Helena -  Evelyn Waugh

Helena (eBook)

(Autor)

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2016 | 1. Auflage
208 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60706-2 (ISBN)
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Die Kaiserin Helena, Mutter Konstantins des Großen, begründete die legendäre Pilgerreise nach Palästina, wo sie angeblich Teile des echten Kreuzes Christi fand. Ihr ungewöhnliches Leben, die enormen Konflikte dieser Zeit, Korruption und Verrat, und der Wahnsinn des imperialistischen Roms gaben Waugh ausreichend Stoff für einen hervorragenden, äußerst spannenden Geschichtsroman.

Evelyn Waugh, geboren 1903 in Hampstead, war Maler, Lehrer, Reporter und Kunsttischler, bis er in der Schriftstellerei sein Metier fand und zu einem der wichtigsten englischen Autoren des 20. Jahrhunderts wurde. Im Krieg diente Waugh als Offizier. Waugh, der seit seiner Studienzeit eine Neigung zu dandyhafter Extravaganz pflegte, liebte es, das Publikum durch kontroverse Äußerungen zu provozieren. Er starb 1966 in Taunton, Somerset.

Evelyn Waugh, geboren 1903 in Hampstead, war Maler, Lehrer, Reporter und Kunsttischler, bis er in der Schriftstellerei sein Metier fand und zu einem der wichtigsten englischen Autoren des 20. Jahrhunderts wurde. Im Krieg diente Waugh als Offizier. Waugh, der seit seiner Studienzeit eine Neigung zu dandyhafter Extravaganz pflegte, liebte es, das Publikum durch kontroverse Äußerungen zu provozieren. Er starb 1966 in Taunton, Somerset.

{13}Helena


{15}Am Hof


Es war einmal vor vielen, vielen Jahren, noch ehe all die Blumen einen Namen hatten, die unten am Fuß der regengepeitschten Mauern im Wind schaukelten, eine Prinzessin; sie saß oben am Fenster, und ein Sklave las ihr eine Geschichte vor, die schon damals uralt war. Oder, um es ganz nüchtern zu sagen: An einem nassen Nachmittag an den Nonen des Mai, im Jahr des Herrn 273 (wie spätere Berechnungen ergaben), blickte in der Stadt Colchester die rothaarige jüngste Tochter Coels, des Königs der Trinovanten, Helena mit Namen, in den Regen hinaus, während ihr Lehrer ihr aus einer freien Wiedergabe der Ilias vorlas.

Hier im entlegenen Winkel der Festung bildeten die beiden ein ungleiches Paar. Die Prinzessin war schlanker und größer, als es der damalige Geschmack verlangte. Ihr Haar, das in der Sonne bisweilen golden schimmerte, sah in dem düsteren Heim meist wie mattes Kupfer aus. In den Augen lag eine knabenhafte Schwermut: Es war die halb unwillige, halb zerstreute und doch leicht ehrfürchtige Stimmung einer britischen Heranwachsenden bei der Lektüre der Klassiker. In manchen Epochen der künftigen siebzehn Jahrhunderte hätte sie als Schönheit gegolten, aber sie war zu früh geboren und hieß bei ihren eigenen Leuten die »Reizlose«.

{16}Ihr Lehrer war zwiespältig, da sie ihm gleichzeitig seine niedere Stellung und seine lästigen, täglichen Pflichten zu Bewusstsein brachte. Er hieß Marcias und stand in der Blüte dessen, was man seine Männlichkeit nennen könnte: Dunkle Haut, schwarzer Bart, Adlernase und heimwehkranke Augen zeugten von seiner exotischen Herkunft, und sein chronischer Schnupfen protestierte winters wie sommers gegen seine Verbannung. Die Tage der Jagd waren sein Trost; dann war die Prinzessin von früh bis spät unterwegs, und er konnte als alleiniger Herrscher des Schulzimmers seine Briefe schreiben. Sie waren sein Leben: Ihre elegante, esoterisch-spekulative und rhapsodische Prosa durchmaß die ganze Welt von Spanien bis nach Bithynien, als freier Rhetoriker bis zum höf‌ischen Gelegenheitsdichter. Man sprach viel über diese Briefe, und Coel erhielt mehrere Angebote auf ihren Verfasser. Er war einer der jüngeren Intellektuellen, aber hierher hatte ihn das Schicksal verschlagen, in dieses ständige Wind- und Regenwetter als Sklave eines geselligen kleinen Königs und täglicher Begleiter eines jungen Mädchens. Es war nichts Unschickliches an dieser Verbindung; denn in seiner Kindheit ließ eine frühe und vorübergehende Vorliebe fürs Ballett Marcias für den östlichen Markt geeignet erscheinen, und er war vom Wundarzt einer entsprechenden Operation unterzogen worden.

»Und sogleich vergoss Helena mit den weißen Armen, die schöne unter den Frauen, eine Träne, hüllte ihr Gesicht in weißschimmerndes Leinen und eilte zum Skäischen Tor, begleitet von ihren Dienerinnen, Aithre, des Pittheus Tochter, und der kuhäugigen Klymene. Glaubst du, ich lese das zu meinem eigenen Vergnügen?«

{17}»Es ist nur wegen der Fischer«, sagte Helena, »sie kommen gerade vom Meer herauf zu dem Fest heute Abend. Sie haben körbeweise Austern dabei. Verzeihung; lies weiter vor über die kuhäugige Klymene.«

Dort aber saß nun Priamus unter den Ältesten der Stadt und sprach: ›Kein Wunder, dass die Troer und Griechen in Waffen liegen wegen Prinzessin Helena. Sie gleicht fürwahr einer Göttin von Ansehn! Komm her, liebes Kind, und setz dich zu mir. Du trägst keine Schuld; den Göttern haben wir es zu verdanken.‹«

»Priamus ist entfernt mit uns verwandt, weißt du.«

»Das habe ich des Öfteren von deinem Vater vernommen.«

Von diesem geschützten Raum aus konnte man an einem klaren Tag das Meer sehen, aber jetzt verlor sich die Weite im Nebel, der sich direkt vor ihren Augen über Moor und Weideland, Villen und Hütten zusammenschloss, und über den Bädern, die der General und sein Gast vor kurzem betreten hatten. Er fülllte den Graben und erklomm die Wände unter ihr. Nicht zum ersten Mal dachte Helena an Tagen wie diesen – denn solche Tage waren im hellen Frühling durchaus nicht ungewöhnlich –, dass die Stadt auf dem Hügel, der sich so bescheiden aus dem Moor erhob, geradeso gut über den Wolken in den windumtosten Bergen stehen und diese gedrungenen Zinnen einen endlosen Meerbusen überblicken könnten; und während sie mit halbem Ohr der Stimme hinter sich lauschte – Denn sie wusste nicht, dass ihre leiblichen Brüder in Sparta unter der Erde ruhten, in ihrem eigenen Land, unter der Leben spendenden Erde –, meinte sie beinah einen Adler aus der weißen Leere unter ihr emporsteigen zu sehen.

{18}Dann verzog sich die Bö, der Nebel brach wieder auf und holte sie auf die Erde, die ein paar Meter unter ihr wieder sichtbar wurde, zurück. Nur die steinerne Kuppel der Bäder blieb vernebelt, gefangen in den eigenen Ausdünstungen von Dampf und Rauch. Wie nah sie doch dem Boden waren!

»Waren die trojanischen Mauern höher als unsere in Colchester?«

»O ja, ich glaube schon.«

»Viel höher?«

»Sehr viel höher.«

»Hast du sie gesehen?«

»Sie wurden damals gänzlich zerstört.«

»Ist nichts mehr davon übrig, Marcias? Nichts, das noch daran erinnert, wo sie standen?«

»Es gibt eine moderne Stadt, in die die Touristen strömen. Die Fremdenführer dort zeigen einem alles, was man sehen möchte – die Gruft des Achilles, Paris’ geschnitztes Lager, den Holzfuß des großen Pferdes. Aber von Troja selbst ist nichts geblieben als Poesie.«

»Ich kann mir nicht vorstellen«, sagte Helena mit Blick auf das grobe Mauerwerk, »wie sie jemals eine ganze Stadt zerstören konnten.«

»Die Welt ist uralt, Helena, und voller Ruinen. Hier, in einem jungen Land wie Britannien, kann man sich das kaum vorstellen; im Osten aber gibt es endlose Sandhaufen, die früher einmal große Städte waren. Man sagt, sie bringen Unglück, selbst die Nomaden meiden sie aus Angst vor Geistern.«

»Ich hätte keine Angst«, sagte Helena. »Warum graben {19}die Leute nicht? Etwas von Troja muss doch noch unter der Touristenstadt vorhanden sein. Wenn meine Bildung abgeschlossen ist, werde ich hinfahren und das wirkliche Troja finden – Helenas Troja!«

»Unzählige Geister gibt es dort, Helena. Die Dichter haben jene Helden nie in Frieden ruhen lassen.«

Der Sklave beugte sich wieder über das Manuskript, aber ehe er die Lektüre von neuem aufnehmen konnte, fragte Helena:

»Marcias, glaubst du, dass Rom jemals zerstört werden könnte?«

»Warum nicht?«

»Hoffentlich nicht – jedenfalls nicht so bald. Nicht ehe ich Gelegenheit hatte, hinzufahren und es mir anzusehen … Weißt du, dass ich noch nie jemanden getroffen habe, der in der Ewigen Stadt war?«

»Seit den Unruhen fahren nur wenige von Gallien nach Italien.«

»Ich werde eines Tages hinfahren. Die gefangenen Barbaren kämpfen im Kolosseum gegen Elefanten! Hast du je einen Elefanten gesehen, Marcias?«

»Nein.«

»Sie sind so groß wie sechs Pferde.«

»So sagt man.«

»Eines Tages, wenn ich meine Bildung abgeschlossen habe, werde ich mir alles selber ansehen.«

»Mein Kind, niemand weiß, wohin er geht. Einst hoffte ich nach Alexandria zu ziehen, wo ein Freund von mir wohnt, ein hochgelehrter Mann, den ich nie gesehen habe. Wir hätten uns so viel zu sagen, was sich nicht schreiben {20}lässt. Eigentlich hätte das Museion mich kaufen sollen. Stattdessen wurde ich in den Norden verschickt und in Köln an den unsterblichen Tetricus verkauft, der mich dann hierherschickte als Geschenk für deinen Vater.«

»Vielleicht lässt Papa dich frei, wenn ich ausgelernt habe.«

»Er spricht manchmal davon – nach dem Essen. Aber was ist Freiheit, die man geben und nehmen kann? Die Freiheit, ein Soldat zu sein, den man hierhin und dorthin kommandiert, bis ihn zu guter Letzt die Barbaren in einem Sumpf oder einem Wald niedermetzeln? Oder die Freiheit, ein Vermögen anzuhäufen, so groß, dass dann der unsterbliche Kaiser eifersüchtig wird und es durch seinen Scharfrichter beschlagnahmen lässt? Ich habe meine eigene, geheime Freiheit, Helena. Was könnte dein Vater mir mehr geben?«

»Zum Beispiel eine Reise nach Alexandria, um deinen hochgelehrten Kumpanen zu besuchen.«

»Der Geist eines Menschen ist keinem Gesetz untertan. Niemand kann sagen, wer freier ist: ich oder der unsterbliche Kaiser.«

»Manchmal glaube ich«, sagte Helena, die ihren Lehrer frei im Äther schweben sah, in dessen Kälte es ihm behagte –, »manchmal glaube ich, dass es zu den Zeiten von Helena sehr viel angenehmer war, ein Unsterblicher zu sein als heutzutage. Weißt du, was aus dem unsterblichen Valerian geworden ist? Papa hat es mir gestern Abend erzählt und sich köstlich darüber amüsiert. Sie haben ihn in Persien öffentlich zur Schau gestellt – ausgestopft

»Vielleicht«, sagte der Sklave, »sind wir alle unsterblich.«

»Vielleicht«, meinte die Prinzessin, »sind wir alle Sklaven.«

{21}»Manchmal, mein Kind, machst du erstaunlich kluge Bemerkungen.«

»Marcias, hast du den neuen Stabsoffizier gesehen, der aus Gallien gekommen ist? Ihm zu Ehren gibt Papa heute Abend das Bankett.«

»Alle sind wir Sklaven – der Erde, ›der Leben spendenden Erde‹. Man redet jetzt viel von einem ›Weg‹ und einem ›Wort‹, einem Weg der Läuterung und einem Wort der Erleuchtung. In Antiochia soll das zurzeit die große Mode sein, wie ich höre;...

Erscheint lt. Verlag 24.2.2016
Übersetzer Peter Gan
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Antike • Christentum • Geschichtsroman • Heilige • Historischer Roman • Klassiker • Konstantinopel • Korruption • Literatur • Palästina • Religion • Roman • Verrat
ISBN-10 3-257-60706-7 / 3257607067
ISBN-13 978-3-257-60706-2 / 9783257607062
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