Das Tagebuch der Rywka Lipszyc (eBook)

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2015 | 1. Auflage
237 Seiten
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag
978-3-633-74258-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Tagebuch der Rywka Lipszyc -  Rywka Lipszyc
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Ein erschütterndes Zeitdokument Im Ghetto von Lodz schreibt die damals 14-jährige Rywka Lipszyc ein Tagebuch. Während ihre Familie und die Welt um sie herum auseinanderbrechen - die Eltern sterben an Hunger und Auszehrung, Bruder und Schwester werden deportiert -, versucht Rywka ihrem Leben einen Sinn zu geben. Sie ist ein gläubiges junges Mädchen, im Schreiben sucht sie vor allem Trost und Rettung. Neugierig und wach blickt sie in die Welt; ihre Tagebucheinträge zeigen einen unverstellten Blick nicht nur auf das tägliche Leben und Überleben im Ghetto, sondern schildern zugleich das Ringen ums Erwachsenwerden in einem von Entbehrungen und Unterdrückung beherrschten Umfeld. Von Oktober 1943 bis April 1944 notiert Rywka Neuigkeiten, Empfindungen, Träume und Gefühle - ein berührendes Dokument. Das Tagebuch von Rywka Lipszyc wurde im Frühjahr 1945 bei der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz entdeckt, verschwand dann aber im Nachlass einer russischen Ärztin. Wie durch ein Wunder wurde es 1995 wiederentdeckt und 2014 in den USA erstmals veröffentlicht. »Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Ach, es ist so schwer ... In meiner Fantasie sehe ich verschiedene Bilder, verschiedene, und selbst wenn ein gutes darunter ist, in dem ich etwas Trost finde, dann finde ich erst recht keinen Platz für mich. Ich bin so erschöpft ...«

<p>Rywka Lipszyc wird 1929 in Lodz als &auml;ltestes von vier Kindern geboren. Ihre Eltern sterben 1941 und 1942 im Ghetto, die verwaisten Kinder werden von Verwandten aufgenommen. Im September 1942 werden ihre j&uuml;ngeren Geschwister Abramek und Tamarcia deportiert, Rywka bleibt nun mit ihrer kleinen Schwester Cipka allein zur&uuml;ck, eine Tante k&uuml;mmert sich um sie. Rywka Lipszyc hat den Krieg &uuml;berlebt, danach aber verliert sich die Spur. Vermutlich ist sie verstorben, ein Grab wurde jedoch nie gefunden.</p>

RYWKA LIPSZYC. HERANWACHSEN IM GETTO LODZ


ALEXANDRA ZAPRUDER


Rywka Lipszyc beginnt den einzigen erhaltenen Band ihres Getto-Tagebuchs kurz nach ihrem vierzehnten Geburtstag. Im Laufe des halben Jahres zwischen Oktober 1943 und April 1944 füllt sie über 100 handgeschriebene Seiten. Dann bricht das Tagebuch ab. Ein Jahr später findet eine sowjetische Ärztin, die die Rote Armee bei der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz begleitete, das Tagebuch unweit der Ruinen des Krematoriums in Birkenau. Deutet die Reise des Tagebuchs an, welchen Weg Rywka in den so gut wie sicheren Tod ging, so erzählen die Eintragungen eine weitaus tiefgründigere Geschichte. Rywka ringt darum, sich selbst zu verstehen und sich zu artikulieren. Dabei dokumentiert sie sowohl die physischen Zumutungen des Lebens im Getto als auch die emotionalen Turbulenzen des Heranwachsens in der Schoah.

Rywka Lipszyc wurde am 15. September 1929 als älteste Tochter von Yankel und Miriam Sarah Lipszyc geboren. Sie hatte drei Geschwister: Abram, genannt Abramek (geb. 1932), Cypora, genannt Cipka (geb. 1933), und Estera, genannt Tamarcia (geb. 1937). Rywkas Eltern stammten beide aus dem polnischen Lodz. Yankel Lipszyc – das fünfte von acht Kindern der Eltern Avraham Dov und Esther – lebte mit seiner Familie in der Nähe seiner Geschwister und anderer Verwandter in Lodz. Über die Ehefrau seines älteren Bruders Yochanan, Hadassah, war die Familie weitläufig mit Moshe Menachem Segal verwandt, dem berühmten »letzten Rabbi« des Lodzer Gettos. Nach der Einnahme der Stadt durch die deutschen Truppen wurde Segal verfolgt und gefoltert und 1942 unweit der Stadt Kielce ermordet.[1]

Die jüdisch-orthodoxe Familie lebte streng nach den religiösen Vorschriften. Das Tagebuch zeigt Rywkas starke Bindung an die Rituale des Sabbats und der jüdischen Feiertage sowie ihr unerschütterliches Vertrauen in Gott. Am 2. Februar 1944 schreibt sie:

Wie sehr ich Gott liebe! Ich kann mich immer und überall auf Gott verlassen, aber ich muss auch meinen Teil dazu beitragen, denn nichts geschieht von allein! … Aber ich weiß, Gott wird mir helfen! Ach, wie gut, dass ich Jüdin bin, und wie gut, dass man mich gelehrt hat, Gott zu lieben … Für das alles bin ich dankbar! Ich danke dir, Gott.

 

Zu dem Zeitpunkt, an dem das Tagebuch einsetzt, lebt Rywka schon über drei Jahre im Getto und hat beide Eltern verloren. Ihr Vater wurde auf der Straße von Deutschen brutal zusammengeschlagen und trug bleibende Gesundheitsschäden davon. Infolge einer Lungenerkrankung starb er am 2. Juni 1941. Ihre Erinnerungen an den Vater beschreibt Rywka eindrücklich am Ende des Tagebuches.

Die Mutter kümmerte sich im Getto ein Jahr allein um ihre vier Kinder. Sie starb am 8. Juli 1942, vermutlich wie Zehntausende andere Gettobewohner an Unterernährung und Erschöpfung. Rywkas Vater wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Marysin am nordöstlichen Rand des Gettos begraben; wo die Mutter ihre letzte Ruhe fand, ist nicht bekannt. Dennoch empfindet Rywka von Zeit zu Zeit das dringende Bedürfnis, die Gräber ihrer Eltern zu besuchen. »Abgesehen davon zieht es mich seit ein paar Tagen auf den Friedhof …«, schreibt sie am 4. Februar 1944, »eine offenbar unbewusste Kraft … Ich würde so gern dorthin gehen! … Zu Mama, zu Papa. Es zieht mich mit aller Macht dorthin!«

Die verwaisten Lipszyc-Kinder wurden von Verwandten adoptiert. Ein Onkel nahm Abramek und Tamarcia zu sich, während Rywka und Cipka zu Yochanan und Hadassah Lipszyc kamen. Knapp zwei Monate später erleben Rywka und ihre Geschwister eines der traumatischsten Ereignisse in der Geschichte des Gettos, die berüchtigte »Aktion Gehsperre« (im Getto-Slang kurz »Sperre«) im September 1942. Auf Anordnung der deutschen Behörden sollte das Getto neben Kranken und Schwachen auch insgesamt 15 ‌000 Kinder unter 10 Jahren und Alte über 65 Jahren zur Deportation ausliefern.

Mordechai Chaim Rumkowski, der sogenannte Älteste der Juden, überbrachte der Gettobevölkerung diesen entsetzlichen Befehl. In einer Rede verlangte er von den Vätern und Müttern, sie sollten das Undenkbare tun, um noch Schlimmeres vom Getto abzuwenden. Er beschwor die versammelte Menge von Tausenden weinenden und klagenden Eltern:

Niemals habe ich mir vorstellen können, dass ich mit eigenen Händen das Opferlamm zum Altar führen müsste. Doch nun, im Herbst meines Lebens, muss ich meine Hände ausstrecken und bitten: Brüder und Schwestern, gebt sie mir! Gebt mir eure Kinder![2]

Rywkas Ausweis im Getto

Während der Sperre versuchten Yochanan und die schwerkranke Hadassah nicht nur, sich selbst und ihre drei Töchter (Estusia, Chanusia und Minia) zu retten, sondern auch Rywka, Cipka und eine weitere Nichte, die erst drei Jahre alte Esther. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen nahmen die deutschen Behörden nur Yochanan fest, Hadassah blieb mit den sechs Mädchen zu Hause zurück. Allerdings fielen auch Abramek und Tamarcia den Verhaftungen und Deportationen zum Opfer. Von der Familie, die weniger als ein Jahr zuvor sechs Personen umfasst hatte, waren somit nur Rywka und Cipka noch am Leben. Die Sperre ist für Rywka und für die gesamte Gettobevölkerung wie eine offene Wunde. Im Januar 1944 kommt während des Besuchs bei einer Freundin noch einmal die Rede auf das traumatische Ereignis:

Ankündigung der »Gehsperre« vom 5. ‌9. ‌1942

Wir haben über die Sperre gesprochen. Ewa hat erzählt, was ihr auf dem Herzen lag, und es schien sie zu erleichtern. Ich habe geschwiegen, denn was hätte ich sagen sollen? … […] Das Gespräch und überhaupt das Ganze haben mir aufs Gemüt geschlagen … ich fühle mich schlecht … ach, ich habe keine Kraft … mein Herz ist versteinert … irgendetwas schnürt mir die Kehle zu, erstickt mich … (15. Januar 1944)

 

Die Menschen im Getto hatten keine genauen Informationen über das Schicksal der Deportierten, aber sie fürchteten das Schlimmste. Rywka formuliert mehrfach die Befürchtung – oder eigentlich die quälende Vermutung –, sie werde ihre Geschwister nicht wiedersehen. Die Wahrheit kam erst nach dem Krieg ans Tageslicht. Die Deutschen hatten die Deportierten mit Lastwagen ins Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) gebracht – die Endstation für 70 ‌000 Lodzer Juden bis zur endgültigen Auflösung des Gettos im August 1944. Hier waren sie ihrer Kleidung und Wertsachen beraubt und in sogenannten »Gaswagen« mit Kohlenmonoxid vergast worden. Zwischen 1941 und 1943 ermordete die SS in Kulmhof über 152 ‌000 Juden aus Lodz und Umgebung.[3]

Deportation von Kindern während der »Gehsperre«

Die noch immer schwerkranke und nun verwitwete Hadassah kümmerte sich um die sechs Mädchen, bis sie am 11. Juli 1943 ebenfalls ihrer Krankheit erlag. Von diesem Zeitpunkt an übernahm Estusia, mit zwanzig Jahren die Älteste, die Verantwortung für ihre beiden Geschwister und die Lipszyc-Töchter – alle waren minderjährig. (Die jüngste Cousine Esther wurde von einer weiteren Tante adoptiert.) Sie teilten sich eine Wohnung in der Ulica Wolborska 38, die Bedingungen waren hart und die Atmosphäre angespannt.

Die Kommission für Kinder- und Jugendfürsorge, deren Aufgabe in der Versorgung der Waisen bestand, stellte kleinere Hilfen für Rywka und Cipka bereit. Dazu gehörten etwa Krankenscheine für Zahnarztbesuche, Bezugsscheine für warme Kleidung sowie andere Dinge des grundlegenden Bedarfs. Außerdem erhielten die Mädchen eine zusätzliche Lebensmittelration, Beirat oder B-Ration genannt, die ihre ansonsten kargen Zuteilungen ergänzte. Aus Rywkas Tagebuch geht hervor, dass sie und ihre Cousinen trotz dieser Hilfeleistungen wie die meisten Gettobewohner unter zunehmendem Hunger und immer größeren Entbehrungen litten, die das Leben in diesem härtesten und am längsten existierenden Getto prägten.

Rywka war eine von mehreren jungen Tagebuchschreibern, deren Aufzeichnungen aus dem Getto Litzmannstadt erhalten geblieben sind. Das umfangreichste und bekannteste Tagebuch aus dem Lodzer Getto stammt von Dawid Sierakowiak, einem hochbegabten Schüler. Die insgesamt fünf Bände umfassen – mit Lücken, weil einige Notizhefte verlorengingen – die Zeitspanne von Juni 1939 bis April 1943. Sierakowiak beschreibt ausführlich seinen qualvollen Niedergang vom intellektuell neugierigen, scharfsinnig beobachtenden und oft umwerfend witzigen jungen Mann zum blassen Schatten seiner selbst, der – seiner Eltern beraubt und ohne die Möglichkeit, zu arbeiten oder zu lernen – die täglichen Qualen von Hunger und Hoffnungslosigkeit nur schwer erträgt. Das Tagebuch endet einige Monate vor dem Tod des Verfassers, der im August 1943 an Tuberkulose starb.

Eine anonyme junge Frau führte in den Monaten Februar und März 1942 ein fragmentarisches Tagebuch, in dem sie die schlimme Wirkung des Hungers auf sich und ihre Familie schildert – die brutale Reduktion der Menschen auf ihre existenziellen Grundbedürfnisse und die daraus resultierenden persönlichen, sozialen, spirituellen, geistigen und moralischen Konsequenzen.

Schließlich erzählt ein anonymer junger Mann in vier Sprachen (Polnisch, Jiddisch, Hebräisch und Englisch) auf den Marginalien und den letzten Seiten eines französischen Romans mit dem Titel Les Vrais Riches von den letzten Tagen des Gettos im Sommer 1944, als die wenigen Überlebenden – darunter Rywka – hilflos und sehnsüchtig die Ankunft der Roten Armee und die Befreiung erwarteten. Sein Tagebuch...

Erscheint lt. Verlag 24.10.2015
Übersetzer Bernhard Hartmann
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel The Diary of Rywka Lipszyc
Themenwelt Literatur Briefe / Tagebücher
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Auschwitz • Ghetto • Holocaust • Konzentrationslager • Lodz • Tagebuch • Zeitdokument • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-633-74258-1 / 3633742581
ISBN-13 978-3-633-74258-5 / 9783633742585
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