Rituale (eBook)

Xenogenesis-Trilogie 2 - Roman
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
Heyne (Verlag)
978-3-641-17529-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rituale -  Octavia E. Butler
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Zwischen zwei Welten
Die dreigeschlechtlichen Oankali haben die Menschen wieder auf der Erde angesiedelt, die nach dem Atomkrieg für Jahrhunderte unbewohnbar war. Jetzt leben Menschen und Aliens zusammen, doch nicht alles ist friedlich: Während einige Menschen den Handel mit den Fremden akzeptiert haben und 'Konstruierte', mit Ooloi-Genen veränderte Kinder, zur Welt bringen, leben andere in abgeschiedenen, rein menschlichen Gemeinschaften. Doch die Ooloi, Angehörige des dritten Oankali-Geschlechts, haben sie unfruchtbar gemacht, sodass keine menschlichen Kinder mehr geboren werden können. Akin ist der erste männliche Konstruierte. In ihm steckt mehr Menschliches als in jedem anderen Hybridwesen - doch er hat auch Oankali-Gene und versteht, dass die Vermischung der beiden Spezies notwendig ist, wenn die Menschheit weiter überleben will ...

Octavia Estelle Butler (22. Juni 1947 - 24. Februar 2006) kam in Pasadena, Kalifornien zur Welt. Obwohl bei ihr als Kind Dyslexie festgestellt wurde, machte sie einen Abschluss am Pasadena City College und schrieb sich an der California State University in Los Angeles ein. Schon als Kind verfasste sie erste Kurzgeschichten, und 1969/70 besuchte sie zwei Autoren-Workshops, bei denen sie unter anderem mit Harlan Ellison in Kontakt kam, der ihr half, 1976 ihren ersten Roman bei einem Verlag unterzubringen. In ihrem mehrfach mit dem Hugo und dem Nebula Award ausgezeichneten Werk geht es immer wieder um Genderfragen und kulturelle Identität. Sie lebte und arbeitete bis zu ihrem Tod in Seattle, Washington.

2


 

Er war Akin.

Dinge berührten ihn, wenn dieser Laut gemacht wurde. Er wurde getröstet oder genährt, oder er wurde gehalten und gelehrt. Körper-zu-Körper-Verständnis wurde ihm gegeben. Er kam dahin, sich als sich selbst zu begreifen – individuell, abgegrenzt, separat von all den Berührungen und Gerüchen, all den Geschmäcken, Anblicken und Geräuschen, die ihn erreichten. Er war Akin.

Doch er lernte, dass er auch ein Teil der Menschen war, die ihn berührten – dass er in ihnen Bruchstücke von sich selbst finden konnte. Er war er selbst, und er war jene anderen.

Er lernte rasch, sie durch Geschmack und Fühlung zu unterscheiden. Er brauchte länger, um sie durch Ansehen oder Geruch zu erkennen, aber Geschmack und Fühlung waren fast eine einzige Empfindung für ihn. Beide waren ihm schon so lange vertraut gewesen.

Er hatte seit seiner Geburt Stimmunterschiede gehört. Nun begann er, mit diesen Unterschieden Identitäten zu verknüpfen. Als er, innerhalb von Tagen nach seiner Geburt, seinen eigenen Namen gelernt hatte und ihn laut sagen konnte, brachten ihm die anderen ihre Namen bei. Sie wiederholten sie, wenn sie sehen konnten, dass sie seine Aufmerksamkeit gewonnen hatten. Sie ließen ihn beobachten, wie ihr Mund die Worte formte. Er begriff rasch, dass jeder von ihnen durch eine oder beide von zwei Lautgruppen gerufen werden konnte.

Nikanj Ooan, Lilith Mutter, Ahajas Ty, Dichaan Ishliin und der, der nie zu ihm kam, obschon Nikanj Ooan ihm dessen Fühlung und Geschmack und Geruch beigebracht hatte. Lilith Mutter hatte ihm ein Printbild von ihm gezeigt, und er hatte es mit all seinen Sinnen untersucht: Joseph Vater.

Er rief nach Joseph Vater, und stattdessen kam Nikanj Ooan und brachte ihm bei, dass Joseph Vater tot war. Tot. Gestorben. Fortgegangen und würde nicht wiederkommen. Trotzdem war er ein Teil von Akin gewesen, und Akin musste ihn kennen, wie er alle seine lebenden Eltern kannte.

Akin war zwei Monate alt, als er begann, einfache Sätze zu bilden. Er konnte nicht genug davon bekommen, gehalten und unterrichtet zu werden.

»Er ist aufgeweckter als die meisten meiner Mädchen«, bemerkte Lilith, als sie ihn an sich hielt und ihn trinken ließ. Es hätte schwierig sein können, von ihrer glatten, wenig hilfreichen Haut zu lernen, außer dass sie ihm so vertraut war wie seine eigene – und oberflächlich betrachtet so wie seine eigene war. Nikanj Ooan lehrte ihn, seine Zunge zu benutzen – sein am wenigsten menschliches sichtbares Organ –, um Lilith zu studieren, wenn sie ihn stillte. Während vieler Fütterungen kostete er sowohl ihr Fleisch als auch ihre Milch. Sie war ein Sturm von Geschmäcken und Texturen – süße Milch, salzige Haut, glatt an manchen Stellen, rau an anderen. Er konzentrierte sich auf eine der glatten Stellen, richtete seine ganze Aufmerksamkeit darauf, sie zu untersuchen, sie gründlich, minutiös wahrzunehmen. Er nahm die vielen lebenden und toten Zellen ihrer Haut wahr. Ihre Haut lehrte ihn, was es hieß, tot zu sein. Ihre tote äußere Schicht bildete einen deutlichen Kontrast zu dem, was er als das lebende Fleisch darunter wahrnehmen konnte. Seine Zunge war so lang und sensitiv und geschmeidig wie die Sinnestentakel von Ahajas und Dichaan. Er schickte eine Faser von ihr in das lebende Gewebe von Lilith' Brustwarze. Er hatte ihr weh getan, als er dies das erste Mal versucht hatte, und der Schmerz war durch seine Zunge zu ihm zurückgeleitet worden. Der Schmerz war so scharf und überraschend gewesen, dass er sich schreiend und weinend zurückzog. Er wollte sich nicht beruhigen lassen, bis Nikanj ihm zeigte, wie man untersuchte, ohne Schmerzen zu verursachen.

»Das«, hatte Lilith bemerkt, »war fast so, als wäre ich mit einer heißen, stumpfen Nadel gestochen worden.«

»Er wird es nicht wieder tun«, hatte Nikanj versprochen. Akin hatte es nicht wieder getan. Und er hatte eine wichtige Lektion gelernt: Er würde jeden Schmerz teilen, den er verursachte. Also war es am besten, vorsichtig zu sein und keine Schmerzen zu verursachen. Er würde Monate nicht wissen, wie ungewöhnlich es für einen Säugling war, den Schmerz einer anderen Person zu erkennen und sich selbst als die Ursache dieses Schmerzes zu erkennen.

Nun nahm er, durch die Fleischranke, die er in Lilith hineingestreckt hatte, Ausdehnungen von lebenden Zellen wahr. Er konzentrierte sich auf einige wenige Zellen, auf eine einzelne Zelle, auf die Bestandteile jener Zelle, auf ihren Kern, auf Chromosomen innerhalb des Kerns, auf Gene entlang der Chromosomen. Er untersuchte die DNS, welche die Gene bildete, die Nukleotide der DNS. Da war etwas jenseits der Nukleotide, das er nicht wahrnehmen konnte – eine Welt von kleineren Partikeln, in die er nicht hineingelangen konnte. Er verstand nicht, warum er diesen letzten Schritt nicht machen konnte – wenn es der letzte war. Es frustrierte ihn, dass irgendetwas jenseits seiner Wahrnehmung war. Er wusste davon nur durch vage, ungreifbare Gefühle. Als er älter war, kam er dazu, es als einen Horizont zu betrachten, der stets zurückwich, wenn er sich ihm näherte.

Er verlagerte seine Aufmerksamkeit von der Frustration über das, was er nicht wahrnehmen konnte, zu der Faszination dessen, was er wahrnehmen konnte. Lilith' Fleisch war weitaus aufregender als das Fleisch von Nikanj, Ahajas und Dichaan. Da war etwas verkehrt mit ihrem – etwas, das er nicht verstand. Es war sowohl erschreckend als auch verführerisch. Es sagte ihm, dass Lilith gefährlich war, obschon sie auch wichtig war. Nikanj war interessant, aber nicht gefährlich. Ahajas und Dichaan waren sich so ähnlich, dass er Mühe hatte, Unterschiede zwischen ihnen wahrzunehmen. In mancher Hinsicht war Joseph wie Lilith gewesen. Tödlich und zwingend. Doch er war Lilith nicht so ähnlich gewesen wie Ahajas Dichaan. Tatsächlich war er, obwohl er zweifellos ein Mensch gewesen und wie Lilith hier, auf dieser Erde, geboren worden war, nicht mit Lilith verwandt gewesen. Ahajas und Dichaan waren Geschwister, wie die meisten Oankalipaare. Ooloi sollten nicht mit ihrem männlichen und weiblichen Partner verwandt sein, sodass sie ihre Aufmerksamkeit auf die genetischen Unterschiede ihrer Partner konzentrieren und Kinder konstruieren konnten, ohne gefährliche Fehler von allzu großer Vertrautheit und allzu großem Selbstbewusstsein zu machen.

»Gib acht«, hörte er Nikanj sagen. »Er studiert dich wieder.«

»Ich weiß«, antwortete Lilith. »Manchmal wünsche ich, er würde einfach trinken wie Menschenbabies.«

Lilith rieb Akins Rücken, und das Flackern von Licht zwischen ihren Fingern und um sie herum störte seine Konzentration. Er zog sein Fleisch aus ihrem zurück, ließ dann ihre Brustwarze los und schaute Lilith an. Sie schloss Kleidung über ihre Brust, hielt ihn aber weiter auf ihrem Schoß. Er war immer froh, wenn Leute ihn hielten und miteinander redeten, sodass er zuhören konnte. Er hatte schon mehr Worte von ihnen gelernt, als er bisher zu benutzen Gelegenheit gehabt hatte. Er sammelte Worte und setzte sie allmählich zu Fragen zusammen. Wenn seine Fragen beantwortet wurden, erinnerte er sich an alles, was ihm gesagt wurde. Sein Bild von der Welt wuchs.

»Wenigstens ist er in seiner physischen Entwicklung nicht stärker oder schneller als andere Babies«, sagte Lilith. »Bis auf seine Zähne.«

»Es sind schon früher Babies mit Zähnen geboren worden«, erwiderte Nikanj. »Physisch wird er bis zur Metamorphose seinem menschlichen Alter entsprechend aussehen. Er wird sich seinen Weg aus etwaigen Problemen herausdenken müssen, die seine Frühreife schafft.«

»Das wird ihm bei manchen Menschen nicht viel nutzen. Sie werden es ihm übelnehmen, dass er nicht vollkommen menschlich ist und dass er menschlicher aussieht als ihre Kinder. Sie werden ihn hassen dafür, dass er viel jünger aussieht, als er klingt. Sie werden ihn hassen, weil sie keine Söhne haben durften. Deine Leute haben menschlich aussehende Jungen zu einer sehr kostbaren Ware gemacht.«

»Wir werden nun mehr von ihnen erlauben. Alle fühlen sich sicherer, was ihr Zusammenmischen betrifft. Bis jetzt konnten zu viele Ooloi die nötige Mischung nicht erkennen. Sie hätten Fehler machen können, und ihre Fehler könnten Monster sein.«

»Die meisten Menschen denken, dass sie genau das gemacht haben.«

»Du auch immer noch?«

Schweigen.

»Sei zufrieden, Lilith. Eine Gruppe von uns war der Meinung, dass es am besten sei, ganz auf menschgeborene Knaben zu verzichten. Wir könnten Mädchen für Menschenfrauen und Knaben für Oankalifrauen konstruieren. Wir haben das bis jetzt getan.«

»Und alle betrogen. Ahajas will Töchter, und ich will Söhne. Andere denken genauso.«

»Ich weiß. Und wir kontrollieren Kinder auf Weisen, wie wir nicht sollten, um sie reif zu machen als oankaligeborene Männer und menschgeborene Frauen. Wir kontrollieren Neigungen, die einzelnen Kindern überlassen bleiben sollten. Selbst die Gruppe, die vorschlug, dass wir diesen Weg einschlagen, weiß, dass wir es nicht sollten. Aber sie hatten Angst. Ein Knabe, der menschlich genug ist, um einer Menschenfrau geboren zu werden, könnte eine Gefahr für uns alle sein. Doch wir müssen es versuchen. Wir werden von Akin lernen.«

Akin fühlte sich enger an Lilith gehalten. »Warum ist er solch ein Experiment?«, wollte sie wissen. »Und warum sollten menschgeborene Männer ein solches Problem sein? Ich weiß, dass die meisten Vorkriegsmänner dich nicht mögen. Sie haben das Gefühl, dass du sie verdrängst und sie zwingst, etwas Perverses zu tun. Von ihrem Standpunkt aus gesehen haben sie recht. Doch du könntest die nächste Generation lehren, dich zu lieben, gleichgültig, wer ihre Mütter sind. Du...

Erscheint lt. Verlag 30.7.2015
Reihe/Serie Xenogenesis-Reihe
Übersetzer Barbara Heidkamp
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Adulthood Rites
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Aliens • eBooks • Ferne Zukunft • Gender • Genmanipulation • Kulturelle Identität • Octavia Butler • Xenogenesis-Trilogie
ISBN-10 3-641-17529-1 / 3641175291
ISBN-13 978-3-641-17529-0 / 9783641175290
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