Köpfe (eBook)

Roman

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
Heyne (Verlag)
978-3-641-17533-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Köpfe -  Greg Bear
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Wissen ist Macht
Vor Jahrhunderten ließen Tausende ihre Gehirne einfrieren in der Hoffnung, das Bewusstsein, die persönlichen Erinnerungen, das Ich über den Tod hinaus zu retten, um eines Tages in ferner Zukunft eine Wiederauferstehung zu erleben. Aber die Menschen dieser fernen Zukunft haben wenig Verständnis für derartige Wünsche. Sie sind nur an den Informationen interessiert, an verlorenem Know-how, das noch in den Köpfen sein könnte. Dass dieses Wissen jedoch nicht ungefährlich sein kann, erfährt der Wissenschaftler Mickey Sandoval am eigenen Leib, als seine Schwester Rho 410 dieser gefrorenen Köpfe auf den Mond bringt. Immer tiefer gerät er in einen Strudel aus Intrigen, der sich bis in die höchsten Kreise der Politik zieht - und mitten hinein in das Dunkle Geheimnis eines religiösen Kultes ...

Greg Bear wurde 1951 in San Diego geboren und studierte dort englische Literatur. Seit 1975 als freier Schriftsteller tätig, gilt er heute als einer der ideenreichsten wissenschaftlich orientierten Autoren der Gegenwart. Etliche seiner Romane wurden zu internationalen Bestsellern.

Ordnung und Kälte, Hitze und Politik. Der Schwindel der falschen Ordnung: Wut, Tod, Selbstmord und Zerstörung. Ich habe geliebte Menschen verloren, habe meine Illusionen verloren und eine geistige und körperliche Hölle durchgemacht, aber was mich nach dreißig Jahren immer noch im Traum heimsucht, sind die riesigen silbernen Kühlmaschinen, vier Etagen hoch, die unbewegt in der dunklen, leeren Höhlung der Eisgrube hingen; die Chaos-Druckpumpen mit ihrer ständigen saugenden Lautlosigkeit; der sich auflösende Geist meiner Schwester Rho; und William Pierces Gesichtsausdruck, als er sich seinem Lebensziel gegenübersah, in der Stille …

Ich glaube, dass Rho und William tot sind, aber ich werde mir dessen niemals ganz sicher sein. Noch viel weniger sicher bin ich mir über die vierhundertzehn Köpfe.

 

Fünfzig Meter unter dem aschigen Verwitterungsboden des Oceanus Procellarum, in der geografischen Mitte der ausgedehnten und zum größten Teil leeren Sandoval-Gebiete, war die Eisgrube aus einem vulkanischen Rülpser in der Ur-Vergangenheit des Mondes entstanden, eine natürliche Blase von beinahe neunzig Metern Durchmesser, die einst mit der wässrigen Sickerflüssigkeit eines Eisfalles in der Nähe gefüllt war.

Die Eisgrube war ein ergiebiger Wasserstollen gewesen, eins der größten Trinkwasserreservoirs auf dem Mond, doch es war längst erschöpft.

Da es meiner Familie, dem Multiplen Bund der Sandovals, widerstrebte, Mitglieder des Clans arbeitslos zu sehen, hatte sie die Grube als verlustbringende Farm weitergeführt. Sie unterhielt drei Dutzend Bewohner in einem Raum, der früher dreihundert beherbergt hatte. Sie war schrecklich vernachlässigt, schlecht geführt, und – was das schlimmste war für eine lunare Einrichtung – ihre Gänge und Gehege waren schmutzig. Der freie Raum an sich war leer und unbenutzt, da seine wassererhaltende Stickstoff-Atmosphäre längst versickert und der Grund nach mehreren Beben von Geröll bedeckt war.

Mein Schwager, William Pierce, hatte vorgeschlagen, ausgerechnet an diesem unwirtlichen Ort den absoluten Nullpunkt anzustreben, das universale Nonplusultra an Ordnung, Frieden und Stille. William untermauerte seine Bitte um die Nutzung der Eisgrube mit der Behauptung, er würde auf diese Weise ein Schweineohr in eine wissenschaftliche Seidentasche verwandeln. Als Gegenleistung konnte sich der MB Sandoval eines großen wissenschaftlichen Projekts rühmen, das seinen Status innerhalb des Tripel anhob und sich damit auch auf seine finanzielle Situation günstig auswirkte. Die Eisgrubenstation würde einem echten Zweck dienen und bot nicht nur Lebensraum für einige Dutzend müßige Eisgrubenleute, die sich als Farmer ausgaben. Und William hatte etwas ganz für sich allein, etwas wahrhaft Herausforderndes.

Rho, meine Schwester, unterstützte ihren Mann, indem sie all ihre beträchtliche Energie und allen Charme aufbot – und ihr gutes Verhältnis zu meinem Großvater, in dessen Augen sie niemals etwas falsch machen konnte.

Trotz Großvaters Befürwortung wurde das Vorhaben einer strengen Untersuchung durch das Sandoval-Syndikat unterzogen – bestehend aus den Geldgebern und Unternehmern sowie den Wissenschaftlern und Ingenieuren, von denen viele schon mit William zusammengearbeitet hatten und seine Begabung kannten. Rho steuerte seinen Vorschlag geschickt durch das Labyrinth von Begutachtung und Kritik.

Mit einer Fünf-zu-vier-Entscheidung des Syndikats und unter heftigem Protest von Seiten der Geldgeber und dem widerstrebenden Einverständnis der Wissenschaftler wurde Williams Projekt bewilligt.

Thomas Sandoval-Rice, der Direktor und Chef des MB-Syndikats, gab seine Zustimmung äußerst zögernd, doch er gab sie. Offenbar sah er einen gewissen Nutzen in einem risikoreichen, aufsehenerregenden Forschungsprojekt; die Zeiten waren schwer, und der Prestigewert spielte selbst für eine Familie der Oberen Fünf eine entscheidende Rolle.

Thomas beschloss, das Projekt als Übungsplatz für vielversprechende junge Familienmitglieder zu benutzen. Rho verwandte sich zu meinen Gunsten, ohne dass ich davon etwas wusste, und ich wurde mit einem Posten betraut, der weit über das hinausging, was ich aufgrund meines Alters und meiner Erfahrung verdiente, nämlich mit dem des Obersten Finanzmanagers und Beschaffungsmeisters der Station.

Die Loyalität gegenüber der Familie – und die flehentlichen Bitten meiner Schwester – zwangen mich, meine Ausbildung am Mare Tranquillitatis abzubrechen und zur Eisgruben-Station umzuziehen. Anfangs war ich darüber alles andere als begeistert. Ich fühlte mich mehr zu den freien Künsten berufen als zum Finanzwesen oder zum Management; ich hatte, in den Augen der Familie, meine Studienzeit für die Fächer Geschichte, Philosophie und terrestrische Klassik verschwendet. Dennoch besaß ich eine nicht unbeträchtliche Begabung für technische Wissenschaften – allerdings weniger für die Theorie – und hatte als Nebenfach Familienfinanzen belegt. Ich traute mir zu, mit dieser Aufgabe fertigzuwerden, und wenn auch nur, um meinen älteren Familienmitgliedern zu zeigen, was sich mit einer liberalen Denkungsweise alles bewerkstelligen ließ.

Scheinbar war ich für William und sein Projekt zuständig und lediglich dem Syndikat und dem Finanzdirektorium gegenüber verantwortlich, doch natürlich stellte William sehr schnell seine eigene Hackordnung auf. Ich war damals zwanzig Jahre alt, William zweiunddreißig.

Die Höhlung war mit Schaumstein ausgesprüht, um die atembare Atmosphäre abzugrenzen und zu versiegeln. Ich beaufsichtigte die Generalreinigung, die Überholung der bereits vorhandenen Gehege und Gassen und die Investition in ein verhältnismäßig spartanisch ausgestattetes Labor.

Große Kühlmaschinen, die seit dem Ende der Eisförderung in der Station eingelagert waren, wurden in die Höhle transportiert, so dass dadurch viel mehr Kühlkapazität zur Verfügung stand, als William für seine Arbeit eigentlich benötigte.

Vibration erzeugt Wärme. Die Generatoren, die das Labor der Eisgrube mit Energie versorgten, waren auf der Oberfläche installiert, damit ihr Lärm und ihr Beben von den Kühlmaschinen und Williams Laborausrüstung getrennt waren. Die übrige Vibration wurde durch die Aufhängung in einem raffinierten Geflecht aus Stahlfedern und Magnetschwebefeldern gedämpft.

Die Wärmeradiatoren der Eisgrube waren ebenfalls in der Nähe der Oberfläche aufgestellt, sechs Meter tief in den Schatten offener Gräben eingelassen, wo sie nie die Sonne sahen, sondern die Vorderseiten der alles absorbierenden Schwärze des Raums zuwandten.

Drei Jahre waren seit der Umwandlung vergangen. Immer wieder hatte William die Erreichung seines Ziels verfehlt. Er forderte immer ausgefallenere und teurere Gerätschaften an, und meistens wurden sie ihm nicht genehmigt. Er hatte sich in die Abgeschiedenheit zurückgezogen, ein Opfer immer stärkerer Stimmungsschwankungen.

Ich traf William im Hauptliftschacht am Anfang der Gasse, die zur Eisgrube führte. Normalerweise begegneten wir uns nur im Vorübergehen, wenn er pfeifend durch die kalten Gesteinsgassen zwischen seinem Wohngehege und dem Labor unterwegs war. Er hatte einen Kasten mit Denker-Unterlagen und zwei Spulen Kupferrohrleitung bei sich und machte einen vergleichsweise fröhlichen Eindruck.

William war ein knorriger Stock von einem Mann, zwei Meter groß, mit tiefliegenden schwarzen Augen, einem langen, schmalen Kinn, schmalen Lippen, Augenbrauen und Haaren so dunkel wie der Raum und mit einem tiefen Schatten um die Kieferpartie. Er war selten still oder ruhig, außer bei der Arbeit; er konnte äußerst grob und schroff sein. Wenn er in einer Versammlung oder einer Diskussion über das lunare Com-Netz richtig loslegte, gebärdete er sich manchmal streitsüchtig bis zur Selbstzerstörung, und doch wurde er von den Menschen, die am engsten mit ihm zu tun hatten, geliebt und geachtet. Einige der Sandoval-Ingenieure hielten William für ein Genie im Umgang mit Werkzeugen und Maschinen, und bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen mir vergönnt war zu beobachten, wie seine Musikerhände das gesamte Instrumentarium inspirierten und überzeugten und verführten und wie durch eine willentliche Übereinkunft aller Teile der Materie etwas konstruierten, konnte ich dieser Einschätzung nur beipflichten; doch es war weniger Liebe, die ich für ihn empfand, als vielmehr Hochachtung.

Auf die für sie typische Art war Rho verrückt nach ihm; aber schließlich war sie ebenso verbohrt wie William. Es war ein Wunder, dass sich ihre Vektoren ergänzten.

Wir gingen nebeneinander her. »Rho ist von der Erde zurück. Sie befindet sich auf dem Flug von Port Yin nach hier«, sagte ich.

»Hab' ihre Nachricht erhalten«, sagte William und stieß sich mit Schwung ab, um die Gesteinsdecke drei Meter über uns zu berühren. Sein Handschuh holte einige träge Brocken Schaumstein herunter. »Ich muss die Robotniks veranlassen, neu zu sprühen.« Er bediente sich einer nonchalanten Sprechweise, die verriet, dass er nicht wirklich die Absicht hatte, dem Gedanken die Tat folgen zu lassen. »Ich hab' jetzt endlich den QL in Gang gebracht, Micko. Die Interpretation ergibt einen Sinn. Meine Probleme sind gelöst.«

»Das behauptest du jedes Mal, bevor irgendein neuer Effekt dich wieder aus der Bahn wirft.« Wir waren bei einer großen, runden weißen Keramiktür angelangt, die den Eingang zur Eisgrube verschloss, und hielten vor einer weißen Linie an, die William vor drei Jahren an dieser Stelle dick aufgemalt hatte. Die Linie durfte nur auf seine Aufforderung hin überquert werden.

Die Luke öffnete sich. Warme Luft strömte in den Gang; die Eisgrube war immer wärmer als ihre Umgebung, da...

Erscheint lt. Verlag 30.7.2015
Übersetzer Irene Bonhorst
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Heads
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte eBooks • Ferne Zukunft • Greg Bear • Kult • Mond • Religion
ISBN-10 3-641-17533-X / 364117533X
ISBN-13 978-3-641-17533-7 / 9783641175337
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