Die Zähne des Windes -  Wolf Richard Günzel

Die Zähne des Windes (eBook)

Fantastischer Abenteuerroman
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
354 Seiten
AtheneMedia-Verlag
978-3-86992-246-1 (ISBN)
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Mitten hinein in die engen Gassen der marokkanischen Königsstädte Fès und Marrakech mit ihren Farben und Gerüchen, in die Welt der Färber, Souk-Händler, Bader, Zahnzieher und Kupferschmiede. In der Medina von Fès treffen zwei Menschen aufeinander, wie sie unter-schiedlicher nicht sein könnten: Ein alter Mann, der immer noch auf der Suche nach seinem Seelenfrieden ist, obwohl ihm der Tod schon auf die Schulter klopft, und Anna, ein junges Mädchen, das zwischen Träumen und Enttäuschungen hin und her gerissen wird und nirgends Wurzeln schlagen kann. Anna hat in Paris eine scheußliche Kindheit erlebt. Sie misstraut allen Menschen, aber sie hat ein magisches Gespür für Tiere und liebt sie über alles. Im Anwesen des alten Mannes trifft Anna auf eine bizarre Tierwelt mit zwei Eseln, einem Affen und einer imposanten Uräusschlange, die sie 'Laura' nennt, denn das hochgiftige Reptil ist für sie völlig harmlos, 'nur ungeheuer anfällig gegenüber Menschen, die sie nicht mag.' Anna, unangepasst und ruppig, aber auch empfindsam und sehr leicht zu ver-letzen, fühlt sich erschöpft und ernüchtert von allen Demütigungen, die sie bisher erfahren musste. Aber es soll noch schlimmer kommen ...

Wolf Richard Günzel ist Autor und Naturfotograf. Seit 1982 veröffentlicht er Reiseberichte und Artikel mit eigenen Fotografien in namhaften Zeitungen und Magazinen. Aus seiner Feder stammen bereits mehrere Bücher, neben belletristischen Werken auch Sachbücher aus dem Umwelt- und Naturbereich. Im Athene-Media-Verlag sind von ihm 'Der Affe und das Mädchen', 'Die Zähne des Windes' und 'Der rote Löwe von Kenia' erschienen.

FÈS


 

1

 

Dort, wo die Medina über tausend Stufen hinauf zum Himmel führte und man eine trotzige Wolke über einem maurischen Torbogen sah, wo die Menschen wie imaginäre Fliegen durch die Basare schwebten, saß der Alte in einem wollenen Kapuzenmantel, der sein Antlitz und seine Glieder verbarg und so den Eindruck erweckte, als sei er nichts anderes, als ein achtlos hingeworfener Lappen. Auf seiner Schulter hockte eine dösende Eule, die mit ihrem feuerroten Gefieder und schwefelgelben Augen wie ein verschlafener Dämon aus einem Märchen wirkte. Brandrot war auch das Fell jenes kleinen Affen, der vor dem alten Mann stumpfsinnig um die eigene Achse kreiste, denn um seinen dünnen Hals hing eine schwere Eisenkette, deren Ende der Alte unter sich begraben hatte und deren Länge so bemessen war, daß das Tier jeweils drei Schritte nach vorn oder zur Seite machen konnte, ohne sich zu strangulieren.

Der Alte hielt die Beine angewinkelt, wobei sich sein Kapuzenmantel zwischen den Schenkeln wie eine Hängematte nach unten wölbte. Und in dieser Mulde aus schwerem Wollstoff krochen unbeholfen ein paar rote Kröten daher. Sie versuchten die Wände ihres Gefängnisses zu erklimmen und landeten auf dem Rücken, wenn sie den Halt an der Steilwand verloren oder vom Alten durch einen kurzen Ruck seiner Knie unsanft nach unten befördert wurden. In der Stoffmulde, wo die Kröten hausten, hatten sich ein paar Dirhams angesammelt, die der alte Mann unter seiner Kapuze im Auge behielt, denn dieser Blick gab ihm das behagliche Gefühl von Sicherheit und Anonymität. Die Kapuze verbarg seine Augen vor fremden Blicken, während er selbst die vorbeihastenden Menschen ohne Scheu betrachten konnte, wie die ausdruckslosen Augen eines Fisches, wie die stechenden Augen jenes Nachtvogels, der auf seiner Schulter hockte, wie die pupillenlosen Augen eines Reptils, wie die Stielaugen einer Krabbe, wie die Knopfaugen der Kröten, die in seinem Schoß hausten, wie die Facettenaugen eines Insekts.

Genau genommen starrte er nur auf die Füße der Menschen, die in Babouches, Stiefeln, Pumps und Turnschuhen vor ihm durch die Gassen schritten und wenn ihnen ein verirrter Kakerlake unter die Sohlen geriet und als breitgequetschter Kadaver wieder zum Vorschein kam, huschte ein freudloses Lächeln über sein Gesicht und dann wanderten seine Augen über die stürzenden Fassaden der Häuser, quadratische Balkone, verwinkelte Erker, blitzende Dächer und Zinnen hinauf zum blauen Sommerhimmel. Oder sein nervöser Blick flog über die Soukgasse zu seiner Linken und ruhte dann eine Weile wohlgefällig auf einem ausgestopften Schakal, der im Fenster eines Souvenirladens die Zähne fletschte. Der Schakal nämlich gehörte zur Gilde der Bestatter, Totengräber, Leichenverweser, und hatte somit nicht das Geringste mit einem Leichenfledderer zu tun. Denn indem er die scheußlich stinkenden Beutereste der tierischen und menschlichen Räuber fraß, die Hinterlassenschaften ihrer Mordlust, ihres ungezügelten Heißhungers und ihrer vertrackten Gier bis auf die Knochen beseitigte, erfüllte er eine durchaus nützliche, ja unentbehrliche und hygienische Funktion. Er sorgte dafür, daß sich der Gestank der Verwesung nicht bis zum Erbrechen ausbreitete. Er vermied, daß sich Maden und Fliegen ungehemmt vermehrten, Bakterien die Elemente verpesteten, Epidemien und Seuchen um sich griffen.

Als es zu dämmern begann und die Geister in der Gestalt von Glühwürmchen und Motten durch die Gassen schwebten, sammelte der Alte die Münzen aus der Mulde seines Kapuzenmantels ein. Dann ergriff er den Mantel am unteren Ende und schob ihn unter eine Kordel, die er um seinen Bauch trug, sodass die Kröten wie in einem Sack vor seinen Beinen baumelten. Mit der Eule auf der Schulter und dem Affen, der ihm widerwillig an der Kette folgte, bahnte er sich seinen Weg durch die Menschenmassen, die die Kasbah, die Parks, die Gassen, die Brücken und Tunnel überschwemmten. Wie Heuschrecken, die Zähne des Windes, schien es dem Alten, fielen sie Tag für Tag in Schwärmen vom Himmel herab, um dann als düstere Wolke die Sonne zu ersticken.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2

 

Er wohnte in einem jener verwinkelten Häuser in der Medina, die sich mit ihren Giebeln über die schmalen Gassen neigen und sie mit ihrem ewigen Schatten bedecken. Das Haus war farblos und voller dunkler Schimmelflecken, dem Verfall preisgegeben wie ein gestrandetes Schiff, an dem die Wogen von Salzwasser wie eine ätzende Lauge lecken. Aber der Gedanke an den Verfall des Hauses erschreckte den Alten ebensowenig wie der Gedanke an seinen Tod, der nicht mehr in allzu weiter Ferne liegen konnte, noch der Gedanke an irgendein anderes Ereignis überhaupt, das ihn in seinem Leben noch erwarten würde. Er hatte seine Familie verloren, seinen Glauben verloren, seine Ehre verloren, seine Würde verloren, seine Hoffnung verloren. Er besaß keine irdischen Güter, außer den armseligen Lumpen, die er am Leibe trug, das halbverfallene alte Haus, den angeketteten Affen, die roten Kröten und die rote Eule, die tagsüber auf seiner Schulter döste.

Er hatte in grauer Vorzeit im Blida-Viertel den Beruf eines Gerbers erlernt und sein Leben lang in einer stinkenden Hölle geschuftet. Er hatte Berge von Ziegen- und Schaffellen enthaart und sie dann tagelang in einem ätzenden Sud gebadet, der in großen Bottichen schwappte. Er hatte die Felle mit Taubenmist geschmeidig gemacht und sie dann bunt gefärbt in einer Brühe aus Safran, Dattelkernen, Granatapfelschalen und Klatschmohnblüten. Dabei waren seine Arme und Beine erst rauh und dünnhäutig vom Taubenkot, dann gelb von den Schalen der Granatäpfel und schließlich rot von den Klatschmohnblüten geworden. Und diese rote Farbe an seinen Gliedern war ihm bis ins Greisenalter erhalten geblieben. Seine erste Frau war im Kindbett gestorben; sie stieß noch einen gesunden Knaben von sich und verschied. Seine zweite Frau war unfruchtbar; er nahm sich eine dritte, blutjunge, die ihm erneut einen Knaben gebar. Auch die zweite Frau war ihm weggestorben, und die dritte hatte ihn verlassen und war in die Ville Nouvelles gezogen. Sie besprengte sich jetzt mit französischem Parfüm und führte er flottes Leben, wie man ihm berichtet hatte, wie er überhaupt die Ville Nouvelles und alles, was dort geschah, nur vom Hörensagen kannte. Jener profane Stadtteil war ihm verhaßt, nie setzte er seinen Fuß in diesen Sündenpfuhl. Seinen ältesten Sohn hatten die Franzosen füsiliert; sein jüngster war nach Marrakech gegangen, und der Alte wußte, daß er dort verlottert war.

Das nun herabgekommene Haus hatte sein Vater einst so gebaut, wie es der Spruch des Propheten empfahl: Baue dein Haus so, daß du deinem Nachbarn nicht in den Hof blicken kannst. Drinnen hatte es zuvor einen schönen Hofgarten gegeben mit Palmen,...

Erscheint lt. Verlag 19.8.2015
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
ISBN-10 3-86992-246-X / 386992246X
ISBN-13 978-3-86992-246-1 / 9783869922461
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