Lieder von den Sternen (eBook)

Roman
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2015 | 1. Auflage
Heyne (Verlag)
978-3-641-17551-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lieder von den Sternen -  Norman Spinrad
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Lieder aus den Tiefen des Alls
Die Erde liegt Jahrhunderte nach der ökologischen Katastrophe in Trümmern. Schon vor Generationen hat sich die Menschheit in zwei Entwicklungsrichtungen aufgespalten: Die Grünen leben ein einfaches Dasein im Einklang mit der Natur, die Techniker bereiten in ihren hermetisch abgeriegelten Städten die Eroberung des Weltraums vor. Denn in den letzten Tagen vor dem technologischen Holocaust fingen die Raumstationen Signale von fremden Welten auf, und die Forscher setzen alles daran, sie wiederzufinden. Als es endlich so weit ist und die Menschen erneut den Liedern von den Sternen lauschen können, sind es jedoch nur die Grünen, die die Signale entschlüsseln können ...

Norman Spinrad, geboren 1940 in New York, arbeitete als freier Schriftsteller und Literaturagent, bevor er in den Sechzigerjahren erstmals mit seinen Science-Fiction-Erzählungen und -Romanen auf sich aufmerksam machte. Er zählt zu den amerikanischen New-Wave-Autoren und trug immer wieder mit Stories zu Michael Moorcocks Magazin New Worlds bei. Daneben publizierte er Romane, die nicht nur ausgezeichnet unterhalten, sondern auch der amerikanischen Gesellschaft und Medienlandschaft den Spiegel vorhalten und zu politischen Debatten über den zivilisatorischen Stand der Dinge anregen. Seit vielen Jahren lebt und arbeitet Spinrad in seiner Wahlheimat Frankreich.

Clear Blue Lou


 

Clear Blue Lou steuerte an einem jener fürs Adlerfliegen idealen Nachmittage nach Südosten und hatte die Welt weit hinter sich gelassen. Unter ihm bildeten die Ausläufer der Sierras einen hellen, mit dunklen Flecken durchwobenen Teppich aus zerknittertem grünem Samt, und der wolkenlose, klare Himmel erfüllte seine Seele mit einem reinen, blauen Entzücken. Sein Geist war sich wie ein Vogel der Auf- und Abwinde, die aus dem Gebirge aufstiegen, bewusst. Er war Clear Blue Lou, Vollkommener Meister des Klaren Blauen Wegs. Dies bedeutete, dass er unten, in Aquarias Städten, Dörfern und Gehöften das Karma anderer Menschen reinigen musste, aber hier oben, ganz allein im klaren Blau, war er nur noch für sein eigenes Schicksal verantwortlich. Jeder Meister muss sein eigenes Lied singen.

Lou fühlte sich außerhalb von Raum und Zeit, als er so unter seinem leuchtendblauen, heliumgefüllten Adler hing; vom Boden aus schien es fast, als ob er von einer unsichtbaren Schwinge aus der Luft vorangetragen würde. Von seinem Sitz aus, der an der Unterseite des Adlers befestigt war, wirkten die Gleitflügel wie eine Gegenlichtblende, die das klare Himmelsblau zu einem ruhigeren und dunkleren Farbton filterten. Nirgendwo sonst fühlte er sich stärker in Harmonie mit Dem Weg.

So glückselig flog Clear Blue Lou auf dem Klaren Blauen Weg dahin, dass er die einsetzende Dämmerung gar nicht bemerkte. Oh Mist!, dachte er plötzlich aufschreckend. Jetzt ist es mir schon wieder passiert!

Lange Streifen purpurnen und kaminroten Lichts spielten über den Flügel des Adlers, und die Verstrebungen auf seiner Unterseite hatten sich in ein gotisches Kathedralgewölbe aus immer länger werdenden Schatten verwandelt. Weit unten strömten tintenschwarze Kleckse durch die zerklüfteten Canyons des mittleren und südlichen Aquaria nach Osten, und die vereinzelten Wolken färbten sich an den Rändern malvenfarben und zartrosa.

Clear Blue Lou mochte sich in perfektem Gleichklang mit dem Gesetz von Muskeln, Sonne, Wind und Wasser befinden, doch von dieser geheiligten Vierzahl der Weißen Kräfte war ihm diejenige, die ihn stöhnen und schwitzen ließ, am wenigsten sympathisch. Und nun war er gezwungen, als Entgelt für diesen beseligenden Nachmittag reinsten Karmas kräftig in die Pedale zu treten.

Der Sonnenadler ist ein Heliumballon in Form eines beweglichen Gleitflügels. Der unter ihm hängende Pilot steuert ihn durch Seile, ähnlich einem Puppenspieler, der mit seiner aeronautischen Marionette durch die Lüfte segelt. Bei günstigem Wind konnte ein meisterlicher Luftschiffer wie Lou ohne die geringste Anstrengung in der einmal eingeschlagenen Richtung bleiben. Leider erlebte man ein so vollkommenes Karma nicht öfter als ein rundes Dutzendmal im Jahr.

Und der heutige Tag gehörte nicht dazu. Ein leichter Gegenwind, wehte aus Osten, die Sonne würde in einer knappen Stunde untergehen, und zu dem letzten Adlerhorst zwischen hier und La Mirage waren es noch mindestens acht Meilen. Er würde also in die Pedale treten müssen.

Die Oberfläche des Adlerflügels ist mit Solarzellen bedeckt, die genug Energie liefern, um die beiden in der Nähe der Flügelspitzen angebrachten Propeller anzutreiben. An windstillen Tagen gab die Sonne dem Adler eine Geschwindigkeit von etwa zehn Meilen pro Stunde. Wenn er oben war.

War er aber nicht oben oder blies der Wind aus der falschen Richtung, dann musste man sich des dritten, in der Mitte sitzenden Propellers bedienen, der durch Pedale angetrieben wurde. Kein echter Adler-Fan liebt das. Täte er es doch, wäre er ein Fahrrad-Segler, der jedes Mal, wenn der Wind nachließe, in den Genuss dieses zweifelhaften Vergnügens käme.

Aber schließlich gehörten auch die Muskeln zum Rechten Weg, und es gab doch tatsächlich Großmeister anderer Richtungen, die lehrten, dass Schweiß gut sei für die Seele, und die regelmäßig ihre Runden auf dem Fahrrad drehten. Es gab sogar einige, die die Sonnenadler einer leichten Beimischung von Grau verdächtigten.

Clear Blue Lou trat an; seine Beine fanden schnell zu einer rhythmischen Bewegung, und die Anstrengung seiner Muskeln und seines Fleisches ließ wieder die Realität in sein Bewusstsein zurückfluten und erinnerte ihn an die ärgerliche Tatsache, dass der Stamm der Adler – die Erbauer seines himmlischen Gefährts – tief in diese heillose Geschichte in La Mirage verstrickt war. Eine Wolke, deren Bauch vom Schatten der Zaubererei geschwärzt war, hing über ihnen.

Hinter ihm vertiefte sich die Dämmerung zu völliger Dunkelheit, und das Land unter ihm, das sich in den Mantel der Nacht gehüllt hatte, wirkte schroff und abweisend; mit Hilfe seiner Muskelkraft kam Lou stetig nach Osten voran, durchflog den süßen Moschusduft, den die waldigen Ausläufer des Gebirges bei Sonnenuntergang verströmten. Die zackigen Spitzen der Sierras standen flammendrot gegen den östlichen Horizont. Und hinter ihnen dehnte sich … die Große Einöde, aus deren Tiefen Schwarze Wissenschaft auf verborgenen Wegen nach Aquaria einsickerte. Wenn sie endlich La Mirage erreicht hatte, war aus schwarz grau geworden, und nachdem sie die Handelsbörse durchlaufen hatte, hatte sich das Grau in das reine Weiß frisch gefallenen Schnees verwandelt.

Irgendwo zwischen hier und der anderen Seite der Sierras war irgendjemandes Hand schneller als das Auge – oder zumindest schneller als Augen, die es vorzogen, nicht hinzusehen. Keine Farbe, keine von Menschen hergestellten Moleküle hafteten auf dem Weiß der Sonnenadler, nichts konnte sie berühren außer den Kräften von Sonne, Wind und Muskeln. So entsprach es dem Buchstaben des Gesetzes.

Gewiss, die Solarzellen mussten von irgendwo herkommen, das Gewebe des Ballons bestand aus einem ungewöhnlichen Zellulosederivat, und der Nachschubsweg des Adlerstamms wand sich verdächtig weit in die unzugänglichen Mountain Williams-Canyons hinein, hoch oben an den Osthängen des zentralen Gebirgsmassivs, da, wo ein Rechtschaffener Weißer unter keinen Umständen seinen Fuß hinsetzen würde.

Clear Blue Lou hatte es sich angewöhnt, nicht nach dem Karma der Dinge, die ihm sein Leben angenehmer machten, zu fragen, und er glaubte, dass es auch für die anderen so besser sei. Wenn dem Geist etwas gut schmeckte, dann durfte man es essen.

Aber jetzt, wo er sich zur Strafe für seine Unaufmerksamkeit über finstere Abgründe hinweg abstrampeln musste, kam ihm wieder einmal zu Bewusstsein, dass auch ein Vollkommener Meister nicht immer auf eine freie Mahlzeit rechnen kann. Dass man nur durch einen Sieg der Willenskraft über das rebellische Fleisch auf dem Rechten Weg bleiben konnte, war alles in allem vielleicht doch gut für die Seele, so eine Art mahnend erhobener kosmischer Finger.

Im Moment erinnerte er ihn daran, dass er sich nicht auf einem Vergnügungsausflug befand, sondern dass man ihn aufgefordert hatte, einen Rechtsstreit zu schlichten, der das Karma eben dieses Adlers betraf, der ihn bei Sonnenuntergang aus einem hochfliegenden König der Lüfte in eine unter der eigenen Last gebeugte Kreatur verwandelt hatte.

Es ist gut für die Seele, genauso wie Peyote, sagte er sich säuerlich und lehnte sich in die Pedale. Aber das hieß noch lange nicht, dass man das Gericht schmackhaft finden musste.

 

Innerhalb einer Stunde war das Land unter ihm in einem schwarzen Abgrund versunken; am mondlosen Himmel glänzten punktförmige Lichter – so mussten wohl die alten Städte vor dem großen Atomschlag ausgesehen haben –, und Clear Blue Lou hatte mehr als genug von seinem Yoga-Training.

Erleichtert machte er endlich das Landelicht des Adlerhorstes aus, einen 200 Watt starken Scheinwerfer, der wie ein auf dem nächsten Hügelkamm gestrandeter Stern flimmerte. Er schaltete in einen anderen Gang, wodurch ein Teil der von ihm erzeugten Energie in eine Pumpe geleitet wurde, die das Helium aus dem Adlerflügel absaugte. Der Adler verlor langsam an Höhe, doch Lous Muskelarbeit wurde dadurch in keiner Weise erleichtert. Er stöhnte und schwitzte, während er in einer Kurve abwärts glitt, und es war eine wahre Wonne, als er schließlich aufhören und wie eine aufs Licht zusteuernde Motte zur Landung ansetzen konnte.

Er setzte auf einer Hochgebirgswiese auf, die im bleichen Sternenlicht unheimlich schimmerte. Nur noch ein weiterer Adler war auf ihr festgemacht. Myriaden von Insekten schwärmten im Strahl des Scheinwerfers auf dem Dach der eingeschossigen, schäbigen Hütte.

Die Wände des Hauptraums waren aus rohem Holz gezimmert, die Tische und Stühle waren ebenfalls aus Holz, und an der großen hölzernen Feuerstelle, von der appetitanregende Düfte in Lous Nase stiegen, überwachte Matty der Koch zwei Eisenkessel und einen Krug voller Apfelwein.

»Was zu futtern und 'ne Schlafstelle«, rief Lou. »Hab stundenlang in die Pedale getreten.«

»Hast es wohl sehr eilig, nach La Mirage zu kommen?« Der einzige andere Kunde war eine große geschmeidige Frau, die den gelben Anzug der Sonnenschein-Boten trug; sie saß über den Resten ihres Mahls und winkte ihn an ihren Tisch. Sie war hübsch und sah sehr sexy aus, aber eine Spur von Feindseligkeit ging von ihr aus.

»Falsch geraten; ich habe soviel Zeit, wie ich will«, sagte Lou und grinste sie einladend an, während er sich ihr gegenübersetzte.

Die Zunge des Mädchens glitt über ihre Unterlippe, dann sagte sie mit einem ironischen Lächeln: »Du erwartest wohl eine Bestechung, o du Spender der Klaren Blauen Gerechtigkeit?«

»Bietest du mir denn eine an?«

Sie zuckte mit den Achseln. »Vielleicht könnte man eine ansonsten langweile Nacht etwas kurzweiliger gestalten.«

Matty stellte eine Schüssel...

Erscheint lt. Verlag 30.9.2015
Übersetzer Brigitte D. Borngässer
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Songs from the Stars
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Aliens • Aufbruch ins All • Dystopie • eBooks • Norman Spinrad • Postapokalypse • SETI
ISBN-10 3-641-17551-8 / 3641175518
ISBN-13 978-3-641-17551-1 / 9783641175511
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