Sie schrieben mir oder was aus meinem Poesiealbum wurde (eBook)

Fischer Klassik PLUS
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
384 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403612-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sie schrieben mir oder was aus meinem Poesiealbum wurde -  Brigitte B. Fischer
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Eine Biographie und Verlagsgeschichte in Briefen Brigitte Fischer wurde 1905 als Tochter des Verlegerehepaars Hedwig und Samuel Fischer in Berlin geboren. In ihrem Elternhaus verkehrten die einflussreichsten Autoren jener Zeit, darunter Gerhart Hauptmann, Arthur Schnitzler, Rainer Maria Rilke, Thomas Mann. Zu ihrem neunten Geburtstag bekam Brigitte »Tutti« Fischer ihr erstes Poesiealbum geschenkt, die Autoren schrieben hinein. 1934 übernahm sie zusammen mit ihrem Ehemann Gottfried Bermann Fischer die Leitung des elterlichen Verlags. Es folgten Jahre des Exils, die Rückkehr nach Deutschland 1948. Während all der Zeit stand sie in brieflichem Kontakt mit den befreundeten Autoren. Dieses Buch versammelt persönliche Erinnerungen, Fotos und Briefe, mit denen Brigitte B. Fischer ihre Lebensgeschichte und die bewegte Geschichte des S. Fischer Verlags bis in die sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts erzählt.

Brigitte B. Fischer wurde 1905 in Berlin geboren. 1934 übernahm sie zusammen mit ihrem Ehemann Gottfried Bermann Fischer die Geschäftsführung des von ihrem Vater gegründeten S. Fischer Verlags. Im Folgejahr emigierte sie mit ihrer Familie zunächst nach Wien, später nach Stockholm, 1940 in die USA. 1948 kehrten sie zurück nach Deutschland, ab 1965 lebte das Ehepaar in der Toskana, wo Brigitte Bermann Fischer 1991 starb.

Brigitte B. Fischer wurde 1905 in Berlin geboren. 1934 übernahm sie zusammen mit ihrem Ehemann Gottfried Bermann Fischer die Geschäftsführung des von ihrem Vater gegründeten S. Fischer Verlags. Im Folgejahr emigierte sie mit ihrer Familie zunächst nach Wien, später nach Stockholm, 1940 in die USA. 1948 kehrten sie zurück nach Deutschland, ab 1965 lebte das Ehepaar in der Toskana, wo Brigitte Bermann Fischer 1991 starb.

Erster Teil Wie ich zum Leben erwachte


1 Wie ich in meinem Elternhaus, Berlin-Grunewald, Erdenerstraße 8, meine Kindheit erlebte.


Daß ich aus meinem Schlafzimmer ausquartiert wurde und im Dachgeschoß, im »Fremdenzimmer«, übernachten mußte, wo es ein wenig nach Mottenpulver und nach alten Zeiten roch und wo man sich in die urzeitlichen Betten der Großeltern verkriechen konnte, war etwas ganz Ungewöhnliches.

Erst später, als ich größer war, erfuhr ich, daß damals meine Eltern zu einem Fest geladen hatten, um die Uraufführung des ›Rosenkavalier‹ zu feiern, der eine Woche zuvor in Dresden unter großem Jubel aus der Taufe gehoben worden war.

»Es war im Winter 1911«, schreibt meine Mutter in ihren Erinnerungen, »daß wir der Uraufführung der Oper in Dresden unter der Regie von Max Reinhardt beiwohnten, einem Ereignis, zu dem die ganze Kunst- und Musikwelt sich versammelt hatte. Der Text von Hugo von Hofmannsthal und die Musik von Richard Strauss erregten dasselbe Entzücken wie die wunderbare Aufführung, und als der Walzer im II. Akt verklungen war, brauste lauter Beifall durch das Haus. Alle waren hingerissen. Was Dichter und Komponist vorgeschwebt hatte, diese Mischung von Ernst, Heiterkeit und Poesie, hatte hier ihren vollen Ausdruck gefunden. Von Dresden aus kamen Hofmannsthals nach Berlin, und wir veranstalteten ihnen zu Ehren ein Fest in unserem Haus, bei dem zum ersten Mal nach den Klängen des Rosenkavalierwalzers getanzt wurde.«

Ich saß versteckt hinter der alten Truhe oben auf dem Umgang, von dem man auf die durch zwei Stockwerke gehende Halle unseres Hauses blicken konnte, von deren Decke der alte holländische Kronleuchter mit seinen festlich brennenden Kerzen hing. Ich staunte über die elegante Gesellschaft, die sich da unten versammelt hatte. Die langen, wallenden Abendkleider und die blitzenden Juwelen der Damen sowie die Frackschöße der Herren ließen mich kaum einen der gewohnten Freunde meiner Eltern erkennen, jedoch der Duft der Parfums, die Heiterkeit der festlichen Stimmung und der goldene Glanz der Kerzen drangen zu mir herauf und umgaben mich wie ein Zauber. Später, oben im altmodisch-hohen Bett vergraben, konnte ich noch von ferne den bald so berühmt gewordenen Rosenkavalier-Walzer hören, denn meine Mutter führte die Gäste in einer Polonaise nach seinen Klängen am Arm des Freundes Julius Meier-Graefe durchs ganze Haus.

Das »Rosenkavalier-Fest« im Haus in der Erdenerstraße blieb noch für lange Zeiten ein Markstein der Erinnerung in den Berliner Künstlerkreisen.

 

»Leute« kamen oft und viele in mein Elternhaus, in die schöne und helle, weitläufige Villa im Grunewald. An ihrer Außenwand zeigte sie das S. Fischer-Signet, den Fischer mit dem Netz, als Relief. Jeden Winkel, jede Ecke vom Keller bis zum Boden kannte ich darin und hatte sie mit allen meinen Sinnen in mich aufgenommen. Im Untergeschoß lag die große, offene Küche, in deren Mitte der Herd stand und an die eine wohlduftende Speisekammer grenzte, die oft von mir besucht wurde. Es roch da unten nach Bügelzimmer, aber auch nach Äpfeln aus dem Obstkeller, dessen Holzstände immer voll gefüllt waren. Von der Küche ging eine kleine Treppe hinauf zur Anrichte, wo auch der Aufzug aus der Küche landete. Von hier wurden die Speisen in das lange Eßzimmer getragen, das von meinem Vater mit einer gewölbten Kassettendecke versehen worden war. Das Eßzimmer hatte fünf große, bis zum Boden gehende Fenster, an den Wänden standen alte holländische Barockbuffets mit silbernen Leuchtern und in der Mitte der behäbige Eßtisch aus dem gleichen Walnußholz, umgeben von hochlehnigen Lederstühlen, auf denen der Fischer mit dem Netz eingeprägt war. Die Glastüren nach dem kleinen, zierlichen, mit hellem Kirschholz paneelierten Teezimmer und seinem runden Biedermeier-Tisch, -Sofa und -Stühlen, die mit grünweiß gestreifter Seide bespannt waren, und den Biedermeier-Glasschränken an den Wänden, standen immer offen. Von da aus ging man auf die gedeckte Terrasse und hinaus in den Garten. Etwas Sonntägliches atmete in diesen Räumen, und man hatte immer wieder eine freudige Überraschung, wenn man vom Haupteingang, an dessen Wänden die Abgüsse der beiden Seitenreliefs des griechischen Altars ›Geburt der Venus‹ eingelassen waren, durch die Garderobe in die große offene Halle trat. Es war ein festliches Haus, darauf eingestellt, die anwachsende Autorenfamilie und den großen Berliner Künstlerkreis zu empfangen und zu bewirten.

Felix Salten, damals Feuilleton-Redakteur der Wiener Zeitung ›Zeit‹, einer der nächsten Freunde meiner Eltern, beschrieb unser Haus im Jahre 1910 in seinem Aufsatz ›Spaziergang in Berlin‹. »Das Gitter ist weiß, und das Haus ist weiß, mit weiß lackierten Türen. Und weiße leuchtende Kieswege laufen als helle Streifen durch den grünen Rasen des Gartens. Wenn ich nach Berlin komme, bin ich gern in diesem Haus. Abends, wenn die Lichter brennen. Oder nachmittags, wenn auf der Terrasse Tee getrunken wird, oder vormittags zum Tennis. Es hat einen unvergleichlichen Reiz, als bummelnder oder als geschäftiger Fremder in der Stadt drin zu wohnen, in der Stadt umherzulaufen, sich umklirren und umdröhnen zu lassen von dem siedenden Tumult dieses Lebens, dann aber mit einem Automobil blitzschnell hinauszurasen, zu dem Haus im Grunewald, und dort still zu sitzen. Es ist, wie wenn man unter dem Wasser geschwommen wäre, bis es einem in den Ohren braust, bis einem die Schläfen hämmern und ein eherner Druck einem die Brust umpreßt. Dann aber taucht man auf, und die Luft streicht einem beschwichtigend über die Wangen, und man hat das himmlische Glück der tiefen Atemzüge.

In der Halle hängt ein alter Kronleuchter aus holländischem Messing. Eine weiße Treppe schwingt sich anmutig zum Stockwerk hinauf, und oben führt eine offene Galerie die Reihe der Schlafzimmer entlang. Diese Halle ist wie ein kleines Fest. Anstoßend daran gibt es noch ein paar andere kleine Feste. Dies Bibliothekszimmer mit den dunklen Schränken und dem niedrigen, mit weißen Tüllvorhängen appetitlich geschmückten Erker. Dann der Salon mit dem alten niederländischen Sekretär, mit dem zierlichen Glaskästchen und den zierlichen Nymphenburger Porzellanpüppchen, und mit der Flügeltür, die nach der Gartenterrasse offen steht. Es ist eine sanfte Festlichkeit über all diese Räume gebreitet, etwas Sauberes und Blinkendes, etwas Sonntagsmäßiges. Deshalb sind mir alle Gegenstände hier so sympathisch, so vertraut und angenehm, beinahe wie lebendige Freunde. Wenn ich komme, begrüße ich sie alle. Den Kronleuchter, und die Nymphenburger Figürchen, und den ›Erasmus‹ von Holbein in der Bibliothek, und die ›Reiter am Meer‹ von Liebermann im Salon, und das Stilleben von Cézanne, ›Die Kastanien‹ von van Gogh und den ›Quai d’Orsay‹ von Pissarro … Hier ist alles so bis in die verborgensten Ecken blank. Hier ist alles jung und von einer inneren Sauberkeit. Hier ist nichts verstaubt, nichts vom Schutt und vom Gerümpel vieler Vergangenheiten durchsetzt und beengt. Hier ist alles so geworden wie die prangenden Rhododendron im Tiergarten: dem dürren Boden abgerungen. Deshalb überströmt mich hier so viel Zuversicht und Lust am Schaffen und Sonntagsfreude. Dies ist das Haus im Grunewald.«

Wenn ich die »geschwungene« Treppe hinaufsprang, verweilte ich oft auf dem Treppenabsatz in der Mitte, wo zwei Bronzefiguren, Adam und Eva, standen. An der gegenüberliegenden Wand, über dem offenen Kamin der Halle, lief eine Bilderbogenserie, ein Fries, entlang, der mir immer neue Rätsel aufgab. Es waren dunkelgrüne Ovale, in jedem sah man in wechselvoller Umgebung Kinder und Erwachsene in altertümlicher Kleidung, manche in Gärten unter Bäumen sich ergehend, an einem See, in dem ein Schwan seinen langen Hals reckte, im Reisewagen oder in ärmlicher Bude mit eisernem Ofen und langer, gewundener Ofenröhre. Ein fahrender Geselle spielte auf seiner Laute, ein Mädchen in weiter Krinoline winkte einem Jüngling, und auf grünem Hügel, unter tief hängenden Weiden, brannte ein Feuer auf hohem Altar, auf den eine vermummte Gestalt an der Hand einer schlanken Frau zuschritt. Was sollte das wohl alles bedeuten? Immer wieder stand ich da oben und starrte auf die Figuren, die sich zu bewegen schienen, deren Gesten mir aber so unnatürlich vorkamen, so daß das Ganze etwas Geheimnisvolles an sich hatte. Später konnte ich dann schließlich die Unterschriften unter jedem Bild entziffern: Der Schwan – Die Freundschaft – Der fahrende Sänger – Die erste Reise – Die Begegnung – Die unglückliche Liebe – Das Gedicht – In der Noth – Die Unsterblichkeit. Das Ganze hieß ›Ein Dichterleben‹ und war ein Biedermeierfresko von Karl Walser, mit dem er die Halle des Verlegerhauses geschmückt hatte.

Da oben an der Brüstung des Umgangs stand ich, von wo man alles sehen, beobachten und hören konnte, ohne gehört oder gesehen zu werden. Wenn Mama sang, wenn Gäste kamen oder wenn es gar ein Hauskonzert meines Bruders gab – immer war die Diele der Mittelpunkt, und ich hockte hinter der Galerie im Verborgenen und nahm auf meine Weise am Leben da unten teil. Hier im ersten Stock waren die Schlafzimmer meiner Eltern und das meinige, verbunden mit meinem sehr geliebten Spielzimmer.

Zum zweiten Stock gelangte man von der Galerie über eine schmale Hintertreppe. Dort roch es ganz anders als im übrigen Haus. Dort waren die Fremdenzimmer, kleine, niedrige Dachzimmer mit abgeschrägten Wänden, und ein aus Großvater-Zeiten...

Erscheint lt. Verlag 23.7.2015
Reihe/Serie Fischer Klassik Plus
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Briefe / Tagebücher
Schlagworte 20. Jahrhundert • Abflug • Amerika • Auswanderung • Autobiographie • Badeleben • Berghof • Berlin • Besuchervisum • Bootsfahrt • Brand • Brief • Buchlager • Bürgerkrieg • Carl Zuckmayer • Dachgeschoss • Deuter • Deutschland • Ehrfurcht • Elternhaus • Enkelkind • Entdeckungsfahrt • Epistel • Erdbeben • Erdenerstraße • Erinnerungen • Exil • Flucht • Fremdenzimmer • Galle • Gedenkstätte • Gefährdung • Generalstreik • Gerhart Hauptmann • Germanistik • Geschichte • Gesellschaft • Glück • Gottfried Bermann Fischer • Heizmöglichkeit • Idealgestalt • Joachim Maass • Kampf • Kaufmannsfamilie • Klassik • Kriegsausbruch • Kriegsende • Landgut • Lebensgeschichte • Leviseur • Literatur • Literaturgeschichte • Mode • Mutation • Nachspruch • Nationalsozialismus • Naturkatastrophe • Neuanfang • Neubeginn • Normale • Onkel • Peter Nansen • Pierre Bertaux • Poesiealbum • polizeigewahrsam • Propagandaministerium • Rußland • Samuel Fischer • Schicksal • Schiwago • Schule • Schulunterricht • S. Fischer Verlag • Sommeraufenthalt • Stockholm • Thomas Mann • Thornton • Triller • Übersetzungsrechte • Unwetter • Verbrechen • Vergänglichkeit • Verlag • Verlagsarbeit • Verlagsgeschichte • Verlagsrechte • verliebtsein • Virus • Vorspruch • Weltreise • Wetterleuchten • Wiederbegegnung • Wiedereröffnung • Wien • Winterabend • Zuck
ISBN-10 3-10-403612-8 / 3104036128
ISBN-13 978-3-10-403612-0 / 9783104036120
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