Osiris Land (eBook)

Erzählung
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
Heyne (Verlag)
978-3-641-13603-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Osiris Land -  Wolfgang Jeschke
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Nach dem Ende
Jahre, nachdem die weißen Männer im Kampf um das Horn von Afrika alles mit ihren Bomben verwüstet haben, wagt sich erstmals wieder ein Weißer ins Land der Tuareg: Jack Freyman, genannt Master Jack. Zusammen mit einem Führer und einem Kameltreiber, dem jungen Beshîr, macht er sich auf den Weg durch das zerstörte Land, in dem es kein Wasser und kein anderes Leben gibt als die grausigen Mutanten, um den Rand der bekannten Welt zu erkunden ...

Die Erzählung 'Osiris Land' erscheint als exklusives eBook Only bei Heyne und umfasst ca. 70 Seiten.

Wolfgang Jeschke (1936-2015) war der Großmeister der deutschen Science-Fiction. Lange Jahre als Herausgeber und Lektor für den Heyne Verlag tätig, hat er vor allem auch mit seinen eigenen Romanen und Erzählungen das Bild des Genres geprägt. Jeschke wurde mehrmals mit dem renommierten Kurd Lasswitz Preis ausgezeichnet. Er starb im Juni 2015.

2

Das Labyrinth

 

Somebody somewhere

in the heat of the night …

 

In der Nacht bewölkte es sich. Die Temperatur fiel kaum. Ich träumte von den Toten in der Wüste, die der Wind vor sich hertrieb. Es waren viele Kinder unter ihnen.

Irgendwann erwachte ich. Hazâz legte Feuerholz nach und kauerte sich im Schatten nieder. Heute weiß ich, dass er dasselbe spürte wie ich. Die Logon hatten andere Gestalt angenommen und schnüffelten uns aus.

Am Morgen hüllte Nebel die Oase ein, und die Sonne war unsichtbar. Ich hatte Mühe, die Tiere zu finden und wieder zusammenzutreiben. Sie hatten Durchfall vom schwefeligen Wasser, und ihr Fell war vom Nebel feucht. Wir hockten schweigend ums Feuer und tranken Tee.

Master Jack ging zu den Pilgern hinüber und sprach lange mit ihnen, während Hazâz und ich die Lasten neu verteilten und Sättel und Riemen nachsahen und instand setzten.

Obwohl es erst Anfang Mai war, wehte der Wind aus Süden, und die stickige Hitze nahm zu. Sie beengte das Herz und benahm den Atem, machte uns erschöpft und zugleich voller Unrast. Die Atmosphäre war knisternd und trügerisch. Die Entfernungen schienen verkürzt, die Berge näher gerückt. Die Stunden schleppten sich hin. Im Südosten ballte sich drohend Gewölk.

»Treib die Tiere zusammen, Beschîr!«, sagte Hazâaz. »Sturm zieht auf.«

Master Jack kam zurück, als wir eben dabei waren, das Zelt aufzubauen und zu befestigen. »Es scheint ein Gewitter zu geben«, rief er, und als wollte der Himmel dies bestätigen, krachte in dem Moment ein harter, trockener Donnerschlag, der von den nahen Bergen widerhallte. Die Tiere suchten zwischen den spärlichen Siwâk-Büschen Schutz. Der Himmel verdunkelte sich zusehends. Wind wühlte in den Akazien, und die trockenen Palmwedel zischten wie aufgestörte Schlangen. Doch das Gewitter zog im Norden an uns vorbei. Im Gebirge zuckten noch lange tiefrote Blitze, und der Donner rumpelte, während im Süden vereinzelt die Sterne erschienen. In der Nähe lachten Hyänen. Kurz darauf musste ich eingeschlafen sein.

 

Ich erwachte von einem Schrei. Bevor ich mich aufrappeln konnte, war Master Jack schon auf den Beinen, ergriff Armbrust und Köcher und rannte los. Ich befreite mich aus meinem Mantel und eilte ihm hinterher. Nach wenigen Schritten stieß ich auf mein Reittier und stellte fest, dass es nicht mehr gefesselt war. Es schien außer Atem, als hätte man es herumgejagt, reckte den Hals und witterte verdrossen. Ein paar Meter weiter entdeckte ich im ersten bleifarbenen Licht der Dämmerung ein zweites Kamel, das mit harten Lippen an den Zweigen rupfte und erregt schnaubte. Master Jacks Tier. Es trug noch seine Fußfessel, die Vorderhand und Wade aneinanderlascht. Die übrigen Tiere waren nirgendwo zu sehen.

»Hierher, Beschîr!«, hörte ich Master Jack rufen. Er kauerte neben Hazâaz auf dem Boden. Ich konnte nicht erkennen, was geschehen war, packte mein Tier am Zügel und zerrte es hinter mir her. Da erst sah ich, dass Hazâz' Gewand am Ärmel und an der linken Seite dunkel von Blut war, und dann blickte ich in die schrecklichste Wunde, die ich je im Leben gesehen hatte. Dicht über dem Ellbogen klaffte drei oder vier Fingerbreit ein Spalt, der überhaupt nicht blutete und auf dessen Grund weißlich der Knochen schimmerte.

Ich hörte ein tiefes Schluchzen, das wie ein albernes Blöken klang, dessen ich mich schämte, als ich merkte, dass es aus meiner Kehle drang und ich es nicht unterdrücken konnte. Ich setzte mich in den Sand, weil ich mich nicht länger auf den Beinen halten konnte.

»Ich habe sie überrascht«, stieß Hazâz zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Diese Schakale. Diese Söhne räudiger …«

»Lieg still!«, herrschte Master Jack ihn an, während er die Wundränder zusammendrückte. »Du hättest uns wecken sollen. Nicht auf eigene Faust handeln.«

Hazâz ließ sein Gesicht mit einem röchelnden Schnauben in die Beuge seines rechten Arms sinken und lag bäuchlings im Sand.

»Komm her und hilf mir, Junge!« Master Jacks Stimme riss mich aus meiner Benommenheit. Ich spürte, wie mir im Nacken der Schweiß ausbrach und in der Morgenkühle gefror. Ich zitterte am ganzen Körper, während ich half, die Wunde mit Tüchern, die er aus seiner Satteltasche holte, zu verbinden und den Arm mit einem festen Stück Holz zu schienen.

»Lasst mich!«, murrte Hazâz. »Holt sie ein! Sie kommen nicht weit. Nicht mit meinem Tier. Es wird sich wehren. Aber die Packtiere …«

»War es ein Schwerthieb?«, fragte Master Jack.

»Ein Schangormango«, knurrte Hazâz. »Aus kaum zehn Schritten Entfernung warf er es mir ins Gesicht, der Schakal. Ich konnte gerade den Arm noch hochreißen.«

Wir schafften ihn vorsichtig zu den Packsätteln, wo wir ihm unter einer Tamariske ein bequemes Lager zurichteten. Während wir unsere Kamele sattelten, ging die Sonne auf.

»Was ist ein Schangormango?«, fragte Master Jack, während wir nach Spuren Ausschau hielten. Ich wollte, ich hätte Hazâz' Augen gehabt.

»Ein Wurfeisen«, sagte ich. »Manche sind sehr geschickt damit. Köpfen auf dreißig Schritt Entfernung einen Menschen oder reißen auf fünfzig einer Gazelle die Läufe unterm Leib weg.«

Hazâz hatte recht behalten. Sein Tier hatte störrisch Widerstand geleistet, die Spuren waren leicht zu erkennen. Als die beiden Halunken uns kommen sahen, versuchten sie zu Fuß in verschiedenen Richtungen zu entkommen, wohl wissend, dass sie auch im Sattel gegen unsere schnellen Reitkamele keine Chance hätten. Ihr Plan war in dem Moment gescheitert, als Hazâz vereitelt hatte, dass sie alle Tiere an sich brachten. Hätten sie augenblicklich auf ihren eigenen Tieren die Flucht ergriffen, wäre sie ihnen vielleicht gelungen, doch ihre Habgier hatte sie daran gehindert. Das waren keine Räuber, sondern kleine Halunken, und dumme dazu.

Wir setzten dem einen nach, und Master Jack ritt ihn kurzerhand nieder. Augenblicklich stieß der Kerl ein erbärmliches Wimmern aus und kam auf allen vieren auf mich zugekrochen, vielleicht weil er sich vor mir eher Erbarmen erhoffte. Master Jack reichte mir die Armbrust, und ich legte an, bog den Finger um den Abzug. Doch plötzlich waren alle Wut und Erbitterung zerstoben. Trauer überkam mich und Abscheu über das jämmerliche Wesen, das in seinem schwarzen Gewand vor mir auf dem Gesicht lag, sich auf mich zu bewegte wie eine ungefüge Eidechse, sich vor mir erstreckte wie mein eigener Schatten, an mich geklebt. Ich konnte es nicht tun. Ich stellte mir die schreckliche Wunde vor – es ging nicht. Master Jack nahm mir die Waffe aus der Hand, entspannte sie und hängte sie an den Sattel.

»Höre!«, sagte er zu dem Mann. »Wir nehmen eure Tiere, denn wir haben einen Schwerverletzten zu transportieren. Solange wir an der Tränke sind, haltet ihr euch fern! Solltet ihr es trotzdem tun, erschieße ich euch.« Darauf zog er das Tier herum, und wir ritten davon.

Das Wimmern hinter uns wurde alsbald zum Geheul, das mit wachsender Entfernung immer wütender und unflätiger wurde und Master Jacks heller Haut und seiner Abstammung galt. Ich sah ihn an, aber er blickte nicht zurück, nahm keine Notiz davon. Vielleicht verstand er nicht alles. Wir sammelten die Tiere ein, unsere und die der anderen, und ritten zur Oase zurück.

Ich war uneins mit mir. Die Umstände hatten es mit sich gebracht, dass Master Jack mir ins Herz blickte. Blickte er ins Herz eines Feiglings, der unfähig war, seinen Freund zu rächen? Als hätte er meinen innersten Gedanken gelauscht, sagte er: »Du hast richtig gehandelt, Beschîr. Sein Leben ist unnütz. Sein Tod wäre es nicht weniger.«

Ich blickte ihn hilflos an, aber er lächelte und nickte mir aufmunternd zu. Da fand ich wieder zu mir und wusste, dass ich diesem Mann bis an den Rand der Welt folgen würde. Und ich schwor mir, dies zu tun, was immer auch kommen mochte.

 

Gegen Mittag kehrten wir zur Oase zurück. Von Weitem schon bemerkten wir, dass eine weitere Karawane angekommen war. Wir hatten nicht wenig Sorge, Hazâz tot und unser Lager geplündert zu sehen, leichte Beute, die wir zurückgelassen hatten, doch wir hatten Glück. Es waren Handelsleute aus dem Darfur auf dem Weg in den Westen. Sie hatten sich um Hazâz gekümmert, ihm zu trinken gegeben und erzählten uns, sie seien aus seinem Reden nicht schlau geworden, und er habe wiederholt das Bewusstsein verloren. Sie sagten immer wieder »Ts, Ts«, als sie von unserem Missgeschick erfuhren, ihre eigenen Sorgen schienen sie aber bei Weitem mehr zu beanspruchen. Sie waren in der Nacht in den Bergen vom Unwetter überrascht und völlig durchnässt worden. Nun hatten sie Mäntel, Decken und Packen zum Trocknen ausgelegt und wachten eifersüchtig über ihre Ladung. Später machten sie sich doch nützlich und halfen uns, aus Ästen, Zweigen und Schilf eine Art Sänfte zu flechten, die ein Kamel tragen kann, wie sie von hochgestellten Damen auf Reisen benutzt oder zum Transport wertvoller Sklavinnen verwendet werden. Darin werden wir Hazâz befördern. Sein Zustand wird immer ernster. Er hat, seit wir zurück sind, das Bewusstsein nicht wiedererlangt.

 

 

Aus dem Tagebuch von Master Jack

6. Mai 2036

Gestern noch schrieb ich von unserem Glück. Heute hat es uns verlassen. Zwei Viehdiebe überfielen uns kurz vor Tagesanbruch, stellten sich jedoch so dumm an, dass wir innerhalb von Stunden der Tiere wieder habhaft werden konnten. Unglücklicherweise wurde bei dem Überfall unser Karawanenführer so schwer verletzt, dass ich um den Mann bange. Meine Antibiotika hat der Kongo verschlungen, samt meinen Pistolen und der Munition....

Erscheint lt. Verlag 31.8.2015
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Afrika • Ägypten • Atomkrieg • eBooks • Kurd-Laßwitz-Preis • Mutant • Postapokalypse • Wolfgang Jeschke
ISBN-10 3-641-13603-2 / 3641136032
ISBN-13 978-3-641-13603-1 / 9783641136031
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