Zwölf Geschichten (eBook)

Erzählungen
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
Heyne (Verlag)
978-3-641-13618-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zwölf Geschichten -  Wolfgang Jeschke
Systemvoraussetzungen
2,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Von gläsernen Menschen und unvorstellbar fremden Welten
Stellen Sie sich vor, sie betreten als erster Mensch einen fremden Planeten - und müssen auf die harte Tour lernen, was alles unter dem Begriff 'intelligentes Leben' fallen kann. Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Gelegenheit, einen Blick in die Zukunft zu werfen - würden Sie es wagen? Stellen Sie sich vor, Sie könnten kommunizieren, ohne den Mund aufmachen zu müssen - was würden Sie sagen? Stellen Sie sich vor ...

In zwölf kurzen Erzählungen, die in diesem Sammelband exklusiv bei Heyne im eBook erscheinen, nimmt Wolfgang Jeschke Sie auf ferne Planeten mit - und zeigt Ihnen zugleich Menschlichkeit aus einem anderen, einzigartigen Blickwinkel. Diese Sammlung umfasst ca. 43 Seiten.

Wolfgang Jeschke (1936-2015) war der Großmeister der deutschen Science-Fiction. Lange Jahre als Herausgeber und Lektor für den Heyne Verlag tätig, hat er vor allem auch mit seinen eigenen Romanen und Erzählungen das Bild des Genres geprägt. Jeschke wurde mehrmals mit dem renommierten Kurd Lasswitz Preis ausgezeichnet. Er starb im Juni 2015.

Sirenen an Ufern


 

Sie waren mit ihrem Vermessungsschiff weit draußen, wo der Raum dunkel ist und die Galaxis ein schmales Funkenband auf den Monitoren. Sie fanden ein System, einen Planeten, einen wolkenlosen Himmel und ein fruchtbares Tal in einem weiten Kontinent. Als sie landeten, stieg der Morgen über die fernen Berge, und das Land war grün, wasserreich und friedlich, wie geschaffen zur Ruhe, die sie suchten.

Das elektronische Gerät analysierte die Welt, witterte, sog prüfend die Luft ein und gab zögernd die Schleusen frei. Die Männer schwärmten aus, besahen das Land und fanden es gut, schlugen ihr Lager auf und nahmen Messungen vor. Sie fanden auch ein Tier, das schön war, doch seltsam. Es schien die dominierende Lebensform zu sein, in Gestalt einem Murmeltier nicht unähnlich, doch weit größer, mit schwarzem Fell, krallenbewehrt und mit scharfem Gebiss, also offenbar ein Fleischfresser, doch erstaunlich träge und ohne nennenswerte Intelligenz. Sie fingen es leicht, denn es war ohne Scheu und wehrte sich nicht, aber die Männer benahmen sich seltsam dabei, ohne es zu bemerken. Sie untersuchten das Tier, maßen seinen Körper, den flachen Schädel, die Temperatur, die Nervenströme und die Reaktionen. Schließlich töteten sie es, und einer weinte und wusste nicht warum. Der flache Kopf barg ein winziges Gehirn von kaum vierzig Gramm, das aufgefächert wie eine Parabolantenne das Innere des Schädelknochens überzog. Die Biologen machten ihre Aufzeichnungen und speisten sie in den Computer, dann vergaßen sie es und wandten sich anderen Dingen zu.

Als der Abend sich in das Tal hineinsenkte, zündeten sie ein Feuer an, und nach zahllosen Nächten stromloser Leuchtstoffbänder in den Mannschaftsräumen sehnten sie sich nach der Dunkelheit einer atmenden Welt. Sie aßen und tranken im Freien, denn es war warm und sie freuten sich, diese schöne Welt ganz für sich entdeckt zu haben. Über ihnen ruhte das Schiff mit brandgeschwärztem Düsenmaul. Der Geruch des fruchtbaren Bodens, des Waldes und des Feuers ließ sie an die Erde denken, und der Abend legte sich über sie wie ein Netz, in dem sie gemeinsam ruhten, Menschen, weit weg von zu Hause.

Das Schiff schien entstiegen in die wachsende Dunkelheit und ein kleiner Mond hing fern wie ein blasses vergessenes Licht in den Zweigen.

Mit den Erinnerungen kam das Heimweh, kamen jene Lieder, die jeder Raumfahrer kennt und die sich mit ihnen schneller über die Galaxis verbreiten als das Licht. Einer von ihnen hatte eine winzige Flöte, ein anderer eine Trommel, und er schlug sie leise und die Männer sangen. Sie sangen das Lied von Canah Shn, der hundert Tage in eine Sonne fiel und seine Messungen noch ins Sendegeschirr diktierte, als seine Antennen abschmolzen und die Protuberanzen nach ihm leckten, das Lied von Old Giron, dem Baum auf Simon's Planet, der allein eine ganze Welt bewuchs und mit seinen Wurzeln umkrallte und der mehr von der Erde erzählen konnte als jeder Mensch, weil er alt war wie das Universum und allwissend, weil er die Botschaften des Lichtes verstand und in Milliarden Tonnen Chlorophyll speicherte, mit unzähligen Blättern ins All lauschend. Dann waren es die Lieder von der Heimat und von der Ferne und von den einsamen Männern dazwischen in den Weiten des Alls, von Schiffen und ihren Mannschaften, die galaktische Stürme in fremde Systeme verschlugen, in lichtjahreweite Staubwolken, aus denen es kein Entrinnen gibt, von Kapitänen, die aus der Zukunft kamen und aus der Vergangenheit und Kunde brachten von fernen Ufern und seltsamen Rassen, von Untiefen der Zeit, von Räumen, die ins Nirgendwo führten, unvermessen und geheimnisvoll.

Einer stand auf. Die Nachtluft tat wohl und erfüllte das Land, atmete Frieden und Geborgenheit, Schoß der Nacht.

Er dachte an seine Frau, fern, daheim. Er trat aus dem Lichtkreis des Feuers, der Mond wurde heller und goss weiches Silber auf Blätter und Gras. Das Singen der Männer schwebte und die Flöte wob sanfte Gestalten in den Nachtwind, der kühl von den Bergen herabstrich.

Ein Rascheln, ein Knistern in den Zweigen – ein Tier?

Er taumelte wie trunken und suchte tastend Halt, ein Baum, Old Giron, Rinde, rissig und trocken, zum Greifen geschaffen, seine Finger glitten darüber, fühlten Haar.

Haar?

Sie lehnte neben ihm, ganz in Weiß, silbriger Glanz auf ihren Augen, Mondlicht auf verschwiegenen Teichen.

»Ich liebe dich.« Ein Flüstern, ein Rascheln in den Zweigen.

Er starrte sie an.

»Wie kommst du …?«

»Frag nicht, Liebster.«

Ein Atem, ein Lufthauch, lebendige Nähe, ihre Augen. Ihn schwindelte.

»Wer bist du?«

Leises Lachen, eine scheue Berührung ihrer Hand, er spürte ihre Wärme. Ein Flüstern, kein Nachtwind, ihre Stimme.

»Frag nicht. Komm!«

»Aber …?«

»Komm!«

»Ich …«

»Du bist viel zu lange fort gewesen.«

Sie fasste seine Hand und lief voraus. Er folgte bezaubert. Wie? – Die Pferde ruckten an, sie legten die warmen Decken um die Schultern und er hielt die Zügel. Mondlicht übergoss den Schnee und das Schnauben der Tiere verwandelte sich in silbernen Rauch. Sie glitten dahin, dumpfer Wirbel der Hufe, Glöckchen am Geschirr.

»Wie? Ist das der Weg?«

»Ja. Komm!«

Ihre kleine Hand schlüpfte tiefer in die seine, zutraulich wie ein weicher, winziger Vogel. Sie zog ihn mit sich. Nickende Farnwedel, tiefes Laub schluckte den Tritt. Eilend, leichter Fuß, schwerer Fuß, silbernes Lachen.

»Du!?«

»Ja, fühl mich, ich bin dir nahe.«

Übermütig breitete sie die Arme aus. Tollpatschig versuchte er sie zu umfassen, doch sie entwand sich ihm, entkam, wirbelte davon, lachend, weiter ging die Jagd, er stolperte, hielt inne, schweratmend.

»Wohin …?«

»Pass auf! Ich werde dich führen.«

Sie war ihm jetzt ganz nah und er roch ihren Duft, den ihm vertrauten Duft. Jetzt wusste er, es war nicht mehr weit, die Lichtung, das Blockhaus. Sie hatten es gemietet. Es war nicht billig, aber es stand im schönsten Tal von Montana, einsam, weitab von allen Highways in den Bergen. Ein Freund hatte es ihnen vermittelt. Er kannte die Gegend, kam oft zur Jagd hierher.

Es war kalt, aber es war genug Holz da für den Kamin. Sie betraten die Lichtung. Er umfing sie zärtlich und hob sie hoch, um sie über die hohe Schwelle zu tragen. Sie wand sich wie eine Katze und ihr Fell war seidenweich. Sie riss sich los und zog ihn mit sich. Das Feuer im Kamin brannte und warf zuckendes rotes Licht über den Boden, der dick mit Fellen ausgelegt war. Erschöpft und außer Atem ließ er sich fallen, er fühlte sich müde von der kalten Luft und von dem Marsch durch den verschneiten Wald. Es war behaglich warm in der Hütte. Der Raum war erfüllt vom harzigen Duft des brennenden Holzes und von gedämpftem Licht, und während der Vollmond auf dem Schnee durch die Fenster bläuliche Reflexe an die Decke warf, sagte er zu ihr: »Ann, ich bin glücklich.«

Sie gab keine Antwort, aber er spürte, dass auch sie glücklich war.

»Trink«, sagte sie und reichte ihm einen Becher voll heißem Tee mit Rum.

»Trink«, sagte sie und er trank sein Glas bis zur Neige, obwohl der Whisky warm war und scheußlich schmeckte, aber es war angeblich kein Eis mehr da. Er war etwas benommen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er zog sich aus und warf sich auf das Bett. In der Ferne rauschte die Brandung. Die Sonne lag heiß auf dem Strand und warf durch die geschlossenen Jalousien blendende Reflexe an die Decke des Hotelzimmers. Was Ann wohl so lange in der Küche machte?

Er hörte, wie einer der Gäste auf der Terrasse einen Drink mit Eis bestellte, und wunderte sich, warum Ann gesagt hatte, dass in diesem verdammten Hotel kein Eis aufzutreiben sei, aber es machte ihm zu viel Mühe, darüber nachzudenken.

Die Kinder waren zwei winzige Bälge aus anthrazitfarbenem Fell. Er streichelte sie und lächelte. Sie krochen träge auf ihn zu, bissen ihm in die Beine, kletterten ihm auf die Brust und schlugen ihm mit ihren winzigen Händchen ins Gesicht.

»Lasst ihn! So wartet doch! Lasst ihn!«, schimpfte sie und hob sie herunter. Sie begannen zu weinen.

»Du solltest dich mehr um die Kinder kümmern«, sagte sie. »Sie folgen mir nicht mehr. Man merkt es, dass du zu lange fort warst.«

»Aber ich …«

Er öffnete die Tür zum Kinderzimmer. Ein fremder Junge und eine schmuddelige Halbwüchsige aus der Nachbarschaft saßen regungslos auf dem Boden zwischen den Spielsachen seiner Kinder, waren halb entkleidet und starrten ihn hasserfüllt an. Rasch schloss er die Tür und stützte sich schweratmend an die Wand.

Was ist das?, dachte er verstört und versuchte dem Schwindelgefühl Herr zu werden, das ihn zu übermannen drohte.

Das ist der miserable Whisky, den mir Ann jeden Tag mitbringt aus dem Drugstore an der Strandpromenade. Jeden Tag, seit wir in diesem dreckigen Nest im Urlaub sind und fünfzehn Dollar für dieses schäbige Zimmer bezahlen, dachte er, und sie glaubt, mir eine Freude damit zumachen. Dabei habe ich das Zeug bloß nötig, um den Dreck nicht zu sehen, der hier überall ist.

Er öffnete die Tür zum Kinderzimmer und Andrew und Liza ließen ihre Spielsachen fallen, eilten auf ihn zu, und er umarmte sie glücklich, froh, wieder zu Hause zu sein. Dann lag er auf dem Teppich, die Kinder kletterten auf ihm herum, er streichelte sie, kraulte ihr schönes, weiches Fell und spürte ihre Muskeln über den winzigen Rippen. Sie waren hart wie Stahl.

Der Gast auf der Terrasse bestellte sich noch einen Drink mit Eis, und er wunderte sich, warum Ann in diesem verdammten Hotel kein Eis auftreiben konnte.

Er drehte sich auf dem Bett um und wollte sie rufen,...

Erscheint lt. Verlag 31.8.2015
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Die kurzen Erzählungen • diezukunft.de • eBooks • E-Only • E-Original • Erzählungen • Kurd-Laßwitz-Preis • Wolfgang Jeschke
ISBN-10 3-641-13618-0 / 3641136180
ISBN-13 978-3-641-13618-5 / 9783641136185
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 972 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Thriller

von Marc Elsberg

eBook Download (2023)
Blanvalet (Verlag)
19,99
Das Licht von Coelum

von Runa Rugis

eBook Download (2023)
epubli (Verlag)
6,99