Zeit der Vögel (eBook)

Roman

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
Heyne (Verlag)
978-3-641-17619-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zeit der Vögel -  James Blish
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Survival of the Fittest
Als der Astronom John Martels in die riesige Antenne des Radioteleskops von Sockette State einsteigt, um ein paar Reparaturen durchzuführen, ahnt er noch nicht, dass ihn vom 250. Jahrhundert nur noch Sekunden trennen. Ein rätselhafter Effekt schleudert ihn Jahrtausende in die Zukunft, in eine Zeit, in der die Menschen nicht mehr die Krone der Schöpfung sind ...

James Blish (geboren 1921) studierte zunächst Mikrobiologie und arbeitete für ein Pharmaunternehmen, bevor er sich hauptberuflich dem Schreiben widmete. Er gehörte dem berühmten Club 'The Futurians' an, in dem unter anderem auch Isaac Asimov, Frederik Pohl, Damon Knight und Cyril M. Kornbluth Mitglieder waren. In den 1950ern feierte Blish herausragende Erfolge mit seinen Romanen um die 'Fliegenden Städte', die als Prototypen der Space Opera gelten. Für 'Der Gewissenfall' erhielt Blish 1959 den Hugo Gernsback Award. Blish starb im Juli 1975.

2


 

»Erhöhe mich durch die Ehre deiner Aufmerksamkeit, unsterblicher Qvant.«

Aus der Dunkelheit auftauchend, versuchte Martels, die Augen aufzuschlagen, und stellte fest, dass er dazu nicht in der Lage war. Einen Moment später bemerkte er, dass er trotzdem sehen konnte. Was er sah, war ihm so vollkommen fremd, dass er die Augen wieder schließen wollte, aber das war natürlich nicht möglich, weil sie nicht geöffnet waren. Er schien zu keiner Bewegung fähig zu sein, er konnte lediglich geradeaus blicken – mit geschlossenen Augen.

Er fragte sich, ob er sich bei dem Sturz vielleicht das Genick gebrochen hatte. Doch damit wäre ja eigentlich die Kontrolle über seine Augenmuskeln nicht beeinträchtigt, ebenso wenig wie über die Augenlider. Oder?

Übrigens befand er sich nicht in einem Krankenhaus; zumindest dessen durfte er sicher sein. Was er erkannte, war eine riesige, düstere Halle in reichlich verwahrlostem Zustand. Von oben schien Sonnenlicht einzufallen, doch was immer dort oben sein mochte, das Licht durchließ, es ließ nicht viel durch.

Er hatte das Gefühl, als müsste der Ort muffig riechen, aber offenbar hatte er auch keinen Geruchssinn mehr. Die Stimme, die er gehört hatte, sowie eine Anzahl leiserer, nicht näher zu bestimmender Echos sagten ihm, dass er wenigstens noch hören konnte. Er versuchte, den Mund zu öffnen – jedoch ohne Erfolg.

Anscheinend blieb ihm nichts anderes übrig, als das wenige aufzunehmen, was es zu sehen und zu hören gab, und zu versuchen, so viel wie möglich aus den Anhaltspunkten zu schließen, die ihm zugänglich waren. Worauf saß oder lag er? War es warm oder eher kühl? Nein, die Sinne, mit denen er das hätte feststellen können, ließen ihn im Stich, sie waren verschwunden. Zumindest schien er keine Schmerzen zu haben – obgleich er nicht feststellen konnte, ob das bedeutete, dass auch diese Wahrnehmung ausgeschaltet war, oder ob er betäubt war und medizinisch behandelt wurde. Auch war er weder hungrig noch durstig – was wiederum eine recht zwiespältige Entdeckung war.

In seinem Blickfeld – es war der Boden der Halle – lagen überaus merkwürdige Geräte verstreut. Die Tatsache, dass sie in verschiedenen Entfernungen lagen, erleichterte ihm die Feststellung, dass er wenigstens noch seine Augen akkommodieren konnte. Einige der Gegenstände machten einen noch verrotteteren Eindruck als die Halle selbst. Bei einer Anzahl dieser Geräte war der Zustand des Verfalls – wenn davon überhaupt die Rede sein konnte – unmöglich abzuschätzen, weil es sich bei ihnen um Skulpturen oder andere Kunstgegenstände zu handeln schien, und er hatte keine Ahnung, was sie – wenn überhaupt etwas – darstellten, denn Kunst, die etwas darstellte, war ja längst aus der Mode. Einige dieser Gegenstände waren eindeutig Maschinen; und obgleich er in keinem Fall ihre Funktion auch nur ahnen konnte, erkannte er am Rost, dass diese Dinge seit langer, langer Zeit nicht mehr benutzt worden waren.

Etwas funktionierte allerdings noch. Er konnte ein gleichmäßiges, leises Summen hören, das sich wie Schwingungen in 50-Hertz-Netzfrequenz anhörte. Es schien von irgendwo unmittelbar hinter ihm zu kommen, als würde ein unsichtbarer Friseur seinen Hinterkopf oder Nacken mit einem Massagegerät bearbeiten, das in seiner Größe und Wirksamkeit für den Kopf einer Mücke konstruiert worden war.

Er stellte fest, dass der Raum, in dem er sich befand, nicht besonders groß war. Wenn die Wand, die er sah, eine Längs-, keine Stirnwand war – das zu beurteilen er natürlich keinerlei Möglichkeit hatte –, und der Widerhall der Stimme, an den er sich erinnerte, ihn nicht irreführte, dann konnte der Raum nicht größer sein als einer der mittleren Räume in der Alten Pinakothek, beispielsweise der Rubenssaal …

Der Vergleich war vielleicht gar nicht so unzutreffend. Vielleicht befand er sich tatsächlich in einer Art Museum, und zwar in einem, das nicht nur nicht gepflegt wurde, sondern offensichtlich seit langem unbesucht zu sein schien, denn der Boden war dick mit Staub bedeckt, in dem sich nur einige wenige Fußspuren abzeichneten, die aber nicht in die Nähe der Ausstellungsstücke führten (wenn es sich überhaupt um solche handelte). Er stellte verwundert fest, dass die Fußspuren alle von nackten Füßen stammten.

Da hörte er die Stimme von neuem. Diesmal sagte sie in ziemlich weinerlichem Tonfall: »Unsterblicher Qvant, gib einen Rat, ich bitte dich in Demut.«

Verblüfft hörte Mantels sich antworten: »Du darfst dich meiner Aufmerksamkeit aufdrängen, mein Sohn.«

Seine Verblüffung hatte gleich drei Ursachen, weil er erstens weder das Gefühl noch die Absicht gehabt hatte, überhaupt eine Antwort zu geben, zweitens war die Stimme, die da geantwortet hatte, ganz sicher nicht seine eigene, denn sie war tiefer, unnatürlich laut und metallisch-hart wie ohne Resonanz, und drittens hatte er in einer Sprache geantwortet, die er noch nie im Leben gehört hatte, aber trotzdem zu verstehen schien.

Außerdem ist mein Name nicht Qvant und noch nie gewesen.

Zeit für Spekulationen wurde ihm jedoch nicht gelassen, denn ein Wesen trat in unterwürfiger Haltung, die Martels irgendwie beschämend fand, in sein Blickfeld, ein Wesen, das man als menschenähnlich bezeichnen konnte. Es war nackt und dunkelbraun, was Martels teils für erblich bedingt, teils für tiefe Sonnenbräune hielt. Seine Nacktheit ließ zudem erkennen, dass es peinlich sauber war und dass seine Arme merkwürdig kurz, seine Beine dagegen ungewöhnlich lang und sein Becken schmal waren. Sein Haar war schwarz und gekräuselt wie das eines Schwarzen, sein Gesicht wiederum war – bis auf eine asiatische Lidfalte – eher kaukasisch geschnitten, wodurch es an einen afrikanischen Buschmann erinnerte – ein Eindruck, der durch den kleinen Wuchs noch verstärkt wurde. Sein Gesichtsausdruck war, im Gegensatz zu seiner respektvollen, ehrerbietigen Haltung durchaus nicht furchtsam.

»Was begehrst du von mir, mein Sohn?«, fragte Martels’ fremde Stimme.

»Unsterblicher Qvant, ich suche nach einem Ritual, mit dem wir unsere Beschneidungszeremonien vor den Vögeln schützen können. Sie haben das alte durchschaut, denn in diesem Jahr haben wieder viele unserer jungen Männer ihre Augen verloren, einige sogar ihr Leben. Meine Vorfahren sagen mir, dass ein solches Ritual im Renas III bekannt war und besser als unseres funktionierte, sie können mir aber keine Einzelheiten nennen.«

»Ja, es existiert«, sagte Martels’ Stimme. »Und es wird euch vielleicht ein paar Jahre dienen. Am Ende werden die Vögel es aber auch durchschauen. Ihr werdet schließlich gezwungen sein, die Zeremonien ganz abzuschaffen.«

»Das würde ja bedeuten, auf ein Nachleben zu verzichten!«

»Das ist zweifellos richtig; wäre das aber wirklich so ein schwerwiegender Verzicht? Ihr braucht eure jungen Männer hier und jetzt, zum Jagen, zum Zeugen, zum Kampf gegen die Vögel. Jegliche Kenntnis von einem Nachleben ist mir versperrt; was aber gibt dir die Sicherheit, dass es überhaupt angenehm ist? Welche Befriedigungen kann es denn für jene überfüllten Seelen noch geben?«

Irgendwie konnte Martels aus Qvants Betonung des Worts »Vögel« heraushören, dass es sich dabei um etwas sehr Wichtiges handeln musste; davon hatte er in der Stimme des Bittstellers, dessen Gesicht nun kaum verhohlenes Entsetzen ausdrückte, nichts gespürt. Er bemerkte auch, dass Qvant zu dem Besucher sprach, als ob er mit jemandem reden würde, der auf derselben Bildungsstufe steht, und dass dieser nackte Wilde genauso unbefangen mit Qvant redete. Doch von welchem Nutzen war diese Information? Und überhaupt, was tat er, Martels, ein Mann, der sich eben – wenn auch in sehr sonderbarer Weise – von einem schweren Unfall erholte, in einem verfallenen Museum, wo er hilflos Zeuge einer verrückten Unterhaltung zwischen einem nackten Wilden und einer Stimme wurde, die die seine zu sein schien, aber nicht seine Stimme war; und der Gast quaestiones stellte, wie sie ein mittelalterlicher Student Thomas von Aquin gestellt haben mochte?

»Ich weiß es nicht, unsterblicher Qvant«, sagte der Bittsteller, »aber ohne die Zeremonien werden wir keine neue Generation von Vorfahren haben, und die Erinnerung schwindet im Nachleben rasch dahin. Wen hätten wir am Ende noch außer dir, der uns raten könnte?«

»Ja, in der Tat, wen?«

Mit einem Anflug von Ironie hatte Qvant die Frage rhetorisch gemeint; jedenfalls hatte Martels jetzt endgültig genug. Den letzten Rest seiner Willenskraft aufbietend, sagte er laut: »Würde mir bitte nun jemand freundlicherweise erklären, was hier eigentlich los ist?«

Er hörte die Worte und er hörte auch zum ersten Mal wieder seine eigene Stimme, aber er hatte dabei in keiner Weise das Gefühl, zu sprechen – und wieder war es diese bekannte Sprache, der er sich bediente.

Nachdem die Echos verklungen waren, trat einen Moment lang vollkommene Stille ein, und Martels spürte erschrocken einen Impuls in seinem Gehirn, der mit Sicherheit nicht aus seinem Bewusstsein stammte. In diesem Moment schnappte der Wilde nach Luft und rannte hinaus.

Diesmal konnte Martels ihm mit seinem Blick folgen, allerdings nicht aus eigenem Antrieb. Seine Augen verfolgten den fliehenden Mann, bis er durch einen niedrigen, spitzbogenförmigen, sonnenbeschienenen Eingang verschwand, hinter dem offenbar ein dichter grüner Wald oder Dschungel lag. Martels Vermutungen über Größe und Form der Halle bestätigten sich, und außerdem wusste er jetzt, dass sie zu ebener Erde lag. Dann kehrte sein Blick zurück zu der hässlichen Mauer, die ihm gegenüber lag, und zu den...

Erscheint lt. Verlag 26.10.2015
Übersetzer Yoma Cap
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Midsummer Century
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Bewusstseinstransfer • eBooks • Evolution • James Blish • Vögel • Zeitreise
ISBN-10 3-641-17619-0 / 3641176190
ISBN-13 978-3-641-17619-8 / 9783641176198
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