Jasmin und Oliven -  Gisela Darrah

Jasmin und Oliven (eBook)

Mein Leben in Damaskus, Syrien in den 1970er Jahren
eBook Download: EPUB
2017 | 5. Auflage
152 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7357-1274-5 (ISBN)
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Gisela Darrah lebte in den 1970er Jahren, als in Syrien alles noch ursprünglich und traditionell war, mit ihrem syrischen Ehemann in Damaskus als Mitglied einer Großfamilie. Sie lernt langsam, die ungewohnte Welt um sie herum zu verstehen, ihre neue Familie kennen und lieben. In ihrem Buch beschreibt sie den Alltag in einer arabischen Familie und ihre Gedanken und Gefühle bei der Anpassung an die neue Lebensweise.

Gisela Darrah lebte mit ihrem syrischen Ehemann und ihren Kindern in Toronto, Kanada, Damaskus, Syrien und später wieder in Deutschland. Heute ist sie Dozentin in Integrationskursen und auch Autorin vieler Übungsbücher.

Steinplatten als Regal


Soeben war ich mit meinem Mann und unseren drei Kindern am Flughafen in Damaskus angekommen. Der Lautsprecher meldete auf Englisch: 12. Juni 1977, 21 Uhr, 32 Grad Celsius.

Inmitten der Menschenmenge und dem für mich fremden, unverständlichen Stimmengewirr erwartete uns Hishams Familie. Einige Kinder waren an den Gitterstäben hochgeklettert, die die Wartenden von den Ankommen trennten, um uns als erste zu sehen. Dann waren wir endlich draußen und wurden herzlich mit "Ahleen u sahleen!" begrüßt, seid gegrüßt und gesegnet.

Hisham hatte vor, hier in seiner Heimatstadt eine neue berufliche Zukunft zu suchen, nachdem er in Deutschland fünf Jahre studiert und zehn Jahre in Kanada gelebt hatte. Wir hatten uns in Deutschland während des Studiums kennen gelernt, waren zusammen ausgewandert und hatten dann in Toronto geheiratet. Dort wurden auch unsere Kinder geboren. Wir hinterließen ein typisch kanadisches Vorstadthaus mit Garten und vollautomatischer Küche.

Meine Schwiegereltern hatten seit Jahren ein Haus in einem Vorort von Damaskus bereitgehalten und die ganze Familie freute sich nun, dass ihr lange vermisster Sohn heimgekehrt war. Unsere eigenen Gefühle waren gemischt. Alles hier war neu für mich und ich fand es sehr wagemutig, auf dieses Abenteuer einzugehen.

In unserem Haus war fast alles aus Stein. Der Fußboden: Steinplatten. Die Wände: verputzte Mauersteine. Der Balkon und sein Geländer: Beton und Steinplatten. Küchenregale und Spülstein: Marmor. Der kleine Hof: Steinplatten und Beton. Einen Keller besaß das Haus nicht, wie alle Häuser in Damaskus. Als Abstellplätze dienten das Dach, der Balkon und der Hof. Die Hälfte der Küche war mit einer Zwischendecke versehen, so entstand ein Vorratsraum für Lebensmittel, zu dem die Hausfrau über eine grobgezimmerte Holzleiter hinaufsteigen konnte. So waren die Vorräte vor Mäusen sicher.

Das Geschirr stand offen in Steinregalen, die Familie hatte uns das Nötigste bereitgestellt.

Auf dem Flachdach des Hauses standen drei große Blechfässer: das Warmwassersystem für den Sommer. Die heiße, südländische Sonne erwärmt das Wasser auf über 30 Grad in den Fässern, von hier aus fließt es durch Leitungen zu den Waschbecken. Noch zwei weitere Fässer standen auf dem Dach, sie enthielten Masot, Heizöl. Es floss ebenfalls in Leitungen durch das Haus, und man konnte aus Messinghähnen Öl für den Ofen oder den Dreifußkocher erhalten.

Da mir das niemand erklärt hatte, musste ich es durch Erfahrung lernen. Ich versuchte, mir die Hände unter dem Masot-Hahn zu waschen und da kam mir das Wasser recht dick vor.

Sowohl im Haus als auch draußen umgab mich eine fremdartige Welt. Das meiste, was ich um mich herum sah und erlebte, konnte ich als Europäerin noch nicht verstehen und schon gar nicht beurteilen. Die deutschen Ehefrauen, oder auch die russischen, jugoslawischen oder polnischen, die ihre Männer beim Studium kennen gelernt hatten, wissen, dass man in den ersten Wochen wie im Traum wandelt. Ich musste mich beinahe kneifen, um festzustellen, ob ich wirklich wach war und das alles mit eigenen Augen sah und miterlebte.

Der allererste Schritt zum Verstehen dieser neuen Welt muss sein, alle mitgebrachten Vorstellungen zwar nicht zu vergessen, doch wenigstens beiseite zu schieben, um das Neue aufnehmen zu können. Würde es mir gelingen, diese Stadt für mich und meine Familie zur Heimat werden zu lassen? Meine älteste Tochter war sieben, mein Sohn drei Jahre alt, das Baby erst sechs Monate. Bisher waren es wohlbehütete, an Komfort gewöhnte Kinder.

Ich sah mich weiter um. Hinter den Dächern erhob sich der Berg Kassiun, felsig, kahl und eindrucksvoll, ohne Bewaldung. Die Häuser schienen am Berg empor zu kriechen. Unten gab es fruchtbaren Boden für Ackerbau, Olivenhaine, Obstbäume und Schafweiden. Da durfte die Stadt sich nicht ausdehnen. Sie musste in die Wüste hinaus und am Berg hinaufwachsen.

Der Vorort, in dem wir wohnten, stand erst seit etwa fünf Jahren und wurde für Zuwanderer vom Land und Flüchtlinge aus den Golanhöhen gebaut. Es war kein Villenviertel, kein Diplomatenviertel. Ein Haus wie unseres wurde meistens von mehreren Familien bewohnt. Wie Reihenhäuser miteinander verbunden, glich doch keins dem anderen. Jeder Hausbesitzer hatte seine eigene Vorstellung davon, was schön und was wichtig war. Der eine vergrößerte den Garten, um Obstbäume zu pflanzen oder eine Weinlaube anzulegen, der andere baute ein Zimmer oder eine Werkstatt in den Garten hinaus, der dritte legte Wert auf einen großen Balkon zur Straße hin, damit die Frauen abends nach getaner Arbeit draußen sitzen und hinaussehen konnten, ohne selbst gesehen zu werden.

Wenn eine traditionell orientierte Frau auf den Balkon oder ans offene Fenster geht, bedeckt sie schnell den Kopf. Das führte manchmal zu Szenen, die ich lustig fand, wenn die Frau eben mal ihr Staubtuch ausschütteln wollte und sich das nächste greifbare Objekt, zum Beispiel ein Handtuch oder ein Kleidungsstück aufsetzte oder umwickelte.

Vom Dach aus konnte ich nach hinten in die ummauerten Gärten und Höfe von acht Nachbarhäusern blicken. Begeistert rief ich nach Hisham, musste aber erfahren, dass es sich nicht gehört, dass ein Mann vom Dach aus die Höfe betrachtet. Daran hatte ich nicht gedacht! Alle Nachbarinnen waren unverschleiert zu sehen. Da wurde gewaschen, Gemüse geputzt und gekocht. Der Dreifußkocher verursacht viel Ruß, deshalb benützte man ihn gern im Freien. Fast jede Hausarbeit konnte im Hof verrichtet werden. Teppiche waschen, mit der Nähmaschine nähen, Wäsche bügeln, Kräuter trocknen und vieles mehr. Der Schnene, wie der Hof oder Garten auf damaszenisch heißt, ist einer der wichtigsten Orte, sowohl für die Arbeit als auch für die Geselligkeit. Dazu dient er noch als Abstellfläche, sodass man oft auf wenigen Quadratmetern ein wahrhaft buntes Leben vor sich hatte: Pflanzen wie Geranien, Zitronenmelisse, Weinranken, Aprikosenbäumchen, stark duftender Jasmin, daneben eine Tonne mit gärenden Oliven, Knoblauch und Zwiebeln, zum Trocknen aufgehängt, Fahrräder, Kinderwagen, Stühle ...

Auf Decken oder Matratzen saßen Frauen, die große Mengen von Gemüse schälten, putzten oder füllten. Mein Ausblick vom Dach zeigte mir eine lebhafte Welt der häuslichen Tätigkeiten, Radioklänge mit arabischer Musik ertönten, viele Kinder waren überall zu sehen. Ein einfacheres Leben als ich es gewöhnt war spielte sich hier ab, teilweise bunter und malerischer, aber auch viel härter.

Die nächsten Wochen waren mit Beobachtungen, Irrtümern und Fehlern ausgefüllt. Alle westlichen Länder erschienen mir als eine kulturelle Einheit, so groß die Unterschiede auch sein mögen, im Vergleich zur orientalischen Lebensweise.

Wo bei uns Konventionen herrschen, fand ich Freiheit, doch leider galt dies auch umgekehrt. Höflichkeitsregeln und Verpflichtungen bestimmten das Familien- und das Geschäftsleben. Niemand schien Anspruch auf Privatsphäre zu haben, auf Alleinsein. Besucher wurden zu jeder Zeit willkommen geheißen. Wenn eine Nachbarin vorüberging und einige Worte mit meiner Schwägerin Asma wechselte, wurde sie sofort mit "Bitte schön, komm doch herein!" aufgefordert, das Haus zu betreten. Keine Tätigkeit schien so wichtig zu sein, dass man sie zum Anlass nehmen könnte, unhöflich zu sein.

Verwandte küssten sich zur Begrüßung ausgiebig und nach patriarchischer Rangordnung. Zuerst der Großvater, dann die Großmutter, dann der Vater, usw. Wie lange verstand ich diese Regeln nicht! Doch galten Europäer als unhöflich und unwissend, und keiner wunderte sich über meine Unbeholfenheit. Man küsste sich nicht schon auf der Straße, sondern wartete, bis die Verwandten im Hausflur waren, bevor man sich freudestahlend auf sie stürzte! Ein Kuss auf die linke Wange, drei laute Küsse auf die rechte, noch einen auf die linke, so ungefähr war der Ablauf. Kinder, Enkel und Schwiegerkinder küssten den Eltern und Großeltern die Hand und berührten sie mit der Stirn, was Respekt und Ergebenheit symbolisiert.

Gastfreundschaft und Bewirtung spielten eine große Rolle im sozialen Leben. Als ich einen Teil der Famile zum Essen einlud, die Eltern und drei von Hishams sieben Geschwistern mit ihren Familien, kochte ich vier Kilo Rindergulasch, fünf Kilo Reis, drei Hühner in Tomatensoße mit Erbsen und Kartoffeln, Salat, davor eine Suppe. Es wurde alles gegessen. Wir beschlossen, dass vorerst keine weiteren Essenseinladungen folgen sollten, bevor der berufliche Aufstieg und das Einkommen gesichert waren. Wir konnten es uns einfach nicht leisten. Abendbesuche bei Tee, Nüssen und Obst sollten genügen. Die Großfamilie hatte so viele Mitglieder und alle waren mit so großem Appetit ausgestattet, ich musste erst lernen, preiswerte einheimische Gerichte zu kochen.

Hier stelle ich die Familie einmal vor: Hishams ältester Bruder Karim und seine Frau Asma hatten fünf Kinder. Zwei...

Erscheint lt. Verlag 16.6.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7357-1274-6 / 3735712746
ISBN-13 978-3-7357-1274-5 / 9783735712745
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