und fremdartig waren wie meine Mutter.

Wer in einem Fluß schwimmen lernt, kann es anschließend. In irgend so einem türkisgrünen Becken, das ist ja nichts. Da lernt man es nicht besser als eine Gummiente. Weil: Schwimmen kann man erst richtig, wenn man weiß, was eine Strömung ist. Und daß man die nicht besiegen, sondern nur benutzen kann. Und wenn man aushält, daß man nicht ahnt, was alles unter einem ist, Lebendes und Totes. Die Donau bringt einem das bei, gleichmütig und gründlich. In der Milli mußte man am Eingangstürchen ins Wasser, damit man ein bißchen Strecke vor sich hatte, bis man dann an der Liegewiese und den paar Duschen ankam, ungeduldig vom lehmigen Wasser mitgerissen.

Quer hinüber auf die andere Seite kamen nur Männer, und längst nicht alle. Einfach reingehen und ein bißchen herumpritscheln ließ sie einen nicht, da war man schneller aus der Stadt draußen, als einem lieb war. An manchen Bäumen hingen feste Stricke, damit man sie unter sich durchrauschen lassen konnte, ohne abhanden zu kommen. Wir lernten erst den sogenannten Hundsdabler. Es war eigentlich unter unserer Würde, mit den Vorderpfoten zu paddeln wie Hunde, das heißt wie die Hunde anderer Leute. Unser Hund war furchtbar wasserscheu, ein großer, kräftiger Boxer, der am Ufer heulte, hin- und herrannte und fremde Männer dazu veranlaßte, uns zu retten. Er hat der Donau nie getraut, Hundsdabler hin oder her, nur abends mochte er Uferspaziergänge gern. Da gingen wir nicht in die Milli, sondern auf die Schillerwiese, und die grüne Dämmerung senkte sich sacht über den Fluß. Seine, nein ihre Ufer waren dicht bewachsen mit allerlei Büschen, und die interessierten unseren Hund sehr. Immer wieder fand er dort interessante Gegenstände, die er mit nach Hause nehmen konnte, Taschen, Flaschen, Tüten und einmal einen rosa Satinbüstenhalter von jener Art und Größe, die man früher auf Jahrmärkten kaufen konnte. Er trug das wunderbare Dessous triumphierend in der Schnauze und ließ es sich für nichts in der Welt abjagen. Die Donau hat leise und hämisch gelacht, und ich wartete, bis es ganz dunkel war, um den Hund und seine Trophäe ungesehen nach Hause zu bringen.

Aber in den Gassen unten an der Donau ist viel Leben, und die jungen Regensburger Herren waren sehr einfallsreich: Fräulein, is des Eahnara? Kannte ich ja schon, aber da hatte ich immer nur den Hund dabei. Jetzt meinten sie nicht den Hund.

In den Büschen an der Schillerwiese sind unter dem Gelächter der Donau viele kleine Regensburger gemacht worden. Um die Bräute zu beeindrucken, sprangen die Buben von der Steinernen Brücke, ungerührt vom Bruckenmanndl übersehen, und manche haben die Mutprobe nicht überlebt. Das Bruckenmanndl schaut zum Dom hinüber, und die Steinerne Brücke war für mich immer die schönste Brücke der Welt. Unzerstörbar schaut sie aus, dieses Herz Regensburgs, der Gürtel der Donau. Ihre Fundamente, große, steinerne Füße, die wie Schiffe geformt sind. Ein wenig steigt sie an, sie ist nicht grade, ihr Scheitelpunkt liegt nicht in der Mitte, nichts weiß sie von der Diktatur, unter der die Neuzeit schmachtet: der des rechten Winkels. Sie ist eine Brücke, keine über den Fluß gelegte Straße.

Wenn nur immer alle gewußt hätten, wie schön sie ist! Dann müßte man jetzt nicht, wenn man im Spitalgarten sitzt, über so einen furchtbaren Beton-Wurmfortsatz wegschauen, den sie ihr in die Seite gebaut haben. Aber sie hat schon viel ausgehalten, die Brücke, und auch den werden sie ihr wieder wegoperieren.

Die Donau schert sich sowieso nicht um die Bauwerke, mit denen man ihr in den Jahrhunderten und Jahrtausenden zu Leibe gerückt ist, sie läßt sie eilig hinter sich, beißt da und dort ein Stück weg, unterspült was, schmeißt Kiesel hin, weicht aus. Inseln hat sie und Altarme, es waren auch große Auwälder da, für deren Rest brauchts vielleicht bald ein Museum. Schnell ist sie, schnell. Mir schien immer, sie sei einer der eiligsten Flüsse, die ich kenne. Und damit man nicht traurig ist über ihre große Gleichgültigkeit den Menschen gegenüber, läßt sie hier und da was von sich zurück, träge Flußreste mit undurchsichtig dunklem Wasser, in dem die gelben Köpfe der Mummeln stehen und Molche schwimmen.

In Stadtamhof war die Dult, die ist immer noch da, aber jetzt haben sie auch den Kanal, jenes dümmste Bauwerk seit dem Turmbau zu Babel, wie Dieter Hildebrandt ihn nannte. Die sprichwörtlichen Wogen, die der Bau geschlagen hat, sind verebbt, und jetzt ist schon wieder die Rede vom Donauausbau, damit irgendwelche riesigen Containerverbände sie passieren können. Unter der Steinernen Brücke paßt sowieso nur Kleinzeug durch.

Unter dem zweiten Bogen hat sich meine Cousine durchzuschwimmen getraut, da ist der Strudel noch nicht so stark. Schwimmen im Fluß, das heißt immer Mutprobe und Größenwahn, und die Schulzeit war getränkt mit Geschichten über Siege und Niederlagen in der Donau. Auch Todesgrusel lieferte sie, so die Geschichte des Sohnes von jemandem, den man kannte, weil bei uns die ganze Stadt sich kannte bis zurück zu den Urgroßeltern: Der bedauernswerte Sohn, der...

Erscheint lt. Verlag 7.3.2016
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Donau • Donautal • Erlebnisbericht • insel taschenbuch 3279 • IT 3279 • IT3279 • Reisebericht
ISBN-10 3-458-74560-2 / 3458745602
ISBN-13 978-3-458-74560-0 / 9783458745600
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