Zwischen den Zeilen -  Corinna Waffender

Zwischen den Zeilen (eBook)

Roman
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2015 | 1. Auflage
Querverlag
978-3-89656-593-8 (ISBN)
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Eine Forschungsarbeit über zeitgenössische katalanische Schriftstellerinnen führt Maria, Anfang dreißig, nach Barcelona - zurück in die Stadt, in der sie vor Jahren ihr eigenes Schreiben verloren hat. Hier trifft sie neben bekannten Schriftstellerinnen auch auf die literarische Newcomerin Bea. Mit ihr verbindet sie der Rückzug in die eigene Lebenswelt. Beide haben sich in einer Einsamkeit eingerichtet, die den Kontakt zu anderen nur an der Oberfläche zuläßt. Ihre Begegnung wird für Maria und Bea zur emotionalen Herausforderung: Das Streiten um Nähe und Distanz, die Überwindung selbstgesteckter Grenzen und die Angst davor, sich - wie auch immer - aufeinander einzulassen, bringt die beiden Frauen in kürzester Zeit hautnah zusammen, um sie wieder auseinanderzutreiben. Im Ringen um Freundschaft und Liebe beginnt für jede, neben der Suche nach der andern, eine Suche nach sich selbst. Corinna Waffender legt mit Zwischen den Zeilen einen Debütroman von hohem literarischen Niveau vor. Ein Buch, das auf der ersten Seite ebenso fesselt wie auf der letzten. Und dazwischen nicht weniger.

Corinna Waffender, 1964 in Mainz geboren, lebt in Berlin. Mehrfach literarisch ausgezeichnet, Herausgeberin verschiedener Anthologien und Initiatorin von Literaturprojekten (www.textwaren.de). Im Querverlag sind von ihr folgende Romane erschienen: Zwischen den Zeilen (2002), Schnitt (2005), Flüchtig bleiben (2007), Laut gedacht (2008) sowie die beiden Kriminal­romane Tod durch Erinnern (2009) und Töten ist ein Kinderspiel (2010) in der Reihe quer criminal.

***


Die Schriftstellerin hat keine Ähnlichkeit mit dem Foto auf dem Einband ihrer Bücher. Tatsächlich sieht sie im grellen Neonlicht der kleinen Buchhandlung viel älter aus.

Hätte ich gewusst, wie alt sie aussieht, hätte ich sie am Telefon nicht geduzt.

Erzähl mir von dir, sagt die Schriftstellerin auf dem Weg zu einem Café.

Maria verrät nicht, dass ihr der Geruch der Stadt um diese Tageszeit ein melancholisches Summen im Kopf verursacht. Die Fragen, die sie stellen will, bedürfen keiner Erklärung: Es reicht aus, dass sie Journalistin ist, um in Erfahrung zu bringen, was sie eigentlich nichts angeht.

„Was willst du wissen?“, fragt die Schriftstellerin, als sie an einem Ecktisch sitzen, der weit genug von der Theke, dem Geklapper aneinander schlagender Gläser und dem Fauchen der Espressomaschine entfernt ist.

„Wie betrachtest du die Stadt, die du in deinen Büchern erzählst?“

Die Schriftstellerin nickt bedächtig, als hätte sie ihr eine Aufgabe gestellt, die sie willens sei zu lösen. Sie lehnt sich zurück und betrachtet die Schubfächer hinter der Stirn. Dann zieht sie entschlossen eines auf und beginnt zu reden.

Maria bleibt mit den Augen an dem großen, geschwungenen Mund hängen. Er ist von kleinen Falten umgeben, die sich schnell auf und ab bewegen, wenn sie spricht. Sie hört nicht zu. Später wird sie das Band abspielen und aufschreiben, was sie für wichtig hält. Jetzt versinkt sie in der Melodie, die ihr Gegenüber mit spanischen Worten singt. Wenn sie spürt, dass es dem Ende eines Gedankens zugeht, greift sie den letzten Absatz auf, hängt ihm eine neue Frage an und sorgt dafür, dass der Gesang nicht aufhört.

„Hast du eine literarische Heimat?“

„Meiner Meinung nach haben wir Schriftsteller gar keine Heimat. Alle Städte sind mir Heimat. Oder eben nicht“, sagt die Schriftstellerin.

Maria kann nicht wissen, ob das stimmt, denn sie hat nur ein Kapitel aus einem der Bücher gelesen, die man von der Schriftstellerin kaufen kann. Nicht aus Desinteresse, es hat sich so ergeben. Dabei kauft sie den ersten Roman schon gleich nach seinem Erscheinen. Er liegt ein paar Wochen auf dem Rolltisch, der keinen festen Platz im Zimmer hat, immer da steht, wo sie sitzt.

Deine Bücher sind wie Schmetterlinge, sagt Teresa. Sie fliegen herum, bunte Lampions, und wenn man sie nicht beachtet, werden sie unbemerkt wieder zu Raupen.

Maria holt Bücher von Flohmärkten, aus Buchläden, Bibliotheken und aus Mülltüten. Sie schlägt die erste Seite auf, liest den ersten Absatz, fällt ihr Urteil schnell und schmerzlos. Entweder legt sie ein Buch nach den ersten Sätzen wieder aus der Hand oder sie nimmt es mit. Stapelt es zu den anderen, die überall in der Wohnung kleine Türme bilden.

Im ersten Satz steckt die ganze Geschichte.

Warum reißt du dann nicht einfach die erste Seite heraus und heftest sie ab?

Das Buch der Schriftstellerin liegt einige Wochen auf dem Rolltisch, bis sie es mit all den anderen in der blauen Plastiktüte ohne Aufschrift in den Container auf der Straße wirft. Seitdem liest sie keine Romane mehr. In vier Jahren keine Zeile. Nicht von dieser Schriftstellerin und auch nicht von den anderen, die sie in den nächsten Tagen treffen wird.

„Dann fühlst du dich in Barcelona nicht zu Hause?“

„In diesem Sinne nicht, nein. Abgesehen davon versuche ich mich schon aus Prinzip vor jeder Art von Etikett zu schützen. Und das wäre eines. Aber ich verstehe natürlich, dass diese Frage wichtig für dich ist…“

Die Schriftstellerin dreht sich zur Seite, angelt nach dem Handy, das in ihrer Handtasche klingelt. Maria bezweifelt, dass sie versteht, welche Frage ihr wichtig ist, aber es bekümmert sie nicht. Sie sitzt hier, trinkt kurz vor Mittag ein Bier und die Angst hält sich in Grenzen. Ihre Hände zittern nicht, sie macht einen souveränen Eindruck, das spürt sie. Sie driftet nicht ab, sie sitzt aufrecht, sie schaut der Schriftstellerin in die Augen, sieht dort nichts anderes als die Augen der Schriftstellerin und die langen Wimpern und schaut nur zur Tür, wenn es Sinn macht.

Maria weiß, dass Teresa nicht hereinkommen wird, aber das heißt gar nichts. Sie weiß das schon lange und trotzdem starrt sie monatelang auf jede Tür.

„…natürlich bin ich Feministin. Ich war schon immer sehr rebellisch. Aber ich mag auch das Etikett der Frauenliteratur nicht. Ich glaube sogar, dass uns Schriftstellerinnen gerade dieses Etikett mehr schadet als nützt. Auch wenn es einen weiblichen Blick gibt.“

„Was meinst du damit?“

„Es ist doch so: Jeder Schriftsteller hat zunächst einmal eine eigene Welt. Und auf die schaut er mit seinen Augen. Du merkst an Kleinigkeiten, ob ein Buch von einem Schwarzen, einem Hindu oder einer Katalanin geschrieben ist. Du merkst das nicht am Stil, sondern an der Art, die Welt zu betrachten.“

„Und wie betrachten Frauen die Welt?“

„Keine Ahnung, wie Frauen die Welt betrachten. Ich weiß nur, wie ich als Schriftstellerin die Welt betrachte: von meinem ganz persönlichen Lebensraum aus. Ich sehe nur meine eigene Welt. Wenn du meine Bücher gelesen hättest, wüsstest du besser, was ich meine.“

Maria möchte gerne das Diktiergerät abschalten und gehen. Die Schriftstellerin mit ihrer Cola light sitzen lassen und statt dessen ihre Bücher lesen. Aber das wäre unhöflich und deshalb tut sie so, als ob sie bliebe.

„Was ist mit der mirada bòrnia? Sich ein Auge zuzuhalten, um nicht vom Strom des männlichen Literaturkanons fortgerissen zu werden, und mit dem anderen nach innen zu schauen, einäugig die eigene Stimme zu finden?“

„Die Sichtweise reicht mir nicht“, sagt die Schrift­­stellerin. „Ich will viel weiter als meine Vorgängerinnen. Ich will mich nicht zufrieden geben mit dem Unterschied. Ich will darüber hinaus.“

Über den Unterschied hinaus. Maria wird nicht danach fragen, was denn nach dem Unterschied kommt. Der Körper als diskursive Oberfläche, würde Judith Butler vielleicht antworten, die sich am Vortag mit katalanischen Arbeiterinnen auf einem Kongress über den kleinen Unterschied zwischen Frauen unterhalten hat. Der Titel des Artikels in der Tageszeitung lautete: Amerikanische Philosophin diskutiert mit spanischen Putzfrauen. Daneben zwei Fotos: eines von der Philosophin, wie sie herausfordernd in die Kamera schaut, und ein anderes, auf dem drei dicke Frauen vor einem Mikrofon stehen und verlegen auf den Boden schauen.

Doch es ist nicht Judith Butler, die Maria gegen­übersitzt, sondern eine spanische Literatin, die keine überzeugenden Bilder haben wird für ein Danach, in dessen Davor sie festhängt. Möglicherweise tut Maria ihr unrecht. Möglicherweise sitzt vor ihr eine Diskursspezialistin.

„…natürlich bleibe ich immer eine Frau, wenn ich…“

Nein, vor ihr sitzt keine Diskursspezialistin.

Maria ist müde. Nach drei Tagen und drei Interviews ist ihr langweilig. Das darf in ihrem Beruf eigentlich nie passieren, passiert ihr aber ständig. Sie ist eine mittelmäßige Journalistin. Sie verfügt weder über die Lust, Langweiliges interessant zu schreiben, noch über das Interesse, eine Masse zu begeistern, zu der sie sich nicht zugehörig fühlt. Sie will nicht die Welt verändern mit der Hand voll Artikel, die sie pro Woche schreibt, sie muss sehen, wovon sie ihre Miete bezahlt. Deshalb hat sie das Stipendium beantragt, einen einflussreichen Freund angerufen und gewartet.

Ich will nicht mit dir Bier trinken und ich bin zu müde, um höflich zu sein. Ich brauche das Stipendium. Tu, was du kannst. Bitte.

Und du bist sicher, dass du wieder nach Barcelona willst?

Nein.

Sie ist nicht hier, um sich über Frauenliteratur zu unterhalten. Sie will gar nicht wissen, ob es das gibt. Dann schon lieber: ob Frauen sind und ob Männer sind. Aber die vorwiegend männlich besetzte Kommission zur Vergabe von Forschungsstipendien hätte ihr für die Beantwortung solcher Fragen keinen Pfennig gegeben. Es sind Fragen, die man nur stellt, wenn man sie als Kunst verkaufen kann. Und Kunst ist das Letzte, was sie machen will. Eigentlich will sie gar nichts machen, außer herumsitzen und die Welt betrachten. Vom Sonnenaufgang bis zur Dämmerung. Dann will sie ein Bad nehmen, die Bilder im Kopf und auf der Seele abwaschen, die sich auf die Haut geklebt haben wie Abziehbilder, und nackt in den Schlafsack gleiten, den sie im Hotelzimmer auf das Bett mit den weißen Leintüchern gelegt hat. Weiße Leintücher laden zum Sterben ein und sie will nur schlafen. Tief, kurz, bis es wieder hell wird. Die Dunkelheit vergessen, die Nacht aus dem Leben werfen, so tun, als existiere sie nur im Traum.

„…und schließlich waren es nicht gerade die Frauen, die mich unterstützt haben!“

„Wie meinst du das?“ Das Interview dauert länger als ihr lieb ist.

„Ich habe nicht ins Schema gepasst. Mich weder thematisch noch stilistisch an dem orientiert, was wir Frauen“ – und hier malt die Schriftstellerin überdimensionale Anführungszeichen in die Luft – „schrieben: Meine Bücher waren außergewöhnlich. Irgendwie anders, komisch. Meine Paten, wenn man dieses Wort benutzen will, waren ausschließlich Männer. Dass meine Bücher gerade am Anfang in der Regel von Männern und nicht von Frauen geschätzt wurden, halte ich für symptomatisch.“ Die Schriftstellerin legt den Kopf ein wenig schief. „Nichtsdestotrotz schreibe ich als Frau, denn ich bin eine.“

„Und betrachtest die Welt dabei mit dem weiblichen...

Erscheint lt. Verlag 11.9.2015
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-89656-593-1 / 3896565931
ISBN-13 978-3-89656-593-8 / 9783896565938
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