Kirinja (eBook)

Die Chaga-Saga, Band 2 - Roman

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
Heyne (Verlag)
978-3-641-17506-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kirinja -  Ian McDonald
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Ist das noch unser Planet?
In der Nacht des 22. Dezembers 2032 hörte das Universum, wie wir es kennen, auf zu existieren. Die Menschheit hat es nur noch nicht bemerkt ... Das Chaga, die seltsame Flora, die aus dem All zur Erde geschickt wurde, hat sich weiter ausgebreitet und damit begonnen, die Äquatorregionen der Erde zu verändern. Welchem Zweck das dient und wer - oder was - dahintersteckt, ist immer noch völlig unklar. Die ehemalige Reporterin Gaby McAslan hat inzwischen eine Tochter, Selena, zur Welt gebracht, doch weil sie Kontakt mit dem Chaga hatte, führt sie jetzt ein Leben im Exil. Auch Selena wurde von der Alien-Chemie verändert, und nicht nur Gaby muss lernen, mit diesen Veränderungen zu leben ...

Ian McDonald, 1960 in Manchester geboren, ist langjähriger Fernsehredakteur und Schriftsteller. Mit 22 veröffentlichte er seine erste Story, seit 1987 lebt er hauptberuflich vom Schreiben. Viele seiner Science-Fiction- und Fantasy-Romane sind mit Genre-Preisen wie dem Hugo, dem Locus und dem Nebula Award ausgezeichnet. Ian McDonald lebt in Nordirland.

Ein neuer Mond des Saturn


 

1


 

Die Dunkelheit war jetzt beinahe vergangen. Der Morgen klammerte sich an den Horizont, eine bernsteinfarbene Linie am Rand des Meeres. Die Frau sah zu, wie sich die Linie verstärkte und verhakte Wolkenfinger enthüllte; dunkel auf dunkel. Wettersysteme bewegten sich weit vom Land entfernt; Kräuselungen indigofarbener Wolken wirbelten aus der trägen, breiten Spirale des Monsuns heraus. Der Strand war eine Fläche von Geräuschen: das gewaltige Tosen der Brandung gegen das Riff, das hoch oben an der Kante des heilsamen Regens entlang verlief; das Pfeifen und Flöten von Strandvögeln, die federleicht ein paar spaßhafte Schritte unternahmen und sich dann wieder so leicht wie Gedanken in die Lüfte erhoben; die Sprache des Windes, vom Meer her in den träumenden Palmen und den hohen, schlanken Türmen der Landkorallen raunend. Die Musik von der Party verebbte und schwoll wieder an, einmal sanft, einmal dröhnend.

Auf dem Streifen zwischen dem bestellten Land und dem Sand hielt die Frau inne und berührte leicht, ängstlich, das Baby, das zwischen ihren Brüsten festgebunden war.

»Hör zu«, sagte die Frau.

Es war ausgeschlossen, dass das Kind sie verstehen würde, doch im zunehmenden Licht sah sie, wie ihre Tochter das Gesicht verzog und die Fäuste ballte, um zu schreien; dann entspannte sie sich, verstummte und regte sich nicht mehr. Im selben Augenblick fing der Wind vom Meer die Musik ein und trug sie wieder durch die Tür der Bar ins Innere zurück. Die Frau und das Kind standen eingebunden in die Gegenwart da. Der Augenblick dehnte sich, der Augenblick schnappte zu.

»Nichts«, sagte die Frau. Sie lächelte vor sich hin. »Du wirst lernen.«

Sie ging weiter zum Sand. Es war hell genug, um die herumhuschenden Krebse auszumachen – jedoch nicht hell genug, um ihnen aus dem Weg zu gehen. Sie zermalmte sie mit knackenden, knirschenden Lauten unter ihren Stiefeln. Die kleinen weißen Strandvögel glitten vom Meereswind weg, um an den vom Tod geprägten Fußstapfen zu picken und zu zerren.

»Sieh mal, da läuft Herr Krebs!«, sagte sie zu ihrer Tochter, die jetzt die Stirn runzelte, weil sich das gut anfühlte. »Und hier kommt Meister Krebs; wir fangen ihn, ja?«

Das Baby japste nach Luft. Die Vögel flogen auf und ließen sich erneut nieder, um mit ihren orangefarbenen Schnäbeln zu reißen und zu fassen.

»He, Frau Krebs!«, sagte die Frau, wobei sie schnell hinter der großen Mutter eines Hühnerkrebses herlief, so schnell, wie eine Frau mit einem Baby an der Brust in weichem, von der Flut nassem Sand zu laufen vermag. Frau Krebs versteckte sich im Schoß eines Wellenschaums.

Alle bis auf die hellsten Sterne der südlichen Hemisphäre waren verblasst. Der Mond stand noch am Himmel, einen Tag nach Neumond; der Halbmond von Afrika, auf dem Rücken liegend, gewiegt von den offenen Handflächen der Handbäume. Der Mond hielt einen Stern zwischen den Hörnern. Die Frau wusste, dass ein Fernglas diesen großen, nachgiebigen Stern erschließen könnte. Es war ein Zylinder, der dieselben Phasen und Verfinsterungen wie der echte Mond durchwanderte. Es war ein Artefakt, eine hohle Welt, an der Oberfläche dreihundert Kilometer lang und einhundertundfünfzig Kilometer im Durchmesser. Es hing in der Mitte zwischen Erde und Mond. Bei einer solchen Wahrheit stockte einem der Atem und eine eiskalte Nadel bohrte sich mitten in den Mysterien-Nerv.

»He!«, sagte Gaby McAslan zu der Kleinen, die zufällig den Kopf zurückgeneigt und das Gesicht den Monden zugewandt hatte. »Du kannst Daddy mit der Faust zuwinken.«

Die Wut kam so plötzlich, war so beißend und ätzend, dass sie einen Augenblick lang wie gelähmt war. Krebse huschten um ihre Füße herum. Das dauerte nur einen Augenblick, dann ging sie weiter. Flutwasser sickerte aus dem Sand in die Vertiefungen ihrer Fußabdrücke.

Der zweite Mond in den Armen des ersten. Ein gutes Vorzeichen: Zeit, um Reisen zu unternehmen, Vorhaben anzupacken, dem Leben einen neuen Kurs zu geben, sich von einem anderen Wind treiben zu lassen. Die Astrologie war eine der geringsten aller menschlichen Betätigungen, die aufgrund des Erscheinens des GDO eine Wandlung durchgemacht hatten.

Man sollte ihm einen neuen Namen geben, dachte Gaby. Es ist Groß, es ist zweifellos ein Objekt, aber es ist nicht mehr dumm. Wir wissen einfach nur nicht, was es uns sagt.

»Geboren mit dem GDO im Sternzeichen des Krebses«, flüsterte Gaby ihrer Tochter zu. »Eine Reise begann. Tod und Wiedergeburt.«

Saturn und die neuen Mysterien, die sich unter seinen Satelliten entfalteten, waren unterhalb des westlichen Horizonts. Sie würden mit einem Auge auf den Monitoren im Café Mermaid an der Veranstaltung teilnehmen. Gaby hoffte, dass sie nicht dort zu sein brauchte, um mitzubekommen, was immer sich dort draußen abspielen mochte. Ihr Leben war mit jenen fernen, kalten Monden verbunden, und zwar durch Kräfte, die weit zwingender waren als Astrologie. Zwölf Jahre zuvor war es eine andere Küste gewesen, ein anderer Kontinent. Irland. Das Leuchtturmhaus. Die Landzunge mit dem Namen Point. Heimat. Eine andere Person: das Kind, das sich von den Sternen etwas gewünscht hatte und Gaby McAslan geworden war, Fernsehjournalistin bei SkyNet. Gaby McAslan im Exil. Ein anderer Mond: Iapetus. Sie war an diesem Abend zum Point hinausgegangen, um sich vom Mysterium liebkosen zu lassen, um mit sich ein deutliches Zeichen zu empfangen. Mit einem Abstand von zwölf Jahren, nun, da sie das Baby in den Armen hielt, konnte sie zurückblicken auf dieses schlaksige junge Mädchen und erkannte, dass sie nicht nach einem wahrhaftigen Zeichen Ausschau gehalten hatte, denn das hätte ebenso gut von der Sehnsucht ihres Herzens weg als zu ihr hin weisen können. Sie hatte lediglich nach einer Bestätigung für das gesucht, was für sie bereits feststand. Iapetus war schwarz geworden, dann war Hyperion in einem Energieblitz verschwunden, aber es war irgendwo, an einem untrüglicheren Ort als in den Sternen, beschlossen worden, dass sie Fernsehjournalistin werden würde.

»Je älter man wird, desto mehr lernt man, je mehr du lernst, desto weniger sicher bist du dir, Kindchen«, erklärte sie ihrer Tochter. Zwölf Jahre später würde sie vielleicht erstaunt auf die Selbstsicherheit dieser Dreißigjährigen herabblicken.

Das obere Glied der Sonne versprühte Licht aus dem Meer in die Unterseiten der Wolken und sprenkelte sie mit purpurfarbenen, karmesinroten und schwarzen Klecksen. Die Landzunge lag immer noch im Schatten, doch Lichtflecken und -strahlen erhellten Gabys Pfad durch die Vegetation des Schwemmlandes. Ihr Gang war vorsichtiger, als es das sanft ansteigende Gelände erfordert hätte. Sie fürchtete, auszurutschen und das Baby zu erdrücken. Der Weg war gut ausgetrampelt; die Landzunge war ein beliebter Aussichtspunkt für die Leute aus Turangalila. Man konnte zwanzig Kilometer weit das Riff hinauf und hinunter sehen. An besonders klaren Tagen erkannte man sogar die gewaltigen Brecher, wo die Schiffe auf ihrem Weg in den Hafen von Mombasa hindurchgekommen waren. Jetzt waren die einzigen Schiffe auf dem Meer nur noch die flachen, grauen Kähne der Quarantäneflotte, tief an den Horizont gedrückt, aus Angst vor Infektionen. Doch die Nachrichten von der Küste weiter unten sprachen von einer großartigen, pulsierenden Kultur, die aus den Strünken des toten Mombasa erwuchsen. Die Infektion, vor der sich die Quarantäneschiffe fürchteten, war eine nationenweite Krankheit. Sie hatte Kenia umgebracht, sie brachte Tansania mit jedem Augenblick ein Stück mehr um, doch die Leute, die an dieser Küste lebten, waren in erster Linie Afrikaner und dann erst Angehörige irgendeiner Nation. Sie waren so produktiv und erfinderisch wie die sich langsam brechende Welle außerirdischen Lebens, die ihr Land veränderte, jeden Tag um fünfzig Meter.

Aber Mombasa gibt es nicht mehr, dachte Gaby. Das Mombasa, das ich in jenen letzten wahnwitzigen Tagen der Nation, die früher als Kenia bekannt war, kannte. Ich habe diese Nation geliebt, ich habe dieses Land geliebt und das Chaga hat es auseinandergerissen. Ich habe dort einen Mann geliebt, weit weg, und es hat ihn genommen. Alles, was ich geliebt habe, hat das Chaga genommen: Den Ort, von dem ich Kraft bezogen, die Leute, die ich geliebt und gequält, die angestrebten Ziele und die Fähigkeiten, die mich ausgemacht haben.

Sie blieb auf einem steileren Stück des Abhangs stehen.

»Whau! Ich habe es immer noch nicht überwunden, dass ich dich bekommen habe, Kindchen.«

Ich Tochter blinzelte zum Himmel hinauf. Winziges, winziges rotes Lebewesen. Gaby setzte ihren Weg fort. Die Sonne zog weiter ihre Bahn am Himmel.

»Du hast mich, was meine Kondition betrifft, völlig aus dem Gleis geworfen, weißt du das? Wenn ich an einem Kanamai-Spiel teilnehmen will, dann muss ich ernsthaft trainieren, ein bisschen laufen, ein bisschen schwimmen.« Sie blieb wieder stehen, um Luft zu holen.

Das Rückgrat der Landzunge war dicht bewachsen, mit einer Mischung aus fremdweltlicher und wiederhergestellter irdischer Vegetation, doch ganz an der Spitze verlief sie zu einer sonnenverbrannten Nase aus nackter Erde. Hier stellte Gaby die Ledertasche ab. Sie nahm ihre Tochter bis zum Rand mit. Die Landzunge fiel in Stufen aus Korallenfelsen zu einem flachen Felsenabsatz hinab, wo das Meer gefährlich tobte. Hinter ihr ging der Mond unter; ihre kurze Verbindung war unterbrochen.

Gut, dachte Gaby. Ich möchte dich nicht, wenn du die Augen voller Mond hast. Ich möchte kein anderes Leben, das mit den Mächten am Himmel verbunden ist.

Gaby schnallte das Baby ab. Mit beiden Händen hielt sie ihre Tochter zum...

Erscheint lt. Verlag 30.7.2015
Übersetzer Irene Bonhorst
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Kirinya
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Afrika • Alien • Chaga Saga • eBooks • Ian McDonald • Invasion • Nanotechnologie • Saturn • Terraforming
ISBN-10 3-641-17506-2 / 3641175062
ISBN-13 978-3-641-17506-1 / 9783641175061
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