Der Staubozean (eBook)

Roman
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2015 | 1. Auflage
Heyne (Verlag)
978-3-641-17598-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Staubozean -  Bruce Sterling
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Von Wüstenschiffen und Staubwalen
Nullaqua ist eine menschenfeindliche Welt, ein Wüstenplanet mit gigantischen Staubozeanen. Darin leben riesige, walähnliche Tiere, aus deren Kadavern man die Droge Syncophin gewinnt. Zigtausende Süchtige in der gesamten Galaxis können ohne das 'Flackern', das das Syncopin in ihrem Bewusstsein hervorruft, die Realität nicht mehr ertragen, und so jagen riesige Schiffe die Staubwale. Ihre Crews bestehen nur teilweise aus Menschen, doch die Entbehrungen und die tödliche Bedrohung durch die grausame, fremde Natur schweißt sie zu unverbrüchlichen



Bruce Sterling wurde 1954 in Brownsville, Texas, geboren. Nach seinem Journalismus-Studium veröffentlichte er 1977 seinen ersten Roman 'Involution Ocean', dem noch zahlreiche weitere folgten, darunter 'Schismatrix' (1989) und 'Schwere Wetter' (1996). Zudem verfasste er mehrere Sachbücher und schreibt Artikel für verschiedene amerikanische Magazine. Bruce Sterling gilt, gemeinsam mit William Gibson, als Mitbegründer des Cyberpunk und ist einer der führenden Köpfe der Viridian-Design-Bewegung im Netz. 2003 wurde er Professor für Internetforschung und Science Fiction an der European Graduate School. Der Autor lebt heute in Turin, Italien.

1

 

Ein verhängnisvolles Ereignis und die Abhilfe

 

Wir alle haben in unserem Leben eine Leere, eine Leere, die einige durch die Künste füllen, andere durch Gott und wieder andere durch Lernen. Ich habe diese Leere immer durch Drogen gefüllt. Und aus diesem Grund fand ich mich, den Seesack in der Hand, dazu bereit, auf dem obskuren Planeten Nullaqua auf eine Walfangfahrt zu gehen.

Der nullaquanische Staubwal ist die einzige Quelle des Rauschmittels Syncophin. Zum Zeitpunkt meiner Seereise wurde das Wissen um diese Tatsache immer weiter verbreitet. Weil ich es erfahren hatte, wohnte ich, John Newhouse, mit neun anderen in der Piety Street 488 in Hochinsel, Nullaquas größter Stadt.

Wir, die Bewohner, kannten das zweistöckige Metallgebäude nur als Das Neue Haus. Wir waren eine bunt zusammengewürfelte Gruppe; die einzigen Dinge, die wir gemeinsam hatten, waren unsere außernullaquanische Herkunft und unser kennerhaftes Vergnügen am Flackern, wie die Eingeweihten das Syncophin nannten. Wir waren samt und sonders menschliche Geschöpfe oder sehr genaue Faksimile. Der erste unter uns war der weißhaarige alte Timon Hadji-Ali. Timon hat uns sein Alter nie verraten, aber er befand sich ganz offensichtlich in der Periode, in welcher der unterbewusste Wunsch des Körpers zu sterben die Sehnsucht des Ego nach dem Leben zu überwiegen beginnt. Oft höre ich ihn von seiner Jahrhunderte zurückliegenden Freundschaft mit Ericald Svobold, dem legendären Entdecker des Syncophin, sprechen. Jetzt hatte sich allerdings Pessimismus im alten Timon breitgemacht; seit Jahren hatte er sich jeder Verfügung widersetzt. Er wollte seine alten Tage nur noch damit verbringen, sein nach und nach angehäuftes Kapital aufzuzehren und den wilden Himmelstrip des Flackerns zu genießen. In Angelegenheiten der Politik, die unsere kleine Gruppe betrafen, pflegten wir uns ihm zu unterwerfen, da er immer noch das meiste Geld hatte.

Die zweite war Agathina Brant, eine hochgewachsene muskulöse Frau, stocksteif, als hätte sie einen Besenstiel verschluckt. Offenkundig war sie ein pensionierter Offizier, und sie war ausgesprochen kurz angebunden, sogar mürrisch. Sie trug stets eine Uniform, sauber, aber alt. Man konnte wirklich nicht bestimmen, welche der zahllosen Armeen der Menschheit das Kleidungsstück zuzuordnen war. Sie hat es uns nie verraten; ich vermute, sie hat es selbst genäht. Ihre Sucht war extrem ausgeprägt.

Als dritte und vierte ein verheiratetes Paar, Mr. und Mrs. Undine. Ihr Mädchenname war Stuart, er hieß Foster. Auch sie waren ziemlich alt. Man konnte ihr Alter an ihrer unnatürlichen Anmut und den gelegentlichen archaischen Redewendungen in ihrer Sprache erkennen. Sie waren ein ansehnliches Paar, wenn man ihre tonnenförmige Brustkörbe und die reichlich geschmacklosen, in ihre Körper eingepflanzten Edelsteine außer Betracht ließ. Sie wurden niemals müde, uns zu erzählen, dass sie beide bereits mehrere Ehen hinter sich hatten und die Vorstellung des Schmerzes, der mit der Auflösung der letzten verbunden war, nicht aushalten konnten. Sie hatten sich dazu entschieden, gemeinsam Selbstmord zu begehen, am liebsten durch eine Überdosis. Ich war viele Male versucht, ihnen zu raten, ein anderes Gift als Syncophin zu benutzen, aber das, dachte ich, wäre möglicherweise ein flegelhafter Einbruch in ihre Privatsphäre gewesen.

Der fünfte in unserer Gesellschaft war ein Dichter namens Simon. Er hatte durch kosmetische Chirurgie eine Art verhärmter Ansehnlichkeit erlangt, wenn auch seine Augen von unterschiedlicher Farbe waren. Im Bemühen, »zu den Wurzeln zurückzukehren«, wie er uns sagte, hatte er ein primitives Saiteninstrument gekauft und versuchte, sich selbst beizubringen, darauf zu spielen, um sich selbst begleiten zu können, während er seine eigenen Werke sang. Wir hatten sein Zimmer im Obergeschoss schalldicht gemacht. Syncophin, sagte er, »stimuliert mein Gehirn«. Das konnte gewiss nicht geleugnet werden.

Simon wurde von einer mausgrauen Frau namens Amelia begleitet, die ihr brünettes Haar streng in der Mitte gescheitelt trug. Ihr Vater war ein Gelehrter und schickte ihr ausreichend Geld für ihren eigenen Lebensunterhalt und den ihres pseudo-musikalischen Begleiters. Sie hatte schon Monate bei uns gewohnt, bevor sie Syncophin probierte. Jetzt war sie dabei, Geschmack daran zu entwickeln.

Unsere Numero sieben war ein Geschlechtsloser, Daylight Mulligan. Es war ein charmanter Gesprächspartner, und seine Sprache offenbarte einen tiefen Wissensfundus. Es und ich hätten enge Freunde werden können, hätte es nicht diese extreme Paranoia jedem gegenüber gehabt, der Fortpflanzungsorgane besaß. Es war natürlich sehr sauber geklont worden, und sein Misstrauen war nicht ganz unbegründet, da es eine deutliche sexuelle Anziehungskraft auf Mitglieder beider Geschlechter ausübte. Es war oft melancholisch, vielleicht von Schuldbewusstsein geplagt. Der alte Timon erzählte mir einmal, dass es für den Doppelselbstmord eines Ehepaares verantwortlich war, Freunde von ihm, die beide mit ihm Ehebruch begehen – oder es zumindest versuchen – wollten. Das konnte stimmen … oder auch nicht.

Die achte von uns war eine extrem große, fast totenbleiche Frau namens Quade Altman. Auf einem Planeten mit der halben Schwerkraft von Nullaqua, und damit auch der Erde, geboren, war sie an die zwei Meter fünfzig groß. Sie war immer blass, ihre eingesunkenen Augen waren von zarten blauen und purpurnen Ringen umgeben. Häufig jammerte sie über benebelnde Reizungen. Sie verbrachte eine Menge Zeit in Rückenlage, an ihren dreidimensionalen Mosaiken arbeitend.

Die neunte und vorletzte war meine derzeitige Freundin Millicent Farquhar. Millicent war klein, stupsnasig, rothaarig und eher pummelig als schlank. Ich hatte sie vor einem Jahr auf Reverie kennengelernt, kurz bevor ich nach Nullaqua ging. Nach einer ganz besonders heißen Party fand ich mich beim Aufwachen in ihrem Bett wieder. Man hatte uns zwar einander vorgestellt, aber wir hatten den Namen des anderen vergessen. Unsere gegenseitige Wiederentdeckung verlief ausgesprochen erfreulich, und wir hatten das letzte Jahr in ziemlicher Zufriedenheit miteinander verbracht.

Zuletzt ich, John Newhouse. Es versteht sich von selbst, dass ich nicht dieselbe Person bin, die die Abenteuer erlebte, von denen zu berichten ich im Begriff bin. Die Persönlichkeit ist eine sich wandelnde, fließende Sache, und außer den jetzt allmählich trüber werdenden Erinnerungen habe ich nichts mit dem Mann gemein, der sich damals meines Namens bediente.

Aber jener John Newhouse jedenfalls war der Sohn eines Holzmagnaten auf dem Planeten Bunyan und hatte die beste Ausbildung genossen, die dieser Planet zu bieten hatte. Aus politischen Gründen – und aus Gründen der Eitelkeit – behauptete ich, auf der Erde geboren zu sein. Wie die meisten Sektiererplaneten hatte Nullaqua übertriebenen Respekt vor allen Terranischen. Die Lüge half.

Ich war einen Meter und achtzig groß und hatte sehr dunkles Haar, das am Hinterkopf ziemlich spärlich wurde, obwohl ich mich dagegen sträubte, dies zuzugeben. Ich trug es auf der linken Seite gescheitelt. Meine Augen waren ebenfalls dunkel, und das linke hatte einen kleinen gräulichen Fleck, fast wie grauer Star; an dieser Stelle hatte ich einmal, einem schlechten Ratschlag folgend, Syncophin aufgetropft. Durch die lange Zeit, die ich im Haus verbrachte, war ich blass, aber meine Haut konnte eine tiefe Bräune annehmen. Meine Nase war vielleicht ein wenig zu hakenförmig, um als hübsch bezeichnet zu werden. Ich hatte – lassen Sie es mich gestehen – etwas von einem Dandy, und ich trug gerne Ringe, gewöhnlich fünf auf einmal. Ich besaß zwei Dutzend. Ich war fünfunddreißig – verzeihen Sie, lieber Leser, aber ich habe ja geschworen, bei der Wahrheit zu bleiben –, ich war dreiundvierzig Standardjahre alt.

Den Namen meines Vaters will ich nicht preisgeben. Den Namen Newhouse nahm ich von meiner Bleibe an, wie es auf der Erde einst Brauch war. Vor meiner Walfängerfahrt verdiente ich meinen Lebensunterhalt damit, hochwertiges Syncophin an meine zahlreichen Freunde auf Reverie zu exportieren. War es auch nicht übermäßig gewinnträchtig, so war es doch ein angenehmer Zeitvertreib. Mein Hobby war, billigere und wirkungsvollere Methoden zu entwickeln, Syncophin aus Asisöl zu extrahieren.

Es war ein gemütliches, beinahe genüssliches Dasein. Dann kam das Unheil.

Die Expansion des Syncophinhandels war nicht unbemerkt geblieben. Die Bürokraten der Konföderation, jener lockeren und ständig schwächer werdenden Verbindung von Welten, erließen ein Dekret. Nullaqua hörte es und – so erstaunlich dies war – gehorchte.

Wir erfuhren die Neuigkeiten zuerst von unserem Dealer, einem Nullaquaner namens Andaru. Andaru war ein ehemaliger Walfänger und versorgte uns mit dem Stoff, den er Gedärmeöl nannte, zu einem Kurs knapp über dem Normalpreis. Sonst gab es keine Nachfrage nach dem Produkt; das Eingeweideöl konnte nicht verbrannt werden, und die Nullaquaner lehnten es als Nahrungsmittel ab, da sie es für giftig hielten. Ganz schön hirnrissig, dachten wir.

Am siebzehnten Tag des zehnten Monats im Jahr klopfte Andaru an die Tür, und ich öffnete ihm.

»Es ist Andaru«, sagte ich laut zu den anderen, die in der Küche beim Essen waren.

»Gut … Wunderbar … Phantastisch«, sagten alle neun. Ihre Zungen versagten bei der Aussicht auf eine neue Gallone nie, wenn es darum ging, sich gegenseitig zu übertreffen.

»Und er bringt jemanden mit«, fuhr ich leiser fort, als hinter dem Nullaquaner ein junger Mann mit scharfgeschnittener Nase und blondem Schopf, der wie verschlungene...

Erscheint lt. Verlag 30.9.2015
Übersetzer Bernd Holzrichter
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Involution Ocean
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Bruce Sterling • Der Wüstenplanet • diezukunft.de • Drogen • eBooks • Ferne Zukunft • Moby Dick
ISBN-10 3-641-17598-4 / 3641175984
ISBN-13 978-3-641-17598-6 / 9783641175986
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