SCHLIMME ZEITEN (eBook)

Der erste Mantel
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2015 | 1. Auflage
100 Seiten
wortweit-Verlag
978-3-9503773-5-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

SCHLIMME ZEITEN -  Heinrich Landolt
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1629: In Deutschland wütet der Dreißigjährige Krieg. Söldnerbanden plündern und morden. Abertausende verlieren ihr Leben. Auch der vierzehnjährige Jan hat alle Hoffnung aufgegeben. In Todesangst kniet er vor dem Scharfrichter. Das Schwert fällt, doch Jan überlebt. Der Schwarze Baron hatte ihn gewarnt. Jan stirbt nicht. Wie ein Dämon fährt er in den Körper eines Jungen, den er sich wie einen Mantel aus Fleisch und Blut überzieht. Der andere, der tumbe Sohn des Schmieds, geht unter, Jan selbst lebt in ihm weiter. Leichter wird das Überleben für Jan dadurch nicht. Verzweifelt versucht er, sich in seinem neuen Körper durchzuschlagen. Halb verhungert trifft er auf ein Mädchen, auch sie nur noch Haut und Knochen. Gemeinsam braten sie eine Hundeleber. Am nächsten Morgen ist das Mädchen verschwunden. Von dieser Stunde an tut Jan alles, um sie wiederzufinden. Und um sich an dem zu rächen, der ihm sein Schicksal aufgezwungen hat: am Schwarzen Baron.

Mein Ende

Ich wurde am 23. November 1629 auf dem Marktplatz von Vilshofen hingerichtet. Kuno von Erlach, der Statthalter des Burggrafen, verkündete persönlich das Urteil: „Der Bursche“, so las er mit dröhnender Stimme der Menge auf dem Marktplatz vor, „soll also ums Leben gebracht werden: Mit glühenden Zangen zwei Stücke aus seinem Leib gerissen, dann mit dem Schwert vom Leben zum Tod gerichtet und der Körper zu Asche verbrannt.“ So geschah es. Eigentlich sollte ich dankbar sein. Ich sei noch ein halbes Kind, entschied der Statthalter und begnadigte mich zum Tod durch das Schwert, anstatt mich bei lebendigem Leib zu verbrennen. Aber zu diesem Zeitpunkt war mir das längst egal.

Das Urteil hatte der Statthalter am Vorabend gefällt, kurz bevor die Abendglocken das Ende des letzten Tages vor meiner Hinrichtung einläuteten. Der Priester wollte meine Beichte hören, aber ich hatte mich bei der Folter so heiser geschrien, dass ich keinen Ton hervorbrachte. Den ganzen Tag über gellten meine Schreie durch das Steinverlies, so laut, dass sie dort vermutlich noch heute zu hören sind. Begonnen hatte es vor Sonnenaufgang am frühen Morgen. Der Statthalter und der Priester sahen zu, wie Hannes mich an den auf dem Rücken verschränkten Armen hochzog, bis die Gelenke krachten. Als Letztes nahm ich noch wahr, wie der Statthalter die Nase rümpfte über den Gestank meines Kots, der den Beinen entlang auf den Boden klatschte. Dann kam die ersehnte Ohnmacht.

Ich hatte bereits gestanden. Nicht nur das, ich gestand alles, was man von mir hören wollte. Ich bin kein Held, bloß ein Fünfzehnjähriger mit schlaksigen Gliedern, braunem Haar und dem ersten Bartflaum, auf den ich furchtbar stolz bin. War. Aber nun hing ich nackt mit zerschlagenen Knochen an der Streckleiter und hoffte auf mein Ende.

Ein Schwall kaltes Wasser weckte mich.

„Hast du Verkehr mit dem Teufel gehabt?“

„Ja!“, brüllte ich, ohne nachzudenken.

Am ersten Tag, als Hannes mich ins Verlies geschleppt hatte, legte er mir die Werkzeuge seines Handwerks eins nach dem anderen vor und erklärte sie mir ausführlich. Mit Nägeln besetzte Peitschen, Zangen, um dem Opfer das Fleisch von den Knochen zu reißen, der Daumenstock, der einem die Daumen zu Mus zerdrückt, ein hölzerner Trichter zum Einflößen von Flüssigkeit, bis einem der Leib platzt, Spanische Stiefel zum Zerquetschen der Beine und Töpfe gefüllt mit Salz und Essig für die Wunden.

„Ich gestehe alles“, stammelte ich.

„Ja, das wirst du.“ Hannes’ Augen glänzten.

Er begann mit dem Daumenstock und drehte gemächlich die dicke Schraube enger, bis das Blut unter den Nägeln hervorschoss. Dabei wand ich mich vor Schmerzen wie ein Wurm an der Angel. Je fester Hannes die Schraube anzog, desto höher kreischte meine Stimme, was ihn sehr zu belustigen schien. Als Hannes von mir abließ, glaubte ich nicht, dass es noch schlimmer werden könnte. Aber am nächsten Tag legte er mir zuerst die Spanischen Stiefel an, die er mit solchem Genuss zuschraubte, dass beide Beine splitterten.

Verkehr mit dem Teufel? Mit jedem Teufel in jeder Form. Ich faselte von Hexen mit ledernen Flügeln und unheiligen Lüsten, vom Prinzen der Dunkelheit mit Hufen, Hörnern und dem Gestank nach Schwefel, der uns seinen Hintern zur Anbetung hinhielt. Alles, um mir Hannes und seine Instrumente vom Leibe zu halten.

Wieder schüttelte der Statthalter traurig den Kopf über solche Abgründe, während der Priester meinen sich windenden nackten Körper nicht aus den Augen ließ. Nur der Schreiber des Statthalters wandte sich ab. Er erbrach sich nochmals ausgiebig, nuschelte eine Entschuldigung und stippte die Feder ins Tintenfass.

Ich kannte sie alle, praktisch von meinem ersten Atemzug an. Vater Berthold hatte mich und alle anderen in der Pfarrkirche Woche um Woche mit seinen Beschreibungen der Höllenqualen geängstigt. Seit ich denken konnte, schlug er mit schriller Stimme von der Kanzel aus auf uns arme Sünder ein und schilderte uns die Hölle so ausführlich, als ob er persönlich für die Qualen zuständig sei, was die meisten seiner Schäfchen für durchaus möglich hielten. Im Gegensatz zu ihm mochte jeder den Statthalter. Er gab uns Kindern Süßigkeiten, wenn wir am Heiligen Abend bei ihm vor dem Stadthaus Weihnachtslieder sangen.

Und Hannes, nun, Hannes war eben Hannes. Vierschrötig, plump und mit einem schlaffen Mund, der ständig offenhing. Als Knirps hatte ich ihn ertappt, wie er auf dem Hof seiner Eltern einem lebenden Huhn die Federn ausriss.

Wilhelm, der Schreiber, war ein Vetter meiner verstorbenen Mutter. Er hielt den schmalen, bleichen Kopf über sein Buch gebeugt, die Feder erwartungsvoll in seiner Hand.

Aber der Statthalter schüttelte den Kopf.

„Ich habe genug gehört“, sagte er zu Hannes, der enttäuscht die mit Nägeln beschlagene Rolle weglegte, die er als Nächstes hatte anwenden wollen.

Am nächsten Morgen schleppten mich zwei Knechte zum Richtplatz, da ich auf meinen gebrochenen Beinen nicht mehr gehen konnte. Über Nacht hatte sich der Marktplatz in eine Richtstätte verwandelt. Eine gedeckte Tribüne stand für die Notabeln bereit, ein Richtblock wartete auf meinen Nacken und ein großer Stoß Holz würde meinen Leib zu Asche verbrennen.

Die Knechte hatten mich unter der Achsel gepackt und schleiften mich zum Richtblock. Meine Füße schlugen im Takt mit den Schritten der Knechte gegen die Pflastersteine. Jeder Schlag fühlte sich an, als ob meine Beine erneut von Hannes mit der Brechstange zertrümmert würden. Ich wollte schreien, brachte aber nur ein klägliches Krächzen zustande. Die ganze Stadt hatte sich eingefunden. Frauen spuckten mich an, Männer ballten die Fäuste, Kinder bewarfen mich mit Kot und stinkendem Abfall. Viele lachten über meinen qualvollen Stolpergang.

Oben auf der Richtstätte packten mich die Knechte fester und zogen meine Arme nach hinten. Gleichzeitig riss mir Hannes mit der glühenden Zange bedächtig aus Brust und Bauch zwei faustgroße Stücke Fleisch. Ich nahm das nur noch wie aus großer Ferne wahr, mit einem vagen Mitgefühl für die geschundene Kreatur, die ihren Mund zum Brüllen weiter als menschenmöglich aufriss, sehr zum Gaudi der Menge. Ich kam erst wieder zu mir, als einer der Knechte mir mit einem nassen Lappen ins Gesicht schlug. Sobald ich die Augen offen halten konnte, schleppten sie mich zum Holzblock. Der Scharfrichter in seinem roten Lederwams legte das Schwert zur Seite, packte meinen Schopf und zerrte meinen Kopf auf dem Block zurecht. Mein größtes Bedauern war, dass ich als Jungfrau sterben würde.

Dann ging alles sehr schnell. Der Schwarze Baron hatte recht gehabt.

Ich war in Kriestorf aufgewachsen, gut zwei Wegstunden außerhalb der Stadttore von Vilshofen, an der Grenze von Bayern zu Böhmen.

Mein Vater führte den großen Gasthof an der Straße ins Böhmerland. Salzsäumer stiegen bei uns ab und andere, die mit Prag Handel trieben. In steilen Lettern stand über dem Türsturz Gasthof Zum Goldenen Steig und das Wirtshausschild zeigte zwei mit Säcken beladene Pferde auf goldenem Grund.

Pater Berthold hatte mich auf den Namen Jan Flensbeck getauft, nach meinem Vater, der den Gasthof für Statthalter Kuno von Erlach führte, dem der Hof und die Pferde und alles Land im Umkreis als Lehen gehörten.

„Wir können uns glücklich nennen, so einem Herrn zu die-nen“, betonte Vater bei jeder Gelegenheit. Kuno von Erlach war ein umgänglicher Mann, der seine Untertanen nicht bis aufs Blut auspresste. Mein Vater durfte sogar sein eigenes Bier brauen.

Früher saßen wir oft am Feuer und schauten zufrieden auf die Reisenden, die ihren Haferbrei mit gepökeltem Schweinefleisch löffelten und das fette Weizenbier meines Vaters schlürften. Seit einiger Zeit aber blieb die Hälfte der Tische leer. Der stete Strom der Säumer versickerte zu einem Rinnsal. „Die Welt ist aus den Fugen geraten“, murrte mein Vater. Er wischte sich die Hände an einer Schürze ab, die schon lange keinen Waschtrog mehr gesehen hatte, und legte sein rundes, rotes Gesicht in Falten. Jenseits, im Königreich Böhmen, schnitten sich Protestanten und Katholiken gegenseitig die Hälse ab. Söldnerheere wuchsen wie giftige Pilze aus dem Boden und Vater fürchtete, der Krieg würde zu uns herüberschwappen.

Viel wussten wir nicht über das, was auf der anderen Seite der Donau geschah oder dort, wo Pater Berthold den Antichrist vermutete, in der Pfalz oder in Brandenburg oder noch weiter weg, beim Schweden, der bestimmt mit dem Teufel im Bunde stand. Wir hörten, was die Leute munkelten und was die Flugblätter anprangerten.

Ich konnte etwas lesen und schreiben, meine Mutter hatte es mir beigebracht, bevor sie am bösen Fieber starb, vor zwei traurigen Jahren. Fahrende Händler brachten die Blätter. Natürlich besaß ich die zwei Kreuzer nicht, die sie dafür verlangten, aber ich schaute ihnen über die Schulter, wenn sie ihre Ware anpriesen, obwohl es mir kalt den Rücken hinunterlief, wenn ich die Bilder betrachtete. Nur einmal kaufte Vater eines der Pamphlete. Es zeigte die aufgespießten Köpfe der protestantischen Rebellen auf der Zinne des Hradschin. Unser aller Kaiser Ferdinand hatte sie abschlagen lassen. Vater nagelte das Blatt an die Wand, als Zeichen dafür, was mit jenen geschah, die sich vom rechten Glauben abwandten, und als Beweis dafür, dass hier nur rechtgläubige Leute verkehrten.

Manchmal schnappten wir einige Worte auf. Bei uns im Gasthof saßen Kuriere, die hastig ihr Abendbrot verzehrten und noch vor Tagesanbruch weiterritten. Oder aber sie flüsterten in einer Ecke und tauschten versiegelte Briefe aus. Offiziere lungerten herum, die Taschen voller Geld, mit dem sie rauflustige Bauernburschen in...

Erscheint lt. Verlag 30.6.2015
Reihe/Serie SCHLIMME ZEITEN
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Fantasy, histor. Fantasy, Spannung, dreißigjähriger Krieg, Liebesgeschichte
ISBN-10 3-9503773-5-2 / 3950377352
ISBN-13 978-3-9503773-5-4 / 9783950377354
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