»Ihr Anliegen ist uns wichtig!« (eBook)

So lügt man mit Sprache
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
208 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-97162-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

»Ihr Anliegen ist uns wichtig!« -  Sebastian Pertsch,  Udo Stiehl
Systemvoraussetzungen
8,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Sebastian Pertsch und Udo Stiehl stehen als Journalisten immer wieder vor der Frage: Mach ich´s verständlich, oder mach ich´s mir leicht? Denn unsere Sprache verfügt über unzählige klausulierte Formulierungen und Begriffe, mit deren Hilfe sich komplexe Zusammenhänge verharmlosen und in Nebelbomben verwandeln lassen. Da wird der zum Tode verurteilte Häftling, der seit Jahren auf seine Hinrichtung wartet, zum »Todeskandidaten«, der Angriffskrieg zum »Luftschlag« und ungerechte Gesetze werden »nachgebessert«. Da ist »noch etwas Luft nach oben« finden die Autoren von Floskelwolke.de und treffen mit ihren geistreichen Analysen mitten in unser vernebeltes Sprachzentrum.

Sebastian Pertsch (geboren 1981) aus Berlin und Udo Stiehl (geboren 1970) aus Köln sind freiberufliche Nachrichtenredakteure im Hörfunk und arbeiten außerdem als Dozenten, Autoren und Sprecher. 2015 erhielten sie den Günter-Wallraff-Preis für Journalismuskritik.

Sebastian Pertsch (*1981) aus Berlin und Udo Stiehl (*1970) aus Köln sind freiberufliche Nachrichtenredakteure im Hörfunk und arbeiten außerdem als Dozenten, Autoren und Sprecher.

Verbraucher


Was steht heute auf dem Speiseplan? Es gibt Huhn vom Schwein, genauer gesagt Geflügelleberwurst. Und wenn Sie nicht aufpassen, dann liegt diese Sprachkomposition auch auf Ihrem Esstisch. So wie jede Branche, die maximalen Gewinn erzielen will, ist auch die Lebensmittelindustrie mit viel Fantasie am Werk. Einige schwarze Schafe sind dort nicht in der Verarbeitung, sondern in der Chefetage gelandet.

Auf schön gefärbten Verpackungen stehen schöngefärbte Produktnamen, Bilder von saftigem Obst suggerieren frisch gepressten Saft, und hinten drauf flimmert das Kleingedruckte. Die Verbraucherzentralen prüfen das, haben aber oft kaum eine Handhabe, denn in vielen Fällen gelten nur Richtlinien. Und so besteht eine Spargelcremesuppe aus der Tüte eben aus sagenhaften vier Prozent Spargel, in der Instant-Gulaschsuppe konnten immerhin fünf Prozent Rindfleisch nachgewiesen werden. Manche Prüfergebnisse lassen allerdings selbst Münchhausen die Kugel entgleiten. Die schon zitierte Geflügelleberwurst eines bestimmten Herstellers enthielt zwar tatsächlich 39% Putenfleisch, die Leber allerdings stammte vom Schwein. Und in der Pastete nach Wildschweinart war gar kein Wildschweinfleisch drin. Immerhin ist dieser Trick inzwischen weithin bekannt durch das Schnitzel Wiener Art, das nur Wiener Schnitzel heißen darf, wenn es aus Kalbfleisch besteht. Mit sprachlicher Fantasie lässt sich das nur teilweise begründen.

Weil wir gerade dabei sind: Viele werden sich noch an den Pferdefleisch-Skandal erinnern, der gerne mit Begriffen wie Ekel und Abscheu verknüpft wurde. Dieser Skandal war in Wirklichkeit ein doppelter Etikettenschwindel. Erstens stand von Pferd nichts auf der Lasagne-Packung, und zweitens ist Pferdefleisch an sich auch kein Skandal, sondern eine erlesene Zutat für den traditionellen Rheinischen Sauerbraten. Tatsächlich war es also ein Deklarationsbetrug geldgieriger Fleischhändler – das Pferd ist unschuldig. Was gelegentlich auch der Koch von sich behauptet.

Speisekarte


Man hätte gewarnt sein können. Das Restaurant war verdächtig leer, obwohl 19.30 Uhr keine ungewöhnliche Zeit zum Essen ist. Dicker Teppich schluckte jeden Schritt, schwere Vorhänge umrahmten den Blick in den Hof des alten Landguts. Zwei Tische waren besetzt. Das Restaurant war von einem Kollegen empfohlen worden. Wenn man Mutter ausführt, macht man sich ja vorher mal kundig.

Nachdem sich das Personal reichlich Zeit ließ, die Tischdekoration intensiv zu analysieren, die Blume in der Vase sogar noch in Art und Gattung bestimmt werden konnte, erschien die Dame des Hauses. Sie überreichte Speisekarten vom Gewicht eines Schulatlanten. Inhalt: drei Seiten. Und schon die Überschrift auf Seite eins bestätigte schlimmste Befürchtungen. Gedanken zum Herbst kündigten die schnörkeligen Lettern an. Na wunderbar! Wenn das schon so losgeht. Das mit der herbstlich depressiven Stimmung im Raum war ja bereits vorzüglich gelungen. Die Speisekarte hielt, was der Koch mit seinen Überlegungen zu dieser Überschrift versprach. Gedanken zum Herbst kamen allerdings nicht auf, stattdessen fiel es immer schwerer, nicht zu laut zu lachen. Und Zeile um Zeile wuchs die Herausforderung. Der »Fjord-Lachs in Texturen« gab Rätsel auf. Das »Duo vom Kalb« könnte dagegen einen großen Auftritt im Musikantenstadl bekommen. Das war auch der Moment, nicht nach Geschmack, sondern nach Wortwahl zu bestellen, um die Texturen näher zu betrachten. Und allein wegen der Beilage zum Rindergulasch musste eine zweite Order rausgehen. Das Gericht wurde laut Karte von einem »Gemüsedialog« begleitet.

Die »Gedanken zum Herbst« mussten in einer Phase tiefer Depression entstanden sein. Der aus dem Fjord weit angereiste Lachs war drapiert zwischen dunkelroten Paprikastreifen, braun schimmernden Linsen und einem ins Orange spielenden Kartoffelpüree mit Safran. Der arme Fisch hätte sich auch gleich ins welke Herbstlaub legen können. Und der »Gemüsedialog«? Der war wirklich im Gespräch. Eine kleine Therapiegruppe aus vier Möhren und zwölf Erbsen hatte sich versammelt und machte sich »Gedanken zum Herbst«.

Schöner essen


»Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt!« Auch wenn dieser alte Standardspruch konsequenter Eltern heute gelegentlich noch zu hören ist, muss das durchaus nicht immer stimmen.

Jeder Esser am Tisch ist letztlich auch Konsument, deshalb blüht im Einzelhandel die Fantasie. Vielleicht kann man da was am Geschmack verändern? Nun ja. Spinat schmeckt eben nach Spinat, also kommt die hauseigene Versuchsküche zum Ergebnis: kleinhäckseln und Sahne rein. So was gefällt allerdings der Marketingabteilung gar nicht, denn wer kauft denn bitte »geschredderten Spinat in Sahne«? Das Ergebnis ist eine Sprachkomposition, die sich inzwischen zum geflügelten Wort im Deutschen entwickelt hat. Das Wort Spinat ist nur ganz klein gedruckt, und dann kommt in großen Lettern: »Der mit dem Blubb

Und falls das lautmalerische Geblubber noch nicht ausreichend überzeugend wirken sollte, dann muss im Ernstfall Popeye noch mal ran. Damit der Nachwuchs groß und stark wird und dicke Muckis bekommt, so wie der Comic-Held. Der kippt ganze Portionen Spinat direkt aus der Dose in sich rein – und das war auch der Grund für viele Eltern, ihre Kinder damit zum Verzehr des grünen »Eisenwunders« zu locken. Funktioniert hat es sicher häufig, nur das mit dem Eisen, das stimmte nicht. Der hohe Anteil an Eisen war in trockenem Spinat gemessen worden, allerdings besteht frischer Spinat zu etwa 90 Prozent aus Wasser. Da bleibt nicht mehr viel vom Eisenanteil. Eine schwedische Studie rettete schließlich den Ruf des Spinats. Zumindest die Nitrate in dem Kraut könnten beim Muskelaufbau förderlich sein, stellten Wissenschaftler fest.

Für die Erwachsenen kann Popeye bei Tisch kaum noch etwas ausrichten – wohl aber der Zeitgeist. So begann die steile Karriere der Rauke unter ihrem Künstlernamen Rucola. Es liegt uns fern, Gemüse mit Operndiven zu vergleichen, aber die kochen in diesem Zusammenhang auch nur mit Wasser. Schließlich wurde Maria Anna Sofia Cecilia Kalogeropoulos auch erst berühmt, seit sie als Maria Callas auf die Bühne schritt. Wohlklang muss eben nicht nur aus der Stimme kommen. Und ein schöner italienischer Künstlername für die Rauke passte eben auch viel besser in die mediterrane Küche: Rucola. Das schmeckt doch schon akustisch ganz anders als Rauke.

Gewürze haben inzwischen ähnlichen Kultstatus erlangt. Wer nicht gerade den Kräutergarten in Ackergröße vor dem Küchenfenster pflegt, ist meist mit einer kleinen Auswahl getrockneter Sorten aus dem praktischen Streuer versorgt. Damit können Sie allerdings bei Ihren Gästen kaum noch punkten. In vielen Rezepten ist deshalb von frischen Gewürzen die Rede – am besten soll es ein Bouquet garni sei. Mit dem ähnlich klingenden Nebenstraßenhotel hat das nichts zu tun, da steht das Garni nur für die eher einfache Ausstattung. Das hat natürlich in der Küche nichts verloren. Also binden findige Hersteller kleine Sträußchen mit einigen Kräutern zu einem saftigen Bund – zumindest was den Preis angeht. Wahlweise provenzalischer Art, als italienische Mischung und, falls es der neueste Trend erfordert, auch in nie gesehenen Kombinationen. Das Geschäft scheint jedoch nicht gut zu laufen, denn eine neue Variante drängt in die Kochbücher: der Kräuterpinsel. Das klingt nicht nur sehr nach spitzen Fingern – es ist auch genau dafür gemacht. Tatsächlich ragt aus dem gebundenen Kräuter-Bouquet ein kleiner Holzstiel heraus. Den Pinsel tunkt man in Öl und streicht dann den Braten damit ein. Das hätten Sie natürlich ohne Holzstiel niemals hinbekommen! Deshalb kostet der auch gleich mal deutlich mehr als das herkömmliche Kräutersträußchen.

Übrigens standen auch vor diesen wunderbaren Schöpfungen des Einzelhandels schon die gleichen Rezepte im Kochbuch. Da war allerdings noch nicht vom umsatzfördernden Kräuterpinsel die Rede, sondern dort stand schlicht: Reiben Sie das Fleisch mit Kräutern ein. Spitze Finger gab es keine, man wusch sich einfach anschließend die Hände.

Wo wir gerade bei Hof, also, genauer gesagt, auf dem Hof sind: Augen auf bei der Berufswahl! Gerade in ökologisch orientierten Betrieben sollten Sie als angehende Landwirtin genau hinsehen, was in der Stellenanzeige steht. So war jüngst in einer Veröffentlichung einer großen Handelskette die Rede von einer Bio-Nachwuchsbäuerin. Oder war vielleicht doch eine Nachwuchs-Biobäuerin gemeint?

Lebensgourmet


Natürlich achtet man zuerst vor allem auf das Äußere. Und so ein wunderbares Kleid, diese leuchtende Farbe, es fällt eben sofort ins...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2016
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Bastian Sick • Deutsche Sprache • eBook • Floskeln • Floskelwolke • Hohlspiegel • Humor • lustig • Sprachkunst • Sprachpanscher • Sprachpatzer • Stilblüten
ISBN-10 3-492-97162-8 / 3492971628
ISBN-13 978-3-492-97162-1 / 9783492971621
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 509 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Die globalen Krisen und die Illusionen des Westens

von Carlo Masala

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
12,99
Die globalen Krisen und die Illusionen des Westens

von Carlo Masala

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
12,99
Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles …

von Helen Pluckrose; James Lindsay

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
16,99