Straße der Verlassenheit (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
Heyne (Verlag)
978-3-641-17597-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Straße der Verlassenheit -  Ian McDonald
Systemvoraussetzungen
4,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
In einer kleinen marsianischen Stadt ...
Dies ist die Geschichte einer Stadt auf dem Mars. Sie ist nicht die größte oder die schönste, sondern liegt mitten in der Wüste. Sie ist einzigartig, vor allem wegen der exzentrischen Individualisten, die sich dort angesiedelt haben: Stadtgründer Dr. Alimantando folgt einem mysteriösen grünen Wesen, das jede Nacht neben seinem Feuer auftaucht. Die Jagd bleibt ohne Erfolg, und so beschließt er, sich in der Einsamkeit niederzulassen. Die währt allerdings nicht lange: Schräge Typen wie Rajendra Das, ein Landstreicher, der mit Maschinen sprechen kann, Babushka, eine alte Frau, die ein Kind aus dem Reagenzglas will, die Gallacelli-Brüder, Drillinge, die am Ende alle dieselbe Frau heiraten und noch einige Lebenskünstler mehr zieht es in die Einsamkeit der endlosen Marswüste ...

Ian McDonald, 1960 in Manchester geboren, ist langjähriger Fernsehredakteur und Schriftsteller. Mit 22 veröffentlichte er seine erste Story, seit 1987 lebt er hauptberuflich vom Schreiben. Viele seiner Science-Fiction- und Fantasy-Romane sind mit Genre-Preisen wie dem Hugo, dem Locus und dem Nebula Award ausgezeichnet. Ian McDonald lebt in Nordirland.

1


 

Drei Tage lang war Dr. Alimantando der Grünperson durch die Wüste gefolgt. Angelockt von einem Finger aus grünen Bohnen, war er über die Wüste aus rotem Geröll, die Wüste aus rotem Stein und die Wüste aus rotem Sand hinter ihr hergesegelt. Und jeden Abend, wenn er an seinem Feuer saß, das er aus Holzresten entfacht hatte, und Eintragungen in sein Tagebuch vornahm, ging der Mondring auf, jener taumelnde Diamantenreif künstlicher Satelliten, und holte die Grünperson aus den abgelegensten Gegenden der Wüste hervor.

Am ersten Abend funkelten die Meteore hoch oben in der Stratosphäre, als die Grünperson bei Dr. Alimantando erschien.

»Lass mich an dein Feuer, Freund, schenk mir Wärme und Schutz, denn ich stamme aus wärmeren Zeiten.« Dr. Alimantando winkte der Grünperson zu, näher zu kommen. Als er die seltsame, nackte Gestalt betrachtete, fühlte Dr. Alimantando sich zu der Frage gedrängt: »Was für ein Wesen bist du?«

»Ich bin ein Mensch«, sagte die Grünperson. Sein Mund, seine Lippen, seine Zunge waren blattgrün, als er redete. Seine Zähne waren klein und gelb wie Maiskörner. »Was bist du?«

»Ich bin auch ein Mensch.«

»Dann sind wir gleich. Schüre das Feuer, Freund, auf dass ich gewärmt werde.« Dr. Alimantando stieß gegen ein graues Holzscheit, und Funken wirbelten hinauf in die Nacht. Nach einiger Zeit fragte die Grünperson: »Hast du Wasser, Freund?«

»Ich habe Wasser, aber geh sparsam damit um. Ich weiß nicht, wie lange ich noch in dieser Wüste unterwegs bin oder ob ich auf meiner Reise Wasser finde.«

»Ich werde dich morgen zum Wasser führen, Freund, wenn du mir heute deine Flasche gibst.«

Dr. Alimantando schwieg lange unter den taumelnden Lichtern des Mondrings. Dann hakte er eine seiner Flaschen von seinem Rucksack und reichte sie über die Flammen hinweg der Grünperson. Die Grünperson leerte die Flasche. Die ihn umgebende Luft hatte einen frischen Geruch wie ein Wald nach einem kräftigen Frühlingsregen. Dr. Alimantando schlief ein und träumte nicht.

Am nächsten Morgen war nur roter Felsen neben der Glut des Feuers vom Vorabend, wo die Grünperson gesessen hatte.

Am zweiten Abend schlug Dr. Alimantando sein Lager auf, aß und machte dann Eintragungen in sein Tagebuch. Dann saß er da und ließ die Weite der Steinwüste auf sich einwirken. Er war unendlich weit gesegelt, hatte die Berge von Deuteronomium und die Wüste des roten Sandes hinter sich gelassen, war durch die Wüste des roten Gesteins gezogen, durch eine Landschaft der Schluchten und Rinnen, einem versteinerten Gehirn täuschend ähnlich, über polierte Steinflächen, durch Wälder, die schon seit einer Milliarde Jahre versteinert waren, durch Wasserläufe, seit Milliarden Jahren ausgetrocknet, vorbei an von Wind geschaffenen Palisaden aus altem Sandstein, über sturmumtoste Steppen; er war über schmale Granitabstürze in unermesslich tiefe widerhallende Schluchten gestiegen, hatte sich mit vor Entsetzen geweiteten Augen an jeden Handgriff geklammert, während die pro-magnetischen Levitatoren des Windbrettes sich abrackerten, um es in der Schwebe zu halten. Er war vor dem Wind hergejagt, er war gesegelt und gesegelt, bis die ersten funkelnden Lichtpunkte der Abendsterne den Himmel durchstachen.

So saß er da, während blauheiße Laserstrahlen über das Gewölbe über ihm tanzten, und die Grünperson kam wieder zu ihm.

»Wo ist das Wasser, das du versprochen hast?«, fragte Dr. Alimantando.

»Überall war einst Wasser und wird wieder Wasser sein«, erwiderte die Grünperson. »Dieser Stein war früher einmal Sand, und in einer Million Jahre wird er wieder als Sand an einem Strand liegen.«

»Wo ist das Wasser, das du versprochen hast?«, rief Dr. Alimantando noch etwas lauter.

»Komm mit, mein Freund.« Die Grünperson führte ihn zu einer Lücke in der roten Felswand, und dort, in der tiefen Dunkelheit, erklang das Glucksen versteckten, klaren Wassers, das aus einer Felsspalte hervorsickerte und in einen kleinen dunklen Tümpel tropfte. Dr. Alimantando füllte seine Wasserflaschen, trank aber nicht. Er hatte Angst, die uralte einsame Quelle zu verschmutzen. Dort, wo die Grünperson gestanden hatte, schoben sich blassgrüne Schösslinge durch die feuchten Eindrücke seiner Füße. Dann schlief Dr. Alimantando ein und träumte nicht.

Am nächsten Morgen stand neben den Glutresten des Feuers ein verwitterter Baum auf dem Fleck, wo die Grünperson gesessen hatte.

Am dritten Abend nach dem dritten Tag, als er durch die Wüste des roten Sandes gesegelt war, fachte Dr. Alimantando sein Feuer an und schlug sein Lager auf und trug seine Beobachtungen und Überlegungen in seiner feinen, zierlichen Handschrift in sein in Leder gebundenes Tagebuch ein. Er war an diesem Abend sehr müde; die Durchquerung der Sandwüste hatte ihn völlig ausgedörrt. Zuvor hatte er vor Begeisterung und vor vom Wind herangewehten Sand gezittert, während er mit dem Windbrett die unzähligen Sandwellen hinauf und hinunter geglitten war. Er war über den roten Sand gesegelt, dann über den gelben Sand und den grünen Sand, den weißen Sand und den schwarzen Sand, Welle auf Welle, bis die Wellen ihn brachen und ihn völlig auslaugten und zu erschöpft niedersinken ließen, um die Wüste des Salzes und die Wüste der Säure zu bewältigen. Und jenseits dieser Wüste, an einem Ort jenseits der totalen Erschöpfung, befand sich die Wüste der Stille, wo man den Klang ferner Glocken hören konnte, als würde er in den Glockentürmen von Städten erzeugt, die seit einer Milliarde Jahre unter dem Sand begraben waren, oder als käme er von Glockentürmen von Städten, die noch nicht geboren waren, aber in einer Milliarde Jahre hier stehen würden. Dort, im Herzen der Wüste, machte Dr. Alimantando halt, und unter einem Himmel, bis an seine Grenzen erhellt von den Positionslichtern eines Segelschiffes, das am Rand der Welt anlegt, kam die Grünperson ein drittes Mal zu ihm. Der Mann zeichnete mit dem Zeigefinger Symbole in den Staub.

»Wer bist du?«, fragte Dr. Alimantando. »Warum suchst du mich immer abends heim?«

»Auch wenn wir durch unterschiedliche Dimensionen reisen, bin ich dennoch wie du ein Wanderer an diesem trockenen und wasserlosen Ort«, sagte die Grünperson.

»Erkläre mir diese unterschiedlichen Dimensionen.«

»Raum und Zeit. Du Raum, ich Zeit.«

»Wie ist das möglich?«, rief Dr. Alimantando aus, der sich leidenschaftlich für Zeit und alles interessierte, was damit zusammenhing. Denn wegen der Zeit war er aus seinem Heim in den begrünten Bergen von Deuteronomium vertrieben worden, beschimpft als ›Dämon‹ und ›Zauberer‹ und ›Kinderfresser‹ von Nachbarn, die seine harmlose und phantasiereiche Verschrobenheit innerhalb ihrer eng umgrenzten Welt der Rinder und Schafe nicht ertragen konnten. »Wie kannst du in der Zeit reisen, worum ich mich schon seit vielen Jahren bemühe.«

»Die Zeit ist ein Teil von mir«, sagte die Grünperson. »Daher habe ich es gelernt, sie zu kontrollieren, wie ich es auch gelernt habe, jeden anderen Teil meines Körpers zu kontrollieren.«

»Kann ich diese Fertigkeit erlernen?«

»Nein. Du hast die falsche Farbe. Aber eines Tages wirst du eine andere Methode erlernen.«

Dr. Alimantandos Herz vollführte einen kleinen Hüpfer.

»Wie meinst du das?«

»Das musst du alleine entscheiden. Ich bin nur hergekommen, weil die Zukunft es fordert.«

»Deine Rätsel sind zu schwer für mich. Sag, was du meinst. Ich kann Unwissenheit nicht ertragen.«

»Ich bin da, um dich zu deinem Schicksal zu führen.«

»Ach was? Und?«

»Wenn ich nicht hier bin, werden bestimmte Ketten von Ereignissen nicht stattfinden; so haben meine Gefährten es entschieden, denn sie können die Zeit und den Raum unbegrenzt manipulieren, und sie haben mich hergeschickt, um dir den Weg zu deiner Bestimmung zu weisen.«

»Drück dich genauer aus, Mann!«, rief Dr. Alimantando laut aus, als der Zorn in ihm aufloderte. Doch der Feuerschein flackerte, und die himmelfüllenden Segel des Schiffes blinkten im Licht der untergehenden Sonne, und die Grünperson war verschwunden. Dr. Alimantando wartete im Windschatten seines Windbrettes, wartete, bis sein Feuer bis auf rotglühende Reste heruntergebrannt war. Dann, als er sicher sein konnte, dass die Grünperson in dieser Nacht nicht mehr zurückkehren würde, schlief er ein, und er träumte einen Traum voller Stahl. In diesem Traum schoben gigantische rostfarbene Maschinen die dünne Decke der Wüste beiseite und betteten Eier aus Eisen in ihr zartes Fleisch. Die Eier verwandelten sich zu eisernen Larven, die begierig waren nach Hämatit, Magnetit und Nierenstein. Die stählernen Maden bauten sich ein gewaltiges Nest aus Kaminen und Öfen, eine Stadt voller Qualm und zischendem Dampf, mit klirrenden Hämmern und sprühenden Funken, mit Strömen von weißflüssigem Stahl und schwammigen weißen Arbeitsdrohnen, die den Maden zu Diensten waren.

Als Dr. Alimantando am nächsten Morgen erwachte, stellte er fest, dass während der Nacht Wind aufgekommen war und das Windbrett mit Sand bedeckt hatte. Wo die Grünperson am Rand des Lichtkreises gekauert hatte, lag nun ein riesiger Brocken aus grünem Malachit.

Der Wind wurde stärker und trug Dr. Alimantando aus der Wüste hinaus. Er atmete die weinsaure Luft und lauschte dem Knattern des Windes in den Segeln und dem Wispern des vom Wind verwehten Sandes vor ihm. Er spürte, wie der Schweiß auf seiner Haut trocknete und wie das Salz sich in sein Gesicht und seine Hände einbrannte. Er segelte und segelte und segelte den ganzen Vormittag. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand erreicht, als Dr. Alimantando sein erstes und letztes Wunder erblickte. Eine...

Erscheint lt. Verlag 30.7.2015
Übersetzer Michael Kubiak
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Desolation Road
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Debütroman • diezukunft.de • eBooks • Ian McDonald • Kolonien • Locus Award • Mars • Stadt
ISBN-10 3-641-17597-6 / 3641175976
ISBN-13 978-3-641-17597-9 / 9783641175979
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Thriller

von Marc Elsberg

eBook Download (2023)
Blanvalet (Verlag)
19,99
Das Licht von Coelum

von Runa Rugis

eBook Download (2023)
epubli (Verlag)
6,99